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Unser Urlaub auf dem Fahrrad

Tallin - Donaumündung

Anfang Juli bis 10.September 2000  

Ruth Zuberbühler schrieb den Text und schoss die meisten Bilder,
Paul Zuberbühler hängte alles ins Internet,

beide strampelten gemeinsam fast 3000 km auf ihren Fahrrädern
durch den Osten Europas.


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(dies gilt bei allen Bildern)

 

Gehe zu Tag: (von jedem in Text kommt man wieder hierher)

Juli

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Rostock

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Rezekne

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Daugavpils

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Buzau

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Tulcea

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Constanta

Sept

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Budapest

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Györ

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Bratislava

9

 

 

Die Vorbereitungen:

Ausrüstung:

Das eine Velo ist ein Culture blue, das andere ein Delite blue, beide von Riese und Müller. Unser Gepäck transportieren wir in wasserdichten Ortlieb Backroller und Frontroller-Taschen. Wir haben auch im Sinn, ein Zelt mitzunehmen, und zwar ein Stalon von Hilleberg.

Die Vorbereitungen gehen schleppend voran. Die Fahrräder werden langsam, langsam startbereit. Die blechernen Schutzbleche sind allerdings noch nicht montiert, der Ortlieb-Packtaschenadapter von Riese und Müller auch noch nicht. Auch neue Kettenblätter, Kassetten und Ketten müssen noch an die Räder. Doch laufen beide schon auf Schwalbe-Marathon XR Bereifung.

 

Am Montag, 3.Juli 2000 beginnt die Reise am Badischen Bahnhof Basel. Wir steigen in den Nachtzug.

 

1. 7.

Eigentlich haben wir heute keine Zeit zum Schreiben, da noch so viel gemacht werden sollte. Es ist noch kaum etwas bereit für unsere Reise, abgesehen natürlich von den Billetts bis Tallinn und dem Visa für Rumänien. Auch ist in unserer Wohnung noch alles schmutzig, da wir in den letzten Wochen wegen dem Klassenlager keine Zeit zum Putzen hatten. So schlimm ists aber auch wieder nicht, da wir sowieso nicht viel mitnehmen können auf unseren Velos. Gepackt wird also sehr schnell sein. Beginne ich also einmal mit Putzen! Paul muss heute nochmals in die Schule, dort ist auch noch nicht alles erledigt.

 

2.7.

Sind diese Packtaschen klein! Nun ja, bis jetzt sind wir eher kanuerfahren und in den Kanus kann wirklich sehr viel mitgenommen werden. Wir verzichten deshalb auf den zweiten Schlafsack und nehmen zu zweit nur einen mit. Mit dem Doubler von Moonstone geht das eigentlich recht gut.

Fronttascheninhalt: 1.Werkzeuge, Brennstoffe, Ersatzteile / 2.Literatur (Karten, Reiseführer, Wörterbücher) / 3.Regenkleidung, Sandalen / 4.Toilettenzeug, Apotheke, Badzeug

Hintere Taschen: 1. Kleider / 2. ein Schlafsack, Doubler, Thermarestmatten warme Pullover (dienen auch als Kissen) / 3. Zelt / 4. Kocher, Pfannen, Nalgene Flaschen.

In den Fronttaschen sind das Fotozeug, der Feldstecher, die Taschenlampe, ein Sackmesser und diverse andere Kleinigkeiten versorgt. An Pauls Velo befindet sich noch eine Rahmentasche, darin ist unsere Zwischenverpflegung verstaut (vorläufig noch Ovosport, -die Beschaffung von gleichwertigem Nachschub dürfte allerdings Probleme bereiten).

 

3.7. 19.15h

Alles ist bereit. Hans und Rös Frei werden uns zum Bahnhof bringen. Nora hat heute ihr Abschiedsfest, da sie für ca. 4 Monate in Rumänien sein wird. Sie macht dort ihr Praktikum von der ETH aus. Roman und Corina sind also in Zürich. Unser Zug fährt allerdings erst gegen Mitternacht. Zuvor werden wir mit Hans und Rös auswärts etwas Essen.

Heute packten wir probehalber alles aufs Velo. Es zeigte sich, dass noch Platz für je zwei Flaschen frei blieb. Paul fuhr also noch schnell nach Basel um entsprechende Halter zu kaufen. Jetzt sind sie montiert und tragen je eine Nalgene Literflasche. Darin lassen sich nicht nur Flüssigkeiten bequem transportieren.

 

Mittwoch, 5.7.00 , 13.08 h, auf der Fähre in Rostock.

Die Fähre nach Tallinn verlässt im Moment den Hafen. Wir haben uns einen Fensterplatz im Boulevardcafe ergattert und ich schreibe in mein Tagebuch. Bei Gelegenheit werde ich alles ins Internet abschreiben. Im Moment sehen wir auf den Strand von Warnemünde. Trotz ziemlich schlechtem Wetter sind etliche Leute dort. Paul liest ein Buch "das Blütenstaubzimmer". Vor uns ein Stück Kuchen und Getränke, um uns herum reger Betrieb. Die Leute scheinen hungrig zu sein, schliesslich musste man schon um halb elf beim Einchecken sein. Wir sind eben erst aufs Schiff gekommen. Mit unseren Velos waren wir als allerletzte an der Reihe.

Gestern sind wir am Nachmittag in Rostock angekommen. Die Bahnfahrt führte von Basel im Liegewagen nach Köln. Frühmorgens mussten wir dort umsteigen. Der Aufenthalt dauerte über eine Stunde. Beim Warten sah man ständig auf den Kölner Dom. Eigentlich, so dachte ich, sollte man ihn ansehen gehen, aber er sah so schmutzig aus; ausserdem mussten wir ja das Gepäck und die Velos hüten. Nach Köln konnten wir in einem direkten Zug über Hamburg nach Rostock fahren. In Hamburg dauerte der Aufenthalt allerdings eine halbe Stunde. Wir stiegen aus, um uns auf dem Bahnsteig ein wenig zu bewegen. Dabei kamen wir mit einem 80 jährigen Mann ins Gespräch, der im 2. Weltkrieg im Baltikum war. Seit dem Tod seiner Frau mache ihm das Reisen keine Freude mehr. Seither sei überall "tote Hose". Jetzt besucht er seine Schwester in Schwerin.

Der Velotransport durch Deutschland verlief problemlos. Einziges Problem war, dass die Velos zu hinterst und die Schlafwagen ziemlich vorne im Zug waren. Bei einer Aufenthaltsdauer von 4 Minuten im Köln war das doch recht knapp. Paul rannte nach dem Aussteigen den ganzen Zug nach hinten, um noch die Velos auszuladen. In Rostock musste ich mich alleine um die 10 Taschen kümmern. Paul befreite im Gepäckwagen die Velos.

In Rostock begann es nach unserer Ankunft gerade zu regnen. Wir wollten als erstes in unserem Hotel das Gepäck abladen. Es war allerdings geschlossen. Per Natel fragten wir, ob es möglich sei, das Gepäck einzustellen, und innert fünf Minuten wurden wir eingelassen. Die Fahrräder durften wir gerade in der Rezeption stehen lassen. Das Hotel Verdi ist sehr zu empfehlen http://www.Hotel-verdi.de. Neu renoviert, sehr sauber, ruhig, reichhaltiges Frühstück, klein und mit freundlichem Empfang.

Gestern Nachmittag fuhren wir mit den Velos um die Rostocker Förde. Vorbei an strohgedeckten Häusern, aber auch an ziemlich hässlichen Plattenbaussiedlungen. Zwischen den langgezogenen Mehrfamilienhäusern gibt es immer wieder grosse Spielplätze, Fussballplätze, Velowege und viel Grünfläche. Überall wird gebaut und renoviert. Am Abend assen wir in der hübschen Rostocker Innenstadt (Fussgängerzone) einen Tomatensalat mit Mozarella und eine Pizza. Zwei italienische Musiker musizierten und sangen, recht kräftig unterstützt durch Konservenmusik ab (Floppy-)Disk. Der Keyboardspieler ist ein virtuoser Improvisierer. Oft hat er offensichtlich spontan zu den Konserven improvisiert.

Beim Warten aufs Schiff haben wir uns längere Zeit mit einem Berner Jus-Absovlenten unterhalten, der mit seinem Motorrad - so quasi als Studienabschluss - den Baltikum bereisen will. Er war früher auch Lehrer und hat vor seiner Abreise auch wieder Stellvertretungen gemacht. Nach wenigen Wochen Schulehalten, so fand er, habe man ja direkt einen Erholungsurlaub nötig.

 

6.7. Donnerstag 8.25 h.

Wir sind gestern noch fast den ganzen Nachmittag im Café gesessen, zusammen mit einem Motorradpärchen. Sie haben eine Firma für Wärmepumpen (Er machte kürzlich Pfisters eine Offerte). Er, Teilnehmer am Powerman-Duathlon von Zofingen, erzählt von seiner ganz verrückten Velotour, die er letzte Woche mit dem Rennrad absovierte. 250 km an einem einzigen Tag, über etliche Pässe. Wir verbringen auch den Abend zusammen beim nordischen Buffet.

19.20h Ich liege im Zelt, ein Birchermüsli im Bauch. Nach der Ankunft in Tallinn suchen wir als erstes eine Bank. - In Richtung der Kirchentürme, so nehmen wir an, dort wird die Stadt sein. Wir finden auch sofort einen Bankomaten, der mit unserer Karte funktionierte. Gerade daneben lag ein Lebensmittelgeschäft: Selbstbedienung bei den Früchten wie bei Coop und Migros, Scannerkasse, alles wie bei uns. Danach stossen wir unsere Velos durch die Altstadt. Irgendwie unterscheiden sich doch alle Städte kaum voneineander. Bei uns gibts vielleicht weniger Reiseführer, die ein Schildchen in die Luft strecken und ihre Leute zusammensuchen. Eine warnte gerade ihre Schäfchen, sich ja nicht zu verlaufen - wie im Kindergarten. Aber solche Reisegruppen kann man ja auch schon in Bern oder Luzern beobachten. Da kommt mir noch in den Sinn: Eine Führerin schickte ihre Reiseteilnehmer ins Einkaufscenter - "aber nur für 10 Minuten, nur zum Preisvergleich!"

Wir verlassen Tallinn ziemlich bald. Das grobe Kopfsteinpflaster, das es übrigens auch in Rostock schon gab, ist den Velos nicht gerade zuträglich und das Wetter ist zu schön, um nicht Velo zu fahren. Wir nehmen die Hauptstrasse in Richtung Tartu. Vorbei an zerfallenen Ruinen kommen wir auf die vierspurige Autobahn. Velofahren ist zwar gestattet, aber angenehm ist es nicht gerade. Plötzlich entdeckt Paul auf der linken Strassenseite einen schönen Veloweg. Kurz nach dem Flughafen hört er aber schon wieder auf. Nach etwa 10 km verlassen wir die Autobahn in Richtung SO. Die Strasse ist immer weniger befahren. Die wenigen Autos fahren jedoch extrem schnell. Viele bunte, artenreiche Wiesen säumen die Strasse. Eine wird gerade gemäht. Dazu werden drei kleine Traktoren verwendet. Der erste mäht, gefolgt von um die dreissig Störchen (jawohl!). Offenbar ist es bequem für sie, die aufgeschreckten Kleintiere zu fangen. Der zweite Traktor bündelt das Gras zu Ballen und der dritte verpackt es in Plastik, so dass am Schluss Plastikrollen auf der Wiese liegen. (Wie bei uns!)

Störche hinter dem Mäher

Eigentlich habe ich gehofft, vor dem Zelten noch einen Laden zu finden, eingekauft habe ich nämlich in Tallinn nur sehr wenig. Jetzt musste ich noch bei einem Haus um Wasser betteln, da wir kaum mehr zu trinken hatten.

Unsere schöne geteerte Strasse endet plötzlich. Auf den nächsten Kilometern wird es nur noch Schotterpisten geben. - Zu anstrengend für heute.

erster Zeltplatz Zelttrocknen & Frühstück

Ich glaube, Paul schläft schon. Unser Zelt steht etwas abseits der Piste im Wald.

 

8.7. (In Jogevä)

Gestern Morgen im Wald war alles feucht. Wir zügeln das Zelt an die Sonne, damit es trocknet und frühstücken erst einmal. Danach wird gepackt und auf der Naturpiste weitergefahren. Allerdings haben wir bald genug. Es gilt, den Löchern auszuweichen und stets die ebenste Stelle zu suchen, was schon sehr anstrengend ist. Daneben donnern immer wieder Lastwagen vorbei, die den trockenen Sand aufwirbeln. Dieser fliegt uns ins Gesicht und in die Augen, die man ja geöffnet haben muss. Ein Auge zu, das andere stark zugekniffen, so war es gerade noch erträglich. Wir beschliessen, so bald als möglich einen Umweg in Kauf zu nehmen, was zum Glück nach ein paar Kilometern möglich wird. Auch auf der in der Karte rot eingezeichneten Strasse ist der Verkehr gering.

Unterwegs kaufen wir Wasser ein. Der Verkäufer (er sei nicht der Kaufmann, sagte er) warnt uns vor Banditen, die mit Pistolen bewaffnet Touristen ausnehmen. Wir treffen viele Velofahrer, Einheimische, die kürzere Strecken fahren. Einer trägt nichts, als ein Tüchlein um die Taille, welches allerdings durch den Fahrtwind nach hinten geweht wird. Hat er seine letzten Kleider gegen das tolle Mountainbike eingetauscht? Ein älterer Mann auf einem klapprigen Fahrrad hält auch bei uns an. Wir zeigen ihm auf der Karte, woher wir kommen. Um besser zu sehen, packt er aus einem Taschentuch sorgfältig eine Brille aus, eine mit breitem Horngestell.

Den ganzen Tag über fahren wir durch landwirtschaftliches Gebiet. Es hat kaum Verkehr und kaum Infrastruktur wie Läden und so. Was beim Kanufahren kein Problem ist, wird nun eines: Das Trinkwasser. Wann immer möglich kaufen wir Getränke und brauchen auch viele.

Kornblumen im Getreide

Am Rand der Strasse wachsen viele verschiedene Kräuter, auch Knabenkraut (Orchideen). Gegen Abend verschwindet die Sonne und es ziehen immer wieder Gewitterwolken auf. Wir erkundigen und bei einem Autofahrer nach einer Schlafgelegenheit, da wir langsam sehr müde sind. Nach 17 km gebe es ein Hotel, erklärt er (das einzige, das wir seit Tallinn sahen). Für umgerechnet 12 Fr. pro Person dürfen wir übernachten. Die Zimmer sind spartanisch eingerichtet. Ein Raum, vier Betten, aber sauber bezogen, sogar Frottierwäsche liegt bereit. Douche und WC befinden sich auf dem Gang und werden offenbar extra wegen uns nochmals gereinigt. Es sind geschlossene Räume ohne Abzug. Kein Wunder, gibt es da Silberfischchen. Zu Essen gibt es hier nicht, also kochen wir auf der Zugangstreppe, die nicht mehr benutzt wird, Hörnli mit Käse und Ketchup, alles in Estland gekauft. Gemüse fanden wir nicht, aber etliche westliche Marken. Auffallend ist für uns, wie die Frau, die putzt, immer darauf bedacht ist, dass die Türen des Hotels abgeschlossen bleiben. Müde schlafen wir ein.

Abendessen kochen in Jogeva

Gegen halb zwei werden wir allerdings abrupt aus dem Schlaf gerissen. Laut fährt ein Auto vor und wird unter unserem Fenster geparkt. Geräuschvoll werden die Türen zugeschlagen. Mit Wucht und Gefluche wird an unser Fenster geklopft. Schimpfend geht der junge Mann weiter und klopft und rüttelt an der Eingangstüre. Geistesgegenwärtig schliesst Paul unser geöffnetes Fenster, welches nur etwas mehr als 1 1/2 Meter über dem Boden liegt. Der Mann kommt zurück, rüttelt und schüttelt noch mehr an unserem Fenster, da er offenbar bemerkt, dass mittlerweile geschlossen wurde. Zum Glück fährt das Auto bald darauf wieder weg. Mit ziemlichem Herzklopfen suchen wir den Zettel, auf dem die Notfallrufnummer der Polizei steht: 110 / 002, das wird uns im Kopf bleiben. Die Natels haben wir ja bei uns (auch schon 2 SMS in die Schweiz geschickt). Was ist wohl sicherer, irgendwo weit draussen im Wald zu schlafen oder in einem solchen Hotel?

Heute sollten wir es bis Tartu schaffen. Paul schläft allerdings noch. Tartu ist eine berühmte, alte Universitätsstadt. Wir werden dort etwas bleiben, auch damit sich unser Sitzleder erholen kann. Wir sind ja recht untrainiert von zu Hause weg gefahren.

20 h . Die Strecke bis Tartu (ca 50 km) ist sehr verkehrsreich (nach estnischem Massstab). Die Strasse ist jedoch breit und Lastwagen sind heute Samstag nur wenige unterwegs. Bei einem Bauern, der an der Strasse einen Stand unterhält, kaufen wir Erdbeeren. Wir sahen ihn schon von weitem, kein Auto hielt bei ihm an. Wie wir dann aber unsere Velos am Strassenrand parkieren, uns in die Wiese setzen und die Erdbeeren geniessen, hält ein Auto nach dem anderen. Die Leute hier sind recht schüchtern, aber dennoch neugierig. Je näher wir nach Tartu kommen, desto mehr Lebensmittelgeschäfte sehen wir, und desto reichhaltiger wird ihr Angebot. In Tartu selbst gibt es viele Banken und der Mc Donald fehlt genausowenig wie der Jeansladen. Die Hotels in der Altstadt sind recht teuer, über 100 sFr die Nacht für 2 Personen. Wir logieren in einem Haus aus dem 17. Jh., das dank einer Patenschaft von Uppsala renoviert wurde "Uppsala Maja" . Die Möbel stammen von Ikea. Wir werden 2 Nächte hier bleiben. Irgendwie ein komisches Gefühl, hier in diesem Luxus zu leben, während nebenan ehemals herrschaftliche Häuser am Einstürzen sind.

Das Nachtessen nehmen wir in der Stadt ein. Für 15 sFr. essen wir beide inklusive Essen und Trinkgeld. Irgendwie ist einen bei diesen Preisen nicht ganz wohl.

 

So 9.7. 9.30

12 Stunden haben wir geschlafen in dieser Nacht. Nur hie und da aufgeweckt durch das Summen von Stechmücken. Einmal habe ich mich mit Antibrumm eingestrichen. Sonst stechen sie sowieso mich. Solange ich neben Paul liege, kann er problemlos Gegner von Antibrumm sein.

Nach einem herrlichen Frühstück, mit allem, was man sich wünschen kann, machen wir uns zu einem Stadtbummel auf. Zu den Ruinen der Peter-und-Paul Kathedrale, bei der vor Einsturz gewarnt wird. Durch Quartiere mit architektonisch interessanten Häusern im nordischen Stil. Alles ist am Verfallen. Wie schade! Wir durchstreifen die Markthalle, wo es viel Fleisch, Fisch und Milchprodukte zu kaufen gibt, aber nur sehr wenige Früchte und Gemüse. Unter der Brücke über den Emajögi verkaufen fliegende Händler ihre wenigen Habseligkeiten, die sie auf einem Tüchlein ausgebreitet haben: Eine alte Nachttischlampe, einen Baby-Liss, eine Brille mit breitem Horngestell, Schraubenschlüssel,- all dies würde bei uns im Abfall landen.

Zum Internetcafé geht es vorbei an zerfallenden Häusern, über ungeteerte Strassen. Und plötzlich befindet man sich wieder in einer anderen Welt im amerikanischen Stil mit einer Weiheranlage mit Springbrunnen, die abends beleuchtet sind. Der ständige Wechsel gibt zu denken.

renovationsbdürftiges Haus Kirche in Renovation

Am Nachmittag machen wir eine Rundfahrt mit dem Schiff auf dem schmutzigbraunen Emajögi. Leider gelangt man kaum so richtig in die Natur hinaus. Flussaufwärts sieht man die Kulissen der Freilichtspiele zu Tom Sawyer, flussabwärts fährt man am maroden Industriegebiet vorbei. In der Ferne sieht man riesige Plattenbausiedlungen.

Das Nachtessen nehmen wir wieder in einem grossen Restaurant ein. Es hat nur noch ein weiteres Gästepaar. Es gibt riesige Portionen, mit viel Liebe angerichtet.

Tartu ist eine Reise wert. Es ist zu hoffen , dass das notwendige Geld beschafft werden kann, damit nicht noch mehr Gebäude von kulturellem Wert zerfallen und durch mondäne Hochhäuser ersetzt werden. Zum Teil stehen nur noch die ehemals schmucken Aussenmauern mit Schildern, auf denen vor dem Einsturz gewarnt wird. Die Zeit drängt.

 

Montag,10.7. 19.30

Am Morgen frühstücken wir zusammen mit einem deutschen Professor, der an der Uni von Tartu Vorträge hielt und nun noch einige Tage Urlaub in Estland macht. Er erzählt uns viel über Estland: - pro 2 Schüler 1 Computer! - Päru sei eine wunderschöne Stadt - Tallinn das Aushängeschild für die EU. Er reist hier mit estnischen Bekannten herum, mit dem Bus, heute nach Narva an der russischen Grenze.

