Quasi lifting (An essay on tourist's psychology)

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Quasi Lifting
Nährt Hautpflege die Seele?
Unter dem Blätterdach des Waldes sitzt ein Busch und singt. Bei den Tanala gibt es Extrakte aus Pflanzen mit denen die Haut geschmückt wird und Öle, die der Hautpflege dienen. Andere Öle kommen bei der Vorbereitung des Essens mit der Haut in Berührung. Essenzen zu beschaffen und herzustellen ist Tageswerk in der üppigen Region im Hochland von Madagaskar; die Vorbereitung ist Kommunikation mit wohlwollenden Gottheiten, durch die das Stumme spricht. Das Kreatürliche will wahrgenommen werden und das sanfte Rauschen der Blätter im Wind ist mehr als das Reiben der pflanzlichen Oberflächen. In weiten Teilen Madagaskars werden tonfarbende Hautcremes aus mineralischer Erde zum Sonnenschutz hergestellt, der erzielte Teint unterscheidet sich aber nach den regional verfügbaren Erden. Eine Mimikry ist ungewollt — das Leben spricht aus dem Verfügbaren, ist ein Spiegel des Mikrokosmos. Die Haut ist Welt.
Wir bemalen und schmücken unseren Körper mit Lippenstift und Rouge, Make-up, Tattoos und Body Paints oder Piercing. Über die Haut verändert der Mensch seine Persönlichkeit. Es gibt Masken des täglichen Lebens, der Repräsentation und des Theaters.
Es verwundert daher nicht, dass sowohl Masken im eigentlichen Sinne als auch die aufgeführten Arten des Körperschmucks wahrscheinlich so alt wie die Menschheit sind. So trägt auch der vom Eis der Ötztaler Alpen freigegebene Steinzeitmensch "Ötzi" zahlreiche Tatoos. Für viele Völker Polynesiens, Afrikas und die Inuit Grönlands haben in die Haut eingebrachte "Schmuckstücke", ähnlich dem Piercing, bis heute eine rituelle Bedeutung. Sie stehen für besondere Anlässe wie u. a. das Erwachsen werden, eine Hochzeit, Trauer und Krieg. Oder: Für die Begegnung mit anderen, nicht gelebten Teilen der Person. Das Wort "Tätowieren" aus dem polynesischen Sprachraum "Tatatau", unterteilt sich in Ta - "schlagen" und tatau - "Zeichen". Diese "Übersetzung" vermittelt einen Eindruck von der ursprünglichen Technik des Tätowierens. Die Haut wird zum Bildschirm, der Signale weitergibt.
Was nach aussen hin befremdet oder Abscheu erregt, findet im Kleinen Anerkennung.
‚Kunstvolle Skarifizierungen’ (oft auch Narben-Tatuierung genannt) wurden seit dem Paläolithikum in vielen Teilen Afrikas als schmuckvoller Eingriff praktiziert — ist jedoch nicht nur ästhetische Spielerei. Sie dienen magischen Absichten, der Abgrenzung, der Heraushebung, oder auch dem Prestigebedürfnis.
Sind Körpererfahrung und Emotion eins?
Hautbemalung mit farbiger Erde, Pflanzenextrakten und zahlreichen anderen Farbstoffen sind bei vielen Völkern aber auch Ausdruck von individuellen Gemütsbewegungen. Immer ist der Ausdruck des Körpers ein Spiegelbild der gesuchten Emotionen.
Ein Vergleich tribaler Aufmerksamkeit und der Werbeetats der Kosmetikindustrie in den Industrienationen für unser wichtigstes Kontaktorgan mit der Umwelt veranschaulicht, dass dieses Interesse sich quer durch alle Kulturen bemessen lässt. Körperbemalung, Tatoos und Markierungen werden langsam in unseren Kulturkreis assimiliert. Ganz individuell wird da Wohlbefinden und Schönheit, Glück, Erhabenheit, Schmerz, Stolz, Dramaturgie, Schutz und Isolation ausgelebt. Der Bildschirm Haut steht auch hier für Erfahrung und Mitteilung. Doch vor allem wird die Haut eine Projektionsfläche für Suggestionen, Emotionen, Reize und sinnliche Erfahrungen. Eine wichtige Zeit zur Mitteilung und Regeneration dieses Organs ist die freie Zeit. In unserer Kultur: die Ferienzeit. Neben der Körpererfahrung erfährt nun die seelische Befindlichkeit eine besondere Aufmerksamkeit. Beide Momente treten in eine besondere Dialektik. Über die Haut wird Emotion erfahren, oder ein seelischer Moment wird zum Auslöser für ein Wohlbefinden ‚in der Haut’.
