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3. Le Petit Journal, der Beginn der Massenpresse

Um die Jahrhundertwende wird die französische Presselandschaft von vier Zeitungen dominiert. Diese sind Le Petit Journal (1863), Le Petit Parisien (1876), Le Matin (1885) und Le Journal (1892). Sie stehen für die Hochblüte des goldenen Zeitalters der französischen Presse. Die wichtigsten Aspekte sind dabei das weiterhin massive Steigen der Auflagezahlen, die sich durchsetzende Preisreduktion und die inhaltlich neuen Schwerpunkte. Allein in den Jahren 1870 - 1880 verdoppelt sich die Auflage der Pariser Tageszeitungen von 1,1 auf 2 Millionen Exemplare, jene der Provinz von etwa 300 000 auf etwa 900 000.1 1914 erreicht die Auflage in Paris 5,5 Millionen, 4 Millionen in der Provinz 2. Die "vier Grossen" beanspruchen dabei 75% der Pariser Auflage und 40% jener des ganzen Landes.

Mit Moïse Polydore Millauds Le Petit Journal hält am 1. Februar 1863 die Massenpresse Einzug in Frankreich. Die Zeitung ist aufgrund ihres niedrigen Preises vordergründig die Fortsetzung von Girardins La Presse. Doch während es Girardin ein soziales Anliegen war, eine Vielfalt von Meinungen einer breiten Bevölkerung zugänglich zu machen, ist Le Petit Journal bis zur Abschaffung der "timbre" (der Stempelsteuer für politische Zeitungen) 1870, auch offiziell ein deklariert nicht-politisches Produkt, ein "quotidien non-politique. Millaud ist im Gegensatz zu Girardin ein Geschäftsmann ohne publizistische Ambitionen. Er kann so auch für eine zunehmende Entwicklung der Presse stehen, bei der Zeitungen immer mehr zu finanziellen Unternehmen und nur einer von vielen Investitionsmöglichkeiten werden.

Mit Le Petit Journal entstehen die Begriffe "presse à un sou" und die Unterscheidung in eine "petite" und eine "grande presse". Während die anderen Zeitungen zunächst zwischen 15-20 Centimes, ab den 70-er Jahren zunehmend 10-15 Centimes kosten, verkauft sich Le Petit Journal für 5 Centimes, für einen "sou". Die hauptsächliche Vertriebsart ist nicht mehr das Abonnement, sondern der Einzelverkauf. Der Umfang sowohl der "petite" als auch der "grande presse" beträgt generell vier Seiten, wobei die letzte Seite der Werbung vorbehalten ist. Das Format der "petite" ist jedoch um die Hälfte, von 43 mal 60 cm auf 43 mal 30 cm reduziert. Diese Formatsdifferenzierung schwindet ab ca. 1890, Palmer begründet dies mit der Abschaffung der Papiersteuer 1886 3.

Le Petit Journal findet schnell Nachahmer, keine der anderen Zeitungen "à un sou" kommt jedoch zunächst an ihre Auflagezahlen heran. So beansprucht Le Petit Journal 1880 über ein Viertel, d.h. rund 600 000 der rund 2 Millionen, der Auflage der Pariser Tageszeitungen für sich, 1890 überschreitet sie schliesslich die Millionengrenze. Le Petit Parisien, ihr grösster Konkurrent, beginnt relativ bescheiden, steigert sich jedoch sukzessiv von 40 000 (Juli 1880) auf 1,5 Millionen (1914) Exemplare und ist 1904 die auflagenstärkste Zeitung der ganzen Welt4. Die Auflagezahlen von Le Petit Journal beginnen ab 1898 zu schwinden. Nach Pierre Albert ist dies die Folge der engagierten Stellung gegen Dreyfus, des Chefredakteurs Ernest Judet. 5

Es ist jedoch vor allem der Inhalt, der diese "kleine" von der "grossen" Presse unterscheidet. So gehört Millauds "il faut avoir le courage d'être bête" "den Mut haben, dumm zu sein", zu den meistverbreiteten Zitaten in der französischen Pressegeschichte. 6
Sicher ist, dass er in seinem Vorwort, das die erste Ausgabe von Le Petit Journal einleitet, keinen Hehl aus seinen Ambitionen macht.