Gestern Abend entdeckten wir, dass gleich um die Ecke ein Telefongebäude mit Internet-Zugang ist. Paul fragte gestern dummerweise nach einem Internetcafé und das ist ziemlich weit weg. Er geht noch schnell dorthin und schreibt an alle, deren Email Adresse er bei Tiscalinet (Datacomm) hinterlegt hat, einen Gruss und die Adresse unseres Tagebuches. (Später kommt das Sammel-mail als unzustellbar zurück) Danach packen wir die Drahtesel, kaufen in der Stadt zwei seidene Tücher als Geschenke, bringen sie auf die Post und verlassen schliesslich gegen Mittag Tartu in Richtung Valga/Valka. Bis dorthin, beschliessen wir, zwei Tage unterwegs zu sein. Mittendrin ist der Ort Otepää, "die Perle Estlands" mit dem "heiligen See". Genau an diesem See mitten im Naturschutzgebiet suchen wir uns einen Zeltplatz. Bei einem Holzschild mit einem Bett, einer Tasse und einem Zelt zweigen wir links ab Richtung See und kommen bald zu einem Sommerhaus in idyllischer Umgebung. Die Hausherrin will aber partout nicht, dass wir zelten, da Estland wettermässig nicht fürs Zelten geeignet sei. Es werde ganz fest gewittern in der Nacht und sie empfiehlt uns, im "Glashaus" zu wohnen. Für umgerechnet 80 sFr notabene, ohne Douche, ohne Wasserclosett (das sei ökologischer). Sicher denkt die Frau, dass wir über den Preis noch verhandeln, und ihr ist irgendwie nicht wohl dabei, dass wir das nicht tun.

"Glashaus"

Sie erzählt uns viel von ihrer Familie, sie selbst ist Tierärztin und ihr Mann war Förster. Sie beginnt zu weinen, da er letzte Woche gestorben ist. Bald fasst sie sich jedoch wieder und erzählt von ihrer Tochter, die Pädiaterin ist und eine Zweigstelle der finnischen Firma Orion in Tartu leitet. Ihr Schwiegersohn ist Anästesist in Finnland. Die Frau spricht übrigens gut Deutsch, sie ist deutscher Abstammung. Sie fragt uns, was wir zu frühstücken wünschen. Sie wird frische Milch bei einer Bäuerin auftreiben. Sie zeigt uns die Sauna, die als Badezimmer dient, den Schuppen, in den wir die Velos einstellen können - wegen dem Regen - und ihren Froschweiher, auf den sie sehr stolz ist. Es hat wirklich überall Frösche!

Pühajärvi

Nach dem Rundgang nehmen wir ein Bad im See und kochen auf unserer Veranda, obwohl sie uns ihre Küche zur Verfügung stellt. Das Wasser, das ich in der Küche geholt habe, wird beim Kochen ganz braun und trüb, aber das stört uns nicht, da wir dasselbe schon von moorigen Seen in Schweden und Finnland her kennen. Selbstverständlich hat es hier Stechmücken, recht grosse, das Zelt wäre sicherer als jeder andere Raum. In unserem Glashaus fliegen sie schon umher. Guet Nacht!

 

Dienstag, 11.7.

Unsere Hausherrin bietet uns ein grossartiges Frühstück mit Hafermus, Apfelmus, Käse, Ei, Tomaten, Zucchetti und Zwiebelblättern. (Sie sagen hier Zwiebel und bringen den grünen Teil davon) Brot, Butter und Konfi gibt es natürlich auch. Sie lädt uns ein, ohne aufzuzahlen noch eine Nacht zu bleiben, und den See zu geniessen. Das ist aber nicht ganz unser Ziel. Am frühen Nachmittag sind wir bereits in Valga. Dort suchen wir allerdings lange nach dem Hotel und müssen schliesslich wieder ein gutes Stück zurückfahren. Paul will noch aufs Internet, aber in der örtlichen Bibliothek dauert es gerade mal 20 Minuten, bis er im Seiteneditor ist. Das Absichern (von 50 KB) dauert ewig und geschlossen wird bereits nach einer Stunde. In die Emails kommen wir gar nicht hinein.

 

Mittwoch, 12.7.

Die Hotels hier sind leer, trotz Hochsaison. Dabei wird man spottbillig verwöhnt. Heut nächtigen wir in einem alten Haus, das mitten in einem Park steht mit anderen herrschaftlichen Gebäuden, und zwar in Smiltene (Kalna Ligzda Viesnica) beim Technikum. Wir fuhren zuerst wieder einmal daran vorbei.

Hotel in Smiltene

Auf den Esstischen stehen frische Rosen und eine Kerze. Wieder sind wir fast die einzigen Gäste. Eigentlich wollten wir heute etwa doppelt so weit fahren, aber zuerst hatten wir beim Zoll in Valga einen Umweg mit Steigung zu machen, da sie uns beim Fussgängerübergang in der Stadt nicht passieren liessen. Danach verpassten wir die Abzweigung nach Smiltene, so dass unser Velocomputer schliesslich 17 zusätzliche Kilometer anzeigte. Und weil ein Unglück selten allein kommt, blies uns während der ganzen Fahrt ein heftiger Wind entgegen. Es war, als würden wir ständig den Hauenstein hochfahren, nur kam nie eine Abfahrt. Nach ca 40 km machten wir zum zweiten Mal Halt und schliefen beide fest ein. Kurz vor unserem Ziel wurden wir dann noch heftig verregnet. Dafür gibt es bei der Tankstelle hier, bei der wir nach dem Hotel fragten echte Schweizer Schoggi (Alpenrose aus dem Tessin). Bevor wir also die tolle Abfahrt vor Smiltene in umgekehrter Richtung zurückfuhren (=Steigung) beruhigten wir uns mit einem Stück Schoggi.

Eigentlich habe ich schon lange darauf gewartet, aber es kam erst heute - zuerst meinte Paul : Dir ist bewusst, dass wir das alles hier freiwillig machen. und später: Was machen wir eigentlich hier.... Nun ist Paul aber wieder ganz zufrieden im Bett, obwohl es draussen so richtig regnet. Unsere Velos stehen wieder einmal in der Eingangshalle des Hotels.

 

Donnerstag 13.7.

Das Wetter ist heute immer noch recht trüb, nur kurze Momente lang scheint die Sonne. Etliche Steigungen sind zu meistern, zwar nur sanfte, aber recht lange, die man gerne unterschätzt. Die Landschaft ist leicht hügelig. Eine Zeit lang erreichen wir ein rechtes Tempo, da sie Strasse mit einem feinen Belag neu geteert ist, aber schon bald kommt wieder der rauhe Belag und unser Tempo sinkt wieder unter 15 km pro Stunde. Wir legen 67 km bei 14.3 km pro Stunde in etwa 4 3/4 Stunden zurück, so gibt unser Velocomputer an. Der ist im übrigen sehr praktisch, da man so immer etwa weiss, wie weit es zur nächsten Ortschaft noch ist. Auf diesen 67 km gab es zwar viele Busstationen, - teils mitten im Wald - , aber Dörfer waren es nur sehr wenige, ganz kleine. Busse verkehren hier übrigens recht viele.

Kirche mitten auf dem Land Storch im Baum

Heut übernachten wir in Gulbene (Schwanenburg) einer grösseren aufstrebenden Gemeinde mit etwa 1000 Einwohnern. Hier gibt es mehrere Schlösser, in denen in der Regel Primarschulen eingerichtet sind. In der öffentlichen Bibliothek gehen wir ins Internet. Allerdings schaffen wir es nicht, unsere Mailbox zu öffnen. Ein Jugendlicher bietet mir sofort seinen Stuhl an, wie er merkt, dass ich keinen freien mehr finde. Paul erzählt danach, dass auch sofort einer einen Computer für ihn frei gemacht habe.

Wie die Bücherei eigentlich schon geschlossen ist, interessiert sich die junge Bibliothekarin, die für die Computer zuständig ist, für uns und unsere Reise. Wir sprechen noch eine Zeit lang mit ihr. Sie will uns sogar schon um 8 Uhr am Morgen wieder Zugang verschaffen, obwohl erst um 11 Uhr geöffnet wird. Aber wir werden schon irgendwo wieder ins Netz kommen. Sie interessiert sich dann auch für unsere Homepage und wir geben ihr unsere Adresse. Beim Nachtessen im Restaurant können wir uns nur sehr schwer verständigen. Mit etwas Englisch, Zeichnungen und Handzeichen bestellen wir einen Griechischen Salat und von den Beilagen Pommes frites, Gemüse (es gibt zwei verschieden Vorschläge) und dazu ein Ei. Der Salat kommt als erstes, danach ein Omelett mit Dekor (eine grosse Portion auf einem grossen Teller). Als nächstes bringen sie uns eine riesige Portion Erbsli mit Rübli.... . Wir haben eigentlich an einen Gemüseteller mit Ei und Pommes frites gedacht. Dass das alles einzeln als volles Menu vorgesehen ist, haben wir nicht erwartet. Wir beginnen zu kichern und erwarten jetzt zumindest noch eine Portion Frites und eventuell noch einen zweiten Teller Gemüse, obwohl wir eigentlich schon mehr als satt sind. Ob sie es gemerkt haben, oder ob sie es gar nicht verstanden haben, dass wir auch Kartoffeln wünschten, - jedenfalls bringen sie glücklicherweise als nächstes die Rechnung!

Vom Schlafzimmerfenster aus sehe im Moment einen Storch auf einem Kamin sitzen.

 

Freitag, 14.7.

Um 5 Uhr werde ich vom Klappern der Störche geweckt. Paul schläft noch 2 Stunden, aber bereits um 8 Uhr sind wir startbereit, denn wir haben vor, bis Rezekne zu fahren. Die empfohlene Route führt über Balvi, und empfiehlt die Besichtigung des Schlosses Stameriena. Wir möchten aber gerade zwei Tagesetapen zurücklegen, ohne Schlossbesichtigung, weil das mit unserem Gepäck nicht so gut geht. Eines von uns müsste auf die Velos aufpassen. Da in der Karte auch ein direkter Weg nach Rezekne eingezeichnet ist, erkundigen wir uns bei Strassenarbeitern, ob diese Strasse geteert sei. Sie bedeuten uns, sie sei, so verstehen wir wenigstens. Wüssten wir, dass 30 km holperige Sandpiste vor uns liegen, mit der ständigen Gefahr einzusinken und zu stürzen, hätten wir gewiss den Umweg über Balvi gewählt.

Kaum haben wir diese anstrengende Strecke hinter uns, beginnt es zu regnen. Zuerst finde ich das ganz lustig, schliesslich vertraue ich unserer teuren Ausrüstung. Doch schon bald tropft meine Lowe Alpin Jacke auch inwendig, trotz Triple Point Ceramic. Pauls Goretex Mammut-Jacke hält allerdings dem etwa fünfstündigen Regen stand. Auch seine Timberland Schuhe bleiben innen trocken. In meinen Lowa Wanderschuhen mit Goretex-Membran könnte man Schiffchen fahren lassen! Ich halte aber ganze 60 km so durch, immer schön in Bewegung, um nicht zu frieren. Wie schon gestern gibt es Strecken, auf denen wir um die jungen Fröschchen herum Slalom fahren müssen.

Regenrast im Bushäuschen

Nach 90 km erreichen wir unser Ziel. Triefend nass, wie er ist, erkundigt sich Paul in einer Garage nach einem Hotel. Die Sekretärin bietet uns spontan einen Kaffee an. Zusammen mit dem Garagisten reserviert sie uns ein Zimmer und beide begleiten uns in einem Citroën Berlingo bis ins Hotel. Zum Dank schenken wir ihnen je ein Victorinox-Sackmesserchen. Im Hotelzimmer gibt es zuerst grosse Wäsche, danach nehmen wir eine Douche und schliesslich sitzen wir trocken eingekleidet im Restaurant. Auf unser Zelt und unsere Campingküche hätten wir bis jetzt fast verzichten können.

 

15.7. 17 Uhr

Erst um 10 Uhr gehen wir heute frühstücken. Wir erhalten eine Speisekarte, aus der wir uns das Essen zusammenstellen können. Alles ist einzeln aufgeführt 1.50 Lat haben wir je zur Verfügung. Das entspricht etwa 4.50 Fr. Müsli, Spiegelei, Brot, Butter, Orangensaft, Konfi, alles wird einzeln gebracht, je auf einem Tellerchen oder in einem Schälchen. Der ganze Tisch steht schliesslich voll Geschirr."

Da dies hier doch eine grössere Ortschaft ist mit 40 000 Einwohnern und das Wetter schlecht ist, bleiben wir hier. An der Rezeption kaufen wir uns einen Stadtplan und machen uns auf zu einem Bummel. Zuerst kommen wir in ein Gebiet mit trotzigen Verwaltungsgebäuden. Dann durchqueren wir einen armseligen Markt, betreten einige Läden mit kleinem Angebot. In Gulbene gibt es einen modernen Selbstbedienungsladen, bei dem ich sogar mit der Bankkarte (nicht der Kreditkarte) bezahlen konnte. Die Lebensmittelgeschäfte hier sind in verschiedene Sektoren mit Bedienung eingeteilt und vor jeder Kasse bildet sich eine Schlange. Von der Aufbruchstimmung, die in Gulbene zu spüren war, ist hier nicht viel zu merken.

Um Pfützen herum gehen wir durch löcherige Strassen zurück zum Hotel und verschlafen den Nachmittag. Der Versuch, ein Auto zu mieten schlägt fehl. Es seien alle ausgebucht, erklärt man uns an der Rezeption. In dieser Stadt gibt es offenbar ausser einigen Kirchen (z.B. die zwei links und rechts des riesigen Hotelkomplexes) nicht viel von Bedeutung. (Laut Stadtplan und Rezeption) Hinten auf dem Stadtplan lesen wir später nach, dass Rezekne im 2. Weltkrieg wegen der wichtigen Bahnkreuzung von den Russen weitgehend zerstört wurde. Der Wiederaufbau war ein Erzeugnis russischer Planwirtschaft. Die Letten stellen eine Minderheit der Bevölkerung (70/30%) Es gab hier viele Juden und Anfangs des Jahrhunderts 11 Synagogen. Das Hotel hier - höher als die zwei Kirchen daneben - ist in den 80er Jahren gebaut worden. Es sieht für uns so aus (vor allem die sanitären Einrichtungen), als stamme es aus den 30er Jahren. Im 19.Jh. soll das hier die Ferienregion der St.Petersburger gewesen sein.

 

Sonntag, 16.7.

Um 4 Uhr erwache ich. Es hat strahlenden Sonnenschein. Zuerst lese ich eines unserer Bücher fertig, das bleibt dann im Hotel liegen. Ich beginne aufzuräumen. Meine Schuhe sind endlich wieder trocken. Um 8 Uhr sind wir beide startbereit, heute gehts durchs "Land der blauen Seen". Die Strecke ist landschaftlich wunderschön. Es geht ständig auf und abwärts, oft mit Blick auf einen See. Zugang findet man allerdings nur selten, da sie Seen von einem dichten Schilfgürtel umgeben sind.

Wie wir Pause machen, hält ein älterer Mann mit seinem Velo bei uns. Wir verständigen uns mit Handzeichen. Er deutet uns an, dass nach einigen Kilometern ein Badeplatz komme. Am Ezezersee gibt es wirklich eine Stelle, an der man durchs Schilf durch gelangen kann. Ich geniesse die kühle Erfrischung nach dem doch recht anstrengenden Auf und Ab. Ein richtiges Intervalltraining war das, bei ständigem Gegenwind. In Dagde beschliessen wir, noch eine Etappe zu fahren. Bis Kraslava (Kraslau) sind es noch 35 km. Leider ziehen schwarze Wolken auf und es beginnt so richtig zu schütten. Wir rasten im nächsten Bushäuschen. hier schreibe ich ins Tagebuch. Jetzt regnet es schon nicht mehr.

am Ezezers See

Der Rest bis Kraslava ist eben und die Strasse ist mit einem feinen Belag geteert. Wir erreichen ein Tempo von über 20 km/h, wir haben das Gefühl, zu fliegen. (sonst 10-15 km/h) Was doch der Strassenbelag ausmacht! Plötzlich bemerken wir, dass wir auf der gelb eingezeichneten Nebenstrasse sein müssen. Unserer Befürchtung, dass der Teer bald aufhören könnte, bewahrheitet sich zum Glück nicht. Total heute: 96 km.

 

Montag, 17.7.

Das Hotel hier in Kraslava macht einen heruntergekommenen Eindruck. Das Zahnglas ist innen schimmlig. Geduscht wird auf einem schmutzigen Holzrost. Am Morgen gibt es weder warmes Wasser noch Frühstück.

Es regnet ohne Unterbruch. Wir fahren trotzdem nach Daugavpils. Das wird allerdings zur Tortur. Die Strassen haben keinen Abfluss. Das Fahren durchs Wasser ist sehr anstrengend und vorbeifahrende Autos bespritzen uns bis ins Gesicht. Wir fahren zwar entlang der Dauga, aber die Strasse ist kaum je eben. Es geht wieder hundertmal auf und ab. Durchnässt und erschöpft beziehen wir ein Zimmer im einzigen, wahrscheinlich staatlichen Hotel, nach russischem Muster (Betonklotz). Im Zimmer steht - einziger Komfort - ein Fernseher. Wir schauen Euronews. Das Wetter soll so bleiben!! Wir beschliessen, morgen mit dem Zug nach Vilnius zu fahren.

so sieht das Bad im Hotel in Daugavpils aus

Am Bahnhof hilft uns ein junger Mann, und übersetzt. Der Zug nach Vilnius wird ein ukrainischer sein. Velos können nur demontiert und verpackt mitgenommen werden. Man rät uns, den Kondukteur zu schmieren. Die Frau vom Billettschalter will uns morgen behilflich sein. Wir sind gespannt.

Daugavpils hat eine ganz nette Altstadt, wenn man sich vorstellt, dass es nicht regnet. Diesem Hotel hier scheint allerdings die Konkurrenz zu fehlen! (Dieser Interneteintrag - wir waren mit emailen ca 1 1/2 Stunden am Computer in einem Bureau des Hotels - kostet uns unverschämte 11 Lat, also etwa 35 Franken!!)

 

Dienstag, 18.7.

Die Hilfsbereitschaft der Letten ist riesengross. Wir werden vom Billettkauf bis alles im Zug verstaut ist, begleitet. Der Bahnsteig wird kurz vor Zugseinfahrt von der Grenzpolizei abgesperrt. Über 10 Uniformierte sind beteiligt. Es gibt einen eingehende Passkontrolle, ein Hund mit Maulkorb ist auch mit dabei. Ein junger Grenzpolizist mit dicker Hornbrille - offensichtlich der Chef der Kolonne - spricht sogar gut deutsch. (Ältere Leute können oft einige Brocken Deutsch hier, aber die Jungen bemühen sich, englisch zu sprechen.) Die Velos? "no problem" meint der Schaffner nach einer kurzen Diskussion mit unserer Begleiterin von der Bahnstation Daugavpils. Die Sache mit dem Fahrradtransport werde der "Chef" des Zuges noch mit uns regeln. Wir werden in einen der Schlafwagen gebeten. Der ganze Wagen ist innen offen. Von zuvorderst bis zuhinterst sind Liegen. Das eine Velo wird in "den 3.Stock", die Gepäckablage gehievt. (2 Etagen Liegen und oben eine Gepäckablage). Das andere darf im Gang des Vorraumes stehen bleiben. Gemütlich geht die Fahrt durch die schöne Landschaft. Der Wagen wird feucht aufgewischt und eine ältere Frau in Weiss serviert auf Wunsch Tee oder Kaffee. Mit dem Aktenkoffer setzt sich der Chef-Schaffner zu uns. Jetzt trägt er Uniform, in Daugavpils war er in Shorts und Hawaiihemd. Er fragte uns, welche Währungen wir dabei hätten, und wieviele DM wir für den "schwierigen" Transport bezahlen - alles in Englisch. Ich erkläre, dass wir in der Schweiz ca DM 20.- bezahlen würden und wir einigen uns auf diesen Betrag. Er sagt uns noch, dass wir jetzt nicht bezahlt hätten, sondern dass das ein Geschenk sei, so wie zum Beispiel Wodka oder so...

das eine Velo in der Gepäckablage so sah es im Zug drin aus

Was ich bei dieser Gelegenheit auch einmal schreiben sollte: In Plastik verpacktes Heu (bzw. Silage) haben wir seit Nordestland nirgends mehr gesehen. Das Heu ist an Heinzen (Holzgestellen) gehängt oder liegt in Schochen (Haufen) auf den Feldern. Paul tut dieser Anblick weh, da das Heu mindestens zuoberst ausgelaugt und grau-schwarz ist. Pferdefuhrwerke sind keine Seltenheit. Wir scheuen uns jedoch, zu fotografieren, so wie wir auch Mühe haben, armselige Häuser aufzunehmen. Die Armut hier ist gross. Schirme mit mehreren gebrochenen Stängeli zum Beispiel werden immer noch gebraucht. Viele Leute gehen ohne Regenschutz durch den strömenden Regen. Auch das Schuhwerk ist nicht der Witterung angepasst. Trotzdem befinden sich erstaunlich viele Menschen im Freien.

