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Er war ungewöhnlich, der Graphiker, mit dem ich in den
70er Jahren zusammenarbeitete. Wenn auf einem Dokument
etwas nicht stimmte, erklärte er mir weshalb.
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«Der Buchstabe S soll nicht auf der Linie stehen, sondern
etwas tiefer, sonst hat man den Eindruck, er hänge
in der Luft.» — «Die Illustration ist nicht zentriert,
wenn der Massstab rechts und links gleichviele Millimeter
misst, sondern, wenn unser Auge das Ganze
im Gleichgewicht sieht.»
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Dies und vieles mehr habe ich von Otto Spalinger gelernt,
sozusagen das Alphabet der
graphischen Darstellung.
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Dabei war ich nicht Schüler, sondern Kunde
bei
ihm. Wie konnte er nur so grosszügig sein?
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Die Episode erinnert mich an die Geschichte von Louis
Armstrong und der Schallplatte.
Bekannte Jazzmusiker der
20er Jahre waren vorerst überhaupt nicht für Tonaufnahmen
zu haben. Sie befürchteten, die neue Erfindung
mache es jedem Feld-, Wald- und Wiesenmusiker leicht,
ihre Noten nachzuspielen, und die Leute
würden dann nicht mehr in die Clubs kommen, um
sie, die Originale, zu hören. Der junge Louis hatte diese
Bedenken nicht und trug mit seinen frühen Aufnahmen
massgeblich zum gesellschaftlichen Durchbruch der
Schallplatte bei. Seine Tonspuren zählen noch heute
zu den grossen Leckerbissen fürs Ohr.
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Doch ersetzt haben sie Louis natürlich nie.
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Was ich von Otto gelernt habe, hilft mir immer wieder,
im Berufsleben das Bessere vom
weniger Guten zu unterscheiden.
Doch ersetzt hat es Otto natürlich nie.
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Ich habe mich
seither nicht graphisch, sondern geographisch ein
bisschen von ihm distanziert, und wie oft hätte
ich ihn schon gerne in der Nähe gehabt!
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Denn zum rein Handwerklichen gehört eben auch das
Kreative.
Dieses im vollen Ausmass zu erkennen, war bedeutend
schwieriger. Der fast krankhaft bescheidene Otto
hat es allzu lange vor unseren Augen versteckt! Seine
Drucke nannte er schlicht «Neujohrs-Chärtli».
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Und was er vorher so alles geschaffen hatte, durfte ich
erst Jahre später sehen . . .
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Dabei kam wieder zum Vorschein, was ich schon von seiner
graphischen Arbeit her kannte — eine ruhige Ausgeglichenheit
in jeder seiner Darstellungen, auch wenn
sich da und dort ein überraschender Augenzwinker ins
Bild schleicht oder ein unbändiger Teil aus dem
Bild herausragt. Am meisten aber faszinieren mich immer wieder Ottos
Farbkombinationen.
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In völliger Harmonie vereint er oft Farben, die ich nicht
mal in meinem verrücktesten Traum
beieinander sehen würde.
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Nun freuen wir uns, Otto, dass wir einige Beispiele
zusammengefasst
sehen können. Hab herzlichen Dank für die
schöne Spur, die Du in unser Leben zeichnest!
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Stefan Bodmer Im Juni 2002
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