Die Haut zu spüren, Luft, Wärme und Kälte (Wasser) zu erfahren, bedeutet über dieses Organ seelische Situationen zu entladen oder zu reizen. Gesuchtes, Ersehntes und Erwartetes soll ‚unter die Haut gehen’, in der Tiefe berühren und kompensieren, was zu anderer Zeit nicht möglich ist. Die Seele möchte tanzen, Gleichgewicht und Regeneration erleben. Und: sich mit dem Körper und seinen Bedürfnissen versöhnen, Emotionen entladen. Die zweite Haut, die Kleidung, die der zivilisatorischen Verschanzung dient, wird abgelegt. Befreit, findet nun ein sprichwörtlich grossflächiger Austausch mit den Elementen statt. Eine Erfahrung, die bereits in früher Kindheit intensive Erfahrungen hervorruft.
Wie sehr die Haut zum Zentrum von Affirmationen und Glaubenssätzen geworden ist, belegt ein kurzer Blick in die Werbung der Kosmetikindustrie. Weil seelische Dispositionen auf die Haut projiziert werden, ist die Versuchung gross, dem Versprechen zu folgen, über die Haut Emotionen — antizipativ oder kompensatorisch — zu erleben. Dies betrifft natürlich beide Geschlechter, wie die inzwischen nachziehende Werbung für Männerkosmetik zeigt. Um nur einige ‚Versprechen’ zu nennen: Ultra Correction (Chanel), Face Sculptur (Rubinstein), Lifting Express (Korff), futurist (lauder), ideal balance (l’oreal), no-age (dior) oder sensations (jil sander).
Ein Blick auf das anthropologisch bemerkenswerte Modell der psychosomatischen Medizin mag diese ‚Versprechen’ erläutern. Sie stellt sich die Aufgabe, Vorgänge, die sich auf der physiologischen und der psychologischen Ebene zutragen, in Verbindung zueinander zu bringen. Demnach würde die Seele durch physiologische und biochemische Prozesse im Gehirn im eigentlichen Sinn ‚verkörpert’. Geist und Materie, Psyche und Körper sind wechselseitige, sich umfassende und gegenseitig bedingende Teilsysteme eines übergeordneten Ganzen. Auf die Haut bezogen: Die Suggestion ist der Haase, der dem Fuchs immer einen Schritt voraus ist. Ist also die Haut, oder besser das Hautgefühl, eine Instanz, über die manigfache Mitteilung insinuiert wird?
Wellness muss helfen
"Gibt es Bademantel in den Zimmern? Foen? Eine Kaffemaschine? Kleine und grosse Kopfkissen? Einen Kühlschrank? Video und DVD-Player? Radio oder CD? Gibt es eine kleine Zimmerküche? Bis wann gibt es Frühstücksservice auf den Zimmern? Können Sie mir eine Telefonnummer vom Wellnessbereich mitteilen? Und können Sie bitte jeden Tag 1 1/2 Stunden Massage, Ayurvedic oder Facial zwischen 14 und 16 Uhr buchen? Wir würden uns auch freuen, wenn Sie uns einen Babysitter für unsere Hunde besorgen können. Die zwei "Madonna" und "Coco" (Mutter und Tochter) sind sehr lieb und pflegeleicht. Allerdings wäre es schön, wenn ihnen jemand Gesellschaft leistet ... (natürlich gegen Bezahlung)."
Dieser kurze Blick in die elektronische Korrespondenz eines bekannten Wintersporthotels in Tirol, das bereits für seine nur schwer zu übertreffende Gastfreundlichkeit bekannt ist, spricht für sich. Wo fängt Wohlbefinden (Wellness) eigentlich an? Geht es um Komfort? Oder sind da auch Launen und Veranlagungen der Gäste von Bedeutung?
Wie sehr individulle Nachfragen und Gebärden die Hotelerie in eine therapeutische Instanz drängt, wird häufig nicht berücksichtigt. Es zeigt sich, dass himmelgreifender Komfort grundsätzlich nicht ausreicht. Gefragt ist ein fürsorgender Einsatz, der auf individuelle Emotionen, Bedürfnissen und Affirmationen eingeht. Ein ‚wohl-in-der-Haut- fühlen’ ist neben dem materiellen Einsatz, vor allem ein geschickter Umgang mit Worten im Restaurant, in der Bar, am Empfang.