"Le Petit Journal ne saura concevoir de hautes prétentions, aussi hâte-t-il d'a-vouer qu'il n'aspire ni à modifier l'ordre social, ni même à donner des leçons au pouvoir (...) son ambition est plus modeste." "Die Le Petit Journal wird keine hohen Ansprüche haben, ausserdem drängt es darauf zu gestehen, dass es nicht begehrt die soziale Ordnung zu verändern, noch nicht einmal der Macht Lektionen zu geben (...) seine Ambition ist bescheidener." 7

Grosse politische Diskussionen und Stellungnahmen interessieren ihn nicht. Er will viel mehr eine publizistische Nische ausfüllen, die von den grossen Zeitungen vernachlässigt wird. Es sind die alltäglichen Ereignisse und das praktische Leben, die die Leser in Wahrheit interessieren und denen die Zeitung ein Forum bieten will. Angesichts der breiten Diskussion um die Qualität der französischen Presse muss diese Idee gut verkauft werden. Le Petit Journal will alles sammeln, "ce qui est de nature à satisfaire la curiosité et à nourrir l'intelligence en dehors de la sphère des discussions économiques..." "was die Natur hat, die Neugier zu befriedigen und die Intelligenz ausserhalb der Sphäre ökonomischer Diskussionen zu nähren" 8. Es ist das Konzept einer kleinen Zeitung für kleine Leute, die in der täglichen Lektüre einer Zeitung in erster Linie Zerstreuung und Unterhaltung suchen. Die Zeitung soll eine Art mittleren Wert an Meinung von "Monsieur Tout-le-Monde", Herrn Jedermann repräsentieren. Die Information ist ein wichtiges Element, doch nur in dem Mass, in dem sie "raisonnablement consommée à la journée" "vernünftig an einem Tag zu konsumieren" 9 sein kann. Die Idee der Information durch Meinungsvielfalt und politische Neutralität wird abgelöst durch politische Abstinenz. Wobei dies nicht mit einer Art "Regenbogenpresse" verwechselt werden darf. Politische Informationen finden natürlich Eingang in die Berichte des Le Petit Journal. Es gehört jedoch zum ideologischen und ökonomischen Prinzip, eine Tageszeitung "non-politique" zu sein. Das heisst in dem Fall, eine klare Distanzierung zum Meinungsjournalismus, eine Reduktion der politischen Berichterstattung auf kurze offizielle Meldungen und die "Ver-fait-diversifizierung" der Politik.
An die anderen Zeitungen richtet sich Millaud anders als an seine Leser, wesentlich aggressiver und ohne soziale Schminke.

"Je vais avoir en main la fin de la grande presse, de la grande aristocratie du journalisme. J'aurai un million de lecteurs où vous en aurez mille, et quelle puissance! Vous ne pouvez pénétrer la foule, je pénétrerai vos classes. Je serai l'unique lecture de la masse." "Ich werde das Ende der grossen Zeitungen in der Hand haben, der grossen Aristokratie des Journalismus. Ich werde eine Million Leser haben wo ihr nur tausend habt; und was für eine Macht! Ihr könnt nicht in die Menge eindringen, ich werde in eure Klassen eindringen. Ich werde die einzige Lektüre der Masse sein." 10

Er will nicht nur sein Produkt verkaufen, sondern auch die Konkurrenz verdrängen. Er will nicht nur mit der Zeitung in die breite Lesermasse eindringen, sondern sie aus ihr heraus entwickeln.

