//

Die Hoffnung stirbt am letzten Tag

Diagnose Hirntumor

Kapitel 53: Letzter Morgen
4. August

Um Mitternacht ging ich wiederholt zu ihm und er sagte immer wieder:

„Danke, danke, danke.“

Ich fragte ihn, ob er nochmals Morphin möchte und er bejahte.

Erst gegen vier Uhr hört der Schluckauf auf.

„Ist das jetzt mühsam!“, meinte Werner.

„Ja.“, wenigstens ist der Schluckauf nun weg.“, antwortete ich.

Als ich Werner etwas später fragte, ob er was möchte, sagte er leise: „sterben“.

Ich entgegnete: „Willst du nun wirklich sterben?“

Zuvor wollte er ja nicht darüber sprechen.

Mit viel Mühe brachte er noch den Satz heraus: „Ich weiss nur nicht, wie.“

Ich sagte zu ihm: „Lass einfach los!“

Nun begannen die Atemgeräusche. Er stöhnte laut und war sehr unruhig.

„Bist du da?“ fragte er mich.

„Ich bin immer da.“, entgegnete ich. Um sechs Uhr rief ich wieder das Palliative Care an. Ich durfte ihm nochmals Tropfen geben. Als Frau Suter um sieben Uhr kam, war Werner etwas ruhiger. Sie meinte, ich solle ihm die Medikamente erst später geben. Wenn er wieder unruhiger würde, könnte ich ihm auch vom Spray etwas in die Nase sprayen.

Nachdem sie gegangen war, musste Werner erbrechen. Später erfuhr ich, dass die Ursache das viele Morphin gewesen sein könnte.

Die Spitex kam um neun Uhr. Werner war wieder unruhiger.  Sie machte nur das Allernötigste und meinte, ich solle keine Medikamente mehr geben. Auch das Gebiss setzten wir nicht mehr ein.

Ich fragte sie, was sie meine, wie lange es noch dauern würde. Sie sagte: „Manche ziehen es noch in die Länge, bei andern geht es sehr schnell.“

Werner wurde immer unruhiger, hatte innere Hitze. Er verwarf die Arme, wie damals auch meine Mutter kurz bevor sie starb. Ich benutzte den Nasenspray.

Obwohl ich ihn eigentlich nicht mehr verlassen wollte, musste ich trotzdem noch kurz in der Küche was helfen.

In dieser Zeit blieb Tanja bei Werner. Meistens hatte Werner die Augen geschlossen. Doch einmal schaute er sie an. Sie sagte zu ihm: „Du musst keine Angst haben, es ist jetzt immer jemand bei dir.“

Er antwortete: „Ich habe keine Angst.“

Sie erzählte mir später, dass er wahrscheinlich geschaut hatte, ob ich bei ihm sei. Er hätte auf mich gewartet.

Werner wälzte sich nun ziemlich im Bett herum. Als er gegen die Wand gedreht lag, ging ich zu jener Seite und rief seinen Namen.

Da drehte er sich wie von der Tarantel gestochen zu mir herum und schaute mich mit aufgerissenen Augen an.

Ich war etwas irritiert, wollte ihm von einem Traum erzählen, den ein Bekannter von ihm gehabt hatte. Stockend berichtete ich ihm, dass er ihm Traum die Treppe hochgegangen wäre.

Ich änderte meine Worte, weil ich merkte, dass nun der Zeitpunkt gekommen war.

„Du kannst jetzt die Treppe hochgehen, da oben warten alle auf dich!“, sagte ich ihm.

Nun war plötzlich ganz ruhig. Er schaute mich immer noch an, doch seine Augen fielen langsam zu.

„Du brauchst keine Angst zu haben, alles wird gut.“

Mir fielen die schwarzen Flecken auf seinen Händen auf. Seine Augen gingen immer mehr zu.

Irgendwann schluckte er noch einmal und dann hörte er auf zu atmen.

Er hatte es geschafft.