Kranke besuchen
Der Paukenschlag:
Drei, zum Teil grosse Tumore. Die
Brust kann nicht gerettet werden.
Die Überraschung:
Vor einem Jahr gefragt, wie ich auf
die Diagnose Krebs reagieren würde, hätte ich wahrscheinlich
geantwortet:“ Ich werde in ein riesen Loch fallen. Schrecken,
Todesangst, Angst vor Schmerzen und Verlusten werden mich prägen.
Vielleicht kommt noch Wut und Unverständnis dazu, warum es gerade
mich getroffen hat.“
Doch, die Welt fiel nicht zusammen.
Ich merkte, dass jetzt eine neue Phase in meinem Leben begonnen
hatte, dass ich loslassen musste vom Gefühl der ewigen Gesundheit.
Dieses Loslassen könnte ich am ehesten mit dem Flügge werden
meiner Kinder vergleichen, einer Zeit, in der ich mich nicht an
sie klammern durfte und mein Leben eine neue Richtung einschlug.
Angst kam nie ins Spiel, jedoch eine gewisse Neugier,
herauszufinden, was es heisst, mit dieser oft tabuisierten
Krankheit zu leben.
Die Mitwelt:
Sehr schnell wurde mir klar, dass ich
nicht zur stillen Leiderin geboren war und dass ich mehr denn je
den Kontakt zu Mitmenschen brauchte. Ich wollte keine tragischen
Gesichter sehen, keine traurigen Stimmen und auf keinen Fall gute
Ratschläge hören. Ich wollte mich bleiben mit all meinen Facetten
und Interessen, und ich wollte vor allem oft und herzhaft lachen.
So telefonierte und faxte ich allen
möglichen Verwandten und Bekannten und bat um Spaziergänge,
Besuche oder Anrufe. Daraus entstand zwischenmenschlich eine
meiner glücklichsten Zeit. Praktisch jeden Tag und bei jedem
Wetter holte mich jemand zum Wandern ab. Zuerst ging’s noch munter
bergauf und –ab, doch je länger die Chemotherapie ging, desto
flacher wurden die Wege. Jeden Tag erhielt ich Besuche, sei es in
meiner Stube oder am Telefon. Ab und zu fand ich im Briefkasten
eine kleine Überraschung, und einmal brachte mir ein älterer Mann
aus der Nachbarschaft ein selbstgebackenes Brot.
Ende Juni lade ich zum „Es goot meer
wieder guet – Fescht“. Ich habe so viel erhalten, ich möchte etwas
zurück geben.
10. Juni 2004