"Pas d'extravagance, (...) pas de tours de force. Ecoutez dans les omnibus, en chemin de fer, dans les théâtres, dans la rue; rendez vous bien compte de l'opinion moyenne. Vous n'avez qu'à la suivre. (...) vulgarisez toutes les choses qui s'enfouissent dans les lourdes revues." "Keine Ausgefallenheiten, (...) keine Kraftakte. Hört in den Bussen, in den Eisenbahnen, in den Theatern, auf der Strasse; werdet euch klar über die Durchschnittsmeinung. Ihr habt nichts anderes zu tun, als ihr zu folgen. (...) vereinfacht alles, das den schweren Zeitschriften entgeht." 11

Die Weichen sind gestellt. Der Erfolg und die Etablierung dessen, was der Boulevardjournalismus wird, kommt nicht so überraschend. Bereits 1860 findet Taxile Delord in einem Artikel, der mit "Le Nouveau Journalisme" betitelt ist,

"Un tel journalisme a toujours existé. Mais il n'était destiné qu'à ce public désoeuvré il n'était pas lu par les honnêtes femmes. L'homme que se respectait un peu, rougissait si par hasard on le surprenait l'une de ces feuilles à la main. Aujourd'hui que changement! Le journal en question a trouvé moyen de faire lire et vendre à des milliers d'exemplaires (...) et plus d'un honnête bourgeois (...) les lit en riant, et se fait une idée de la société d'après un écrivailleur dépravé qui exploit ces turpitudes" "Einen solchen Journalismus gab es immer, doch er war nur für dieses müssigängerische Publikum bestimmt. Der Mann, der sich ein wenig respektierte, errötete, wenn man ihn per Zufall mit einem dieser Blätter in der Hand überraschte. Heute, was für eine Veränderung. Die besagte Zeitung hat ein Mittel gefunden, Millionen Exemplare zu verkaufen, die gelesen werden (...), und mehr als ein aufrichtiger Bürger (...) liest sie lachend und macht sich eine Vorstellung der Gesellschaft nach einem verkommenen Schreiberling, der seine Schandtaten verwertet." 12

Dieser Journalismus ist nicht nur fern des Meinungsjournalismus, sondern auch eines intellektuellen Bildungsjournalismus. In den Kritiken, zu dem von Le Petit Journal betriebenen Journalismus, ist auch ein elitäres Bedauern zu finden. Emile Zola meint rückblickend:

"on flattait le peuple personnifié par les concierges, les ouvriers, les petits gens dont on exaltait les qualités rares." "man schmeichelt dem Volk personifiziert durch die Hausmeister, die Arbeiter, die kleinen Leute deren seltene Qualitäten man in die Höhe hebt."13

Doch eines wird ihm in aktuelleren Arbeiten zu diesem Thema auf jeden Fall zu gute gehalten. Durch die weite Verbreitung des Le Petit Journal und später des Le Petit Parisien in ländlichen Gegenden und dem Arbeitermilieu der Städte, wurde zur Alphabetisierung dieser Leserschicht beigetragen und die Gewohnheit der "Konsumation" einer Tageszeitung vorangetrieben.

Le Petit Journal verfolgt keinen Informationsjournalismus in Sinne von Aktualität. Sie ist im Gegenteil zweitrangig. "Ses articles ne traitent pas des événements du jour, mais l'actualité de toujours." "ihre Artikel behandeln nicht die Tagesereignisse, sondern die Immeraktualität" 14. Inhaltliche Schwerpunkte liegen in den "faits divers" und dem Feuilletonroman. Nicht nur bezüglich der Form der "faits divers" ist schliesslich die "Affäre Troppmann" 1869, bzw. ihre publizistische Ausschlachtung, ein einschneidendes Ereignis. Von Ende September 1869, der Entdeckung des Mordes an einer achtköpfigen Familie, bis Mitte Januar 1870, der Hinrichtung des Mörders Troppmann, berichtet Le Petit Journal, sowie auch andere Tageszeitungen, ausführlich über die polizeilichen Ermittlungen, den Prozess und die Hinrichtung des Schuldigen. Am 23. September, dem Tag des ersten Berichtes, beträgt die Auflagezahl von Le Petit Journal 357 000, drei Tage später 403 950, am Tag der Hinrichtung Troppmanns schliesslich 594 000 Exemplare 15. Die "Affäre Troppmann" wird in der Literatur einhellig als der Aufschwung für die Verbrechensberichterstattung gesehen. Ab nun ist es klar, welche Zugkraft blutige Kriminalfälle haben.

