Eher kommt ein Kamel durchs Nadelöhr…
(Kein Märchen)
 

Es war einmal eine glückliche Familie. Sie lebte in einem hübschen Haus inmitten eines grossen Gartens. Alle halfen mit, diese Idylle zu finanzieren. Der Vater arbeitete als Abteilungsleiter im örtlichen Betrieb, die Mutter verdiente ihren Teil als Turnlehrerin an der Mädchenschule und sogar Peter, der Lehrling gab seinen Obulus in die Familienkasse. Nur die zwölfjährige Kathrin konnte finanziell noch nichts beitragen. Rosi, eine Cousine der Mutter wohnte auch da. Geistig etwas zurückgeblieben, arbeitete sie in einer geschützten Werkstatt, lieferte stolz jeden Monat Fr.5.—von ihrem symbolischen Lohn in die Haushaltkasse und merkte nicht, dass sie viel mehr kostete als sie abgab. Die Familie lebte gut. Das Haus war in bestem Zustand, ein Auto stand in der Garage und jährlich verbrachte man gemeinsam zwei Wochen am Meer. Einmal im Jahr nahm die Mutter einen Einzahlungsschein hervor, schrieb Fr.100.—darauf und adressierte ihn an Caritas oder Glückskette. „Wenn es uns so gut geht, sollten wir auch an die andern denken“, sagte sie dabei.

Alles war gut. Nicht einmal der reiche Onkel aus Amerika fehlte. Man kannte ihn kaum, sah ab und zu ein Foto und tauschte Weihnachtskarten aus. Die Kinder prahlten mit ihm und erzählten ihren Freunden, dass der reiche Mann mit den stechenden Augen und seiner Nase Onkel Dagobert nicht unähnlich sah. Darum nannte ihn auch alles „Dag“.

Doch einmal brachte der Pöstler mitten im Jahr einen Brief aus Amerika. Onkel Dag erklärte darin, dass er genug vom einsamen Leben habe und dass er ab nächstem Monat bei der Familie zu wohnen gedenke. Selbstverständlich würde er gemäss seinem Einkommen zum Haushaltgeld beitragen, d.h. er würde 10x mehr zahlen als der Vater. Einige Wochen später kam er am Flughafen an. Wie ein richtiger Ami trug er eine Basketballmütze und sah für sein Alter recht sportlich aus.

Nun war man reich. Der Onkel zahlte so viel, dass man gar nicht mehr wusste, wohin damit. Die Nachbarn schauten neidisch über den Gartenzaun. Das Haus wurde renoviert und ein Schwimmbad im Garten installiert. Man lebte gut. Doch als die Mutter ihrer Cousine Rosi einen neuen Mantel kaufte, fand Onkel Dag, dass das nicht nötig sei. Überhaupt, sagte er, sei es an der Zeit, dass andere Verwandte für Rosi schauten. Er brauche das Geld für Wichtigeres. Mit der Zeit mischte sich Onkel Dag immer mehr in Mutters Haushaltführung ein. Er zahle am meisten, darum wolle er auch wissen, was mit dem Geld passiere. Immer sprach er vom Sparen, obwohl die Mutter jeden Monat überflüssiges Geld zur Bank bringen konnte.

Da hatte Onkel Dag eine Idee. Jeder sollte nur noch die Hälfte an den Haushalt zahlen, so könne das Bankbüchlein wieder geleert werden. Die Mutter war skeptisch “Dann gewinnst du am meisten, die übrigen aber wenig. Uns bleibt dann kein Geld, andern zu helfen.“ Doch sie stiess auf taube Ohren. Der Vater war begeistert vom Gedanken, was er mit der eingesparten Summe alles erstehen könnte. Sogar Rosi freute sich darauf, dass sie so jeden Monat Fr. 2.50 sparen könne und merkte nicht, dass jetzt natürlich kein Geld für sie mehr da sein würde. Da ausser ihr alle von Onkel Dag’s Idee begeistert waren, stimmte die Mutter schweren Herzens zu. „Doch, wandte sie ein,“ möchte ich nun jedes Jahr statt Fr.100.—Fr.300.—an Caritas oder Glückskette schicken. Wenn es uns soo gut geht, sollten wir auch an die andern denken.“ Alle dachten ein wenig nach. „Nein“, kam man zum Schluss, „Dazu reicht das Geld nicht!“ Die Mutter war sehr traurig.

Die Familie, die übrigens Freienbach hiess, sparte mit ihrem Onkel, dessen bürgerlicher Name Martin E. war, munter weiter. Die Mutter aber, konnte sich des Reichtums nie richtig freuen.

31. Oktober 2000

 

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