Bei der Zugsabfahrt in Dauvagpils hat es noch geregnet. Im Moment scheint die Sonne durch das trübe Fenster. Doch schon bald regnet es wieder.

Vilnius: Wie wir aussteigen regnet es in Strömen. Als erstes kaufen wir die Broschüre "Vilnius in your pocket" uns suchen uns darin ein Hotel: Nähe Zentrum, nicht zu weit vom Bahnhof, klein soll es sein. Genau so ist das Mikotel (mikotel@takas.lt). Es bietet uns einen Luxus, den wir schon längst nicht mehr als selbstverständlich betrachten: Duschkabine, Leitungen unterputz, gekachelter Boden im sauberen und hellen Bad. Die Fenster lassen sich problemlos öffnen und schliessen, die Rahmen sind weiss und aus Kunststoff, keine Farbe bröckelt ab, sie sind sauber geputzt. Wir sind im obersten Stock, es hat sogar ein Dachfenster. Auch der Teppich sieht neu aus, er wirft keine Falten, ist nicht zusammengeflickt, nicht verfleckt und auch nicht abgelaufen. Auch die Matratzen scheinen bequem zu sein: keine Federn drücken durch.

Vilnius ist eine sehr schöne Stadt. Die meisten Häuser sind renoviert. Es hat viele im Renaissancestil und viele alte Kirchen. Noch nicht ganz alles ist erneuert, aber es wird kräftig daran gearbeitet. Ich denke an Tartu (EE) und wünsche mir, dass die schönen alten Bauten dort auch bald gerettet werden, bevor sie ganz zerfallen sind. Den ganzen Nachmittag sind wir zu Fuss in der Stadt unterwegs und geniessen die Atmosphäre. In einem Kaffee machen wir Pause. Wir essen Konfekt und trinken etwas, - macht für beide zusammen umgerechnet 2 sFr. Doch auch hier gibt es Armut, wenn auch sehr versteckt. In einem Hinterhof durchsuchen mehrere Personen Abfallcontainer nach Brauchbarem. Hie und da wird auch gebettelt. Eine Frau versucht uns zu erklären, dass die aus Tschernobyl sei. Sie habe drei ihrer Kinder verloren und zwei würden an Krebs leiden und hätten keine Haare mehr. (So interpretieren wir jedenfalls, was sie in ihrer Sprache auf uns einredet) Wahrscheinlich hat sie uns beobachtet, wie wir am Bankomaten waren. Auf dessen Bildschirm erscheint nach der Sprachwahl Deutsch: WARTEN SIE BITTER!

 

Mittwoch, 19.7.

Heute bleiben wir also in Vilnius. Paul schläft um halb zehn immer noch. Ich wecke ihn, da ich schon drei Stunden wach bin und es mich langsam langweilt. Ich habe zwar in einem Buch zu lesen begonnen, das wir hier gekauft haben (Die Apothekerin von Ingrid Noll), ausserdem habe ich Pläne für heute geschmiedet. Doch wenn Paul noch lange schläft, ist ja der halbe Tag schon vorbei. Um 11 Uhr gibt es eine Möglichkeit nach Trakai zu gelangen. Wie wir uns bei der Hotelreception für die Exkursion anmelden, sagt man uns, wir seien die einzigen Interessenten, und wir würden vor dem Hotel abgeholt. Es bleibt uns deshalb noch Zeit, durch den Markt zu bummeln, der ganz in der Nähe liegt. Ausserhalb des Marktes verkaufen fliegende Händlerinnen ihre Ware: Joghurt und Milch in diversen Gläsern, so etwas wie Hüttenkäse, Strümpfe, getragene Kleider, Pilze, Beeren oder gestrupfte Kirschen. Im Markt werden Eier, Brot, Früchte, Nescafe und in der Halle auch sehr viel Fleisch und Wurst angeboten.

vor dem Markt im Markt

die Burg Trakai

Zum vereinbarten Termin fährt vor unserem Hotel ein Taxi vor. Unsere Reiseleiterin bezahlt, steigt aus und begrüsst uns. Bald darauf kommt ein Mann im unserem Alter in einem Opel Senator. Mit Chauffeur und Reisebegleitung werden wir zwei zur Festung von Trakai gefahren. In englisch wird uns die Umgebung erklärt und allgemeines von Interesse über Litauen. Beim Schloss werden wir an eine Führerin weitergegeben, die uns nicht nur die Anlage und den Museumsteil erklärt (wiederum englisch), sondern auch viel Wissenswertes über die Geschichte Litauens. Eine Geschichte der Unterdrückung mit wechselnden Besatzungsmächten (Zar v.Russland, Polen, Deutschland, Napoleon, UDSSR) und Befreiungskämpfen. Das Litauische ist verwandt mit dem Sanskrit, einer indischen Sprache. Für mich ist es sehr anstrengend, während drei Stunden ganz intensiv in Englisch eine Konversation zu führen. Passen kann man ja nicht, wenn man nur zu dritt oder zu viert ist. Ich habe also nicht nur gelernt, dass sie Litauer ihre litauischen Bücher zeitweilig im Ausland drucken lassen und ins Land schmuggeln mussten, sondern ich bekam gleichzeitig eine Intensivlektion in Englisch. Nach dieser Exkursion spazieren wir noch etwas durchs wunderschöne, frisch renovierte Vilnius. Touristen kommen hier offenbar vor allem in Herden vor: dreissig bis vierzig Leute trotten ihrer Leitkuh nach. Es gibt in der Stadt viele idyllische Orte, man kann stundenlang flanieren und in Kaffees sitzen ( 1 Cappuccino ca sFr. 1.20)

Univiertel ital. Kulturzentrum Strasse Haus in Renovation

Werden wir morgen weiterfahren? Der Wetterbericht sei schlecht bis Freitag.... Womöglich bleiben wir noch weitere Tage hier in Vilnius . Andernfalls könnte dieser Tagebucheintrag für eine längere Zeit der letzte sein. Wir rechnen in den nächsten Tagen nicht mit regelmässigem Internetzugang.

 

Donnerstag, 20.7. (32 Jahre Butz und Paul)

Nach einigem Suchen fanden wir gestern in Vilnius sogar Postkarten. Die müssen heute auf die Post; ebenso ein Film, Kartenmaterial, das wir nicht mehr gebrauchen, sowie Mitbringsel. Auf dem nächsten Postbüro bekommt Paul die Marken. Auf jede Karte muss er eine 90er, eine 20er und eine 10er kleben. Wo aber ist Platz? Das Paket und der Diafilm werden gar nicht erst angenommen. Wir werden zur Zentralpost geschickt. Dort hilft ein Mann, der sich als Italienisch-Uebersetzer bezeichnet beim Finden des richtigen Schalters. Zum Glück redet er auch Englisch. Nur an einem ganz besonderen Schalter können internationale Päckli aufgegeben werden, ganz hinten in der Ecke. Keine der Beamtinnen redet eine Sprache, in welcher Paul sich auch verständigen kann. Der litauische Übersetzer hilft. Das Päckli mit dem Buch und den Karten ist kein Problem. Den Film will die Beamtin partout nicht entgegennehmen. Warum wir den nicht hier entwickeln lassen (es sind Dias, Entwicklung bereits bezahlt), beim Zoll könnte er geöffnet und der Film aus der Hülle gezogen werden (!!) etc.. Das nächste Problem: Ein Paket, das abgeschickt wird, braucht einen hiesigen Absender, einen litauischen. Nach Pauls Weigerung, zusätzlich zum Läufelfinger Absender noch einen litauischen zu schreiben, verlangt die Postbeamtin, dass der Filmbeutel nochmals verpackt und ordnungsgemäss mit Adresse und litauischem Absender (vom Hotel) versehen wird. Dass ein solcher Absender keinen Sinn macht, kann die Frau nicht überzeugen.

Zur Weiterfahrt nach Südwesten lesen wir uns eine "gelbe" Strasse aus, die bei Baltoij Voke vorbei führt. Wir überqueren auf der Brücke westlich des Bahnhofes im dichten Verkehr die Bahngeleise. Alles geradeaus, und wenn dies nicht mehr geht, Richtung Baltoji Voke. Die schmale "Nebenstrasse" entpuppt sich als Ausfallstrasse mit ungemütlich viel Verkehr. Die Lastwagen überholen gefährlich nahe. Erst etwa 7 km ausserhalb der Stadt können wir weg vom starken Verkehr.

Hier aber beginnt eine äusserst schöne Strecke. Nach 35 km gemütlichen Strässchen muss man für ca 10 km wieder zurück auf die A4. Dann aber gehts wieder im Süden der A4 durch schöne Wälder nach Südwesten.

Etwa 10 km ausserhalb Vilnius treffen wir auf Radwanderer, die uns entgegen kommen. (Der Veloführer verspricht nur etwa alle 500 km eine solche Begegnung)Immer und immer wieder kreuzen wir kleine Gruppen mit mehr oder weniger guter Ausrüstung. In Baltoij Voke vor dem Lebensmittelgeschäft rastet eine Gruppe von ca. 15 VelofahrerInnen. Von ihnen erfahren wir, dass sie auf einer Tour durch Litauen sind, die jedes Jahr statt findet. Bis abends um halb Acht treffen wir ungefähr 200 Velowanderer. Einige fragen uns, warum wir umgekehrt hätten, mit anderen kommen wir ins Gespräch. Wir fachsimpeln über Routen und Ausrüstung, meist auf Englisch. Wir erfahren, dass sich auf dieser Strecke die Litauenrundfahrt mit anderen Radwandergruppen zusammengeschlossen hat und morgen in Vilnius eine Velo-Demo für Umweltschutz und Weltfrieden stattfinden soll. Unter anderem diskutieren wir auch mit einem jungen Polen und mit einer Frau, die kürzlich an einer Friedens-Tour rund um die Welt in 1 1/2 Jahren teilgenommen hat. Wir erhalten mehrere Internetadressen, die ihre Tour(en) betreffen.
http://www1.omnitel.net/zvejone/dvirinfo
http://come.to/biketour2000 http://www.peaceride.org

Strassenbord in Litauen

Selber fahren wir noch bis etwa 8 Uhr, bis Varena2 (82 km). Unsere Karte sagt, da gibt es ein kleines Hotel. Zwei junge Burschen in einem klapprigen, alten russischen Kleinlieferwägeli eskortieren uns von der Tankstelle zum "Hotel", einem Haus, das hinter einem Lädeli liegt und keinen besonders einladenden Eindruck macht. Es ist abgeschlossen und alle Fenster sind dunkel. Nach einer Diskussion unserer Eskorte mit den Verkäuferinnen wird uns bedeutet, dass man telefoniere. Die beiden Jungen verabschieden sich, wie sie sehen, dass die Sache ins Rollen kommt. Nach etwa einer halben Stunde wird das "Hotel" geöffnet und wir können für 60 Lit eine Nacht ein Zimmer mit Bad und Küche bewohnen. Wie wir mit dem Gepäck ins Zimmer kommen, flieht eine kleine Maus unter das eine Bett.... Nach einem Nachtessen aus Joghurt und Müsli - gekauft hier im Laden - legen wir uns ins Bett. Vielleicht kommt morgen früh das Wasser in der Dusche dann warm....

 

Freitag, 21.7.00

....und es kommt wirklich warm. Punkt 07.00 Uhr fährt die "Hoteliere" wieder in ihrem VW Golf vor. Sie wartet, bis wir ihr Etablissement verlassen haben, schliesst hinter uns ab und fährt wieder davon.

Durch grosse Wälder fahren wir wieder weiter gegen Südwesten, durch den Dzukijas Nationalpark. Der Verkehr ist sehr gering, aber regelmässig stehen Autos am Strassenrand. Alle Leute scheinen am Pilzesuchen zu sein.

Am südlichsten Punkt unserer Route in Litauen - etwa 3 km von der weissrussischen Grenze entfernt (bei Skleriai) - steht ein Schild: Strassenarbeiten. Das bedeutet für uns: Ende des Asphaltbelages! Auf den nächsten 12 km kämpfen wir mit den Tücken einer Naturstrasse. Wo finden wir eine Spur, auf der man nicht einsinkt oder ins Schlingern kommt? Jedem Auto folgt eine dicke Staubwolke. Die Waschbrett-Oberfläche der Strasse steigert das Vergnügen auch nicht gerade. Nach 6 km Naturstrasse schlagen wir uns in den Wald und kochen uns einen schmackhaften Curryreis. Gestärkt und ausgeruht verliert die Sandpiste etwas von ihrem Schrecken. Wir sind froh, als nach weiteren 6 km wieder Asphalt beginnt (Latezeris) und nicht erst nach den erwarteten 11.

Naturstrasse

In Druskininkai - offenbar einem "besseren" Ferienort - setzen wir uns in ein Kaffee (wir haben schon lange keines mehr gesehen)und bestellen eine Cola. Kurz darauf setzt sich ein Litauer mit einer "Fahne" (keiner litauischen) zu uns. Er redet etwas von "Birr gutt" und lässt uns beiden ungefragt eine Stange Bier hinstellen. Mit wenigen Brocken Deutsch und Englisch versucht er eine Konversation, von welcher wir nur wenig verstehen. Er will uns ständig "present" (Geschenk) machen: einen amerikanischen Dime (10 cents) eine russische Panzertruppen-Plakette. Er geht kurz heim - Butz ergreift die Gelegenheit und kippt das eine Bier in die Toilette - und bringt uns weitere "present": Eine Audiokassette mit litauischer Folklore und zwei Viererblöcke mit litauischen Briefmarken. Wir lassen ihn seine Adresse aufschreiben und versprechen ihm, Briefmarken aus der Schweiz zu schicken.

Wieder auf den Rädern, schaffen wir es nicht bis zum nächsten Hotel (in Lazdijai). In einem Wald schlagen wir unser Zelt auf. Heute waren es immerhin 94 km

Zelt im Wald

 

Samstag, 22.7.

So bequem wars im Zelt denn auch wieder nicht. Zu zweit mit einem Schlafsack, das ist eher eine Notlösung. Vor allem, wenn der Untergrund nicht ganz eben ist. Etwas "gerädert" stehen wir auf. Ich esse noch die Reste vom gestrigen Mitagessen. Wie putzt man eine Pfanne mit wenig Wasser? - Das beginnt schon beim Kochen: Die Flamme wird möglichst bald abgestellt, und in diesem Fall der Reis, wird noch etwa 15 Minuten ziehen gelassen. Die Pfanne reibt man nach dem Essen mit feuchtem Moos so lange, bis sie blank ist. Mit ganz wenig Wasser wird nachgespült.

Bereits am Morgen erreichen wir die polnische Grenze. 4 km lang soll die Autoschlange sein, so sagt unser Veloreiseführer. Auf den letzten Kilometern stehen in kurzen Abständen Toilettenhäuschen in der Landschaft. Die Strasse ist breit, doch ausser einem Pferdefuhrwerk gibt es nur ganz selten Fahrzeuge. Haben wir das Glück, an einem Samstag hier zu passieren? Nach dem Zoll - es dauerte vielleicht 2 Minuten - wechseln wir zu einem ziemlich ungünstigen Kurs. Möglicherweise sind ja heute die Banken geschlossen, und ob die Bankomatkarte hier auch funktioniert, wissen wir nicht. Neben der Wechselstube befindet sich gerade ein Restaurant und im Vorbeigehen werden wir von einem Australier und einem Polen auf Französisch angesprochen. Im Stehen ergibt sich ein fast zweistündiges Gespräch über unsere Tour, die Schweiz (Mehrsprachigkeit, Politik) über das Empfinden eines Australiers hier in Europa mit seinen Völkern, Kulturen und Grenzen. Der Australier brauchte offenbar 3 Monate, um ein russisches Visum zu erhalten. In St.Petersburg hielt er philosophische Vorträge. Der Pole lebte vor Jahren (vor der Wende) eine Zeit lang in Paris.

Da wir recht müde sind, nehmen wir einen Umweg zu einer grösseren Ortschaft in Kauf. Wir kaufen ein uns suchen ein Hotel. Im einzigen ist allerdings heute Disco. Wir fahren deshalb weiter, legen uns auf eine Wiese und ich schlafe fest ein. Nach einer Viertelstunde bin ich wieder fit für die nächsten 40 km nach Augustow. Hier im Gebiet der Masurischen Seen ist offenbar Kanurevier. Während des ganzen Abends überholen uns immer wieder Autos mit Kanuanhängern.

In einem von aussen nicht gerade einladenden Hotel in Augustow nehmen wir ein Zimmer. Wir staunen, wie wir den Raum betreten und er in italienischem Stil (hell, weiss) frisch renoviert ist. Auch das Badezimmer kann sich sehen lassen. Nur das Nachtessen wird zum Problem: Es gibt hier zwar drei Restaurants, aber in keinem interessiert sich jemand für uns. Wie wir im dritten sitzen und vergeblich warten, gehe ich an die Theke und frage nach etwas Essbarem. Ich bekomme sogar eine Karte in Deutsch und bestelle Frites, und Bohnen mit Pilzen. Zur Sicherheit erkläre ich noch, dass wir Vegetarier seien, und kein Fleisch essen. Und was bekommen wir vorgesetzt? -Einen Fleischeintopf ohne Pilze. (War offenbar in der Küche noch vorhanden). Wir lassen das stehen und und zehren im Hotelzimmer von unseren Vorräten.

 

Sonntag, 23. 7.

Trotz offenem Fenster und See hat es in unserem Zimmer keine einzige Stechmücke. Vor unserem Hotelzimmer kreisen schon seit gestern Abend dutzende von Mauerseglern. Paul meint, Frühstück gibts in diesem Hotel wohl kaum, aber das Nachfragen hat sich gelohnt. Ein fürstliches Frühstück ist im Zimmerpreis von Fr. 45.- (für beide) inbegriffen. Dazu gehört Rührei, Käse, Schinken... nur nach der Konfi muss gefragt werden. Heute führt unsere Etappe wieder durch das grösste zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas. An einem herrlichen Seeufer kommen wir mit einem polnischen Ehepaar ins Gespräch. Er war vor Jahren Gastarbeiter in Ostdeutschland und spricht deshalb einige Brocken deutsch. Seine Frau möchte sehr viel wissen, er hat aber leider etwas Mühe beim Übersetzen.Längere Zeit ruhen wir an einem schönen Platz im Wald. Paul schläft diesmal ein, ich lese. Leider ziehen Wolken auf. Bei einer Tankstelle suchen wir Schutz vor dem Regen. Der Tankwart bietet uns Getränke an. Es kommt zu einem lustigen non-verbalen Dialog.

20 km geradeaus durch den Wald der Augustover Puzta Getreideanbau wie bei uns früher

Wir kommen gerade bis zur nächsten Tankstelle, bis zu einem weiteren Schauer. Wir stellen uns nochmals unter. Jugendliche im Mercedes fahren vor und konsumieren an der Bar. Glasflaschen werden zu Scherben. Wir fahren weiter ins nächste Dorf und beziehen ein einfaches Hotelzimmer. In einem Raum des Hotels findet ein Familienfest statt. Alle sind in ihren Sonntagskleidern. Die Männer mit schwarzem Kleid und Krawatte erinnern an Mafiabosse.

Die Etappe heute war kurz, nur gerade 50 Kilometer, auf guten Strassen mit meist feinem Belag. Jetzt sitzen wir draussen vor dem Hotel, lesen und schreiben. Die Sonne scheint und es regnet.

Vom Personal hier spricht niemand englisch, französisch oder deutsch. Die Menukarte gibt es nur in polnisch. Es geht jedoch nur einen kurzen Augenblick und der Kellner kommt mit einer Übersetzerin zurück. Sie hilft uns bei der Auswahl, -es gibt Piroggen- und erzählt, dass ihr Cousin gestern geheiratet habe. Einige Leute sässen im Nebenraum und warteten auf uns. Nochmals streckt sie den Kopf ins Restaurant und fordert uns auf, uns nach dem Essen zu ihnen zu setzten. Wirklich stehen bereits zwei Stühle bereit. Und wir sitzen noch bis 11 Uhr zusammen. Wer nun Pole ist,wer Deutscher mit polnischer Abstammung und wer Deutscher, finden wir bis zum Schluss nicht heraus.

 

*

Montag, 24.7

Nach einer Nacht, in der wir leider nicht besonders gut geschlafen haben, fahren wir nach Bialystok. Die Stadt ist das Zentrum von Ostpolen und hat 1/4 Million Einwohner. Auf dem Weg dorthin passieren wir den Puszsy-Nationalpark mit seinen wunderbaren Wäldern. Überall entdecken wir grosse Ameisenhaufen. Streckenweise erinnert uns die Gegend stark an die Freiberge. Auch in diesen Gegenden gibt es noch etliche Störche. Die Jungen sind schon langsam flügge.

die Kühe sind einmal nicht an einzeln an einer Kette angebunden, sondern in Gattern

In den Bauerndörfern besteht der Strassenbelag oft aus grobem Kopfsteinpflaster. Dem Strassenbord entlang können wir uns mit unseren Velos daran vorbeischmuggeln. Das Pflaster sieht zwar recht idyllisch aus, aber wir sind jedes Mal froh, wenn die Strasse am Ortende wieder geteert ist.