Die "Affäre Troppmann" trägt auch zur Geburt der "kleinen Reportage" bei, zu den Reportern der "faits divers", die auf der Jagd nach blutigen Verbrechen und Sensationen die Verachtung der zeitgenössischen Gegner des Informationsjournalismus auf sich ziehen. Im Larousse des 19. Jahrhunderts ist so unter der Rubrik "Reporter" zu lesen: "Ecrivains subalternes, les reporters (...) courent la ville en quête des accidents, des incidents et des crimes." "Als untergeordnete Autoren rennen die Reporter durch die Stadt auf der Sammlung nach Unfällen, Zwischenfällen und Verbrechen" 16
In der Tat wird mit der Entstehung des Sensationsjournalismus die Rekrutierung exklusiver und sensationeller Informationen zum wichtigen Bestandteil journalistischer Tätigkeit. Die "faits-diversier" holen sich ihre Informationen durch täglich mehrmaliges "Abklappern" der Polizeikommissariate. Für Guy Bechtel beginnt überhaupt jede journalistische Karriere mit dieser Tätigkeit. "Les vrais journalistes ont presque tous commencé à dix-sept ans comme "tourneur de commissariats"." "Die wirklichen Journalisten haben fast alle im Alter von siebzehn Jahren als "Abklapperer" der Kommissariate begonnen " 17.

Und schliesslich ist die "Affäre Troppmann" auch bezüglich der Aspekte Aktualität, Realität und Fiktion interessant.

"Dans l'affaire Troppmann, Le Petit Journal découvre comment rendre intéressant le seul domaine de l'actualité non soumis aux droits de timbre; et cela dans le style feuilletonesque qui donne vie aux êtres et objets fictifs." "In der Affäre Troppmann hat Le Petit Journal herausgefunden, wie man die einzige Domäne der Aktualität, die nicht der Steuer der "timbre" unterworfen ist, interessant machen kann, und dies in einem feuilletonistischen Stil, der den Wesen und den Objekten Leben gibt." 18

Die Berichte der "Affäre Troppmann" liest sich, wie auch die anderen "faits divers", wie eine fiktive Geschichte. Die erfolgreichen Polizeiromane von Ponson du Terrail und seiner Figur Rocambole, könnten umgekehrt auch "wahre" Geschichten im "faits divers" Teil sein. Beide, Fiktion und Realität, bestehen aus den Elementen "Verbrechen", "polizeiliche Untersuchung" und "Lösung des Falles". Die Inhalte und die Sprache, der als Berichterstattung deklarierten Rubriken, unterscheidet sich kaum von jener der Feuilletonromane. Sie sind im selben Stil emotionell und erzeugen Spannung, das Gefühl persönlich betroffen und mitten im Geschehen zu sein. Selbst der Fortsetzungsaspekt ist wie in der "Affäre Troppmann" häufig in den "faits divers" zu finden. Thematisch nehmen die Feuilletonromane häufig direkt aktuelle Themen auf. Die urbane Kriminalität und die unteren sozialen Bevölkerungsschichten werden für beide Genres wichtig. Besonders hervorzuheben sind hier Honoré de Balzac und Eugène Sue mit ihren sozialkritischen Milieuschilderungen.

