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Mächtige Kuben aus Sandstein
Ein Blick in die Welt des stupor mundi -
Friedrich II. in Apulien
Eigentlich kam Professore Tranchese
wirklich zu Hilfe. Nicht, daß es ungenügend Informationen über
das Leben der Staufer in Apulien gäbe, aber die geschichtliche Nähe, die
gerade in dem kleinen Ort Melfi heute noch zu spüren ist, in dem
Friedrich II. seine "Konstitutionen'' schrieb, überrascht. Jedes
Schulkind ist hier mit dem Leben des 'Frederico il Svevo" vertraut
und dem in der Gegenwart noch manchmal lebendigen Widerspruch der
Kaisertreuen, den Ghibelinen, gegenüber den Guelfen, den Papsttreuen.
Auch gibt es zahlreiche Geschichten, die die Vergangenheit zurückrufen,
als Melfi Hauptstadt Apuliens war und die Stadt bereits annährend seine
heutige Größe besaß. Sich den Zentren pulischer Geschichte zu nähern,
bedeutet heute auch, fruchtbare Küstenebenen, die weite Terra di Bari,
unendlich große Olivenanbaugebiete und fast verlassene Bergregionen
zu durchqueren. Oder die herbe Macchia im Parco Nazionale des
Gargano - der die größte gefiederte Artenvielfalt des Landes aufweist -
mit ihren intensiven Düften zu entdecken.
Auch das Spiel belebt die Vergangenheit. So auf dem Rasen der Villa
comunale unterhalb der alten Stadtmauer von Melfi. Eine lebhafte Gruppe
von Kindern verteidigt ein Dreieck zwischen Platanen im Osten gegen sieben
angreifende Kids, die den Brunnen in der Mitte des Parks
verteidigen. Ganz real und ohne Cyber. Wie eben damals in Lucera. Hier
hatte Friederich II. mit seiner Leibgarde auf der Burg mehrmals Quartier
bezogen, bevor er hier eine sarazenische Kolonie, einen beinah
orientalischen Ort mit bunten runden Kuppeln, Minaretten und großzügigen
Moscheen ins Leben rief. Nicht weniger als sechzehntausend Seelen zählten
die größtenteils aus Sizilien vertriebenen, die hier lebten. Einschließ1ich
jener Leibgarde aus abenteuerlichen und kräftigen Gestalten, die den
”Sultan von Lucera” ständig begleiteten, wie der Papst spöttisch
seinen immer mächtiger werdenen Opponenten bezeichnete. Wegen
seiner suspekten Lebensführung und ”übertriebener" Reinlichkeit,
gesucht in den großzügigen Badesalons. Und natürlich wegen eines
Harems, beschützt von kräftigen blonden Reitern.
Vielleicht, so der Professore – während sein Blick sich auf einen
Himmel Pirouetten ziehender Schwalben über dem Park richtet – ist der
Staufer als ein universeller Forscher zu betrachten. Als kritischer
Astrologe, neugieriger Biologe und eifriger Anthropologe, der viel mehr
wissen wo11te, als es in den Augen der Kirche förderlich schien. Der
leidenschaftlich mit islamischen Gelehrten am Hof diskutierte, mit den Gästen
aus dem Osten auf die Jagd ging und viel meditierte. Der mathematische
Gesetzesmäßigkeiten untersuchte. Den Übergang vom Quadrat, dem
Geschaffenen, zum Kreis, dem Kosmischen – sozusagen als Vision
verfolgte. Wie es die großen arabischen Gelehrten bereits getan hatten.
Oder wie es in der alten persischen Dichtung, den Hascht Bihischt, den
acht Paradiesen, beschrieben ist. Und, der Professore hält inne - seinen
treuen Collie rufend - durch das immense Wissen, das Friedrich II. durch
seine Studien seit seiner Ausbildung durch einen muslimischen Kadi ständig
erweiterte. Bereits im Babylonischen, so fährt er fort, war die Acht ein
Svmbol für die Gottheit, das häufig architektonisch ausgedrückt wurde.
