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Seltene Sterne am nächtlichen Firmament
In der Region der sanften Hügel bei
Mealhada, einen Sprung nördlich von der alten Universitätsstadt Coimbra,
nicht unweit der Landstraße nach Porto, findet sich ein stiller Zeuge der
Belle Epoque. Auf den Spuren von Alexandré de Almeida, dem Begründer
legendärer Hotels Portugals.
Wie ein Ozeandampfer aus einer vergessenen
Epoche mutet das Curia Palace, in den Jahren um 1920 von Alexandré de
Almeida gebaut, an. Sieben Meter hoch über der geweißten Hauptfassade
mit repräsentativen Suiten benennen große Buchstaben diesen lebenden
Mythos. Und weil es in Portugal allsommerlich alte Familien immer noch an
gewisse Orte der Vergangenheit zieht, hat das altehrwürdige Hotel ganz
unbemerkt die Barrieren der medialen Ortslosigkeit zum 21. Jahrhundert überwunden,
nachdem es schwierige Meere durchquert hat.
Einen kurzen Blick in die Stein und Gips gewordene Geschichte des alten
Hauses vermittelt Monsieur Armando Rocha – le directeur – der nun
bereits seit den siebziger Jahren die Geschicke des Hotels leitet:
"Nach zwei ersten erfolgreichen Jahrzehnten kam die erste
Durststrecke für die damals über einhundert direkt und indirekt abhängigen
Angestellten. In den Wirren der Kriegszeit diente das für seine Zeit
riesige Hotel mit über fünfhundert Zimmern als Unterkunft für jüdische
Flüchtlinge aus unterschiedlichen Ländern. In den folgenden Jahrzehnten
war es dann eine Art Nachsaison, in der an die große Zeit mit
Bescheidenheit angeknüpft wurde und wiederholt den finanziellen Zwängen
einer Schließung widersprochen werden konnte."
Das in diesem Ambiente gelebte Zeitgefühl läßt sich am besten an dem
Herzstück des großräumigen Foyers nachempfinden: Ein offener Fahrstuhl
der Maschinenfabrik Wiesbaden, Baujahr 1926, mit einer geschmiedeten
Kabine die mit edlem Holz, Kristallspiegeln und mechanischer Anzeige
versehen ist. Auch heute ‚schweben‘ die Gäste damit noch in eines der
drei Stockwerke, von wo die langen und knarrenden Korridore zu den Zimmern
führen, die in ihrer sparsamen Eleganz Erinnerungen aufleben lassen.
Genau so viel, um die Aura jener Zeit zu erhalten.
So ist es nicht schwer vorzustellen, daß hier einst Etappen von Modernität
erklommen wurden, die damals die Gäste staunen ließen. Die meisten
Zimmer verfügten 1936 bereits über heißes Wasser, Strom und Heizung.
Ein raffiniertes System von Servicebereichen in den einzelnen Stockwerken
ermöglichte es, in Küchen und Sälen auf den unmittelbaren Komfort der Gäste
einzugehen. Eine kleine Welt innerhalb des großen Hotels arbeitete da
ohne Unterbrechung: Wäscherei, Bäckerei, Werkstatt, Fuhrpark, Pferde-
und Viehställe, Schneiderei, Tischlerei, Arztstation, Poststation und
selbst eine Kirche wurde auf dem Hotelgelände gebaut. Die
Innenausstattung wurde zu großen Teilen im Hotel gefertigt.
Nahrungsmittel wurden vor Ort und in den umliegenden Gärten erzeugt,
hauseigener Wein produziert und in einem großen Weinkeller zur Verfügung
gehalten. Eine vergleichbare Unabhängigkeit sollte der Gast in der
Unterhaltung erfahren. Neben Tabakstand, Parkanlagen, Terrassen,
Spielsalon, Geschäften und einer großzügigen Schwimmbadanlage bestand
ein gut organisiertes Programm, an dem viele Gäste partizipierten. Und
tatsächlich läßt es sich heute kaum ermessen, wie in diesem ehemaligen
Labyrinth von Leistungen und Möglichkeiten, die Koordination des
Angebotes funktionieren konnte.
Das Curia Palace entsteht ganz nach "stilgerechten" Vorlagen der
Art Nouveau von dem seiner Zeit bekannten Architekten Manuel Norte
Junior, der durch den Bau des Hotel Paris in Estoril und das Café
Brasiliera in Lissabon bereits Ruhm erlangt hatte. Immer wieder fordert de
Almeida Veränderungen ein, bis schließlich eine funktionalen
Hotelstruktur entsteht, die sich bis in die Schweiz herumspricht. Fast zwölf
Jahre dauert es, bis die immer wieder verbesserten Details schließlich
baulich integriert werden und das Grand Hotel eröffnet wird.