Als Beispiel der Verbrechensberichterstattung hier eines aus dem Petit Parisien von 1912, in der Reporter bei der Verfolgung und Verhaftung zweier Mörder assistieren:

"Et nous voilà partis (...) Notre auto roule, rapide, à travers le bois de Vincennes, devant nous et derrière nous, d’autres autours qui ronflent et courent. Des gens qui nous voient passer et qui devinent où nous allons nous crient: "On les tient, on les tient!" Ces cris nous poursuivent tout au long de la route. Ils nous accueillent à notre arrivée à Nougent. "Dépêchez-vous, tout sera fini!" Non, tout ne sera pas fini!" quot;Und los gehts (...) Unser Auto fährt schnell, durch den Bois de Vincennes, vor uns und hinter uns andere Autos die dröhnen und hetzen. Leute, die uns vorbeikommen sehen und die erraten wo wir hinwollen, schreien uns zu: "Man hat sie, man hat sie" Diese Schreie begleiten uns auf dem ganzen Weg. Sie empfangen uns bei unserer Ankunft in Nougent. "Beeilt euch, beeilt euch, alles wird zu Ende sein!" Nein, nicht alles wird zu Ende sein!"

Die Reporter haben den Schauplatz erreicht:

"Au détour d’une rue, nous entendons le crépitement de la fusillade. Elle domine le bruit de la rue, le ronflement des autos, les clameurs de la foule." (...) Les tirailleurs se déploient et, à un signal donné, ouvrent le feu. La fusillade crépite (...) Les assassins ripostent (...) Le combat se poursuit sans interruption. Soudain, le brigadier de la Sûreté Fleury tombe. I vient d’être atteint de deux balles, la première dans le bras gauche et la seconde dans l’aine." "In der Kurve einer Strasse hören wir das Rattern der Schiesserei. Sie dominiert den Lärm der Strasse, das Dröhnen der Autos, das Geschrei der Menge." "Die Schützen marschieren auf, und auf ein bestimmtes Signal eröffnen sie das Feuer. Die Schiesserei rattert (...) Die Mörder schiessen zurück (...). Der Kampf geht ohne Unterbruch weiter. Plötzlich fällt der Brigadier der Sicherheitspolizei Fleury. Er wurde von zwei Kugeln getroffen, die erste in den linken Arm und die zweite in die Leiste". 19

Nebst den grossen Platz einnehmenden Feuilletonromanen und den "faits divers", ist Le Petit Journals drittes Mittel die Lesertreue zu sichern, die tägliche Chronik von Léo Lespès, alias Timothée Trimm. Trimm ist sechs Jahre lang das Zugpferd von Le Petit Journal, der Star, der Amüsierer der Nation. Im März 1869 wird er für eine beachtliche Summe von Le Petit Moniteur abgeworben. Doch weder gewinnt dieser dadurch Leser, noch verliert Le Petit Journal welche. Unter der täglichen Chronik, die im selben Stil verfasst ist, steht ab da das Pseudonym "Thomas Grimm", unter dem sich verschiedene Autoren vereinen. Zum Teil soll auch Girardin, der 1877 die Leitung des Petit Journal übernimmt, dafür verantwortlich sein. Nach zeitgenössischen Aussagen sollen die Leser den Wechsel nicht einmal gemerkt, geschweige denn sich daran gestört haben. Nach Bernard Voyenne stirbt Timothée Trimm arm und vergessen nachdem er schlussendlich Werbetexte redigiert hat. 20 Er ist das Beispiel, dass Arthur Meyer dazu aufruft: "Journalistes, mes amis, soyons modestes! Les chroniqueurs sont comme les ténors: on applaudit l’air, on oublie vite la voix." "Journalisten, meine Freunde, seid bescheiden! Die Chronisten sind wie die Tenöre: man applaudiert der Luft, man vergisst schnell die Stimme." 21

