Donna Leon: Das Gesetz der Lagune
Krimigenuss, der nachdenklich stimmt.
Commissario Brunettis zehnter Fall führt ihn auf die
Halbinsel Pellestrina im Süden von Venedig, welche die Lagune von
der Adria trennt. Eines Nachts explodiert dort das Boot eines Muschelfischers
und nach der Bergung stellt sich heraus, dass es kein Unfall war,
sondern dass die zwei Menschen, Vater und Sohn, die sich auf dem
Boot befanden, ermordet wurden. Bei seinen Nachforschungen stösst Brunetti auf eine Mauer des Schweigens: die enge und misstrauische
Inselgemeinschaft will nichts mit der Polizei zu tun haben.
Da anerbietet sich die Sekretärin seines Chefs, Signorina Elettra,
unter dem Vorwand Verwandte auf Pellestrina zu besuchen, verdeckt
Ermittlungen anzustellen. Obwohl Brunetti vom Vorschlag nicht begeistert
ist, stimmt er widerwillig zu, da er keine andere Möglichkeit sieht,
an zuverlässige Informationen zu gelangen. Er ist besorgt um die
Sicherheit von Signorina Elettra, sollten die Inselbewohner dahinterkommen,
dass Elettra Ermittlungen im Auftrag der Polizei anstellt. Dabei
muss Brunetti feststellen, dass seine Gefühle für Signorina Elettra
tiefer gehen als dies gegenüber der Sekretärin seines Bosses angemessen
wäre...
Das Gesetz der Lagune ist Donna Leons bisher düsterstes
Buch. Doch wie keine andere versteht sie es, einem das Lebensgefühl
von Venedig und die italienische Mentalität zu vermitteln. Einmal
mehr muss sich Brunetti durch ein Meer von Lügen, Korruption und
Gefälligkeiten fortbewegen, wobei es schwierig ist, nicht vom Kurs
abzukommen. Darauf bezieht sich wohl auch der englische Originaltitel
A Sea of Troubles, welcher ein Zitat aus Hamlets berühmten "Sein
oder Nichtsein" - Monolog ist. Angesichts der Tatsache, dass Donna
Leon neben ihrer Tätigkeit als Autorin auch Professorin für Englische
Literatur ist, liegt es nahe, dass der Titel mit
Bedacht gewählt
wurde. Der Monolog spiegelt Hamlets Zerrissenheit zwischen zwei
Systemen, einem alten feudalistischen Ideal, welches von ihm verlangt,
den Mord an seinem Vater durch die Blutrache zu sühnen, und einem
neuen christlich-demokratischen Ideal, welches auf Vergebung und
ein staatliches Rechtssystem baut. Solch einen inneren Konflikt
zwischen verschiedenen Werten verspürt auch Brunetti.
Bei diesem Fall muss er einmal mehr feststellen, dass das was das
Gesetz vorschreibt und das was er als Gerechtigkeit empfindet, ziemlich
weit auseinander klaffen. Das Buch hat darum auch kein abgeschlossenes
Ende, welches alle Fragen beantwortet. Vieles bleibt offen und das
ist auch gut so.