Er ist einer von uns

"Er ist einer von uns. Ich kann mir gut vorstellen, dass er einfach so zur Türe eintritt und sich zu uns an den Tisch setzt." Die alte Amerikanerin, die das sagte, lebte in einem kleinen "Provinznest" und schwärmte von ihrem Präsidenten, Ronald Reagan. Sie kannte ihn vom Fernsehen mit seiner warmen, väterlichen Stimme und war überzeugt, dass er alles für sie tun würde. Von seiner Politik aber wusste sie nichts.

Der ehemalige Filmschauspieler Reagan kannte sein Metier. Er beherrschte die Bewegungen, die Mimik und die Stimme, die den "good guy", den lieben, vertrauenswürdigen Typen kennzeichnete; und er nutzte sein Schauspielertalent zu seinem Vorteil.
Ein Zyniker bemerkte dazu:" Sie könnten auch Mickey Mouse zum Präsidenten wählen. Der kommt im Fernsehen noch besser an!"

Das ist Amerika!

Bei uns ist alles anders!

Wirklich?

In 14 Tagen wählt unser Parlament zwei neue Mitglieder in die Landesregierung, hoffentlich eine Frau und einen Mann. Seit etwa einem Monat kennen wir die Kandidaten und vor allem die Kandidatinnen. Die Medien bombardieren uns täglich mit Informationen über sie. So habe ich zum Beispiel erfahren, dass zwei von ihnen eine Zahnspange tragen, dass Ruth Metzler früher Fussball spielte und jetzt gern taucht. Jean-François Roth sei ein begnadeter Laienschauspieler, heisst es, und im Wohnzimmer seiner Eltern hätte ein Bild von Venedig gehangen. Ein welscher Journalist fragte mich, ob ich Peter Hess auch schon wütend gesehen hätte etc. etc.

Das Schweizer Fernsehen wollte vor einigen Tagen wissen, wen der Mann/ die Frau der Strasse als neuen Bundesrat oder als neue Bundesrätin wählen würde. Das Resultat der Umfrage war eindeutig. Weit oben heraus schwammen die beiden Frauen, dann kamen der CVP Parteipräsident Adalbert Durrer und der langjährige Fraktionschef Peter Hess. Die andern fielen weit ab.

Haben sie sich auch überlegt, wie dieses Resultat zustande gekommen ist? Ja, die beiden Frauen werden seit Mitte Januar täglich in den Medien porträtiert und kommentiert. Adalbert Durrer kennt man von seinen häufigen Fernsehauftritten als Parteipräsident und Peter Hess stand als Fraktionschef auch oft im Rampenlicht. Medienpräsenz macht wählbare Bundesräte!?

Doch während dieser ganzen" Köngissuche" ist mir eine Frage noch kaum begegnet
Was für eine Schweiz wollen wir für den Beginn des nächsten Jahrtausend? Wie soll unsere Regierung aussehen?

Wenn in einem Siebner Gremium zwei Personen, also fast ein Drittel, ausgewechselt werden, müssen wir uns diese Frage schon stellen. Je nach Wahl werden wir eine Mitte Rechts- oder eine Mitte Links Regierung erhalten.

Es geht um viel. Die Arbeitslosigkeit ist bei weitem noch nicht besiegt. Es gibt immer mehr Personen (man nennt sie working poor), die trotz Vollzeitarbeit nicht genug verdienen, um eine Familie zu ernähren. Die Sozialausgaben werden weiter steigen. Bundesrat Koller übergibt ein schwieriges Asyldossier. Wie wird sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin darin die Schwerpunkte setzen? Wird der neue Aussenminister eher auf Öffnung oder auf Isolation setzen? Wie steht es mit dem Schutz der Umwelt etc.?

Sicher, der Bundesrat ist eine Kollegialbehörde und die Beschlüsse werden gemeinsam getroffen. Doch das Gleichgewicht ist labil. Die CVP Magistraten bilden oft das Zünglein an der Waage. Es kommt nur darauf an, auf welche Seite hin es sich bewegt!

Fernseh, Zeitungen und Zeitschriften haben uns die Kandidatinnen oder Kandidaten näher gebracht. Sie sind uns mehr oder weniger vertraut, sympathisch oder fremd. Mit einigen von ihnen möchten wir uns vielleicht auch an einen Tisch setzen wie die alte Frau mit Ronald Reagan. Doch wer kennt ihr politisches Credo?

Und so kann ich nur hoffen, dass die Parlamentarier und Parlamentarierinnen die restliche Zeit noch gut nützen, den Papabilies auf den "politischen" Zahn zu fühlen, denn sie wählen ja und Gott sei Dank und nicht die Medien.

22. Februar 1999 

 

Home

 

Politik

 

Portrait

 

Texte

 

Links

 

Kontakt