Trimms Chroniken passen in höchstem Mass in das Konzept von Le Petit Journal. Die beiden sind nicht voneinander zu trennen, und die Zeitung verdankt einen Teil seines Erfolges wohl ihm. So sagt Emile Zola, ob zynisch oder nicht, über Millaud:

"Ce qui était génial, c'était de rédiger ce journal à un sou de telle sorte que tout le monde, y compris les lecteurs presque illettrés, pussent le lire, le comprendre et l'aimer.(...) Il a eu la chance de tomber sur un journaliste Léo Lespès." "Das was genial war, war diese Zeitung für einen Sou so zu schreibe, dass alle, eingeschlossen die beinahe analphabetischen Leser, sie lesen, verstehen und lieben konnten (...) Er hatte das Glück auf einen Journalisten zu stossen, Léo Lespès." 22

Trimm selbst beschreibt sein Programm mit: "Je raconte l’événement récent, l’actualité encore toute chaude, la dernière anecdote ..." " Ich erzähle das jüngste Ereignis, die noch heisse Aktualität, die letzte Anekdote" 23 Doch wie die Aktualität nicht an erster Stelle des Le Petit Journals steht, so sind auch Trimms Themen vor allem "immer aktuelle". So erzählt er 1865 darüber, dass nicht nur Berühmtheiten, sondern auch jeder Normalbürger den einen oder anderen grossen Moment erlebe. Er zum Beispiel war Millionär für die Zeit, als ihm ein reicher Bankier seine Geldbörse zu halten gab. 24 Am 28. März 1865 berichtet er über die Vor- und Nachteile der Stahlfeder. Doch diese Plaudereien, dieses "Einfach über irgend etwas Reden" kommt dort an, wo es soll, beim Zielpublikum "Monsieur Tout-le-Monde" ohne grosse geistige oder politische Ansprüche. Auch die häufig verwendete erste Person gibt das Gefühl einer Intimität und fördert die Identifikation des Lesers. Einer von ihnen meint:

"On me dit que ce n'est pas un écrivain bien habile que Timothée Trimm, qu'il se trompe quelquefois sur le sens et la place des mots. C'est possible. (...) mais j'affirme que cet homme-là, que Timothée Trimm sait ouvrir l'intelligence du nous autres ouvriers. J'affirme qu'il nous fait entendre les choses dont nous n'avions jamais eu l'idée; (...) ils tendent toujours à faire de nous de bons citoyens, de bons camarades, de bons fils, de bons maris et de bons pères." "Man sagt mir, dass dieser Timothée Trimm kein sehr geschickter Schreiber ist, dass er sich manchmal täuscht über den Sinn und den Platz der Worte. Das ist möglich (...) doch ich behaupte, dass dieser Mann, dass Timothée Trimm es weiss, die Intelligenz von uns anderen Arbeitern zu öffnen. Ich behaupte, dass er uns Sachen zu hören gibt, von denen wir keine Ahnung hatten (...) er versucht immer aus uns gute Bürger, gute Kameraden, gute Söhne, gute Ehemänner und gute Väter zu machen." 25

Literarische Fähigkeiten werden von Trimm nicht verlangt und ihm von anderer Seite auch abgesprochen. Jules Vallès, selbst ein grosser Chronist, findet über ihn:

"Voilà comment, plus ignorant que la plupart, et parce qu'il est ignorant peut-être, il est devenu le chroniqueur aimé, le journaliste indispensable", doch "ce n'est pas à son aurore qu'il faut demander une littérature nouvelle, la mesure et la grâce mais s'il faut rendre justice à l'intelligence du chroniqueur ordinaire de Sa Majesté Tout-le-Monde, il est difficile de ne pas trouver que cette littérature ne suffit pas." "Und so, unwissender als der Grossteil, und vielleicht weil er unwissend ist, ist er der geliebte Chronist geworden, der unersetzbare Journalist. Doch wenn man der Intelligenz des gewöhnlichen Chronisten seiner Majestät Jedermann Gerechtigkeit zukommen lassen will, ist es schwer nicht zu finden, dass diese Art von Literatur nicht genügt": 26

Er gesteht ihm ein gewisses Geschick zu, sogar Intelligenz und ein unersetzlicher Journalist zu sein, doch distanziert seine Tätigkeit von einer literarischen. Um dieses Verhältnis und die Rolle der Chronik soll es im nächsten Kapitel gehen.






