Das Rosenbeet opfern

Seit sieben Jahren leben wir im Haus mit dem schönen Garten. Im letzten Winter beobachtete ich die ersten braunen Stellen an einem Nadelbaum. Bereits sind uns zwei grosse Bäume aus unerklärlichen Gründen abgestorben. Um eine weitere Katastrophe zu verhindern, bat ich vor einigen Wochen den Stadtökologen um Hilfe. Er betrachtete den ihm unbekannten, offenbar exotischen Baum und teilte mir mit, dass dieser von einem Pilz befallen sei. Auch schnitt er einen kranken Ast ab, um ihn genauer untersuchen zu lassen.

Heute brachte der Stadtökologe den Förster mit. Dieser zeigte wenig Interesse für unsern kranken Baum, der sowieso irgend eine unnatürliche Zucht sei, die er nicht einmal mit seinem Handbuch bestimmen könne. Doch dann begann er, mir einen Vortrag über den Zustand unseres Bodens zu halten. Vor bald einem halben Jahrhundert sei unser Garten am steilen Hang aufgeschüttet und durch eine Mauer abgeschlossen worden. Sicher hätte sich damals niemand um einen richtigen Bodenaufbau gekümmert. Und so läge wahrscheinlich der Humus unten und die Lehmschicht oben, von den Baumaschinen noch verdichtet. Über Jahre hätte das Wasser nie richtig abfliessen können und Staunässe hätte sich gebildet. Dadurch würden die Bäume schwach und auch anfällig für Krankheiten.

Natürlich erkundigte ich mich, ob man diese uralte Sünde korrigieren könnte. Es gäbe zwei Möglichkeiten, erklärten mir die beiden Fachleute; ich könne den Garten aufreissen und mit einem Netz von Drainageröhren entwässern oder ich könne ein Erlenwäldchen pflanzen. Das sei die wirksamere Methode. Als ich den Förster mit mehr oder weniger offenem Mund anstarrte, erklärte er mir, dass die Wurzeln der Erlen tief in den Boden eindringen, ihm Stickstoff zufügen und so verbessern würden. In ungefähr fünf Jahren wäre unser Boden durchlässig und die Erde viel leichter. Natürlich müsse ich mein Rosenbeet opfern, damit man dort die Erlen pflanzen könne. Man müsse eben den Mut für Veränderungen haben.

Lange studierte ich seinen Worten nach. Scheinbar gibt es zwei Wege, wie man Probleme lösen kann, den radikalen schnellen und den natürlichen, langsamen, der uns aber zwingt, unsere Positionen zu überdenken.

Im Krieg um Kosovo, aber auch Kroatien und Bosnien scheint man nur die erste Methode zu kennen. Seit Jahrzehnten waren die Spannungen in Ex-Jugoslawien bekannt. Tito wurde von allen gerühmt, wie er den Vielvölkerstaat zusammengeschweisst hatte. Doch hinter vorgehaltener Hand wurde getuschelt:" Wenn der einmal weg ist, wird alles explodieren." Und jetzt werden die uralten Probleme "radikal" gelöst, auf der einen Seite mit Vertreibungen und auf der andern mit Bomben. Es wird zerstört statt verändert und auch die letzten schwachen Würzelchen sterben ab. Meine Hilflosigkeit macht mich wütend aber auch traurig.

Wenn ich schon zur Befriedung des Balkans nichts beitragen kann, kann ich ja bei mir selber beginnen. Wir alle schleppen Probleme mit uns herum. Wir fühlen uns vielleicht zu wenig tüchtig, wären lieber herzlicher und hätten weniger Angst, oder gewisse andere Unzulänglichkeiten plagen uns seit einer Ewigkeit. Wenn wir nachdenken, können wir den Ursprung unserer "dunklen Seiten" oft bis in die Kinderzeit zurückverfolgen und möchten sie so gern ablegen.

Wie wär's, wenn wir Erlen pflanzten, und langsam unsern Garten, d.h. unser eigenes Ich sich gesund entwickeln liessen? Damit das aber gelingt, müssen wir Mut zu Veränderungen haben. Wir müssen vielleicht auf das Bild verzichten, das wir bis jetzt von uns selber haben und zum neuen, echten finden.

Ja, ich glaube, ich werde das Rosenbeet opfern.

13. April 1999

 

 

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