Hier in Bialystok lassen wir uns im Prestige Hotel Crystal zu mitteleuropäischen Preisen verwöhnen. Morgen werden wir wieder einen velofreien Tag einschalten. Bialystok hat zwar nur wenige Schönheiten zu bieten, da es im zweiten Weltkrieg zu 3/4 zerstört wurde.

unser Hotel hier das Schloss - heute medizinische Fakultät

 

Mittwoch, 26.7.

Bialystok ist keine besonders schöne Stadt. Ihr fehlt jeglicher Charme. Das auch das Urteil eines jungen Marionettenspielers, mit dem wir gestern vor einem Kaffee am gleichen Tisch gesessen haben. Heute morgen wird deshalb wieder gesattelt und eingekauft. Wir haben gestern ein grosses Lebensmittelgeschäft entdeckt und beschliessen dorthin zu gehen. Das Geschäft entpuppt sich jedoch als ein grosszügiger Raum, bestehend aus vielen einzelnen "Läden". Molkerei, Käseladen, Früchte, Gemüse, Getreideprodukte, Brot, Metzgerei, Wursterei, usw. Jede Abteilung hat ihre eigene Kasse und vor jeder Kasse heisst es in der Schlange stehen. Ist man an der Reihe, wird man bedient. Wenn man kein Polnisch kann, wird das sehr mühsam! Man deutet "weiter oben", "weiter rechts" etc., bis die Verkäuferin auf das Gewünschte zeigt, dann wird mit kräftigem Nicken angezeigt, dass das das richtige Produkt sei. Sie zeigt einem dann meist noch den Preis, um sicher zu gehen, dass man damit einverstanden ist. Die Schlange hinter mir wird deutlich länger, und die Leute zeigen unverhohlen ihren Missmut. Da ist das Einkaufen in den kleinen Läden auf dem Land angenehmer, wenn auch die Produkteauswahl deutlich geringer ist. Wir brauchen ohnehin nicht viel. Eine Mahlzeit besteht meist aus einer Tüte Müslimischung mit einem Liter Joghurt. Zum Trinken brauchen wir jeden Tag um die 6 Liter. Die Getränke mischen wir zur Hälfte mit Mineralwasser.

Die ersten zwanzig km nach Bialystok sind unangenehm. Es herrscht viel Verkehr. Unsere Lungen werden verrusst. Doch danach geht es wieder durch kleine hübsche Bauerndörfer. Die Häuser sind meist aus Holz, zum Teil auch die Kirchen. Meist ältere Häuser sind in Blockbauweise erstellt. Die Wände sind in den Hausecken verzahnt (Schwalbenschwanz), oft ist gerade jemand am Ausbessern seines Hauses oder am Streichen des Gartenzaunes.

kath.Holzkirche orthod.Holzkirche Gegensätze

Die Gegensätze sind aber trotzdem immer noch sehr gross. Heute versuchte ich ein Foto zu knipsen mit einem Pferdefuhrwerk, das an einer riesigen aufgemotzten Tankstelle vorbeifuhr. Das Bild wird zwar nicht so gelungen sein, da ich nicht fotografieren wollte, solange mich die Leute auf dem Fuhrwerk sahen. Sie wären vielleicht auch lieber mit einem dunklen Mercedes vorgefahren (diese Marke sieht man hier recht oft). In der Stadt gibt es aber auch Bettler am Strassenrand.

 

Donnerstag, 27.7.

Schon einer Storchenfamilie bei der Flugschulung zugeschaut? - ganz amüsant!

Unser Veloreiseführer empfiehlt heute einen eintägigen Abstecher durch den Urwald. Hier ganz in der Nähe gibt es einen Wald, hauptsächlich allerdings in Weissrussland, welcher noch nie genutzt wurde. Er gehört zum grössten zusamenhängenden Waldgebiet Europas. Sein urwüchsiges Überleben verdankt er der Tatsache, dass er Jagdgebiet der Könige und Fürsten war. Im ersten Weltkrieg wurden die dort noch ansässigen Wisente von hungernden Soldaten ausgerottet; nach dem Krieg aus Zoobeständen aber wieder angesiedelt. Das Gebiet wird touristisch genutzt und Paul hatte gestern keine Lust, dorthin zu gehen. Es schien zu einem Kompromiss zu kommen: Kein Naturschutzgebiet Bialowieza, dafür Übernachtung auf dem Biwakplatz am See 15 km nach Hajnowka. Wir landeten trotzdem in einem einfachen Hotel und bezahlten dort fast gleichviel wie fürs Luxushotel in Bialystock. Nachts bellten und heulten die Hunde, es wurden Autotüren geschletzt und diverse "Kavalierstarts" rissen uns aus dem Schlaf. Nur die heulenden Alarmanlagen der Autos fehlten in der letzten Nacht.

Heute gibts wieder einmal kräftigen Gegenwind. Die Strecke hat keinen besonderen Reiz. In Siemiatycze verliert Paul aus seinen Shimano-Klicksandalen das Plättchen fürs Klickpedal. Wir suchen und finden sogar alle Einzelteile wieder. Die letzte Schraube auf dem Markt zwischen den Ständen. Abends werden alle Schrauben unserer Sandalen angezogen.

Das einzige Hotel am Platz liegt ausserhalb der Ortschaft und dient offensichtlich auch als Stundenhotel. Das Bad wird jeweils von zwei Zimmern aus benutzt. Das Bett im anderen Zimmer ist ganz durcheinander, eine Frau verlässt in Windeseile das Zimmer, der Mann bleibt noch einige Zeit zurück. Das Bad ist total überschwemmt. Ich gehe zur Rezeption und zeichne auf ein Papier ein Badezimmer, einen Kessel und einen Lappen. Mit einem schmutzigen Mop trocknet der Mann von der Rezeption den Boden im Bad. Mit Toilettenpapier putze ich das WC. Danach geht der Mann von der Rezeption schnell ins Nebenzimmer, und schon ist das Zimmer für die nächsten Gäste bereit. Frisch Bettwäsche gabs mit Garantie keine. -> Wir beschliessen, nicht im Restaurant zu essen und verzehren einen Teil der Vorräte.

 

Freitag, 28.7.

Kurz nach 7 sitzen wir bereits wieder auf unseren Sätteln. Bis zur Zehnuhrpause haben wir schon 40 km zurückgelegt. In einem kleinen Dorf (Mostow) ergänzen wir unsere Vorräte. Spontan lädt uns ein Deutsch sprechender Mann zu einem Kaffee ein. Vor seinem Haus blühen Geranien. Einen kleinen Weiher mit Seerosen entdecken wir auch. Hinter dem Haus wachsen unzählige Gemüse, Beeren und Obstbäume. Ein richtiger Oekogarten. Er erinnert mich an gewisse Gärten aus meiner Kindheit. Vielleicht etwas leichtsinnig lassen wir unsere Velos in seinem Vorgarten stehen, mit allem Gepäck darauf. Der Mann spöttelt nur:"Hie und da kommen Russen und nehmen sich, was sie glauben, dass man es ihnen weggenommen habe." - "Mach Ferien in Polen, dein Auto ist schon da!", meint er zu uns. Die Gastfreundschaft des Mannes ist riesig. Er stellt uns Kaffee auf, kocht uns Spielgeleier und serviert uns eigenen Honig. Er zeigt uns sein ganzes Haus. Alles ist von ihm selbst frisch renoviert. Wegen eines Herzinfarktes ist er Rentner. Seine Frau arbeitet in einem Spital. Er wurstet und räuchert selbst, hat viel Eingemachtes im Keller und der Garten ist sein Hobby. Wir fragen nach Veränderung in seinem Leben nach der Wende im Osten. Er findet, es sei alles beim Alten geblieben. Man hasse die Russen, aber die Polen seinen nach dem Krieg von den Westmächten an die Russen verkauft worden. Und die Schweiz? Die sei einfach eine grosse Bank. Sie habe die Gelder von Hitler, von Stalin und von den Amerikanern genommen. Er stellt die Telefonnummer seiner Tochter ein, die Germanistik studiert hat und Übersetzerin ist, und fordert mich auf, mich mit ihr zu unterhalten. Sie spricht fabelhaft Deutsch und wundert sich, dass wir den Mut haben, die östlichen Staaten Europas mit dem Velo zu besuchen. Aber es werde wahrscheinlich auch einfach viel geredet. Gegen 1 Uhr wollen wir aufbrechen, natürlich nicht ohne die Adressen getauscht zu haben. Da kommt die andere Tochter des Mannes, die gerade gegenüber in seinem Elternhaus wohnt, und sagt, es sei Mittagszeit und sie habe für uns gekocht. Auf dem Tisch steht bereits die Pilzsuppe. Die Pilze hat der Mann zusammen mit seinem Grosskind am Morgen im Wald gesucht. Danach gibt es noch Fisch, Salzkartoffeln und Salat. Das Gross kind darf beim "Family-Frost", der gerade vorfährt, eine Familienpackung Eiswaffeln kaufen gehen, die dann zum Dessert verzehrt werden. Vor unserer Wegfahrt wird gegenseitig noch fotografiert. Und wir werden eingeladen, im nächsten Jahr wieder zu kommen und bei ihm zu übernachten.

Unser Gastgeber in Mostow mit der Familie seiner Tochter

Abends finden wir in Radzyn Podlaski ein sehr nettes kleines und günstiges Hotel. (Hotel Niedzwiadek, ul. Traugutta 1A, 21,300 Radzyn Podlaski, Tel. 0-83 352-05-47) Hier dürfen wir auch eine Maschine mit Wäsche füllen. Die Hoteliers sprechen fliessend Englisch, die Küche ist vorzüglich. Beim Bummel durch den Ort entdecken wir einen Flyer von einem Internetcafe an der Türe der Orangerie des grossartigen Schlosses, das unter anderem die Musikschule beherbergt. Dieses Schloss wurde vom gleichen Architekten gebaut wie das Königsschloss in Warschau.

Schloss

 

Samstag, 29.7.

Unser Ziel ist heute Lublin. Am Morgen regnet es leicht und wir überlegen uns, ob wir die ganze Regenausrüstung brauchen, oder ob die Jacke reicht. Wir haben richtig entschieden und Schuhe, Regenhose, Jacke angezogen, sowie auch unser gelbes Häubchen über den Helm, denn unterwegs beginnt es mehr und mehr zu schütten. Auf Nebenstrassen fahren wir die 45 km nach Lubartow und beschliessen dort, durchnässt wie wir sind, mit dem Zug weiter nach Lublin zu fahren. Vergebens suchen wir den Bahnhof. Es gebe keinen Regionalzüge mehr, erklären uns zwei junge Männer, die Deutsch sprechen. Es gebe nur noch internationale. Also müssen wir in strömendem Regen noch 27 km weiter fahren. Eine unangenehme Sache, da ab Lubartow alles auf der Fernstrasse gefahren werden muss.

Im PZM - Hotel (polnischer Automobilklub), das uns zwei nette Polizisten empfehlen, ist man leider eher geduldet als willkommen. Die Velos müssen z.B. einzeln im engen 3-Personen-Lift in den 4.Stock zum Zimmer hinauf gebracht werden. Gnädigst erlaubt man uns, sie vor dem Zimmer im Gang zu lassen, da man einsieht, dass sie im 7-Quadratmeter-Zimmer kaum Platz finden.

Am polnischen Fernsehen zeigen sie abends viele Bilder von Überschwemmungen. Morgen solls wieder regnen.

A propos... Für alle, die Angst um uns haben: In einer polnischen Zeitschrift wird eine europäische Kriminalitätsstatistik veröffentlicht. Holland, England und unter anderen auch die Schweiz seien gefährlicher als Polen.. (Im übrigen hat man uns in jedem Land vor dem jeweiligen Nachbarn gewarnt: Da sei es besonders gefährlich. Und dies lustigerweise gegenseitig.)

Lublin, Innenstadt

 

Sonntag, 30.7.

Heute regnet es den ganzen Tag in Strömen. Wir steigen in unsere feuchten Kleider und versuchen, das Hotel zu wechseln. So viel Auswahl gibt es gar nicht. Das Fahren durch Lublin ist nicht gerade angenehm. Auf den Strassen hat es riesige Pfützen. Das Dachwasser der Häuser läuft in der Regel einfach aufs Trottoir, Abläufe gibt es nur ganz selten und meist liegen sie nicht am tiefsten Punkt der Strasse. Die Strassen sind sehr holperig und weisen Spurrinnen, Dellen und Löcher auf. Die Zimmerpreise im besseren Hotel liegen um die 500 Zloty (ca 200 sFr.), was uns etwas sehr hoch erscheint. Schliesslich landen wir in einem sehr schönen Doppelzimmer mit grosser Eckbadewanne und Doppelbett im Hotel Viktoria, einem von aussen nicht einladenden etwa zehnstöckigen Kasten. Wir geniessen den verregneten Tag vor allem im Hotelzimmer, gehen nur einen Teller Spaghetti essen und einige Lebensmittel einkaufen. Nach dem kurzen Spaziergang durch die Altstadt sind wir schon wieder ganz durchnässt. Die Stadt hat Flair, hier könnte man bei anständigem Wetter durchaus einige Zeit bleiben. Die Besichtigung des Konzentrationslagers Majdanek verschieben wir auf morgen.

 

Montag, 31.7

Es regnet nicht mehr. Gut gelaunt packen wir unsere Siebensachen zusammen und starten schon früh. Einige Fotos (ohne Regen) sollen den Daheimgebliebenen den Reiz Lublins zeigen. (ab Oktober vielleicht auch hier auf dieser Internetseite)

Beim Konzentrationslager ist die Ausstellung geschlossen, da Montag ist. Ein Gang durch das Gelände ist trotzdem möglich. Wir kommen mit einem Amerikaner ins Gespräch, der mit seinem ca. 13 jährigen Sohn die Stätten seiner Vorfahren besucht. Sein Grossvater stammt aus der Gegend und reiste vor dem 2. Weltkrieg in die USA aus. 30 % der Einwohner Lublins seien damals Juden gewesen. 360 000 Menschen wurden in Majdanek umgebracht, einmal 80 000 an einem einzigen Tag. Vom Lager aus sieht man auf die Stadt, man ist nicht weit davon entfernt.

KZ Baracken Wachtürme Krematorium

Nach Majdanek geht es bald auf Nebenstrassen durch kleine Dörfer bergauf und bergab. Hie und da stossen wir die Fahrräder. Die Strecke ist sonst ideal, es hat kaum Verkehr. Kurz vor Krzczonow ziehen dicke Wolken auf. Wir flüchten zur Busstation, kaufen schnell im Dorfladen ein und essen unser Mittagessen bei starkem Regen unter dem Dach auf einem Bänkli. Hier schreibe ich auch diese Zeilen. Es regnet mittlerweile nur noch ganz leicht.

Die nächsten 60 km bleiben wir schön trocken. Wir fahren ohne grössere Pause (zum Glück). Hie und da nehmen wir eine Steigung zum Ausgleich zu Fuss. Erschöpft kommen wir nach einer Etappe von über 90 km in Zamosc, einer malerischen Kleinstadt, an. Wir beziehen ein Zimmer im Hotel "Zamoysci Orbis" unmittelbar neben dem Rathaus, mitten in der Fussgängerzone. Das Hotel besteht aus einer renovierten alten Häuserzeile mit Innenhöfen. Kaum sind wir geduscht, beginnt es wie aus Kübeln zu giessen. Nachtessen gibts also im Hotel. Unter dem Glasdach der "Orangerie" versteht man kaum sein eigenes Wort. Nach dem Essen regnet es nicht mehr. Wir spazieren durch die wunderschöne Altstadt mit ihren Arkaden und Gewölben. Die Renaissance-Stadt wurde von einem italienischen Architekten (15. Jh.) geplant. ("Padua des Nordens"). Sie steht unter UNESCO-Schutz.

Die Seite von Zamosc.

  Das Rathaus am grossen Platz, links leicht zurückgesetzt Hotel Orbis Arkaden am Rand des Platzes Die ehemaligen Häuser orientalischer Kaufleute (heute z.T. Museum)

Dienstag, 1.8.

Beim Frühstück lernen wir den Mann kennen, der für Veränderungen in der Orbis-Hotelkette hier in Polen zuständig ist. (Ein Schweizer aus der Nordwestschweiz. Später stellen wir fest, dass wir sogar gemeinsame Bekannte haben.) Er hat uns auf 15 Uhr eingeladen, uns mit seinem Auto die Umgebung von Zamosc zu zeigen.

hinten Gästehaus, davor Haus mit Aufenthaltsraum "Museumshäuser"

Wir fahren in westlicher Richtung in den Roztoczanski Nationalpark. Dort besichtigen wir in Guciow eine Art kleinen "Ballenberg". Auf diesem Gelände kann man auch Ferien verbringen.- Ein Geheimtip! Gebucht werden kann über unser Hotel. In der wunderschönen, leicht hügeligen Region lässt sich vortrefflich wandern und Velo fahren. Weiter geht die Fahrt nach Zwierzyniec, wo ein sehr gutes Bier gebraut werde. Eine kleine Kapelle steht auf einer Halbinsel im See. Im Szczebrzeszynski Nationalpark ist es recht hügelig. Es wird eine einfache Landwirtschaft betrieben mit kleinen Äckern. Vieles wird offensichtlich noch von Hand gemacht. Wir sehen etliche Pferdefuhrwerke. Während der Fahrt erfahren wir einiges über die Geschichte und die Entwicklung der Region. Unser Gastgeber erzählt über seine interessante Arbeit hier in Polen und auch von seinen früheren Tätigkeiten z.B. in Aegypten und in anderen Ländern. Vor etwas über 20 Jahren war er auch schon in Rumänien in der Region Brasov tätig (dort, wo Nora jetzt ist). Wir verbringen gemeinsam einen interessanten Abend bei gutem Essen im Hotelrestaurant. Die Seite der Orbis Hotelkette.

 

Mittwoch, 2.8.

Südwärts gibts einen Trainigstag für die Karpaten. Stossen - fahren - stossen - fahren, kleinster Gang - rasante Abfahrt. Die Strasse führt von einem Tal zum nächsten. Wir stellen beide fest, dass wir uns vor allem beim Schauen und Beobachten schon sehr an die langsame Fortbewegung angepasst haben. Die Autofahrt gestern hat uns, obwohl ohne körperliche Anstrengung, recht ermüdet.

Die Abzweigung nach Susiec ist entgegen dem Veloführer nicht beschildert, so dass wir ein Tal zu weit fahren. Wie wir merken, dass wir zu weit sind, geht Paul mit der Karte in eine kleine Sägerei, um nach dem Weg zu fragen. Unter den vier Mitarbeitern entsteht eine lautstarke Diskussion. Die Männer sind sich offensichtlich nicht einig. Dann setzt sich einer durch und schickt uns etwa 2 km zurück - natürlich aufwärts. (Steigungen heute insgesamt 775 m, total 63 km)

Blick auf die Puszcza Solska vor Susiec

In Susiec wird wieder einmal gecampt, zum ersten Mal auf einem Campingplatz. Kostenpunkt 10 Zloty (ca. 4 sFr.) inklusive Abstellkammer für Velos und warmer Douche.

 

Donnerstag, 3.8.

kaum sind wir heute 10 Minuten gefahren, kommt schon die nächst Steigung -> 15 Minuten Fussmarsch. Das war dann zum Glück die letzte dieser Art. Ich fühle mich schlapp heute und etwas kränklich. Kaum haben wir konstatiert, dass es uns beiden ein bisschen stinkt, da wird die Strecke wieder richtig schön, auch die Sonne scheint zuverlässig. Es geht durch schöne Wälder, leicht aufwärts, sanft abwärts. Immer angenehm zum Fahren. Am Strassenrand blühen unzählig viele Kanadische Goldruten. Wüsste ich nicht, dass sie sich in Europa unkrautmässig ausbreitet und vielen anderen Pflanzen den Lebensraum streitig macht, wäre das sehr schön. So zeigt sie, dass sie auch hier schon zum ökologischen Problem geworden ist.

Heute schlafen wir im Schloss von Sieniawa (spätbarockes Fürstenschloss). Wir tafeln in einem 5 m hohen Raum (3 Gänge, vegetarische Menüs, Karte und Bedienung auch in Englisch und Deutsch) und schlafen in antiken Möbeln (kurze Betten!). Das Bad ist perfekt, inklusive Bidet, stilgerecht renoviert. Zum Teil wird im und ums Haus noch gearbeitet. (Zespol Palacowo-Parkowy, Zasobu Wlasnosci Rolnej, Skarbu Panstwa w Sienieawie, 37-530 Sieniawa, tel 016 622-73-37

wir schlafen hinter den beiden Fenstern ganz oben rechts

Freitag, 4.8. Die Route führt heute nach Rzezow. Die Besiedelung ist recht dicht. Entlang der Strasse folgt Haus auf Haus. Jedes mit seinem eigenen Gartenzaun ums Grundstück. Zum Problem kann das schon werden, denn auch wir haben unsere Bedürfnisse. Vor allem wenn man wieder einmal verregnet wird und alles feucht ist, verspürt man recht oft einen gewissen Drang. Restaurants gibts ja auch kaum. Unterwegs werden wir velofahrend von einem jungen Ukrainer angesprochen. Er lernt Deutsch und arbeitet in seinen Semesterferien in Polen. Sein Traum wäre ein Aufenthalt in Deutschland.