Wieviel hat sich geändert? Gelegentlich zelebrieren alte Stammgäste noch
bei Bridge und Tee den späten Nachmittag. Von einigen Gästen wird
unentwegt Zeitung und andere Literatur in dem großen Eingangssaal mit
seinem markanten Mobiliar verschlungen. Natürlich steht im Rauchersalon
inzwischen ein TV. Aber im alten Gehege des Parks finden sich immer noch
seltene Zuchtfasane. Zwei mal täglich wird in dem prächtigen Speisesaal
gemächlich gespiesen – zu erreichen über einen Korridor, der mit
Bildern und Photos der tempi passati ein Kaleidoskop opulenter
Erinnerungen bietet. Ein wenig scheint da die Zeit stehen geblieben zu
sein – auch wenn die dienstbaren Geister in Uniform etwas weniger
auffallen, der holzgetäfelte Friseursalon etwas Staub ansetzt, die
Illusion luxeriöser Unendlichkeit Konkurrenz bekommen hat und neo-höfische
Rituale, wie sie Thomas Mann zu beschreiben wußte, wegfallen. Oder ist es
einfach nur der Zeittakt, der da ein wenig langsamer schlägt?
Gespür für Hotelkultur
Alexandré de Ameida, geboren 1885, wuchs in der unmittelbaren
Nachbarschaft von Bussaco - einer alten Einsiedelei der Carmeliter Mönche - in der Nähe des Thermalortes Luso
auf. Als junger Mann verfolgte er mit großer Aufmerksamkeit die
unterschiedlichen Bauphasen der königlichen Residenz und trägt den
Eltern seine architektonischen Phantasien vor. In Luso zog er Touristen
aus ganz Portugal an, indem er die erste Kaffeemaschine mit Pfeifton im
Lokal der Familie installierte und Souvenirs aus der Schweiz importierte.
Wenig später, 1910 in Lissabon, gelang es ihm, kurz nach Erscheinen der
ersten Taxis, in wenigen Jahren eine Flotte von Taxis aufzubauen um zum
Zeitpunkt eines beträchtlichen Erfolgs, sich in die Hände der Banken zu
begeben und seine Vorstellung eines großen Hotels entgegen allen Einwänden
seiner Familie durchzusetzen. Er baute 1917 das Hotel Metropole in
Lissabon und wird Teilhaber des Bussaco Palace Hotels – das inzwischen
aus der königlichen Residenz entstanden war - und das der Schweizer
Patissiers Paul Bergamin zuvor übernommen hatte. Spektakuläres Aufsehen
erhält hier sein Bau eines Aerodrom beim Hotel, womit die Besucher direkt
eingeflogen werden konnten. 1926 übernimmt er das Astoria Hotel in
Coimbra. Nach einem bewegten Leben zwischen den Hotels seiner Kette, baut
der dreiundachtzigjährige 1968 in Estoril das Carcavelos. Sein letztes
Hotel, das heute ebenfalls von seinem Enkel Alexandré geführt wird.
SPLENDID ISOLATION
Die französische Uhr an der prächtigen, leicht
vergilbten Fassade des Palace Hotel da Curia zeigt ein freundliches 8 Uhr
– egal, wie spät es ist. Die Uhr steht und wird von den steinernen
Jugendstilgesichtern rund herum keines Blickes gewürdigt. Würde man
diese stehende 8 auf die Seite legen, so könnte man plötzlich der
Unendlichkeit ins Gesicht sehen: ∞. Der Portier wundert sich schon
lange nicht mehr:" In Portugal fragt man doch nicht wieviel Uhr es
ist, sondern in welchem Jahr wir sind?", sagt er und lächelt aus
seiner Uniform heraus. Etwas ernster ergänzt er dann noch, was wie ein
gesprochener Fado klingt: "Um von dem sich immer rascher
wiederholenden Abschiednehmen von der uns vertrauten Welt nicht ganz trübsinnig
zu werden sollte man sich daran gewöhnen, in einer permanenten Nachsaison
zu leben." Aus: "Die Grafik des Augenblicks oder die Furie des
Verschwindens": Clara Azevedo und Lucia Vasconcelos: Splendid
Isolation o Mito do Grand Hotel. Lissabon 1999, ISBN 972-98349-1-1. Eine
photografische Spurensuche in den Grand Hotels Portugals (Madeira und
Azoren), mit Texten von Daniel Blum (Text in portug./engl./deut.)
Informationen
zu Hotéis Alexandré de Almeida: almeida_hotels@ip.pt
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