Mit einem gezielten Training in den Schweizer Hotelfachschulen wird an dieser Archillesferse des Hotels mit psychologischem Training gearbeitet: unqualifiziertes Personal ist nicht solches, das nicht ausreichend über Service — und sonstige Leistungen des Ortes Bescheid weiss, sondern jenes, dass nicht das Charakterprofil des Kunden zu erkennen vermag und so ein und die gleiche Auskunft an unterschiedliche Gäste mit dem richtigen Impetus vermittelt. Nicht nur Luxushotels in Paris oder Interlaken arbeiten wie zur Zeit der Jahrhundertwende mit den individuellen Preferenzen ihrer Stammgäste. So überrascht es dann nicht, dass psychologische Kenntnisse im Training der Auszubildenden auch phänomenologische Therapieansatze nutzen. In diesem Sinne wäre der Gast ein Mensch, dessen Bedürfnis nach Wohlbefinden etwas differenzierter angegangen werden müsste. Auf der materiellen Ebene stehen unterschiedliche Bedürfnisse. Diese zu erfüllen, reicht jedoch keineswegs aus. Die Pflege der Haut und des Köpers ist eine symbolische Handlung, die deshalb täglich kommunikativ ergänzt werden muss. Es geht darum — und hier kann man getrost von Wellness auf andere Bereiche schauen - dass Defizite und nicht im Alltag erlebbare Teile der Persönlichkeit um Ausdruck ringen. Erholung im Sinne dieser Idee bedeutet, dass ein oder mehrere Teile im Alltag nicht sein dürfen und hier auf lange Sicht Depression, Verhärtung, Trauer, Hass — wenn nicht ausgelebt — erzeugen. Dabei kann es sich um ganz unterschiedliche Persönlichkeitsanteile handeln, die gelebt werden wollen: der souveräne Angestellte, die Hula-Hula Tänzerin, die erfolgreiche Sportlerin, der befehlende Vorgesetzte, der lustige Nachbar, der geheimnisvolle Firmenchef, die geschickte Journalistin, der erfolgreiche Unternehmer, das geniale Tennisass, der Golflehrer, der Testfahrer, der zerstreute Computerfreak, der Charmeur, der Langstreckenläufer, der Vereinsmanager, das vom Reichtum verwöhnte ältere Ehepaar, usw. Der kommunikative Pool des Hotellebens, wo seelische Befindlichkeiten ausgedrückt werden — wie von Thomas Mann nur allzu gern beobachtet und beschrieben — wird damit zu einer ‚Nähr-lösung’, zu einem weiten regenerativen Zentrum eines Urlaubes. Hier stehen die Angestellten und Mitgäste in einem besondern Verhältnis zum Individuum.
Welche Persönlichkeitsanteile werden unterdrückt und wollen angenommen werden? Jeder Teil, auch wenn er noch so negativ belegt ist, ist nun eine Ressource. Dazu gehören auch Rollen die dem Individuum auf einer bewussten Ebene klar werden, wenn es darum geht, das Neurotische, Abgelehnte oder Sturre auszudrücken. Etwa im Streit mit Familienmitgliedern, die sich hier eher humorvoll geben — oder protestieren. Also um ein Annehmen dessen, was nicht im Alltag sein darf. Richtig pikant wird es natürlich, wenn Bekanntschaften oder Angestellten spezifische, nicht ausgelebte Rollen gegenüber früheren Partnern und Familienmitgliedern bis zu verdrängten Idealpartnern zugeschrieben werden. Der Kurschatten hätte auf einmal einen therapeutischen Effekt.
Von der Maske zur Maske
Der Ethnologe Michel Leiris war fasziniert von den Masken der westafrikanischen Dogon. Die Maske, so befand der Ethnologe, bringt dem Menschen einem höheren Wesen näher — sie bewirkt Verwandlung. Durch das Anlegen einer anderen Haut vermag der Mensch, seine eigenen Grenzen zu durchbrechen. Die Masken nehmen dabei, so Leiris, Verehrung und Opfer entgegen und schenken dafür, oft mit symbolischen Gaben, Glück und Fruchtbarkeit. Aus seinen umfassenden kulturübergreifenden Beobachtungen heraus gelangt er zum Surrealismus, der das Fremde als Provokation zum Stilmittel (l‘acte gratuit) erhebt. Das Beschwörende, Ungestüme und Rauschhafte sind in beiden Fällen Kräfte, die gesellschaftliche und individuelle Veränderung provozieren. Der Darsteller wird für kurz das dargestellte Wesen. Schlüpft aus der Haut in die imaginierte Haut. Es bedeutet jedoch nicht nur, zu erschrecken, sondern auch, Verschiedenes und Anderes zu sehen. Frei zu machen, zu öffnen und somit zu versöhnen.