Mein Name heute auf der Hotelrechnung: Ruth, Elisabeth. In Kraslava hiess Paul: Braun Meliert.

 

Samstag, 5.8.

Im Moment sitze ich im Zug, der in die Slovakei fährt und warte auf die Abfahrt. Kaum hatten wir nämlich heute eingekauft und alles versorgt, begann es wieder kräftig zu regnen. Ein bisschen mehr Abwechslung in Sachen Wetter hätten wir uns eigentlich schon gewünscht. Wir suchen uns etwas zum Unterstehen und landen einmal mehr unter dem Dach des öffentlichen Busbetriebes. Diesmal allerdings in einem grossen Busbahnhof. Wir schauen dem Betrieb zu und warten auf das Ende des Niederschlages. Plötzlich kommt mir die blendende Idee, doch einmal nachzufragen, ob es möglich sei, unsere Velos per Bus Richtung Süd zu transportieren. Bei der Information sitzt eine nette, etwas korpulente Frau. Zwei solche Frauen verstehen sich offenbar weltweit, auch wenn sie verbal nicht kommunizieren können. Der erste Bus in Richtung Sanok ist allerdings total überfüllt. Mit Hilfe der Dame sitzen wir aber bereits eine halbe Stunde später im Bus, unsere Velos im Unterflurgepäckabteil. Einen Blumenstrauss kann ich zum Glück für die engagierte Frau noch schnell besorgen. Für den hilfreichen Buschauffeur gibt es eine kleine "Lohnaufbesserung". Das Verladen der Velos auf den Zug, der nach Humenne in der Slovakei fährt, geht ganz offiziell, ohne Komplikationen und ohne Trinkgelder. Die Bahnlinie führt entlang des Flüsschens Oslawa durch Brachland mit unzähligen Blumen, vorbei an kleinen Äckern, durch Wälder und sanfte Hügel. Es gibt viele Furten durch das Flüsschen. Leider gelingt es uns nicht, das Polizeiauto zu fotografieren, wie es mitten im Fluss fährt. Kaum entdeckt, verschwindet es hinter Sträuchern. Rucksacktouristen verlassen den Zug, der von einer Diesellok gezogen wird. Kaum Autos fahren auf der Strasse, die hier bergwärts führt. Bei schönem Wetter ergäbe sich eine traumhafte Velotour (von S nach N). Allerdings muss beachtet werden, dass die Grenze hier nur per Zug passierbar ist. Es gibt jedoch viele Stationen.

im Zug hinauf zur slowakischen Grenze

Wie wir in Humenne ankommen, gehen wir ins nächste Hotel (Karpatia). Nachtessen gibts keines. Zustand des Hotels? - na ja, .......!

 

Sonntag, 6.8.

Beim Zustand des Badezimmers verzichten wir auf eine morgendliche Douche und gehen direkt frühstücken. Das Hotel ist zwar riesig, aber Gäste scheint es wenige zu haben. Nur ein Tisch ist besetzt. Der junge Mann, der Englisch und Deutsch spricht, fragt uns, wie es dazu käme, dass wir ausgerechnet in der schlechtesten Absteige des ganzen Landes übernachtet hätten.

Störche hinter dem Mähdrescher namens "Erntemeister"

Bald starten wir nach Michalovce. Zuerst fahren wir auf einer breiten Strasse, auf der kaum Autos verkehren. Wie wir auf die andere Flussseite wechseln, kommt uns der Herr vom Frühstück mit seiner amerikanischen weiblichen Begleitung im Auto entgegen. Er findet, die Nebenstrasse, die wir fahren möchten, sei aber sehr schlecht. Sie entpuppt sich als herrliche Velostrecke mit grossartigem Blick auf die Ebene. Drei Mähdrescher sind an der Arbeit, dazwischen etwa 30 Störche. Am Strassenrand reifen Brombeeren, eine herrliche Zwischenverpflegung. Die Hitze wird allerdings langsam etwas unerträglich, über 30 Grad im Schatten, so dass wir beschliessen, einen Abstecher an den nahegelegenen Stausee zu machen. Viele Polen verbringen hier ihre Ferien. Die Nähe des Sees ist allerdings mit der Nase wahrnehmbar, so dass wir auf das erhoffte Bad verzichten und im Schatten einer kleinen Beiz zu Mittag essen. Im schönen Hotel Jalta in Michalovce wird erst mal Wäsche gewaschen (es hat praktische 2 Lavabos im Bad!)und geduscht. Zum "Jugendherbergetarif" bewohnen wir eine grosszügige Suite. (Später entdecken wir, dass wir einige Mitbewohner haben. Es gibt einige Käfer - Schwabenkäfer?. Etwa vier liegen in Bad und Zimmerecken auf dem Rücken. Paul fängt einen, der ihm mitten in der Nacht im Bett über die Füsse krabbelt.) Im Restaurant gibt es sogar feine Tofu-Gerichte! Was steht doch im Reiseführer? - Slovaken hätten kein Verständnis für den Vegetarismus. In der Buchhandlung gegenüber finden sich im übrigen sogar entsprechende Kochbücher.

 

Montag, 7. 8.

Wieder einmal mehr regnet es. Wir sind in der örtlichen Bibliothek und ergänzen unsere Tagebucheinträge.

Danach bringen wir noch Literatur, die wir nicht mehr benötigen, zur Post. In einer Papeterie erhalten wir zum Verpacken ganz dünnes Packpapier - unmöglich, dass das die Reise übersteht. Wir verkleben also alles mit Gewebeklebeband. Bis das Päckli bereit ist, macht die Post Mittagspause und kaum ist die Post abgeschickt (sehr teuer! Vielleicht bringt es jemand persönlich, oder mindestens mit einem separaten Flugzeug...), beginnt es wieder zu regnen. Wir kehren also zum Hotel zurück und bestellen ein Mittagessen. Bis zur Abfahrt wird es dadurch halb drei.

riesige Sonnenblumenfelder lange Gerade mit Gegenwind idyllisches Dorfleben in der Südslowakei

Vorerst fahren wir durch einen Ausläufer der Ungarischen Tiefebene. Links und rechts der Strasse sind riesige Felder mit blühenden Sonnenblumen. Später geht es durch idyllische Bauerndörfer mit Vorgärten in verschwenderischer Blumenpracht. Rosenduft steigt uns in die Nase. Wir werden dafür entschädigt, dass der Wind nach wie vor aus Südwest bläst. (Bei einer Velotour erlebst du ein meteorologisches Phänomen: Egal in welche Richtung du fährst, der Wind kommt immer von vorn!)

In Satoraljaujhely (bitte fünf Mal ohne anzustossen laut nachsprechen!) müssen wir die Grenze passieren. Die Strass, die wir eigentlich nehmen wollten, geht in einen Feldweg über. Weiter westlich wäre auch eine Möglichkeit, in das Städtchen zu gelangen, aber dort wird es recht hügelig und es ist schon spät. Etliche Männer, die bei einem Dorfladen versammelt sind, empfehlen uns, zurück zu fahren und eine Strasse weiter im Osten zu benützen. Aufkommende Gewitterwolken treiben uns an. Das nächste Hotel gibt es erst in Ungarn. Rückenwind (die Ausnahme bestätigt die Regel) verhilft uns zu rasanter Fahrt. Endlich kommt das Ortsschild von Slov. Nove Mesto (dem slowakischen Teil von Satoraljaujhely). Wir sind müde, da wir noch keinen richtigen Halt gemacht haben. Die Wolken hängen bedrohlich schwarz am Himmel. Wo ist aber der Zoll? In der Stadt dürfen nur Einwohner der Nachbarländer passieren. Also weiter westwärts. Aber wir schaffen es nicht mehr bis zum Zoll. Unter Kastanienbäumen suchen wir Schutz vor dem Gewitterregen. Es giesst wie aus Kübeln. Aus Westen scheint die Sonne zwischen den alten Bäumen hindurch. Die Regentropfen glitzern. Ein doppelter riesiger Regenbogen entsteht. Kurz vor Acht lässt der Regen nach. Wir fahren zum Zoll und wieder zurück in den ungarischen Teil der Stadt. Im einzigen Hotel nehmen wir ein Zimmer. 6200 Forint kostet es ( ca. 38 sFr. ). An der Rezeption wünschen sie, dass wir in DM bezahlen - sie möchten gerne 100 DM!!. Selbstverständlich lehnen wir ab und zahlen in Landeswährung. Zum Znacht wird ein 3-Gang Menu empfohlen. Die Menukarte verspricht eine grosse Auswahl, das meiste ist jedoch nicht vorhanden. Deshalb haben wir die Karte weggelegt und gefragt, was man uns denn empfehle. Das Resultat war sehr schmackhaft!

 

Dienstag, 8. 8.

Ab jetzt gilts beim Bezahlen zu rechnen: 1 sFr. ist ungefähr 160 Forint. Also zuerst durch 200 und dann plus ca 25 %. Wir können es kaum glauben. War das Peisniveau doch schon in der Slovakei deutlich unter dem von Polen,so liegt es jetzt noch tiefer. Das Fläschli Mineralwasser zu 37,5 Rp., in Tokay, einem Touristenzentrum serviert! Von hier stammt übrigens der bekannte Wein. 2 Pizze, 2 mal 3dl Mineralwasser & 2dl Wein : 8.20 sFr. Wir haben irgendwie Skrupel, so wenig zu bezahlen, wollen aber auch nicht überheblich wirken, indem wir viel mehr zahlen. Heute habe ich auch Duschmittel gekauft: Ganz genau das gleiche Fläschchen wie in der Schweiz für ca. 1/4 des Preises. Man hat übrigens hier nicht das Gefühl, den Leuten ginge es schlecht. Man fühlt sich fast wie in einem niedlichen französischen Winzerdorf.

Wir übernachten in einer kleinen Altstädtchenpension (ca. 25 sFr.). Das Städtchen ist sehr gepflegt, überall stehen Blumentröge, an den Fenstern blühen Geranien in langen Kistchen wie bei uns. Irgendwie ist schwer verständlich, warum bei uns Löhne und Preise so viel höher sind.

Heute war das Wetter den ganzen Tag sonnig. Rückenwind (wir nehmen alles von oben zurück) begleitete uns durch flaches Gelände, an herrlichen Flussauen vorbei mit Rohrkolben, Blutweiderich, Seggen; an Tümpeln mit Seerosen. Die Theiss überquerten wir mit einer Fähre. Beim Warten setzte gerade ein Pferdefuhrwerk über. Die Fähre ist übrigens nicht mehr da, wo sie früher einmal war und wo einen der Wegweiser auch hinführt. Wir fanden sie dennoch etwa einen Kilometer flussabwärts.

die Fähre über die Theiss die Kühe geniessen ihr Fussbad

Am Abend fahren etliche Velotouristen mit grösserem und kleinerem Gepäck nach Tokay hinein. Es werden hier viele Privatzimmer, Pensionen und Zeltplätze an der Theiss angeboten.

 

Mittwoch, 9.8.

Vor dem Laden in Tokay essen zwei junge Velofahrerinnen aus Lyon (F) ihr Frühstück. Auf einem Mäuerchen kochen sie ihren Kaffee. Sie sprechen Paul an, wie er draussen bei den Velos darauf wartet, bis ich mit den Einkäufen wieder auftauche. Ein Mann soll sie schon ein paar Mal weggeschickt haben, doch sie lachen nur über ihn, obwohl er sich wie ein Polizist benommen hat. Wir haben ihnen erzählt, dass der gleiche uns gestern Abend einen Handzettel von einem Weinkeller zugesteckt hat - und zwar unter der Türe der Toilettenanlage. Die beiden Frauen erzählen, dass sie in den Rebbergen übernachtet hätten, dass sie nun seit drei Tagen unterwegs seien und dass ihr Ziel ebenfalls Rumänien sei. Sie fahren heute in den naheliegenden Hortobagyi-Nationalpark, im Veloführer "Operettenpussta" genannt. Weiter steht darüber: "Selbst ein Blick von fern auf die grauen Rinder ist ohne Entrichtung eines Obolus untersagt...".

Unser Ziel ist heute Debrecen, die "Hauptstadt" Ostungarns. Südlich von Tokay gehts nochmals mit einer Fähre über die Theiss. Für unseren Mittagsrast biegen wir in einen Feldweg ein. Kaum stehen unsere Velos, kommt auch schon ein Trabant angefahren. Eine ganze Familie mit zwei bald erwachsenen Töchtern sitzt drin. Die Tochter, die Deutsch spricht, fragt uns, was wir hier tun, dies sei ihr Feld. Wir erzählen, dass wir nur etwas ausruhen wollen, und woher wir kommen. Mit anerkennendem Nicken lässt man uns gewähren und wünscht uns eine gute Reise. So direkt wurden wir bis jetzt noch nie angesprochen, aber es ist uns auf unserer gesamten Reise aufgefallen, dass, kaum setzt man sich irgendwo zum Ausruhen hin, bald irgend jemand auftaucht - und sei es noch so abseits von bewohntem Gebiet.

Je näher wir abends nach Debrecen kommen, desto mehr nimmt der Verkehr zu. Auf den letzten 18 km müssen wir auf eine in der Karte rot eingezeichnete Strasse einbiegen. Velo fahren ist verboten, aber wir können fragen und suchen, es gibt keine Alternative. Hat es doch schon vereinzelt Velowege gegeben, hier hört er nach wenigen Metern schon wieder auf. Unter dem Verbotsschild steht allerdings "Kiveve cerforgalom" was soviel bedeutet wie "Zielverkehr gestattet". Hier müssen wir also durch! Es wird allerdings zum Horror. Tiefe Spurrinnen sind am rechten Strassenrand. Die Strasse ist nicht sehr breit. Überholt wird im letzten Moment noch, ohne die Velos auf der Gegenfahrbahn zu beachten. Die Bugwellen von breiten Lastern reissen uns beinahe vom Fahrrad. Acht "rote" Strassen führen nach Debrecen. (Übrigens auch 8 Bahnlinien) Wo kommen auch nur die vielen Autos her? Benzin kostet hier etwa gleich viel wie in der Schweiz, muss also für Ungaren sündhaft teuer sein.

Das erste Hotel, in dem wir versuchen, abzusteigen, sei ausgebucht. Wir suchen ein weiteres. Auf dem Stadtplan können wir keine finden. (Erst am nächsten Morgen entdecke ich, dass sie schwarz nummeriert sind, auf der Legende aber fehlen.) Auffallend ist noch ein riesiger Bau im Stil vom Montreux Palace mit "bonziger" Eingangshalle. Zum 5-fachen Preis von gestern möchte ich doch das Zimmer zuerst sehen. - Resultat: sehr mager! Ich sage offen, das sei mir zu teuer und frage, ob es noch andere Hotels gäbe. Die 2 Kilometer, die wir zurück fahren müssen, lohnen sich. Das Thermalhotel Nagyerdö ist zwar auch nicht viel billiger, aber es hat einiges mehr zu bieten als eine königliche Fassade.

Page des Hotels.

 

Donnerstag, 10.8.

Durchs Erholungsgebiet gelangt man zur Universität, der einzigen öffentlichen Möglichkeit, ins Internet zu kommen. Man geht an einem kleinen künstlichen See von etwa 100 auf 100 Metern vorbei, auf dem mit Pedalos und Ruderschiffchen dümpeln kann. Die Uni ist ein repräsentatives Gebäude, mit grossem Springbrunnen davor, langer Zugangsanlage und breiter Treppe, wie bei einem Schloss. In der Bibliothek sind nur 4 Computer ans Internet angeschlossen, so dass wir uns zu zweit an ein Gerät setzen und erst einmal zusammen die Mails abfragen. Neben uns arbeitet J., ein junger Doktorand der Philosophie. Bald sind wir in interessante Gespräche vertieft. Wie nach Stunden die Bibliothek schliesst (16 Uhr), laden wir den vielseitig interessierten, intelligenten, sehr gebildeten und politisch äusserst interessierten Mann zum Essen ein. Er kennt eine gemütliche Gartenkneipe, mitten unter Bäumen. Das letzte Wintersemester verbrachte unser Begleiter an der Uni Thübingen, wo er unter anderem auch Vorlesungen von Hans Küng besuchte. Er spricht also hervorragend Deutsch. Wir erfahren sehr viel über die Geschichte dieser Region, ihre Eigenheiten, ihre Kultur und über das Leben hier.

Am Abend treffen wir uns nochmals im Zentrum der Stadt, da uns J. das Angebot gemacht hat, uns die Stadt zu zeigen. Die Innerstadt besitzt eine grosse Fussgängerzone mit vielen Geschäften in alten und neuen Gebäuden, die gut miteinander harmonieren. Das kulturelle Zentrum bildet die grosse gelbe protestantische Kirche mit dem Kollegium. Eine Inschrifttafel mit den Köpfen von Zwingli und Calvin erinnert an die beiden schweizerischen Reformatoren. Debrecen gilt als calvinistisches Rom. Die protestantische Gemeinde hier ist sehr gross und hatte in dieser Region Ungarns entscheidenden politischen und kulturellen Einfluss.

Das Fahren mit unbeladenen Velos (nach ca 2000 km vollbeladen) ist übrigens ein Erlebnis besonderer Art: Man kommt sich anfangs vor, wie auf einem undressierten Pferd, die Lenkstangen reagieren sehr "nervös". Man hat das Gefühl, noch nie Fahrrad gefahren zu sein, und bekommt je nachdem sogar Probleme mit dem Gleichgewicht.

Aus Sicherheitsgründen stellen wir heute abend unsere Fahrräder bei einem Strassencafé ab und bestellen ein Getränk, damit man die Serviceangestellten fragen kann, ob sie von Zeit zu Zeit ein Auge auf die Velos werfen. An unserem Tisch sitzt bereits ein Österreicher, der hier für eine österreichische Ladenkette arbeitet. Jedes Wochenende fährt er zu seinem Wohnsitz in Bregenz. (Mit dem Auto nach Wien, dann per Flugzeug in den Altenrhein). Wir denken, wir sind hier an demjenigen Punkt unserer Reise, der der Schweiz am nächsten ist.

 

Freitag, 11.8.

Nach dem Kauf von Landkarten in der Stadt geniessen wir hier ein wenig das Stadtleben, steigen auf den Turm der grossen Kirche und verschlafen den Rest des Nachmittages im Hotelzimmer, schliesslich war es schon "heute", als wir "gestern" heimkgekommen sind. Morgen geht es weiter Richtung Gyula.

 

Samstag, 12.8.

34 Grad sind heute angesagt, das heisst, genug zu Trinken muss her. Beim Abfüllen der Flaschen vor dem Laden entpuppt sich der vermeintliche Orangensaft als Magermilch. Zwei Frauen, die in einem Strassencafé sitzen, beobachten uns und lachen mit. Sofort anerbietet sich die eine, die Milchreste aus der Flasche zu waschen. Sie kommt mit einer Saftpackung aus dem Café zurück. Sie ist offenbar die Inhaberin. Ich bezahle die Packung und kaufe eine zweite dazu. So erleben wir immer wieder die enorme Hilfsbereitschaft der Leute.

Das Wetter ist "durstig". Literweise leeren wir verdünnten Saft durch unsere Kehlen. In Földes gehen wir Nachschub kaufen, da wir damit rechnen, dass am Samstagnachmittag die meisten Geschäfte geschlossen haben. Während wir unsere beiden Colas konsumieren, kommt ein Ehepaar auf Fahrrädern gefahren und bleibt bei uns stehen. Sofort erkundigt sich der Mann nach dem Woher und Wohin - und auch nach der Marke unserer Velos. Die beiden erzählen, dass sie selbst von hier stammen, aber nach Holland ausgewandert seien und dort ein Fahrradgeschäft hätten. Im Moment besuchen sie ihre Eltern hier, und wie jedesmal, wenn sie das tun, bringen sie in einem Kleintransporter Occasionsvelos nach Ungarn mit. Die beiden laden uns zum Kaffee ein. Wie ich mein Velo abstelle, wirft Anton nochmals einen interessierten Blick darauf und entdeckt dabei eine zerbrochene Speiche. Nach dem Kaffeetrinken und Wassermelonenessen wird kurzerhand das Auto aus der Garage gefahren (Schatten!!) und mein Fahrrad zerlegt. Während der Arbeit, die offensichtlich Vergnügen bereitet, erscheint noch ein befreundetes Ehepaar, so dass schliesslich drei Männer in der Garage mein Velo wieder in Schuss bringen. Anton ist mit Spezialwerkzeugen gut eingerichtet (lediglich eine passende Speiche hatte er nicht dabei) so dass das Rad mit der Notspeiche auch wieder bestens justiert werden kann. So erhält mein Rad wieder einen perfekten Geradeauslauf.

malerischer Hof die Notspeiche wird fachmännisch montiert Abendstimmung vor Gyula

Um 10 Uhr nachts - nach einigen Kilometern in der Dunkelheit - erreichen wir Gyula. Wir sind heute etwa 135 km gefahren und sassen beinahe 8 Stunden im Sattel. Hatten wir bis jetzt nie Probleme, eine Unterkunft zu finden, so sind hier offenbar fast alle Hotelzimmer ausgebucht. Hilfsbereit erkundigt man sich aber bereits im ersten Hotel bei der Konkurrenz und findet uns noch zwei Beten. Das Hotel ist sauber, Douche und Toilette sind auf unserem Stockwerk im Gang; der Preis ist entprechend günstig.

