Doublethink

„Das Geld bleibt hier, es kommt von hier“ Im Takt seiner Worte klopft der alte Mann auf den Tisch. Wir diskutieren die Verwendung des10 Millionen Überschusses unserer Stadt. Der Stadtrat hat vorgeschlagen, 500’000 in einen Fond für Hilfeleistungen im In- und Ausland zu geben. Das wird aber nicht goutiert. Ich wage einzuwenden, dass unsere Stadt nur deshalb so hohe Steuereinnahmen habe, weil Firmen und Privatpersonen sich bei uns niederliessen, um so in andern Ländern Steuern zu sparen. Davon könnten wir ruhig 0,35% zurückgeben. Die Runde schaut mich entgeistert an: „Das stimmt nicht, du hast keine Ahnung, unsere Steuern kommen von hier.“ „Doublethink“ geht mir durch den Kopf, und ich wechsle das Thema.

Erinnern Sie sich an George Orwells Zukunftsroman „1984“? Er beschreibt eine Welt, in der „Big Brother“ alles überwacht und mit „Doublethink“ („Doppeldenken“) Wahrheit und Geschichte unter Kontrolle hält. „Doublethink“ ist die Fähigkeit, gleichzeitig zwei gegensätzliche Dinge zu glauben und zu akzeptieren z.B. dass schwarz weiss ist und zu vergessen, dass man je etwas anderes geglaubt hat.

Heute, 21 Jahre nach 1984 begleitet uns „Doublethink“ in mehr oder weniger reiner Form auf Schritt und Tritt. Da sind die Abtreibungsgegner, die das ungeborene Leben schützen aber gleichzeitig für die Todesstrafe eintreten. Da ist George Bush, der überzeugt ist, die Iraker mit Freiheit und Demokratie erlöst zu haben, obwohl er weiss, dass seine Invasion Tod und Verzweiflung brachte. Wenn wir Schweizer und Zuger glauben, uns gehe es nur so gut, weil wir so fleissig sind, ist das „Doublethink“, da wir gleichzeitig wissen, dass ein Grossteil unserer Einkünfte vom Ausland kommt. Manchmal frage ich mich, ob unsere Art, in den Tag hinein zu leben, als ob wir unsterblich wären, nicht auch an „Doublethink“ grenzt, und es würde mich interessieren, wie ich die nächste Stunde verbringen würde, wenn ich wüsste, dass sie meine letzte wäre.

7. Juni 2005

 

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