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Manderlay

Manderlay | von Lars von Trier | Drama, Satire | Pathé

"Fall from Grace"

Der zweite Teil von Lars von Triers "Das Böse in Amerika" Trilogie thematisiert nicht nur die immer noch nicht vollständig aufgearbeitete Versklavung der Schwarzen in Amerika und ihre Folgen bis in unsere Gegenwart, sondern ist zugleich eine ironisch bissige Kritik an Amerikas gegenwärtiger naiver und desaströser Hegemonialpolitik.

von Monika Wernli

 

Titel

Die belesene Kinogängerin denkt natürlich sofort an Maxim de Winters Familienanwesen aus Daphne Du Mauriers "Gothic" Roman "Rebecca" und Hitchcocks gleichnamige Verfilmung desselben Stoffs, steht doch auch dort eine böse Frauenfigur und ihr Geheimnis im Mittelpunkt, welches das Anwesen und alle, die darauf leben noch weit über ihren Tod hinaus prägt.

 

Synopsis

Nach den Ereignissen in Dogville machen sich Grace und ihr Vater auf den Weg in den Süden, als sie eines Abends an einer Plantage namens Manderlay vorbeikommen (situiert im Staate Alabama, wo 1955 die schwarze Bürgerrechtsbewegung mit dem Bus Boykott in Montgomery ihren Anfang nahm). Mit Entsetzen muss Grace feststellen, dass man sich dort gerade daran macht, einen Sklaven auszupeitschen, und das 70 Jahre nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei in Amerika  (1865 unter Lincoln durch den 13. Verfassungszusatz). Entgegen der Warnungen ihres Vaters entschliesst sich Grace, einzuschreiten und die Sklaven von ihrem "Joch" zu befreien. Doch damit nicht genug, die Sklaven sollen auch "demokratisiert" werden, nötigenfalls mit Gewalt.

 

Formal

Nach Dogville waren die Erwartungen an den zweiten Teil von Lars von Triers USA-Trilogie sehr hoch, und die Kritiker bezweifelten, ob sie denn erfüllt werden könnten. Obwohl formal sehr ähnlich wie Dogville mit der brechtschen Reduzierung des Sets, entwickelt Manderlay doch eine ganz eigene Sprache. Durch den durchdachten Einsatz von Licht und Schatten, Geräuschen, Requisiten und Sandstürmen wirkt er atmosphärischer und "realistischer". Ob er weniger radikal und gnadenlos ist als Dogville, darüber mag man geteilter Meinung sein, doch er ist auf jeden Fall ironischer; eigentlich eine Satire oder wie anders ist es zu verstehen, wenn Grace, die so lautstark gegen die Sklaverei eintritt, mit ihrem Vater um seine Schläger feilscht, als wären sie Vieh und hätten keine eigenen Wünsche, Träume, Pläne.

 

Othello und Stereotypen

Ausser Danny Glover (der Mehrheit bekannt als "I am too old for this shit" Partner von Mel Gibson in der Lethal Weapon Reihe) hat sich kein schwarzer amerikanischer Schauspieler getraut, in Manderlay mitzuspielen; die meisten aus Furcht vor Repressalien wegen der anti-amerikanischen Haltung des Films. Doch auch aus andern Gründen sind die schwarzen Rollen in diesem Film nicht unproblematisch, bedient doch von Trier die meisten schwarzen Stereotypen, den dümmlichen Schwarzen, "Onkel Tom" (Wilhelm), die gewalttätige Schwarze, die ihre Kinder schlägt und den edlen Wilden/Schwarzen (Timothy), eine Figur, die momentan in unseren Kinos in der Verfilmung von Corinne Hofmanns Roman "Die Weisse Massai" Furore macht, zugleich geht es auch um die Beziehung zwischen einer weissen Frau und einem schwarzen Mann, welches von Trier sehr plastisch und effektvoll mit Anlehnung an Shakespeare (das Taschentuch und die ganze Inszenierung im Bett) in Szene setzt. Obwohl sich Grace ob der Einteilung der Sklaven auf Manderlay in verschiedene Typen angewidert zeigt, wird auch sie von solchen vorgefassten Vorstellungen geleitet, wie sonst lässt sich ihr Wutausbruch erklären, als sie entdeckt, dass Timothy nicht ein Gruppe 1 sondern ein Gruppe 7 Sklave ist? Timothy ist eine der eindrücklichsten Figuren, mit denen Lars von Trier unsere Vorurteile unterläuft.

 

Grace (und Bush)

War die Figur von Grace in Dogville noch ambivalent angelegt, so ist sie in Manderlay eine ganz und gar schreckliche Person, die in ihren naiven Ignoranz Furchtbares anrichtet. Man hätte meinen mögen, sie hätte aus ihren Erfahrungen in Dogville gelernt, doch wirkt sie, vielleicht auch bedingt durch Ersetzung von Nicole Kidman durch die Newcomerin Bryce Dallas Howard eher unreifer; doch geht diese übereifrige Naivität gut mit der Rolle einher. Obwohl sie immer nur das (ihrer Meinung nach) Beste will, wendet sich alles zum Schlechten und all ihre Aktionen haben weitreichende und unabsehbare Folgen. In einem Interview betont Lars von Trier die Parallelen zwischen Grace und George Bush, doch meine ich, von Trier tut Bush unrecht, wenn er tatsächlich an die Aufrichtigkeit seiner Motive glaubt, auch wenn er seine (politische) Ignoranz nicht in Frage stellt. Wenn man die Irak-Parallele weiterverfolgt, so entdeckt man auch da erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen dem professionellen Spieler (amerikanische Öl- und Baufirmen), der durch Betrug den frisch befreiten Sklaven ihren Lohn abschwindelt und diesen dann mit den zu Arbeitgebern (USA Regierung) gewordenen Sklavenhaltern teilt. Das erinnert irgendwie schon daran, wie das Geld aus irakischem Öl in die Taschen von Funktionären der Bush-Regierung fliesst.

Auch Bushs ungebremstem und offen deklarierten Drang amerikanische Werte in die ganze Welt zu exportieren, kommt Grace nach. Grace veranstaltet Lektionen, in welchen sie versucht, den ehemaligen Sklaven demokratische Ideale zu vermitteln. Auch dadurch das dies nur mittels Waffengewalt zu bewerkstelligen ist, lässt sie sich nicht davon abbringen.

 

Das Ende ist zwar nicht blutig, dafür aber äusserst ironisch und es macht auf eindrückliche Weise klar, dass sich Demokratie nicht erzwingen lässt. Ein vielschichtiger Film, der auf subtile Art und Weise Hegemonialkritik betreibt; so subtil, dass wenn Bush den Film sehen würde, er sich wahrscheinlich nicht mal angegriffen fühlen würde

 

Kinostart: 06.10.2005

 

Originaltitel: Manderlay (Dänemark 2005)

Regie: Lars von Trier
Darsteller: Bryce Dallas Howard, Willem Dafoe, Danny Glover, Lauren Bacall, Isaach de Bankolé, John Hurt, Cloë Sevigny

Dauer: 139 min.
CH-Verleih: Pathé

http://www.manderlaythefilm.com/

 

Filmkritik Dogville (http://www.netzmagazin.ch/66/sehen1.html)