 

Sonntag, 13.8.

Die Sonne verspricht wiederum einen heissen Tag. Zum Glück findet man hier im Thermalkurort ein offenes Geschäft um Flüssigkeit zu besorgen. Dummerweise vertrauen wir einem Wegweiser, der den Weg zur rumänischen Grenze weist. Erst spät entdecken wir, dass die Strasse, auf der wir fahren, an einen Grenzübergang weiter im Norden führt, den wir nicht benützen dürfen. (Nur Ungaren und Rumänen) Wir müssen also wieder umkehren und alles nochmals zurück fahren.

Der Grenzübertritt geht problemlos. Bald spüren wir, dass wir uns in einer ganz anderen Welt befinden. Nur die Hauptstrasse ist geteert. Darauf verkehren ständig riesige internationale Transporter (Sonntag!). Die Landschaft ist trocken und ausgedörrt. Auf den Maisfeldern stehen die Pflanzen längst nicht mehr so dicht, wie eben noch in Ungarn. Die Häuser sind einfach gebaut. Teilweise fehlt der Verputz an den Fassaden und legt das Flechtwerk der Mauern frei. Vor den Häusern weiden Gänse, Hühner, und Truthühner auf dem staubigen Boden. Kaum je findet sich ein Baum am Rande der Strasse, der uns hätte ein wenig Schatten für eine Rast spenden können. (Die Bäume stehen nur gerade direkt an der Strasse ausserhalb der Ortschaften) Die grossen "Brummis" die uns entgegenkommen schlagen uns ihre Druckwelle ins Gesicht. Ein kräftiger Wind bläst uns aus Ost entgegen. In der ersten Kleinstadt Chisinen - Cris setzen wir uns erschöpft auf eine Bank unter den Bäumen am Strassenrand. Paul schläft im Moment.

Unterwegs passieren wir einen bewachten Bahnübergang. Auf beiden Seiten der Bahnlinie betteln Behinderte. Sie wurden offensichtlich mit dem Auto hierher hefahren, auf den Zeitpunkt der Zugsdurchfahrt, in welchem die Autos hier warten müssen. Anderswo haben Romas ihr Lager in der Nähe der Strasse aufgeschlagen. Planwagen stehen in der Wiese, die Pferde weiden in der Nähe. Schwarzhaarige Leute mit dunkler Haut und farbiger, zerlumpter Kleidung sitzen beisammen.

Romas bei Arad

Abends fahren wir in die Stadt Arad ein. Hier gibts Tramlinien. Die Wagen stammen teils aus Deutschland und haben noch deutsche Beschriftungen. Die Schienen sehen recht abenteuerlich aus. Kurz vor dem Zentrum steht ein Tramzug still. Der Fahrer steht auf dem Tramdach und versucht etwas am Pantographen zu reparieren. Bald fährt das Tram wieder.

Plötzlich hört Paul ein kurzes, verdächtiges Geräusch. Auch bei ihm ist eine Speiche gebrochen. Wir haben zwar noch eine Notspeiche, aber dann !?

Beim Einchecken ins Hotel Continental Astoria spricht uns eine Frau in den Dreissigern an. Sie stammt von hier, lebt aber seit zwanzig Jahren in Oesterreich. Mit Bewunderung vernimmt sie, woher wir kommen.

 

Montag, 14.8.

Beim Frühstück begegnen wir wieder der selben Frau. Wir erzählen ihr von Pauls Speiche. Sofort ruft sie Freunde an und erkundigt sich nach einer Velowerkstatt. Das defekte Rad wird in ihr Auto geladen und wir werden in die Werkstatt gefahren. Sie zeigt uns auch, wo Fahrkarten für den Zug gekauft werden können. Mit dem Risiko, morgen nicht mitgenommen zu werden, da offiziell keine Fahrräder transportiert werden, kaufen wir Billette nach Brasov. Hoffentlich gehen wir richtig in der Annahme, dass genug Geld hier einiges möglich macht.

Für heute abend sind wir mit der "Oesterreicherin" verabredet. Mit ihren Freunden zusammen werden wir auf der Fluss-Halbinsel (sie als Wienerin nennt es den Prater von Arad) essen gehen.

Das klappt aber nicht so ganz, so dass wir doch alleine hingehen. In dieser Flussschlaufe fühlt man sich etwa wie auf Mallorca in der Flanierzone. Man muss einen kleinen Eintritt bezahlen, wahrscheinlich um Bettler fern zu halten. Es gibt diverse Schwimmbecken und viele Strassencafes und Bierstände. Überlaute Musik diverser Art bringt uns dazu, einen Platz etwas im Abseits zu suchen. Dort essen wir (typisch rumänisch ?!!?) eine Pizza.

Arat ist römischen Ursprungs, gegründet rund um Christi Geburt. Viele stattliche Gebäude sind Zeugen der österreichisch-ungarischen Monarchie.

in Arad

 

Dienstag, 15.8.

Mit unseren Rädern warten wir also auf den Zug. Da kommt ein junger Rumäne und bietet uns in gutem Deutsch seine Hilfe an. Er betätigt sich so quasi als selbsternannte Bahnhofshilfe. Er meint, dass er uns sicherlich behilflich sein könne, da es offiziell nicht möglich sei, die Fahrräder mitzunehmen, er aber mit dem Schaffner ein Arrangement treffen könne. Wir nehmen seine Hilfe an, obwohl uns natürlich klar ist, dass er dafür ein kräftiges Trinkgeld erwartet. Wie der Zug also eingefahren ist, laden wir unser Gepäck ein und er hält uns den Schaffner vom Hals. Wie der Zug schon fährt, kommt jener zu uns, zieht ein Buch hervor und knöpft uns mit ernster Miene für die Velos einen Betrag ab, der weit über dem Preis eines Erstklassbilletts liegt. Da dies für uns ohnehin nicht sehr viel ist, bezahlen wir. Doch die Mitreisenden beobachten genau. Wie wir später mit ihnen ins Gespräch kommen, erkundigen sie sich natürlich, ob und wieviel wir für den Velotransport bezahlt hätten. Es sei so ungefähr 15% eines Monatsgehaltes gewesen, lassen sie uns wissen und sind empört. Ob wir irgend eine Quittung erhalten hätten? Das war natürlich nicht der Fall !

So eine Zugfahrt ist schon ein Erlebnis. Einer konnte Deutsch. In den Dreissigerjahren unternahm er als junger Bursche eine Reise nach Deutschland (u.a an die Olympischen Spiele in Berlin) und auch eine in die Schweiz. Er erinnert sich an den Rheinfall, an eine Schiffahrt auf dem Vierwaldstättersee (nach Flüelen, wie er sagt), an Pontresina, den Rhonegletscher und ans Tessin. Erstaunlich, wie er die Namen der Orte noch weiss. Sein damaliger Chef war ein Deutscher und der hätte an der ETH in Zürich Petrochemie studiert, und später die ersten Raffinerien in Rumänien aufgebaut. So langsam interessieren sich auch die anderen Leute. Einer spricht Französisch und gibt mir Tips für Ausflüge. Ein anderer erzählt Paul auf Englisch über sein Leben hier. Überall unter den Sitzen hat er riesige Taschen deponiert, mit Lebensmitteln, die er in Ungarn eingekauft hat und in Rumänien weiterverkaufen will. Sein Monatsgehalt betrage nur etwa 150 Dollar, und Lebensmittel sind hier relativ teuer. Dies haben wir auch schon festgestellt. Man isst zwar im Restaurant meist recht billig, aber für 500g Joghurt bezahlten wir am Morgen umgerechnet etwa 3 sFr. Ein Mann, der mit Paul ins Gespräch gekommen war, während ich einkaufte, machte uns darauf aufmerksam. Er konnte Deutsch, da er 1 1/2 Jahre in Deuschland als Asylant verbracht hatte.

Nach der 7-stündigen Bahnfahrt sind wir recht müde. Auf dem Bahnhof spricht uns eine junge Frau an und fragt uns, ob wir eine Unterkunft brauchen. Ich prüfe ihre Kleidung - sie sieht sauber aus - und erkundige mich bei dem englischsprechenden Herrn, was er darüber denke. Er spricht mit ihr auf Rumänisch und findet, das sollte schon gehen. Schliesslich teilen wir eine 3-Zimmer-Wohnung mit einem Italiener, einem Geige spielenden japanischen Paar (das hier eine neue Geige kaufen will) und der Rumänin. Wir schlafen auf der Couch in der Stube. Unsere Velos sind auch hier im Zimmer (im 9.Stock einer Mietskaserne). Die Rumänin selbst schläft im Flur. Abends sind auch noch zwei Freundinnen da. Der Italiener möchte hier eine Wohnung kaufen und sie an italienische Geschäftsleute vermieten. - Wenn die Rumänin ihre Wohnung 3 Nächte so vermieten kann, dann hat sie das Gehalt eines Familienvaters eingenommen.

Im übrigen - die Strecke nach Brasov wäre zum grössten Teil recht schön und angenehm zum Velo fahren - so scheint es jedenfalls vom Zug aus; meist eben oder leicht hügelig. Die Karpaten sind meist weiter südlich.

 

Mittwoch, 16.8.

Beim Bezahlen unseres Zimmers möchte die Vermieterin nach Möglichkeit keine Quittung geben. 40% für den Staat und sie habe die Arbeit! Der Staat tue auch nichts für sie. Wir willigen ein, diskutieren aber ein bisschen mit ihr darüber. Das Gesundheitswesen ist hier beispielsweise kostenlos; man bezahlt also weder Krankenkasse, noch etwas beim Arzt (ausser wenn möglich ein kräftiges "Trinkgeld"). Unaufgefordert erklärt sie uns noch die Sehenswürdigkeiten von Brasov, gibt uns Tips fürs Bus- und Taxifahren (bezahlt nicht mehr als 1500 Lei - ca. 1.20 sFr.) und warnt uns vor Taschendieben. Wir erkundigen uns nach einer Autovermietung und auch da weiss sie sofort eine Möglichkeit: Ein Freund von ihr vermiete Autos. Sie schleppt uns in eine Bar ab und man führt uns zwei Autos vor. Wie wir uns nach einer Haftpflichtversicherung erkundigen, meint der Vermieter, eine solche brauche man in Rumänien nicht, dafür hätte das Auto Vollkasko. Wir lehnen natürlich ab und gehen zu Avis. Die haben aber nur ein Schild "Entschuldigung, keine Autos mehr zur Verfügung" in Englisch. Auf dem Büro einer Versicherungsagentur erkundigen wir uns, ob es möglich sei, eine zeitlich begrenzte Haftpflichtversicherung abzuschliessen. Die Agentin versichert uns, dass jedes Auto diese Versicherung habe und es keine rechtlichen Probleme gäbe, wenn wir dieses Auto mieten, solange es nur vollständig bezahlt ist. Die junge Dame verbindet uns auch noch mit Hertz, doch auch die haben kein Fahrzeug anzubieten.. Also nehmen wir das Taxi zurück zur Bar. An einem Bancomaten beziehen wir die nötigen 6 Mio Lei (ca. 420 sFr.); das ergibt eine kleine Beige von 120 Noten zu 50 000 Lei, die in 4 Gängen vom Automaten bezogen werden müssen.

Unsere Vermieterin wünscht noch eine Runde auf meinem Fahrrad zu fahren (voll bepackt), dann werden unser Gepäck und die beiden Velos ins Auto geladen und wir fahren zu Nora.

Nora ist noch an der Arbeit im Büro in Zernesti, einer Kleinstadt. Auch hier sind die Häuserfronten wie in den meisten Dörfern links und rechts der Strassen durch Mauern geschlossen. Durch ein Eingangstor gelangt man in die Höfe der Häuser. Wir bekommen ein schönes Zimmer direkt beim Büro. Bereits im Dunkeln fahren wir Nora in ihre Cabane, die etwa 5 km ausserhalb des Städtchens liegt. 4 Hund kommen uns entgegen. Die beiden Wölfe lassen sich durchs Gitter ihres Geheges streicheln. Nora verbringt die Nacht alleine hier draussen, in einer Hütte ohne Strom und fliessendes Wasser. Etwas Solarstrom reicht für die Lampe über dem Tisch. Das Wasser wird aus dem nahen Bach geholt. Geschlafen wird auf dem Dachboden auf Matratzen, die am Boden liegen. (Letztes Jahr war es noch ein reines Strohlager, wie Nora berichtet.)

die Cabana wird verriegelt Hirten hüten in der Nähe der Cabana ihr Vieh

Donnerstag, 17.8.

Die Velos und einen Teil unseres Gepäcks können wir bei unserer Vermieterin lassen, denn die nächsten drei Tage sind wir gemeinsam mit Nora im Auto unterwegs. Siebenbürgen hat ein reiches kulturelles Erbe. (Details in jedem Reiseführer über Rumänien)

Burgen in Transsilvanien Links zu Transsilvanien

 

Freitag, 18.8.

Begegnungen der x-ten Art: Hier in der Region Brasov trifft man immer wieder auf Schweizer Busse. Mindestens ein Trolley hier ist dunkelgrün, auf der Seite trägt ein Basilisk ein Wappen mit einem schwarzen Bischofsstab auf weissem Grund. Wir sahen (ausgemusterte) Busse von Luzerner, Basler und PTT Busbetrieben. Auf eine Nebenstrasse in Transsilvanien biegt ein Bus von rechts mit einer grossen Aufschrift "Sägesser". Im Unterschied zu allen anderen ist dieser in bestem Zustand und trägt ein Baselbieter Kennzeichen. Die Kirchgemeinde Gelterkinden ist auf Kirchenburgen-Tour in Siebenbürgen. Ihr Chauffeur ist der Chef von Sägesser Wintersingen selbst, Vater von ehemaligen Schülerinnen von uns beiden.

 

Samstag, 19.8.

Heute Abend muss Nora wieder zurück sein. Das erfährt sie per Natel. Für uns haben wir aber für heute keine Übernachtungsmöglichkeit in Zernest. Da Nora sowieso alleine in der Hütte ist, legen wir dort unseren Schlafsack aus. Nora kocht Wasser aus dem Bach, sie will ihre Wäsche einlegen, damit sie morgen waschen kann. Paul spaltet Holz und flickt ein Beil, ich putze ein wenig, finde aber dazu kaum brauchbare Geräte. Maisbrei für die Hunde muss auch noch gekocht werden.

 

Sonntag, 20.8.

Heute haben wir einen Ausflug nach Bran vorgesehen. Zuerst gibt es aber noch einiges zu tun: Unter anderem brauchen die beiden Wölfe im Gehege frisches Wasser. Das Weibchen, Poiana, will nicht in den oberen Teil des Geheges gehen, so dass Nora ungestört Wasser nachfüllen kann. Nora geht zu ihm hinein, obwohl Poiana als ziemlich unberechenbar gilt. Soweit gibt es aber noch kein Problem. Wie Nora aber wieder durch die Schleuse den Käfig verlassen will, möchte Poina unbedingt zuerst durch und sie knurrt Nora an, wenn diese sich an ihr vorbeizudrücken versucht. Poiana will unbedingt spazieren gehen. Also gehen wir halt. Ich hole die Ketten und die Wölfe kommen an die Leine bzw. Kette. Wir öffnen das Gehege und beachten bei dieser Gelegenheit nicht, dass die Türe unseres Autos noch offen steht und unser Proviant auf dem Sitz liegt. Schnurstracks stürzt sich Crai, der Rüde, auf diesen, Plastikfetzen fliegen und der Wolf verspeist genüsslich unsere Butterbrote und unseren Käse. Tomaten, Pfirsiche und Bananen scheinen ihm weniger zu schmecken; die fliegen in der Umgebung herum und dienen ihm als Spielzeug.

Das Ausführen der Wölfe wird zur Attraktion für die vielen Ausflügler, die sich am Wochenende im Tal der Hütte aufhalten. Videokameras und Fotoapparate werden gezückt. Aber bald gehts steil aufwärts - recht schweisstreibend bei etwa 40 Grad im Schatten mit zwei Wölfen, die nie gelernt haben "bei Fuss" zu gehen.

Bergauf, oben vorbei an Bauernhöfen und Ferienhäusern, führt die Schotterpiste, auf welcher uns Nora nach Bran dirigiert, wo das "Draculaschloss" steht. Ausländer bezahlen ein Mehrfaches des Eintrittspreises der Rumänen, bekommen aber dafür einen Guide. Unsere Führerin erzählt uns, dass sie als 3-jähriges Kind von ihrem Vater in Brasov in den deutschen Kindergarten geschickt wurde, obwohl sie kein Wort Deutsch konnte. Dies sei sehr hart gewesen. Heute sei sie aber dankbar darüber, in dieser Schule mit sehr gutem Ruf zu sein. Nur ein einziges deutschsprachiges Mädchen ist in ihrer Klasse. In ihren Ferien macht sie nun diesen Job auf Schloss Bran. Amerikaner seien hier oft enttäuscht, weil sie sich nur für Dracula interessierten und kein Interesse an der Geschichte der Burg zeigten, die auch noch in diesem Jahrhundert Sommerresidenz des rumänischen Königs war. -> Das Schloss Bran ist in Wirklichkeit gar nicht die Burg, in welcher der Fürst lebte, welcher Dracula genannt wurde. Bran diente aber als Vorbild für Geschichte und Kulisse für Filme. Die wirkliche Draculaburg liegt weiter nordwestlich.

 

Montag/Dienstag 21./22.8.

Wir besuchen Brasov, wandern bei 40 Grad im Schatten durch eine trockene Schlucht, sprechen mit Rumänen und lassen uns für den weiteren Verlauf unserer Tour gerne von ihnen beraten. Mimi, unsere Gastgeberin, verwöhnt uns und zeigt uns ihre vielfältigen Aufgaben zwischen Privatpension, Garten, Haustieren, Ausbau des Hauses und Mithilfe in der Schreinerei ihres Mannes Georgie. Das hau mit den Gästezimmern ist noch nicht ganz fertig ausgebaut. Hier wird überall gearbeitet. Auch die 17-jährige Tochter Carmen streicht fleissig Fensterrahmen und hilft im Haushalt. Sie wird auch als Übersetzerin eingesetzt, wenn die Englischkenntnisse der Mutter nicht mehr ausreichen. Wieviele Nerven es da braucht, wenn von der englischen Touristengruppe jede/r sein bzw. ihr Ei anders zubereitet haben will; uns kurz vor dem Frühstück eine Frau noch schnell in Schweine- und Hühnerstall geführt werden will, der auf der anderen Seite des Hauses hinter Schreinerei und Gemüsegarten liegt.

Georgi bastelt uns nach Feierabend eine Mausefalle. Grossmutter meint, er ist ein "Inventor". Paul wird in die Schreinerei geführt, in der die Maschinen alle ohne jegliche Sicherheitseinrichtungen verwendet werden. Bei der Bohrmaschine liegt der Keilriemen auf Kopfhöhe frei, die Fräse hat nicht einmal einen Spaltkeil und die Hobelwalze läuft immer völlig abgedeckt. Ein Wunder, fehlt nur ein Finger! Aber hier entstehen Türen, Fenster, Möbel, alles in Einzelanfertigung; auch Mausefallen. Leider wird das heutige Modell nicht so, wie diejenigen, die vor ein paar Tagen noch herumstanden. Diesmal entsteht eine Klappfalle, bei der die Maus von einem Brett erschlagen werden soll, das mit einem Stein beschwert wird. Nora wird die Falle kaum je brauchen wollen. Mimis Mutter, die etwas mehr als 70 Jahre zählt, ist sehr kontaktfreudig. Stundenlang unterhält sie sich in Rumänisch mit uns. Mit etwas Fantasie lässt sich recht gut kommunizieren. Wir erfahren viel über ihre Familie, ihre Kinder und Grosskinder. Sie erklärt uns auch ein anderes Modell, mit dem man Mäuse fangen kann: Eine Pet-Flasche wird am Hals so abgeschnitten, dass noch eine Maus hineingelangen kann. Etwas Milch kommt in die Flasche, denn Mäuse würden Milch über alles lieben. Die Flasche wird nun schräg z.B. an eine Treppenstufe gestellt. An den glatten Wänden der Flasche entlang wird die Maus nicht mehr herauskrabbeln können.

Am Abend gehen wir zum Bear-Watching. Am Stadtrand von Brasov, im Quartier Racadau, am Rande einer Überbauung mit vielen Wohnblocks kann man nachts Bären beobachten, wie sie die Abfallcontainer der Siedlung nach Essbarem durchsuchen. Wir tun dies vom Auto aus. Einheimische scheuen sich nicht, sich in die Nähe der Bären zu begeben, um von möglichst nah Foto- und Videoaufnahmen zu machen. Eine Mutprobe für Jugendliche scheint es zu sein, die Bären auch durch die Strassen zu jagen. Ganze Familien, auch mit kleinen Kindern beobachten vom Trottoir aus das Geschehen.

Die Seite des Carpatian Large Carnivore Project

 

Mittwoch, 23.8.