FUSSNOTEN


1) Bellanger, Claude et. al.: Histoire générale de la presse française,., PUF, Band 3, 1972, Se. 174 zurück

2) Albert, Pierre: Histoire de la presse, PUF, Paris 19968, Se. 65 zurück

3) Palmer, Michael B.: Des petits journaux aux grands agences, Aubier, Paris 1983, Se. 18 zurück
4) Ibid., Se. 261 zurück

5) Albert, Pierre: Histoire de la presse, op. cit., Se. 69; [Anm: Es kann sich jedoch nur um eine vorübergehende Erscheinung gehandelt haben, da wie die Auflagezahlen im Anhang zeigen, die Auflagezahl von 1903, jene von 1880 übersteigt.] zurück

6) Zitiert nach: Cazenave/Ullmann-Mauriat: Presse, radio et télévision en France, de 1631 à nos jours, Hachette livre, Paris 1994, Se. 38 zurück

7) Le Petit Journal, 1. Februar 1863 zurück

8) Ibid. zurück

9) Ibid. zurück

10) Zitiert nach: J. Lambert: Mes Premières Armes littéraires et politiques, Lemerre, Paris 1904, zitiert nach: Palmer, Michael: Des petits journaux aux grands agences, op. cit., Se 172 zurück

11) J. Albiot: Dans quelles conditions de temps, de format et de prix devrait se publier en 1895 un journal parisien, Se. 172f, zitiert nach: ibid. (Palmer), Se. 29 zurück

12) Delord, Taxile: Le Nouveau Journalisme, La revue nationale et etrangère 1860 zurück

13) Zola, Emile: La Presse Parisienne, Etudes de presse 15-16, 1956, Se. 276 zurück

14) Palmer, Michael: Des petits journaux aux grands agences, op. cit., Se. 24 zurück

15) Ibid., Se. 30 zurück

16) Larousse, Grand dictionnaire du XIXe siècle, Nachdruck von 1866-1879, Slatkine, Genève-Paris 1982, Bd 13, Se. 993 zurück

17) Bechtel, Guy: En sortir ou pas, les conseils d'un jeune journaliste, Robert Laffont, Paris 1960, Se. 36 zurück

18) Palmer, Michael: Des petits journaux aux grands agences, op. cit., Se. 30 zurück

19) Le Petit Parisien 15. Mai 1912, zitiert nach: Kalifa, Dominique: L’encre et le sang, Récits de crimes et société à la Belle Epoque, Fayard, 1995, Se. 75 zurück

20) Voyenne, Bernard: Les journalistes français, édition CPJF, Retz, Paris 1985, Se. 121 zurück

21) Meyer, Arthur: Ce que mes youx ont vu, Librairie Plon, Paris 1912, Se. 197 zurück

22) Zola, Emile: La Presse Parisienne, Etudes de presse 15-16, 1956, Se. 276 zurück

23) Le Petit Journal 8. Juni 1866, zitiert nach: Ferenczi, Thomas: L’invention du journalisme en France, Petite Bibliothèque Payot/279, Paris 1880, Se. 86 zurück

24) Timm, Timothée: Les grandeurs d'une minute, Le petit Journal 1885 zurück

25) U. Desvaux: Les lecteurs du journal à un sou, Se. 20, zitiert nach: Palmer, Michael: Des petits journaux aux grands agences, op. cit., Se. 34 zurück

26) Vallès, Jules: Timothée Trimm et Theresa, Le Figaro 21. Januar 1866 zurück