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Die Hoffnung stirbt am letzten Tag

Diagnose Hirntumor

Kapitel 22: Forum
Mitte Juni

Wieder schrieb ich im Forum:

'Leider ist der Tumor gewachsen. Die Bestrahlung beginnt in einer Woche. Schlimm ist, dass mein Mann das Ergebnis nicht akzeptiert, d.h. seine Wahrnehmung ist anders. Er sagt, der Arzt komme nicht draus. Er ist immer mehr verwirrt, sein Denken ist völlig unreal. Ich kann nicht mehr mit ihm reden, weil es alles nur noch schlimmer macht. Ihn zu überzeugen, habe ich schon lange aufgegeben, er kann es nicht mehr verstehen. Ich kann nur noch zuhören und schlucken, wenn er so Unrealistisches erzählt. Z.B. muss er nun die Ohren spülen beim Hausarzt, weil sie vom Ohrenschmalz zu sind und die Gefahr besteht, dass er bei den Bestrahlungen einen Tinnitus kriegt. Für ihn ist es nun klar, dass er wegen den verstopften Ohren dieses Durcheinander im Kopf hat.'

Jemand, der selbst betroffen war, dem es momentan aber wieder besser ging, schrieb folgende beeindruckende Zeilen:

'Ein Versuch von mir, etwas in Worte zu fassen, was kaum in Wort zu fassen ist:

Ich erinnere mich an ein Gefühl in meinem Kopf eingesperrt zu sein. Getrennt von meiner Umgebung durch eine Schicht aus wattigem Nichts.

Ich sitze dort zwischen Nichtverstehen und einem Begreifen, dass ich es nicht verstehe. Aber die Trennung bleibt. Und das Nichtverstehen bleibt.

Ich greife nach "Logik" nach "Ordnung". Versuche eine Sicherheit zu finden, einen stabilen Boden während alles wankt, was ich mal verstanden zu haben mich erinnere. Ich kann es nur nicht ...

Bei mir ist das wieder weggegangen, deshalb kann ich einen Teil wenigstens versuchen mal in Worte zu fassen. Wenn ich Deine Worte lese, dann denke ich: egal, wenn er meint es ist das Ohrenschmalz, dann hilft es ihm, jetzt gerade. Nimm es ihm nicht weg...Er ist woanders als Du und Du kannst ihm Verbindung sein in diese Welt. Dazu musst Du ihm dorthin nicht folgen. Er sucht nach Trittsicherheit in seiner Welt, nicht in Deiner.

Hoffentlich trete ich hiermit niemandem zu nahe, wie gesagt: dafür gibt es irgendwie keine Worte Und in der leisen Hoffnung, dass Dir das Schlucken vielleicht ein wenig leichter fällt. '

Den Anfang hatte ich gewagt, Werner vorzulesen. Und erstaunlicherweise bestätigte er diese Beschreibung.

Jemand anders hatte auch geantwortet und damit mir geholfen, indem ich danach besser wusste, wie mit Werner umzugehen.

‚Eine ähnliche Situation hatten wir zu Beginn der Krankheit/Behandlung auch. Es ist und war für uns beide nicht leicht, die Krankheit und die Prognose zu akzeptieren. Wir hoffen trotz allem immer noch auf eine Besserung, ein Langzeitüberleben.

Bleib stark und geduldig und versuche deinen Mann zu verstehen, auch wenn es nicht immer leicht fällt. Ich kenne das. Ich habe meinem Mann in seiner Wahrnehmung bestätigt, aber ihn zur Sicherheit doch zu den Bestrahlungen geraten, er hat das schließlich akzeptiert. Auf die Aggressionen und die veränderte Wahrnehmung bin ich nicht eingegangen. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen und abzulenken, ihm das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben. Ich habe ihm erklärt, dass wir das gemeinsam durchstehen werden, dass ich auf ihn aufpassen, ihn versorgen und für eine gute Behandlung sorgen werde. Zu den Behandlungen habe und werde ich ihn weiterhin begleiten, denn manches versteht er nicht so gut und das Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht richtig.

Das Problem mit den Ohren hatten wir auch, ich hab ihn in dem Glauben gelassen, dass durch die Reinigung eine Besserung eintreten würde.

Bisher sind wir gut damit gefahren. Hoffentlich schaffst du es, dass dein Mann die Bestrahlungen über sich ergehen läßt. Ich wünsche euch alles erdenklich Gute.'

Gleich am Abend versuchte ich, Werner das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu übermitteln. Er hatte es sehr gut aufgenommen und sich sofort beruhigt.