Wir beabsichtigen, morgen weiterzufahren. Ein Paket muss noch auf die Post (Pullis) und das Auto muss gewaschen und zurückgebracht werden. Beim Kauf einiger Lebensmittel, versucht ein junger Mann, durch eine unten offene Plastiktüte in meine Hosentasche zu greifen. Beim Ausgang steht derselbe Mann mit zwei anderen, so dass sie uns den Weg versperren. Sie verursachen ein kleines Gedränge, prompt hält Paul den Arm des einen, weil dieser auch in seine Hosentasche greifen wollte. Den Reissverschluss zu öffnen hatte er schon geschafft. Wir reagieren lautstark, so dass Umstehende aufmerksam werden. Die drei spielen verblüfft und unschuldig, verdrücken sich aber sehr rasch. Ich mache den Security-Mann des Ladens auf den Vorfall aufmerksam. Er zuckt aber nur die Schultern........!

 

 

Donnerstag, 24.8.

Nach einem sehr herzlichen Abschied von unseren Gastgebern verlassen wir Zernest erst am Nachmittag mit dem Zug in Richtung Brasov. Da der Bahnhof im Norden der Stadt liegt, sind wir mit den Velos schnell ausserhalb. In Härmann zweigen wir ab in die Muntii Intorsurii in Richtung Buzau. Sanft steigt die Strasse in die Vorkarpaten. Überladene Lastwagen keuchen asthmatisch an uns vorbei und hüllen uns in eine Russwolke. Auf 838 m erreichen wir die Passhöhe mit einer wunderschönen Aussicht ins hügelige Bergland. Wie wir rasten hält ein Bus. Ein Pfarrer in einer langen, rockartigen Kutte steigt aus, dahinter eine Schar Frauen mit Picknickkörben und Decken. Es ist Abend und wir fahren weiter nach Intorsura Bizaului. Auf der Karte ist hier ein Hotel eingezeichnet. Ausgangs Dorf fragen wir deshalb einige Handwerker nach einer "Camera". Einer schickt uns 15 km weiter, einer erzählt von einem Zeltplatz im Ort und einer will uns zurück in ein Hotel schicken. Alle sind herzlich bemüht, uns unterzubringen. Da gesellt sich ein junger Mann auf seinem Fahrrad dazu und spricht uns in Englisch an: Welche Unterkunft wir denn wünschten, es gäbe verschiedene Möglichkeiten, er würde uns hinführen. Wir entscheiden uns für ein Bungalow auf dem Zeltplatz am Flussufer. Raul begleitet uns ins Restaurant und erzählt uns viel von sich, seiner Familie und seinem Land. Er studiert Elektrotechnik und wird in drei Jahren nach Abschluss seines Studiums die Leitung einer Elektrofirma übernehmen. Es wird ein interessanter, lehrreicher Abend. Bis nach Mitternacht sitzen wir beisammen. Draussen ist es unerwartet kalt. Hier seien die Temperaturdifferenzen zwischen Tag und Nacht die grössten von Europa. Wir bekommen dies in der Nacht unangenehm zu spüren. Am Morgen messen wir in unserer Hütte 13 Grad, trotz Sonnenschein. Draussen war es in der Nacht bedeutend kälter. Am Morgen finden wir auch die sanitären Einrichtungen des Platzes, die wir um 1 Uhr nachts bei unserer Rückkehr vergeblich suchten: Auf der gegenüberliegenden Seite eines Zuflusses zum Buzau steht ein kleines Häuschen. In der Mitte des betonierten Bodens befindet sich ein relativ kleines, quadratisches Loch. Treffsicherheit wäre angesagt! Eine neue Anlage befindet sich allerdings im Bau. Der Zeltplatz ist sonst sauber und auch idyllisch gelegen. Es gibt vier Bungalows (ca. 2.5 x 2.5 m), Tische und Bänke; übers Wochenende möglicherweise auch einen Kiosk und ein Restaurant.

 

Freitag, 25.8.

Wer nun glaubt, die Strasse führe schön entlang des Buzau talabwärts, hat sich - wie wir - massiv getäuscht. Ein Stausee zwingt die Strasse wieder hoch an den Berghang hinauf und in die Seitentäler hinein. Doch auch nach der Staumauer verläuft die Strasse nicht einfach in der Talsohle. Sie steigt immer wieder zu den Dörfern am Talhang hinauf. In Nehoiu wollen wir auf einem Markt einige Früchte kaufen. Sofort werden wir von neugierigen Marktfahrern umringt. Sie fragen nach dem Woher und Wohin und interessieren sich für unsere Ausrüstung. Zum Glück sprechen sie eine romanische Sprache, so dass wir sie einigermassen verstehen können. Ich kaufte schon vier Tomaten und zwei Peperonis. Die Wassermelone darf ich nicht mehr bezahlen. Sofort werden wir von allen Seiten beschenkt: mit einer Zwiebel von da, einer Peperoni von dort und zum Schluss noch mit einem Sack voller Trauben. "La revedere la Europa!", verabschiedet sich einer.

Fast zufällig kommen wir am Abend zu einem angenehmen, sauberen Motel mit unerwartet hohem Standard. (Motel 2D Cislau-Buzau Romania. Tel +40 38 550 539 / 44 km vor Buzau)

 

Samstag, 26.8.

Die Fahrt nach Buzau führt uns durch lange Strassendörfer, die oft am Berghang oben kleben. Immer wieder gehts steil bergauf und rasant hinunter. Wir nehmen es, wie es kommt: gemütlich stossen wir unsere schweren Räder hinauf und geniessen nachher die Abfahrt.

Die Häuser hier wirken recht armselig, etliche sind offensichtlich seit Jahren angefangen. Auf der Strasse verkehren enorm viele Pferdefuhrwerke. Heute ist es eher regnerisch, vielleicht deshalb sind sie fast alle verdeckt - mit allen möglichen Materialien. Sie wirken wie kleine Planwagen und unterscheiden sich kaum vom Zigeunertreck, der uns entgegenkommt. Auch Ochsenkarren sind auf der Hauptstrasse unterwegs. Sie sind wesentlich langsamer als die Pferdefuhrwerke, die wir ebenso problemlos überholen können.

Zigeunertrek Ochsenfuhrwerk Lehmziegel-Produktion

Zwischen der Strasse und dem Bach entdecken wir eine Lehmziegelproduktion. Auf einfachste Weise werden am Boden die Ziegel geformt. Auf mehreren Beigen trocknen bereits fertige.

Unterwegs beginnt es zu regnen - und siehe da: wir entdecken zum ersten Mal hier in Rumänien eine Bushaltestelle mit einem Häuschen. Natürlich stehen wir unter und essen etwas, bis der Regenguss vorbei ist.

Durch die trostlose, slum-artige Vorstadt mit verdreckten Kindern am Strassenrand und eher Bretterhütten denn Häusern gelangen wir in die Stadt Buzau.

Buzau im Internet

 

Sonntag, 27.8.

Nach Buzau gibt es schätzungsweise mehr Pferdefuhrwerke als Autos. Je näher wie jedoch nach Braila kommen, desto schlimmer wird der Verkehr. Hier scheint das Recht des Stärkeren zu gelten. Bis zu zehn Mal wird gehupt hinter uns, - möglicherweise glauben die, dass wir wegen jedem Auto in das weiche Strassenbankett zu fahren hätten. Wie eine alte Frau die Strasse überqueren will, gibt es ein lautes Hupkonzert, sie rennt über die Strasse und wird dabei beinahe überfahren. (heute total 110 km auf ebener Strasse, teils im Regen)

 

Montag, 28.8.

Eigentlich wäre es schön, von hier aus auf einem Schiff nach Tulcea zu fahren. (Später erfahren wir, dass es eine solche Möglichkeit geben muss.) Wir gehen also zum Hafen und versuchen einen Mann danach zu fragen. Mit seinem Fahrrad begleitet er uns leider nur zu einer Fähre, die über die Donau zur Strasse nach Tulcea führt. Der Fährmann rät uns, nicht die Strasse entlang der Donau zu nehmen, sondern geradeaus nach Tulcea zu fahren. Wie Paul andeutet, ob denn das nicht sehr hügelig sei, schüttelt er den Kopf. Die Strasse ist zwar gerade, aber von eben keine Spur! 2891Meter Steigung zeigt unser Velocomputer am Abend an. (Was denn wohl doch nicht stimmen kann!) In 6 1/2 Stunden kommen wir 98 km weit. Verrückt war dieser Tag schon: abends haben wir das Gefühl, nur aufwärts gefahren zu sein und die Velos aufwärts gestossen zu haben. Abfahrten dauern ja immer nur sehr kurz dazwischen und starker Gegenwind blies uns ständig ins Gesicht.

diese Schweine haben allerdings im Moment Schwein auf und ab und auf und ab....

Wie wenig Ehrfurcht vor dem Schwächeren besteht hier, zeigt sich auch beim Transport von Tieren. Schafe werden auf einen Anhänger gepfercht, so dass die oberen nicht stehen können. Sie liegen mit den Beinen in die Höhe auf den anderen Tieren und blöken erbärmlich. Gefahren wird dabei wie ein Henker. Ebenso schlecht ergeht es einem Pferd, das auf einem kleinen Anhänger mit niedrigen Wänden festgebunden ist.

Im Hotel Delta in Tulcea, wahrscheinlich dem besten am Ort, muss man noch die Betten beziehen. (Bettwäsche, die nicht passt, liegt bereit.) Zu essen gibt es matschige Teigwaren und verkochtes, ungewürztes Gemüse; aber die Aussicht vom Balkon ist bezaubernd.

Ausflugshafen von Tulcea vom Hotelzimmerbalkon aus

Auf dem Mobilephone gibt es per SMS gute Wünsche zum Geburtstag.

 

Dienstag, 29.8.

Im Hotel weiss man nichts von einer Möglichkeit, Ausflüge ins Donaudelta zu machen. Nur von Kursschiffen, die auf den Hauptkanälen verkehren, erzählt man uns. Doch kaum sind wir vor dem Hotel, werden wir angesprochen. Wir chartern ein Schiff mit Kapitän und Mechaniker für zwei Tage. Langsam tuckern wir durch Donauarme und Seen, beobachten Eisvögel, Pelikane und viele andere Wasservögel. Oft glaubt man einen Eisvogel zu entdecken, muss dann aber enttäuscht feststellen, dass es sich etwa bei jedem zweiten nur um die blaue Etikette einer PET-Flasche handelt. Am Abend wird an einer Stelle angelegt, an der ein Schild steht: Anlegen verboten! Das sei nur etwas von den Ökologen der Naturparkverwaltung, meint der Käpten, und habe nichts zu bedeuten. Beim Eindunkeln wird mit Altöl ein Feuer entfacht, wegen den wilden Tieren. Hungrige Wölfe kämen aus der Ukraine bis hierher und die seien sehr gefährlich. Man sollte ein Gewehr haben, erklärt der Mechaniker. Wie er die Hornissen auf dem Baum entdeckt, reagiert er ganz nervös: "Drei Stiche sind tödlich!" Wir versuchen ihn in Bezug auf die Hornissen, wie auch auf die Wölfe zu beruhigen, aber mit wenig Erfolg. Bald verziehen sich Maschinist und Käpten in die Kajüte.

hier fliegen auch die Eisvögel Abendstimmung am Übernachtungsplatz typische Hütte an einem Nebenkanal vergammelter Turm in Mila 23, einem Dorf mitten im Delta (23 Meilen von der Mündung)

 

Mittwoch, 30.8.

Lange diskutieren wir mit dem Kapitän über die Arbeitsmoral der Rumänen, über Politik, über Möglichkeiten der Einflussnahme usw. Er ist der Überzeugung, dass die Mehrheit der Bevölkerung zu Zeiten Ceaucescus ein besseres Leben hatte. "Die Leute brauchen einen starken Führer und sie müssen auch etwas Angst haben," meint er. Ohne Angst würde niemand arbeiten. Früher sei man für 6 Monate ins Gefängnis gesteckt worden, wenn man nicht gearbeitet hätte, und danach sei überwacht worden, ob man am Arbeitsplatz erscheine. Jeder hätte einen Arbeitsplatz gehabt. Er beklagt sich über die vielen Diebe, und meint, man sollte ihnen eine Hand abhacken. Doch im nächsten Moment fährt er fort, dass alle hie Diebe seien, auch er. Er würde, wo immer möglich, den Staat um die Steuern betrügen. Unser Verhältnis zum Staat kann er nicht verstehen. Seine Meinung ist, dass der Staat für ihn zu sorgen habe, nicht, dass er Teil des Staates sei. Früher hätte er jedes Jahr Ferien machen können und hätte nur die Hälfte bezahlen müssen.

Bein Mittagshalt werden Fische gefangen. In kürzester Zeit auf hingelegtem Schilf. Ohne sie zu töten werden sie entschuppt und ausgenommen. Ich frage ihn, weshalb die Fische nicht zuerst getötet werden. Er lacht nur:- "Die verspüren doch keinen Schmerz." Der Mechaniker meint noch, er sei auch schon ohne Narkose operiert worden. Im weiteren Gespräch wird jedoch eingeräumt, dass das zu überdenken wäre. Er habe von einem deutschen Knaben auch gelernt, dass er die Abfälle nicht einfach ins Wasser werfen dürfe, falls er den Tourismus hier erhalten wolle. Wir sprechen noch über die vielen Abfälle hier in der Natur. Er meint, es stünden auch nirgends Abfalleimer. Auf die Idee, den Abfall selber wieder zurückzunehmen, kommen sie nicht. Auch von ihrem Mittagessen bleibt wieder einiges, das nicht verrottet, in der Natur zurück.

Nun muss vielleicht doch noch geschrieben werden, dass die Landschaft und die Natur hier wunderbar sind. Tausende von Pelikanen konnten wir aus der Ferne beobachten, und bei jedem Landgang fliehen viele Frösche. Nachts hört man grössere Tiere, die ans Wasser kommen.

Unsere Schaluppe für bis zu etwa 8 Personen: S.C.Madra Tour, Spac Viorel (Manager), str.Orizontului nr.154, Tulcea, Romania, Tel +40 (0)94 15 69 06

Donaudelta

Wie wir wieder an Land kommen, ist Marius (der uns vor dem Hotel angesprochen hatte) auch schon wieder da. Er bringt auch seinen Bruder mit. Das versprochene Privatzimmer koste jetzt doch 15 000 Lei mehr, erklärt er uns. Wir wollen es zuerst sehen. Nun, für die 450 000 geforderten Lei erhält man hier ein Hotelzimmer, aber wir mögen nicht mehr verhandeln. Das Zimmer ist in einem alten Haus, warmes Wasser gibt es nur bis 22 Uhr. Zum Schlafen werden wir den Schlafsack brauchen. Die Frau, der die Wohnung gehört, ist sehr nett. Ich werde jedoch wütend, wie ich von ihr erfahre, dass sie von den 450 000 Lei nur gerade einen Drittel bekommt. Marius hat nicht damit gerechnet, dass wir uns mit der Frau auf Französisch unterhalten können. Wie er dann für seinen mitgebrachten Bruder noch ein Trinkgeld verlangt, werde ich ziemlich heftig und erkläre ihm, dass er so, wie er es mache, den Tourismus hier noch ganz zerstöre. Ich erzähle ihm von unserer Internetseite und dass wir langsam froh seien, hier weg zu kommen. Wir fühlten uns so wie Milchkühe und es sei daher kein Vergnügen, hier zu sein.

 

Donnerstag, 31.8.

Unsere Gastgeberin ist arm, aber sehr freundlich. Ungefähr 200 sFr. verdient sie monatlich als Lehrerin. Die Lebensmittel, speziell die importierten, sind aber sehr teuer. Nestle verkauft hier die Müslimischung für sagenhafte 4 sFr. eine kleine Schachtel. Westliche Lebensmittel sind teuerer als in der Schweiz. Nur die nicht industriell verarbeiteten Lebensmittel sind sehr billig (für uns).

Da wir auf der Strasse mit unseren auffallenden Rädern ständig angebettelt werden, beschliessen wir, möglichst bald heimwärts zu fahren. Wir allein können die Probleme hier ja nicht lösen. Man sieht zwar die Problematik, aber alles ist so extrem, dass man oft nur den Kopf schütteln kann. Weshalb schauen einem im Hotel 5 Leute beim Frühstücken zu, aber der Kaffee ist kalt, die Lichtschalter sind schmutzig schwarz, die Dusche verkalkt, die Kabel ausgerissen usw. All dies würde doch nichts als Arbeit bedeuten und keine Investition erfordern.

Der Zug fährt erst am Nachmittag, so dass wir noch drei Stunden zu warten haben. Vom Bahnhof aus sieht man auf einen Park mit Bäumen, Bänken und einem kleinen See. Dahin könnten wir uns vielleicht verziehen. Der Weiher ist mit einer ekligen grünen Schlammschicht bedeckt und stinkt fürchterlich. Im Schilf und am Rande des Weihers liegen abertausende von PET-Flaschen, dennoch wird munter geangelt. Die wenigen Bänke, die hier noch "besitzbar" sind, sind bereits alle besetzt. Wir begeben uns zum Bahnhof zurück. Hier sind nicht nur die Bettler, sondern auch viele streunende Hunde. Wie überall, wo wir solche Hunde antreffen, hängen die Bäuche der Weibchen mit ihren langen Zitzen. Ausgemergelte Junghunde mit struppigem Fell und wunden Stellen darin folgen ihnen. Zwischen den Geleisen und unter den Zügen suchen sie nach Essbarem.

Es gelingt und, unsere Vehikel in einem Café am Quai unauffällig zu deponieren und etwas zu trinken, für eine Weile verschont von der Bettlerei. Nur eine Roma-Mutter mit Kleinkind kommt an die Tische. Am Nebentisch bekommt die den kleinen Rest Cola, eine Zigarette und etwas Kleingeld. Eines von uns gibt ihr auch etwas Geld - und schon steht sie fordernd vor dem anderen.

Endlich steht die Abfahrt des Zuges bevor, der uns heute nach Constanta bringen soll.. Natürlich gibt es offiziell damit wieder keinen Fahrradtransport. Sofort kümmert sich eine Mitreisende um uns. Sie ist Dolmetscherin und spricht mit dem Zugführer wegen unserer Velos. Diesmal geht es ohne Bakschisch. Sie erzählt uns, dass sie allein sei und so schon sehr viele Reisen noch weiter in den Osten unternommen habe. Allein sei sie auch durch Asarbeitschan gereist - doch die Leute dort hätten ihr schon Angst eingeflösst. Sie schwärmt aber auch von ihren Ferien im Donaudelta, von kilometerlangen, einsamen Sandstränden an der Deltaküste. Sie sei schon weit gereist - auch in den Westen - doch da vorne hätte sie ihre schönsten Ferien verbracht. In unserem Abteil sitzen auch zwei junge Männer, die fliessend Deutsch sprechen. Die Mutter des einen arbeitete in der Botschaft in Berlin und jetzt in Wien. Er besuchte in Berlin das Gymnasium und nun studiert er in Wien Politikwissenschaften. In Rumänien spricht man miteinander während einer Zugfahrt, das ist für uns sehr spannend.

In einer kleinen Stadt ca 40 km vor Constanta müssen wir umsteigen. Wir haben etwa eine Stunde Aufenthalt. Ein bettelnder Knabe von etwa 10 Jahren wird von uns verköstigt. Geld mag ich den Kindern nicht geben. Nach einem grossen Stück Kuchen (von unserer Tulceaer Gastgeberin) schaut er etwas enttäuscht auf den Apfel, beisst dann aber dennoch hinein.

Die Suche nach einem Hotel in Constanta ist im Dunkeln ziemlich schwierig. Die Dinger sind meist recht unauffällig und die Leuchtschriften funktionieren oft auch nicht mehr. Nach längerem Suchen landen wir im Hotel Palace, direkt am Meer. Das Zimmer mit Meersicht kostet über hundert Franken, es sei modernisiert. Wir nehmen eines gegen die Stadt, das etwa gleich aussieht, aber zum halben Preis angeboten wird. Die Insekten (Schwabenkäfer? Kakerlaken?), die hier Mitbewohner sind, machen sicher vor den teuerern Zimmer auch nicht Halt. Feucht und muffig riecht es überall. Damit mich die ekligen Viecher nachts nicht wecken, bespraye ich das Bett mit "Antibrumm forte".

 

Freitag, 1.9.

In der Nacht hat eine Frau vor dem Hotel laut gejammert. Wir vermuten, dass sie damit die Leute bewegen will, Geld hinunter zu werfen, damit sie in Ruhe gelassen werden und weiterschlafen können. Wir sind von der ständigen Bettlerei schon so abgebrüht, dass wir uns nur kurz drehen und weiter schlafen. Lärm kann unserem Schlaf nichts mehr anhaben. An Auto-Alarmanlagen und Hundegekläff haben wir uns schon lange gewöhnt.

Eigentlich hätten wir gerne einen Link auf eine Seite von Constanta hier platziert, aber selbst der Administrator des Internetcafés hier konnte uns beim Suchen nicht weiterhelfen.