Weltlicher und zugleich gottähnlicher Herrscher wollte Friedrich
II. sein. Genau diesen klar gedachten Anspruch löst er schließlich am
Zenit seiner Macht - in der einfachen und zugleich ausgefeilten Proportion
des Oktagons, als gestaltgewordener Kosmos, ein. Dieser kühne Bauentwurf
hoch über der Kornkammer Italiens, den Tavoliere, thronend, wird schließlich
zu Stein und damit zu einem an die Machtsphäre der katholischen Kirche
gerichteter zahlenmystischer Verweis.
Castel del Monte entstand 1240, zehn Jahre vor dem Tod des stupor mundi,
jenes Kaisers, dem das Staunen der mittelalterlichen geistigen Welt galt.
Eigenhändig gekrönter König von Jerusalem, der die Stadt, die ihm 1229
kampflos nach langen Verhandlungen mit dem ägyptischen Sultan al-Kamil
zugesprochen wird, für zehn Jahre regieren soll. Und deshalb von Papst
Gregor mit Bann und mit Krieg heimgesucht wird. Das päpstliche Heer
vertreibt und acht Jahre später den Fahnenwagen der Papsttreuen Lombarden
erbeutet, ihn vor einen Elefanten spannen läßt und pomphaft mit dem
Dogensohn und Heerführer der Lombarden, Pietro Tiepolo, nach Cremona
einzieht. Und dafür schließlich mit einem Propagandafeldzug der ihn zum
Tier der Apokalyse und Antichrist stempelt, belegt wird. Und sich eine
Auseinandersetzung anbahnt, die einen erstmaligen europäischen
Einheitsgedanken mit hegemonialem Machtwillen bekämpft, wie nur in der
Gegenwart, von einer ganz anderen Seite praktiziert, überboten wird.
Indem Friedrich II. mit dem Grundriß Castel del Montes von der
strategischen Form des viereckigen castrum romanum zu einer
metaphorisch bedeutsameren Form gelangt, bezieht er sich nicht nur auf den
Oktagon der Grabeskirche in Ravenna und die Pfalzkapelle Karls des Großen.
Mit dieser Form - die auch an überdimensionalen Taufbecken erinnert
– spricht sich Friederich II. selbst christliche Gnade eines ewigen
Lebens zu. Dabei ist es ein Symbol, das bedeutend älter ist. Dass immer
wieder adoptiert wird. Bereits im Islam und anderen früheren Hochkulturen
taucht es als Verwalter vollkommenen Wissens auf. So bei den oktagonal
angeordneten Trigrammen des I-Ging aus dem alten China. Diese Architektur
nimmt symbolisch fast vorweg, was 1240 tatsächlich geschieht: Friedrich
II. dringt in den Kirchenstaat ein und ist nicht unbeteiligt an einem
zwanzig Monate dauernden Machtvakuum in Rom, dem Gregor IX. folgen soll.
Die zentralen Ecknunkte staufischer Macht bilden Foggia, Manfredonia,
Melfi und Trani. Von Melfi sind diese Orte "einen Tagesritt"
entfernt. Für Friedrich II. waren die hier gebauten - heute hervorragend
restaurierten Kastelle "multifunktional". Neben der
strategischen Bedeutung waren sie auch Orte der Begegnung. Das Kastell von
Foggia galt bis zu seiner Zerstörung durch ein Erdbeben 1733 als eine der
prächtigsten Anlagen Europas, an dem das "maledetto griffo”, der
geflügelte Löwe, so nannte Dante das vom Kirchenstaat gefürchtete
Siegel der Staufer, prangerte. Über einige Raffinessen verfügt auch
Lagopesole. Hier verbrachte er häufig die Sommermonate und verfasste
sein Traktat über die Falkenjagd. Die als Jagdschloss genutzte
Anlage mit sieben Meter hohen Sälen und Gemächern - zu jener Zeit
umgeben von üppigen Wäldern, in denen Friedrich II. mit Hoffalkner und
Gefolge auf die Jagd ging - verbirgt eine eine orientalische Kuriosität:
ein Schloss im Schloss. Hier hatten nur Frauen Zutritt.
An den Charakter postmoderner Monumentalarchitektur erinnert hingegen das
Kastell von Trani, eine hervorragend erhaltene Festung zum Meer hin. Mächtige
Kuben aus hellem Sandstein lassen erkennen, daß Architekten heute sich
gern der Geschichte bedienen.
Info: Azienda di
Promozione Turistica, Piazza Moro 33a , Bari
www.pugliaturismo.com/tedesco
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