Folgt man an dieser Stelle der eingangs aufgeführten Unterscheidung zwischen Masken des täglichen Lebens, der Repräsentation und des Theaters, ist die Freiheit der Inszenierung heute um viele Elemente ärmer geworden, um andere reicher. Auf den Jahreszyklus betrachtet ärmer, geht man davon aus, dass neben der ‚verrückten Zeit’ des Karnevals eigentlich nur der Urlaub bleibt, unerkannt andere Rollen und Persönlichkeitsanteile zu leben. Die Vorstellung - um noch einmal nach Österreich zu reisen - in dem Wintersportort Serfaus ein Nobelhotel mit einer clownesken oder dämonischen Maske und kunterbuntem Gewand zu betreten, würde eher für Verwirrung sorgen. Und dennoch findet der aufmerksame Betrachter allerhand Masken und Verkleidungen mit denen durch die Ferienorte geschlichen wird und mit denen die Damen an der Rezeption beflüstert werden. Allerhand Requisiten werden sorgfältig für den Urlaub vorbereitet - etwa Fahrzeuge und andere technische Fetische - und ganz gezielt an konkreten Orten zwischen Hotelparkplatz, Frühstücksbuffet, Galadinner und Bar plaziert. Oft treten jedoch diese opulenten Elemente eines überreichen Warenangebots hinter die Mittel sprachlicher Maskierung. Denn: Erzählt wird, was gefällt.
Im aus der Haut schlüpfen gibt es dann, wie bei den Dogon, alte Haasen, Könner und Learner. Ihr unterschiedlicher Perfektionsgrad wird aber nicht nur von den ‚Mitspielern’ perzipiert. Aufmerksamer Beobachter — nicht aus Beschäftigungstrieb, sondern aus Spass an der Sache — ist die Gastgeberkultur. Sie findet hier reichlich Gesprächsstoff (siehe elektronische Nachfrage) und etwas Verbindenes. Die Enthüllungen über Gäste, wenn sie lediglich mit dem versorgt zu sein wünschen, was ihnen zu Hause zusteht, oder aus der Haut fahren, sobald schwarzweiss Gedrucktes Nuancen der Abweichung erfährt, werden mit Begeisterung auf der Hinterbühne ausgetauscht, vermitteln lokale Identität.
Währendessen kommt sich der Reisende aus seiner eigenen Fremde — durch die Wahrnehmung im Alltag nicht gelebter Persönlichkeitsanteile — stückweise näher. Er wird sich selbst zum Thema in seiner eigenen ‚Comedia dell’ Arte’ (Georg Seeßlen). Im Playback schaut er auf das, was seinem Alltagsbewusstsein entflieht, was verdrängt und was nur in der Tiefe seiner Seele bis dahin Schleifen zog. Nun besteht Gewissheit: Was er auf der Haut spürt, ist möglicherweise ein Spiegelbild seines Inneren. Die Reise um die Welt ist jetzt der kürzeste Weg zu sich selbst.
zum abstract:
Der Essay beschäftigt sich mit der menschlichen Haut als eine Metapher für regenerative Prozesse. Welche Rolle spielen seelische Situationen und individuelle Dispostionen in den Ferien? Wird in andere Rollen geschlüpft bzw. werden andere Persönlichkeitsanteile gelebt und welche Bedeutung kann dem zugemessen werden? Wie sieht die Realität hinter den vielseitigen Möglichkeiten des Wellness-Urlaubs aus - etwa aus der Sicht der Beschäftigten oder einer westafrikanischen Kultur?
This essay deals with the human skin as a metaphor for regenerative processes assuming a dialectic relation between skin and mind. Which place take emotional state and individual disposition being on holiday?
What is the significance for slipping into different roles and use masks — does this support regeneration? How does this look from the part of the employees working in the wellness business or in comparison to a westafrican society?

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updated: octobre 2011 contact me