Von kleinen und
grossen Königen
„Ostschweizer betrügt
in Namibia den König von Chur“ titelte ein Artikel in der
Sonntagszeitung. Erinnerungen an meine schönste Weihnachtsnacht
mitten im Busch werden wach. Aus dem Dunkel traten die Tiere zum
leicht erleuchteten Wasserloch, tranken und schritten majestätisch
zurück in die Nacht. Kein Laut, keine schnelle Bewegung …Friede
auf Erden! Ein älterer Herr hörte, dass wir Schweizerdeutsch
sprachen, erklärte uns, dass diese Lodge ihm gehöre und lud uns
ein, mit seinem Jeep am Weihnachtstag die Elefanten zu suchen. Ein
anderes bleibendes Erlebnis. Dass dieser Mann nicht arm sein
konnte, war offensichtlich. Doch nun lese ich, dass er zu den 200
reichsten Schweizern gehöre und „König von Chur“ genannt werde. Er
wurde um gut 15’ 000 Franken betrogen. Warum dieser Artikel? Wenn
der Mann so reich ist, sind 15'000 Franken für ihn nicht mehr als
für einen gewöhnlich Sterbenden eine Tafel Schokolade. Ist das die
Zeilen wert?
Immer wieder fällt mir
auf, wie die Medien Personen, die auf irgendeine Weise viel Geld
gemacht haben, auf den Thron heben und ihnen huldigen. Sie werden
interviewt und um ihre Meinung über die grossen Fragen der Welt
gebeten.
Ich erinnere mich, wie
vor Jahren ein junger Finanzier wegen seiner genialen Tricks in
den Himmel gehoben und von den Medien, einem Monarchen gleich, auf
Schritt und Tritt begleitet wurde. Was später mit Werner K. Rey
geschah, ist Allgemeinwissen. Darauf folgten Percy Barnevik,
Martin Ebner, Lukas Mühlemann, Thomas Hüppi und wie sie alle
heissen. Wie im Mittelalter werden sie aufs Podest gehoben und
ihnen zugejubelt, um dann später wieder in die Wüste geschickt zu
werden.
Warum tun wir das?
Sind wir nicht von jeher stolz auf unsere Demokratie? Macht Geld
Leute wertvoller oder beweihräuchern wir einfach nur den Mammon,
weil uns andere Werte abhanden gekommen sind?
Meine „Könige“ treffe
ich ganz woanders an. Einmal pro Woche fahre ich Behindertentaxi.
Da begegne ich wahren grossen Leuten. Da ist zum Beispiel die gut
zwanzigjährige Manuela, die bei einem blöden Turnunfall zur
Tetraplegiekerin wurde. Sie kann nur den Kopf richtig bewegen,
studiert aber trotzdem Jus, scheint immer zufrieden und lässt, so
lass ich mir sagen, keine Party aus. Obwohl sie weiss, dass sie
für den Rest ihres Lebens auf Hilfe angewiesen sein wird, lässt
sie sich nicht unterkriegen und hat für alle ein Lächeln bereit.
Da sind die Eltern von kleinen Kindern, die im Rollstuhl „hängen“
und festgebunden werden müssen. Mit ungeheurer Geduld pflegen und
betreuen sie ihre scheinbar nicht ansprechbaren Kinder und geben
ihren mit ihrem Engagement Würde. Da sind Betreuer und
Betreuerinnen von Schwerstbehinderten, die ihre Patienten nicht
nur pflegen, sondern, mit ihnen lachen und weinen, für sie da
sind. Da ist die alte Frau, die jede Woche dreimal für 5 Stunden
zur Dialyse ins Spital muss und statt zu jammern zu mir sagt: „Sie
haben schönes Haar“. Die Liste ist ellenlang.
In den kommenden
stillen Wochen werde ich nach mehr solchen „Königen“ Ausschau
halten. Ich werde versuchen, aus ihrer Lebenshaltung zu lernen.
Die schillernden Namen aber bleiben mir schnuppe.
18. November 2002