Ohne Gepäck und ohne Fahrrad lässt sich auch diese Stadt geniessen:

-Frühstück mit Meersicht auf dem Hotelbalkon

-Bummel durch die Strassen mit vielen jungen gestylten Leuten

-Junge Frauen mit Blumen, weil heute der erste Schultag ist

-Mittagessen in einer Pizzeria, wo es zwar keine Pizza, aber dennoch leckere Speisen gibt

Auf dem Internet suchen wir Züge heraus, wir wollen mit dem Nachtzug nach Budapest. Mit dem Fahrplan der Deutschen Bahn geht das recht gut. Ankunfts- oder Abfahrtsort muss allerdings in Deutschland liegen. Mit "via" lässt sich dieses Problem aber gut lösen. Basel wird übrigens als Ort in Deutschland akzeptiert. (Bad Bhf)

Zum Velotransport erhalten wir verschiedene widersprüchliche Auskünfte. An der Information sagt uns die arrogante Dame ganz einfach: "Nichts zu machen, der Zug hat keinen Gepäckwagen." Zum Glück schaltet sich ein netter Einheimischer ein und begleitet uns zu der Gepäckaufgabe. Da erklärt man uns, dass internationales Gepäck nur ab Bukarest Nord aufgegeben werden kann. Doch wie schon öfters bekommen wir den Tip: "Sprecht mit dem Zugführer, er ist der Chef des Zuges. Mit Geld erreicht man hier alles." Wie wir darüber diskutieren, ob wir das Risiko eingehen sollen, eine Fahrkarte zu kaufen, entdecken wir den Informations- und Billetsverkaufsschalter für Erstklasspassagiere. Die Dame dort ist sehr freundlich und zuvorkommend, sie spricht sogar Englisch. Der Zug habe einen Gepäckwagen, da sei es kein Problem, die Fahrräder mitzunehmen. Nur Schlafwagentickets könne sie nicht verkaufen, die müsse man auf der anderen Seite der Stadt in der Agence de Voyage kaufen. Das Taxi dorthin, aus Versehen ein privates, kostet uns etwa den dreifachen Preis wie das für die Hinfahrt. Am Montag sind noch Schlafwagenplätze in der ersten Klasse frei. Abfahrt ist ca. um 18 Uhr. Am Dienstag um ca. 11 Uhr sollten wir in Budapest sein. (Billettpreis je ca. 130 sFr.)

Abends spazieren wir dem Hafen und dem Strand entlang. Ein junger Hund kommt uns entgegen. Ist dies etwa seine Mutter, die etwas abseits tot im Sand Liegt? Bei den Parkplätzen vom Strand liegt viel Abfall herum. Der Strand selbst wird geputzt. Hie und da liegen aber Scherben im Sand. Auf der einen Seite der Zufahrtsstrasse sind Strandcafés, die andere Seite war einmal mit langen Blumentrögen geschmückt. Die Pflanzen sind aber alle vertrocknet.

 

Samstag, 2.9.

Wir dislozieren für 2 Nächte nach Mamaia, einige Kilometer nördlich von Constanta, an den langen, feinen Sandstrand. Ein Hotel steht neben dem anderen. Im Hotel Lido (neben dem Best Western Hotel) gehe ich in der Absicht, mir ein Zimmer zeigen zu lassen, an die Rezeption. Ein englischsprechender Herr verlängert gerade seinen Aufenthalt und Neckermann führt dieses Hotel offenbar auch im Programm. - Da bleiben wir, das kann nicht allzu schlecht sein. Die Hotels sind direkt am Strand, alles ist sehr gepflegt. Dennoch scheint alles stark unterbelegt zu sein. Der Strand ist also nicht übervölkert. Der englischsprechende Herr kommt, wie wir uns sonnen, zu uns. Er ist Kanadier und reiste im Zug mit seiner Frau von China über Russland, Skandinavien und Deutschland nach Oesterreich. In Wien kauften sie zwei Scooter und reisten so weiter.

Mamaia - ein Sandstrand mit Hotels, Hotels, Hotels....

 

Sonntag, 3.9.

Wir liegen am Strand des Schwarzen Meeres und holen uns an denjenigen Stellen, die wir bis jetzt nicht regelmässig der Sonne ausgesetzt haben, einen deftigen Sonnenbrand. So nach dem Motto: Ferien am Grill, nur diesmal nicht am Teutonengrill, sondern am Grill der Bukarester Society. Da die Saison am Donnerstag aufhörte (am 1.Sept, einem Freitag nota bene, begann wieder überall die Schule), ist der Strand nur gerade am Sonntag einigermassen bevölkert, am Montag ist nur noch eine Handvoll Leute da.

Montag, 4.9.

Heute soll es wieder nach Westen gehen. Erst in einem grossen "Sprung" mit der Bahn bis Budapest. Erst aber packen wir gemütlich, danach wollen wir im Internetcafe eines benachbarten Hotels feststellen gehen, ob unsere Hotelreservation in Budapest erfolgreich war. Der "Computertyp" war dort, doch meinte er, das Café sei geschlossen, vermutlich werde es erst nächste Saison wieder geöffnet....! Er liess uns dennoch unsere Mails lesen und wir mussten feststellen, dass das Hotel bereits ausgebucht ist, in Budapest ist irgend eine Messe.

Nach einem langen Strandspaziergang (mit Sonnenbaden war wegen des Sonnenbrandes nichts), satteln wir die Velos und radeln gemütlich Richtung Constanta zurück. Aus einem Taxi winken uns drei Typen zu, wir sollen anhalten. Wir erkennen sie als diejenigen, die uns bereits auf der Hinfahrt nach Mamaia anzuhalten versuchten. Ihre Visagen haben uns damals schon vorsichtig gemacht. Wir ignorieren ihre Gesten abermals, da wir auch keinen Bedarf an irgendwelcher Hilfe haben. Etwa 2 km später halten wir an und Paul nimmt den Stadtplan hervor, um den kürzesten Weg zum Bahnhof nochmals nachzusehen. Unvermittelt stoppt das gleiche Taxi wieder vor uns und sofort steigen zwei Kerle aus. Sie faseln etwas von Stadtplan und no problem... Wir weisen sie sofort ab, und erklären, wir bräuchten nichts. Doch schon fummelt einer am Stadtplan herum und greift ungeniert in Pauls Taschen. Paul wehrt sich und versucht mit dem Velo von ihm weg zu kommen. Wir beide schreien die zwei laut an. Konsterniert lassen sie von uns und machen sich im Taxi wieder davon, offensichtlich sind sie überrascht, dass wir ihren plumpen Angriff auf unsere Wertsachen so schnell durchschaut haben.

Am Bahnhof versuchen wir einen Gepäckschein für unsere Velos zu bekommen, ganz entsprechend der Auskunft in der Billettverkaufsstelle in der Stadt. Wieder beharrt man am Gepäckschalter darauf, der Zug führe keinen "Wagon de mesajerie", und wieder den Rat, Bakschisch einzusetzen. Wir setzen uns an einer belebten Stelle des Bahnhofes in die Nähe unserer Räder und warten der Dinge, die da kommen werden, bzw. auf unseren Zug. Obwohl noch genügend Zeit vorhanden wäre bringen wir den Mut nicht mehr auf, die geschriebenen Postkarten auf die Post zu bringen. Ein tschechischer Student, der auch mit dem Velo in Rumänien unterwegs ist, gesellt sich zu uns. Auch er will den Nachtzug nach Budapest benützen und hat bezüglich Velo auch den Rat bekommen, mit dem Schaffner zu reden.

Der Zug fährt ein, wir besteigen den Wagen und stellen unsere Räder vor die Durchgangstüre, die zum nächsten Wagen führen könnte, doch unser Wagen ist der erste im Zug. Der Schlafwagenschaffner verwirft die Hände, wie er unsere 12 Gepäckstücke sieht. Seiner Meinung nach ist nur ein Stück pro Person erlaubt. Wie er die Velos entdeckt, spielt er noch mehr den Entsetzten und meint, das sei nicht möglich und all dies Gepäck sei aber teuer! Dennoch, wie der Zug abfährt, ist alles verstaut und wir im Abteil. Natürlich nicht in demjenigen, welches auf der Reservation steht - dies erklärt der Kondukteur zu seinem und weist uns in ein anderes. Auch das Rad des Tschechen, der ganz hinten im Zug sitzt, steht neben unserem. Dies passt unserm Schaffner noch weniger, doch der Besitzer ist schon wieder weg. Nun beginnt das Verhandeln, diesmal auf Französisch. Der Gehilfe des Schaffners spielt den kulanten Vermittler, der auch einmal eine 5 gerade sein lassen kann, der Schaffner, der nur Rumänisch spricht, mimt den Bürokraten. 50 Deutsche Mark knöpfen sie uns für ihre "Grosszügigkeit" ab. Selbstverständlich cash und steuerfrei. Später drängen die beiden uns, die Velos in unser Abteil zu nehmen, in Bukarest würden noch weitere Wagen an den Zug gekoppelt. Erstaunlich gut lassen die Räder sich im Schlafwagencoupe unterbringen. Kurz vor Bukarest kommt dann noch das Anliegen, auch das dritte Rad bei uns zu verstauen. Wir müssen ihnen klipp und klar erklären, dass uns dies nichts angeht. Der Schaffnergehilfe klagt uns noch das uns schon so bekannte Lied von den hohen Lebenshaltungskosten in Rumänien und lässt nebenbei einfliessen, dass er für ein Geschenk auch noch empfänglich wäre. (Eine Gegenleistung wäre allerdings nicht vorgesehen gewesen, einfach, weil er doch so ein armer ist und für seinen Chef nur 50 DM Bakschisch aushandeln konnte..., und für sich bis jetzt doch nur ein Bier). Von da an bleibt unsere Abteiltür mit der Kette fest abgeschlossen, bis wir an der ungarischen Grenze sind am Morgen um ca. 8 Uhr.

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Dienstag, 5.9.

Natürlich haben wir im Schlafwagen nicht gut geschlafen. Wer schon einmal in einem rumänischen "Wagon Lits" gefahren ist, kann mit uns fühlen.

Bereits, wie der Zug durch Ungarn fährt, sind wir eigenartig erleichtert. Wir haben von der drängelnden, fordernden, arroganten Art vieler Rumänen genug. Es ist uns verleidet, immer auf unsere Sachen aufpassen zu müssen. Trotz vieler schöner Begegnungen mit angenehmen Menschen haben wir von den leider vorherrschenden Zuständen genug.

Auf dem Bahnhof in Budapest werden wir von einem jungen Mann angesprochen, ob wir eine Unterkunft brauchen. Wir wissen, dass im Moment die Hotelbetten knapp sind und gehen mit. Während unsere Velos und unser Gepäck - so hoffen wir doch - sicher aufgehoben sind, trollen wir uns in die Innenstadt von Budapest.

Unsere Unterkunft in Budapest (bzw.Pest): 1 U-Bahn-Station vom Bahnhof entfernt. (aber auch Abholservice vom Bahnhof) Nemeth Vali, VIII.Osztaly u. 20-24 A 1/1, Budapest, tel.+36 1 3138846 / mobile: +36 30 9 475348 vali-s@mail.matav.hu 3 Zimmer zu 2-4 Betten in separater Wohnung, ruhige Lage in Wohnquartier. 8 USD pro Person.

In einem Buchladen kaufen wir die Velokarte von Ungarn, die wir bereits in Debrecen schon einmal gekauft und dann voreilig heimgeschickt haben. Natürlich kommen wir auch an die Donau. Da liegt ein grosses Passagierschiff, das unter Schweizer Flagge fährt. Wir haben plötzlich die Idee: Wie wäre es, auf einem Schiff weiter die Donau aufwärts zu fahren? Das Schweizer Schiff ist ein Hotelschiff, das natürlich keine zusätzlichen Passagiere mitnimmt. Wir finden aber ein Schiff, das von Budapest nach Wien fährt; allerdings ein Tragflügelboot, das die Strecke mit hoher Geschwindigkeit in etwa 6 Stunden zurücklegt. So lange in einem Flugzeugsessel sitzend über einen Fluss zu flitzen, haben wir keine Lust. Wir kaufen kein Billett und geniessen statt dessen ein Sightseeing von einem Schiff aus.

Morgen geht es nun wohl wieder einmal so richtig mit dem Velo weiter. So ganz klassisch auf dem Donauradweg. Wir hoffen, der Gepäckträger von Pauls Velo hält noch bis Wien durch. Schweissstelle für Schweissstelle bricht, so dass die Ladung immer mehr ins Schwingen kommt - was den Träger wiederum zusätzlich belastet. (Ich weiss, ich weiss, Hans, davor hast du uns schon bei der Abreise am Badischen Bahnhof gewarnt; das war aber vor 2 Monaten und über 2500 km!) Per Email hat uns der Fahrradhersteller einen Händler in Wien angegeben, der ein Ersatzteil haben könnte. Hoffentlich hält der Träger noch bis dahin.

Budapest, Parlament

 

Mittwoch, 6.9.

Budapest ist gut für Velofahrer eingerichtet. Radrouten führen ins Stadtzentrum. Hätten wir den Veloführer sorgfältiger gelesen, wären auch die ersten 20 km, die wir entlang verkehrsreicher Strassen fahren, durchaus angenehm. Im Führer steht nämlich: nur an Wochenenden zu empfehlen. Am rechten Ufer der Donau wären verkehrsarme Strassen. Doch der Wind bläst wohl auch dort Donau-abwärts. Mit kleinen Personenfähren setzen wir zweimal über den Fluss. Das Personal ist beim Ein- und Ausladen behilflich, das sind wir aus Rumänien nicht mehr gewöhnt. Der Preis für die Fahrräder ist angeschrieben, wir haben keine dubiosen Aufschläge für Spezialtransporte zu bezahlen. Die anderen Passagiere bitten uns, zuerst einzusteigen, keiner drängt vor.

Nachtessen an der Donau bei Visegrad (Joghurt mit Müesli und Wassermelone)

Am Abend übernachten wir in einem Hotel in Visegrad, einer berühmten Ortschaft am Donauknie. Hier war zu Römerzeiten ein wichtiger Wachtposten am Limes. Überreste eines ehemals wichtigen Burg mit langer Mauer, die sich den Berghang hinunterzieht und einem Tor am Donauufer, das einen Verkehrsriegel bildet, sind immer noch zu bewundern. Sogar die Fluss-Kreuzfahrtschiffe machen hier Halt. Etliche Autocars sind auch unterwegs. In unserem Hotel erleben wir eine lustige Preispolitik: Im Hotelzimmer angeschrieben: 150 DM (wir vermuten, als Hinweis für Gruppenreisende bzw. Pauschaltouristen), bei den Schlüssel in der Rezeption: 70 DM + Frühstück 12 DM, Hochsaison 90 DM + Frühst. 12 DM, aber auch: 7000 Forint + 1000 Forint Frühst., Hochsaison 9000 Forint + 1000 Forint Frühst. Natürlich wollen wir in Forint bezahlen. Es kostet uns 7000 Forint (ca.50 DM), das Frühstück sei inbegriffen......!

 

Donnerstag, 7.9.

Visegrad mit Burg, Mauer den Berg hinunter und Tor, durch das die Strasse führt. Zu Römerzeit war hier der Limes. Donauradweg vor Esztergom die Basilika von Estztergom

Trotz regen geniessen wir die schönen Velowege entlang der Donau bis nach Esztergom. Von weitem schon sieht man die Säulen und die riesige Kuppel der Basilika auf dem Felsen. Daneben die grosse Burganlage der Königsburg und des Königsschlosses (10.-12. Jh.) Leider gehts von da na auf der stark befahrenen Hauptstrasse weiter. In Tat lassen wir uns in einem feinen Restaurant das vegetarische Menu servieren. Trotz Hunger schaffen wir die Portion nicht. Weiter gehts durch den Regen auf der Hauptstrasse, das fritierte Gemüse liegt uns auf dem Magen. - Aber da gibt es ja eine Bahnlinie! Wo ist nur eine Station? Vielleicht da vorne? In diesem Moment fährt langsam der Zug ein. Ob es noch reicht? Die Haltestelle scheint weiter vorne zu sein, - ein Spurt, aber der Weg geht nicht weiter bis zur Station. Wir müssen zusehen, wie der Zug wieder abfährt. Nach einigem Suchen finden wir die Zufahrt zur Haltestelle. Der nächste Zug verkehrt erst nach 18 Uhr, und jetzt ist erst zehn nach Drei. 15.07 war Abfahrt in Eternitgyar (bei der Eternitfabrik). Enttäuscht radeln wir weiter. Doch was sehen wir da, etwa 1 km weiter? - Der Zug steht da, wie für uns bereitgestellt. Wir dürfen die Billette im Zug lösen und können zusteigen. Herrlich! Für die nächsten etwa 30 km nach Komarom braucht der Zug gerade 1 1/4 Std. Wir geniessen die Fahrt im Trockenen entlang der herrlichen Donau.

Wir übernachten in Györ, das mit einem wunderschönen Stadtbild aufwartet. (Dafür bezahlen wir erstmals auf unserer Reise separat Kurtaxe.) Beim Bahnhof steht ein grosses Hotel und noch eines vor der schönen Altstadt. Beide nicht gerade hübsch. Wir suchen in der Fussgängerzone weiter. Lange finden wir nichts. Doch ganz zuhinterst im Städtchen, in engen Gassen steht doch noch eine Hotelanschrift. Einige Altstadtgebäude scheinen zusammen zu gehören. Diesen Standard von Hotelzimmer haben wir schon lange nicht mehr genossen. Der Preis ist entsprechend hoch für hiesige Verhältnisse (ca. 120 sFr.) Einer schweizerischen Investmentgruppe gehört das Hotel ..... Schweizerhof.
Györ1
Györ2

 

Freitag, 8.9.

Von Györ aus gibt es verschiedene Velorouten, um nach Bratislava zu gelangen. Wir entscheiden uns für den Dammweg auf dem slowakischen Donauufer. Auf signalisierten Velowegen geht es aus der Stadt Richtung Grenzübergang. Doch 8 km vor dem Zoll: Das blaue Schild mit dem Velo darauf, aber rot durchgestrichen! Kurz danach: Verbot für Traktoren, Fuhrwerke und Fahrräder!! Wir erinnern uns an die Strasse, die uns nach Debrecen hinein führte. Auch hier unter dem Fahrverbot ein Schild mit "kivene..." oder so. Einheimische bestätigen uns, es gibt keine andere Strasse zur Grenze......

Der Dammweg entlang der Donau ist vollkommen autofrei. Abgesehen von einem hässlichen Stausee vor einem Kraftwerk eine wunderbare Veloroute. In der Gegenrichtung würde man dank dem starken Wind ohne gross zu treten ein rasantes Tempo erreichen.

wenige km vor Bratislava

Velowege führen uns bis mitten in die Stadt Bratislava. Sogar die Brücken über die Donau sind speziell für Radfahrer eingerichtet.

 

Samstag, 9.9

Sonnenaufgang über Bratislava, gesehen aus dem 12.Stock des Hotels Kiev

Nach dem Besuch im Internet-Te@ geniessen wir das Stadtleben in Bratislava. In der grossen Fussgängerzone in der Innenstadt herrscht reges Treiben. Viel Volk ist auf der Strasse. Überall in der Innenstadt trifft man witzige Kunstwerke, vor allem Skulpturen. An einer Strassenecke schaut z.B. ein Arbeiter aus Bronze aus einem offenen Kanalschacht, an einem anderen Ort stützt sich ein müder Napoleoner auf die Rückenlehne einer Ruhebank.

Eine alte Frau klagt uns ausführlich, wie und was doch vor einigen Jahren noch alles besser gewesen sei. Die sozial schwachen scheinen in diesen östlichen Staaten unter den neuen Zeiten sehr zu leiden.

Wie wir wie jeden Tag um 19 Uhr unser Telefon einstellen, erhalten wir eine Meldung: "Bitte sofort in der Schweiz anrufen!" Das lässt böses ahnen. Und wirklich, der Stiefvater von Ruth ist heute kurz nach vier an einem Herzinfarkt gestorben.

Sofort erkundigen wir uns an der Hotelreception nach der nächsten Verbindung in die Schweiz. Um 20.25 sitzen wir bereits im Zug Richtung Wien, zu unserem Erstaunen einer Art S-Bahn, bereits die erste Station liegt in Oesterreich. Bis Wien müssen wir einmal umsteigen, in einen Schnellzug - der natürlich keinen Velotransport vorgesehen hat. Die beiden Schaffner haben aber für unsere Lage sehr viel Verständnis und unsere Räder fahren doch im Zug mit, diesmal ganz ohne Bakschisch. Auf ihr Anraten geben wir die Velos im Bahnhof Wien Mitte als Reisegepäck auf, denn Richtung Schweiz gehts an einem anderen Bahnhof weiter, der. ca 5 km entfernt nur mit U-Bahn, Strassenbahn oder Taxi erreichbar ist. In etwa einer halben Stunde geht ein City Night-Zug von Wien West. Also Taxi - wir haben ja auch noch 12 Taschen dabei. Vom City-Night wird uns abgeraten, der fahre heute eine ganz andere Route, denn an der Arlbergstrecke werde gearbeitet. Wir besteigen also erst um 20 nach 11 einen Schnellzug nach Innsbruck, der zum Glück noch Liegeplätze frei hat. Der Zug am Sonntagmorgen hat in Oetztal bereits wieder Endstation. Alles Umsteigen in Autobusse. Der Arlberg wird also auf der Strasse überwunden bzw. unterquert. Von Bludenz an können wir wieder mit der Bahn weiterreisen und kommen etwa um halb zwölf in Liestal an. Mit gemütlich der Donau entlang die etwa 80 km von Bratislava nach Wien radeln ist nun halt nichts.

Doch - es ist noch nicht der 14.Oktober !

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