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«Stillstand» und
«Aufbruch»
– ein spontanes Gespräch über zwei Bilder von Otto Spalinger
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Der Betrachter fragt
den Künstler
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Was regte Dich an, diese beiden Bilder zu malen?
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«Stillstand» entstand als mehr oder weniger zufällige
Gelegenheitsarbeit während eines Aufenthaltes in
Italien, angeregt durch Kunden, mit denen ich gerade
zu tun hatte. Ich befand mich damals in einer inneren
und äusseren Umbruchsituation, die sich auch in
der Leere der Augen und den dunklen Farben widerspiegelt.
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Nachdem ich dieses Bild fertiggestellt hatte, spürte ich,
dass ich mit meiner Arbeit noch einmal neu beginnen kann. Das war im Frühjahr 1994. Der Auftrieb, den mir
das gelungene Bild gab, liess mich im Herbst desselben Jahres «Aufbruch» schaffen. «Die Sonne scheint noch»
— diesen Gedanken verband ich mit diesem Bild, das das leere Gesicht von «Stillstand» in ein neues, helles
Licht stellte, und ich spürte neue Antriebskräfte in mir.
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Aus dem Zufallsbild «Stillstand» entstand im buchstäblichen
Sinn ein «Aufbruch».
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Was willst Du mit diesen beiden Bildern sagen?
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In «Stillstand» wollte ich die Verlogenheit der Welt zum
Ausdruck bringen. Menschen verstecken sich hinter
Masken, deren Augen leer und hohl sind. Sie verbergen
ihre Gedanken, Wünsche und Absichten und spielen
mit anderen ein Spiel. Fasnacht wird zum Alltag, und
die Welt verkommt zur Fratze. Scheinheilig wird ein
Gesicht gezeigt, das gar keines ist. So ist «Stillstand»
nicht zuletzt auch ein Ausdruck für Gesellschaftskritik.
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In «Aufbruch» wird es hoffnungsvoller. Da kommt
ein Mensch ins Spiel. Eine aufrechte Gestalt steht vor der hell strahlenden Sonne und steht im Blickkontakt
mit zwei Augen. Die Maske aus «Stillstand» ist zu einem Menschen geworden, der sich in die Augen
blicken lässt. Und vor ihm steht einer mit aufrechtem Gang, weil er sich nicht mehr vor einer seelenlosen
Maske ängstigen muss. Die Sonne, kreisrundes Sinnbild der Ganzheit, in hell leuchtendem Gelb, das durch
nichts überstrahlt werden kann, ist die Quelle, aus der alles Leben kommt. Ohne eine solche Quelle kann der
Mensch nicht leben. Und erst eine solche Quelle verwandelt Masken in Gesichter. Die Augen der zum
Gesicht gewordenen Maske — noch sind sie fragend, suchend. Doch gerade darin liegt für mich die Botschaft
von «Aufbruch»: im Licht der Sonne nach dem suchen, was im Leben zählt.
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Der Künstler
fragt den Betrachter
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Was sagen Dir diese beiden Bilder?
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In «Stillstand» sehe auch ich eine Maske. Auf den
ersten Blick empfinde ich das Rot und Blau als beruhigend
und wohltuend. Das nach hinten auslaufende
Rot der Maske sagt mir, dass dahinter noch etwas sein muss. Aber so tief ich ihr auch in die Augen blicke, ich
sehe nichts. Und dann scheint mir die Maske nochmals
verstellt durch den blauen Vorhang. Dadurch löst das
Bild in mir fragende, angstmachende Gefühle aus. Als
Kind fürchtete ich mich vor Clowns, weil ich nicht
wusste, wer und was dahinter war. Das Bild als ganzes
sagt mir darum: «Versuche, tiefer zu blicken, dahinter
zu schauen, hinter die Fassaden von Äusserlichkeiten
und hinter die Masken von Menschen. Dann, vielleicht,
hoffentlich, kann Verborgenes seine angstmachende
Wirkung verlieren. Und womöglich verbirgt sich dahinter
nur Hoffnungsvolles, Freundliches, Einladendes.»
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Bei «Aufbruch» fühle ich mich von Anfang an wohl. Es
fasziniert mich zu sehen, wie ein Mensch trotz hellster,
heissester Sonne nicht verglüht. Es muss ein aufrichtendes,
kein zerstörerisches heiss leuchtendes Gelb
sein. Ich sehe darin Liebe, die wärmt, ohne zu verbrennen,
die den Weg weist, ohne durch Vorschriften einzuengen.
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Im Angesicht einer solchen Liebe kann ein
Mensch aufrecht gehen, seinen eigenen Weg. Die
Maske aus «Stillstand» ist vielleicht darum so beängstigend,
weil hinter ihr kein Gesicht der Liebe steckt. In
«Aufbruch» aber ist es da, und darum hat es Augen.
Ich stelle mir vor, dass die Augen der Liebe die aufrecht
gehende Gestalt ihren Weg mutig und zuversichtlich
gehen lässt. Das ist es denn auch, was mir «Aufbruch»
sagt: Liebe, echte Liebe, die das geliebte Gegenüber
nicht verbrennt, sondern sich entfalten lässt, solche
Liebe gibt mir Kraft zum Leben.
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Wozu regen Dich diese beiden Bilder an?
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Das, was mir diese beiden Bilder sagen, regt mich dazu
an, dies in einer Phantasiereise noch weiterzuführen.
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«Stillstand» regt mich zu einer Phantasiereise hinter die
Fassaden und Masken anderer Menschen und von mir
selbst an: Könnte es nicht sein, dass sich hinter den Worten,
Gedanken und Gesten anderer und meiner selbst
nicht ganz anderes verbirgt? Könnte es nicht sein, dass
sich Menschen aus Angst voreinander verstecken? Aus
Angst, den Kürzeren zu ziehen? Aus Angst, nicht geliebt
zu werden, wenn sie nicht bestimmte äussere Erwartungen
erfüllen? Könnte es nicht sein, dass hinter
harten Masken, Worten und Gesten ein zutiefst sanfter
Mensch steckt, der darauf wartet, entdeckt zu werden?
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«Stillstand» regt mich dazu an, jedem Menschen mit
einem bejahenden Vertrauen zu begegnen. Dann brauche
ich mich auch vor Clowns nicht mehr zu fürchten.
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«Aufbruch» regt mich zu einer Phantasiereise dorthin
an, woher wir kommen und wohin wir gehen.
Ursprung und Ziel des Lebens stelle ich mir mit «Aufbruch
» als hellen, warmen, aber nicht verzehrenden
Ort vor. Und mehr muss ich gar nicht wissen. Doch
wenn es mehr bejahendes Vertrauen zwischen
Ursprung und Ziel gäbe, dann wohl könnte es auch da
heller sein. Und so führt mich meine Phantasiereise
wieder mitten ins Leben zurück.
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Otto, ich danke Dir für die beiden Bilder und das
Gespräch mit Dir, wodurch meiner Sicht vom Leben
wieder eine neue Einsicht, Aussicht und Zuversicht
zugetragen wurde.
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Otto Spalinger im Gespräch mit Andreas Heieck (aufgezeichnet von Andreas Heieck im Juni 2002)
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