Erben
„Eigentlich müssten
wir eine hundertprozentige Erbschaftssteuer einführen“, zitiere
ich gern meinen Schwiegervater und beobachte gleichzeitig den
Gesichtsausdruck meines Gegenübers. Unglauben, Unverständnis und
strikte Ablehnung auf meine provokative Aussage sind die
Reaktionen meiner Gesprächspartner. Noch nie hat mir jemand
spontan zugestimmt.
Mein Schwiegervater,
weder ein Linker noch sonst extrem in seinen Meinungen, war der
oberste Steuereinzieher in Nordirland. Nie hätte er so viel Elend
und Unfrieden in Familien gesehen, als dann, wenn es ums Erben
ging. Darum sollte man am besten alles dem Staat abgeben. Man
hätte sowieso kein Anrecht auf nicht selber verdientes Geld.
Eine Meinung.
Schon über zwei
Jahrzehnte sind seit dieser Aussage vergangen. Sie lässt mich aber
nicht mehr los. Kein Kopfschütteln, kein „Das wäre nicht fair“
oder „Warum sollte man etwas aufbauen, wenn man es den Kindern
nicht weitergeben kann?“ haben mich bis jetzt überzeugt, das Thema
ad acta zu legen, obwohl ich natürlich weiss, dass es nie
Wirklichkeit werden wird. Manchmal muss man eine Idee radikal und
aus einer gewissen Distanz betrachten, um ihren Gehalt besser
herausschälen zu können.
Lassen Sie mich darum
die Gedanken meines Schwiegervaters noch etwas weiter spinnen.
Die Aufgabe von uns
Eltern ist es, unsere Kinder auf ein selbständiges Leben
vorzubereiten. Eine gute Bildung und die Erziehung zur
Sozialkompetenz, gepaart mit einer gewissen Neugierde und einer
Portion Tatendrang, müssten für unsere Nachkommen genügen, ihre
Zukunft selber zu meistern…, mindestens, so lange sie gesund und
normal begabt sind. Das Vertrauen in die nächste Generation stärkt
auch ihr Selbstwertgefühl. Ein grosses finanzielles Polster in
Form eines irgendwann kommenden Erbes hat schon oft statt einer
selbstbewussten, initiativen Person einen angepassten „fils à papa“
herangezogen.
Im Kanton St.Gallen
wurde vor einigen Jahren die Erbschaftssteuer abgeschafft. Kurz
darauf musste, weil der finanzielle Aderlass zu gross war, die
Einkommenssteuer angehoben werden. Jeder und jede zahlte also dem
Staat mehr aus seiner Lohntüte, damit eine privilegierte Gruppe
nicht selber verdientes Geld nicht mehr versteuern musste. Das ist
der Hauptgrund, warum mich die Aussage meines Schwiegervaters
nicht mehr los lässt.
Phantasieren wir
gemeinsam, was wäre, wenn zig Milliarden statt von Vater zum Kind,
von Vater zur Allgemeinheit fliessen würden! Man könnte die
Einkommenssteuern so massiv senken, dass kleinere Einkommen
wahrscheinlich nichts mehr abgeben müssten. Mit dem Geld würde
ausserdem ein Fond gespiesen, der Jungunternehmern fast zinsfreie
Darlehen anbietet. Auch Personen, die aktiv ein schon bestehendes
Geschäft weiter führen möchten, würden davon profitieren. Vorbei
wäre es mit Zweit- und Drittgenerationen, die ein blühendes
Unternehmen ruinieren, weil sie nicht mehr auf dessen
Weiterentwicklung, sondern nur auf den Erhalt ihres eigenen
Wohlstandes achten. Pioniergeist und Innovation würden mehr denn
je belohnt.
Wunschdenken, das
Details (bewusst) ausklammert? Wahrscheinlich schon!
Doch lohnt es sich,
solche Gedanken in die Waagschale zu werfen, bevor wir Bundesrat
Couchepin’s Vorschlag zur Einführung einer nationalen
Erbschaftssteuer mit Bausch und Bogen verwerfen. Es müssen ja
nicht unbedingt hundert Prozent sein.
7. April 2003