In der Fremde leben
Ich habe vier
Jahre in Rom und während einem in Paris gelebt.
Obwohl ich mich
in der Heiligen Stadt wohl fühlte, eine schöne Wohnung hatte und
an meinem Arbeitsort, der Schweizerschule, nach meinem eigenen
Schnabel sprechen konnte, fühlte ich mich am Anfang doch sehr
einsam als Ausländerin in der grossen Stadt. Zum ersten Mal in
meinem Leben kaufte ich mir einige Platten einer Appenzeller
Streichmusik, um am Abend zu Hause etwas Heimat zu spüren.
Doch eines
half: Die Italiener waren mir als Ausländerin gegenüber immer
offen und zuvorkommend. Wenn ich in meiner Anfangszeit mit meinen
drei Brocken Italienisch z.B Schuhe kaufen wollte, lief der ganze
Laden zusammen und überzeugte mich, dass mein Italienisch "perfetto"
sei. Die Haustüre der Familie eines meiner Schüler stand immer
weit offen, und ich wurde bis zum Gehtnichtmehr in die Kunst des
richtigen Spaghettikochens eingeweiht. Als mir mein Auto eines nachts
mutwillig zerstört wurde, führte mich mein "benzinaio" zum
Carrosseriespengler und zeigte mir, dass man in seinem Land zwei
Rechnungen haben musste, eine, die man bezahlt und die andere für
die Versicherung. Ein Bankangestellter führte mich in das
Geheimnis der hölzernen Schublade ein. Wenn ich es richtig machte,
konnte ich den Gegenwert meines Checks innert Sekunden aus dieser
Lade ausbezahlt bekommen, statt eine halbe Stunde lang vor der
Hauptkasse zu warten, bis mein für Italiener ohnehin
unaussprechlicher Name ausgerufen wurde. Allmählich wurde ich zur
Schweizerin mit italienischem Touch oder, wie man heute sagen
würde, ich war integriert und fühlte mich wohl dabei.
Anders war es
in Paris. Als Familie mit zwei kleinen Kindern hatten wir
materiell zwar alles, was wir brauchten, ja ich konnte mir sogar
den Luxus eines au Pair Mädchens leisten. Doch wenn ich in einem
Geschäft mit meinem ziemlich fliessenden Französisch nach etwas
fragte, wollte man mich nicht verstehen, bis ich den genau
richtigen Ausdruck gefunden hatte. Da in der französischen
Metropole die Kinder schon ab drei Jahren die école maternelle
besuchen, sah man mich in der Stadt in Begleitung eines drei- und
eines viereinhalbjährigen Kindes scheel an. Meine lebhaften
Kleinen sollten ausser im Park nirgends sein und sicher in der
Öffentlichkeit weder laut lachen noch sich vergnügen. Ich fühlte
mich nicht sehr wohl in diesem Jahr.
Warum erzähle
ich Ihnen das alles. In Zürich (und nicht nur dort) lebt eine
Gruppe Ausländer, die nicht, wie ich aus einer gewissen Neugierde
und Abenteuerlust, sondern eher unfreiwillig von zu Hause
weggezogen ist. Sie kommt aus der serbischen Provinz Kosovo,
gehört aber dem albanischen Volk an. Die Kosovo-Albaner sind seit
Jahren unterdrückt, müssen ihre Kinder im Untergrund privat
unterrichten und leiden nicht selten unter einem Berufsverbot. Aus
Angst, oder aus wirtschaftlicher Not sind sie ins "gelobte Land",
in die Schweiz gezogen. Die Caritas hat die Aufgabe übernommen,
mit einem Kontaktnetz den kosovo-albanischen Familien eine
ähnliche Hilfe zur Integration anzubieten, wie ich sie in Rom
erlebt habe. 50'000 Franken hätte das die Stadt gekostet, also
etwas über zehn Rappen pro Person. Mit einer ungeheuren
Hetzkampagne, die sicher drei bis viermal soviel gekostet hat,
bodigte die SVP die Vorlage. "Kosovo-Albaner Nein" konnte man in
riesigen Lettern von allen Wänden lesen. Am liebsten hätten die
Verfasser des Slogans die anerkannten Asylbewerber in ihre
unsichere Heimat zurückgeblocht. Eine Partei hat zum Rassismus
aufgerufen und wurde gehört.
Die meisten der
Familien aus dem Kosovo sind Menschen wie Sie und ich, nur
ziemlich viel ärmer, verunsichert und auf der Suche nach einer
neuen Heimat. Ob sie sich bei uns wohl fühlen? Kaum, denn sie
büssen für eine Gruppe ihrer Landsleute, die in den Drogenhandel
verstrickt ist und für Einbrüche und Überfälle verantwortlich
zeichnet.
Wo bleibt da
unsere Fairness?
Und da tauchen
vor mir Namen wie Osterwalder, A. Sch., Hauert, Werner K. Rey,
Raphael Huber etc. auf. Sie sind alle Schwerverbrecher, aber sie
besitzen einen Schweizerpass. Warum werden dann wir nicht
diskriminiert?
9. Juni 1998