Das Emagramm – Möglichkeiten und Grenzen der Thermikprognose für die Fluggebiete
Die Radiosonde
Von vielen Punkten der Erdoberfläche aus steigen zweimal
täglich Wetterballone in den Himmel, um die Atmosphäre zu sondieren. Diese
Ballone, auch Radiosonden genannt, haben wenige Meter Durchmesser, sind
unbemannt und mit einer Reihe von Messgeräten ausgerüstet. Gemessen wird die
Temperatur, die Luftfeuchtigkeit und verschiedene Luftschadstoffe. Durch die
horizontale Verschiebung der Sonde gegenüber dem Ausgangspunkt kann die
Windrichtung und -stärke berechnet werden. Auf einer Höhe von ca. 30 km hat sich
die Hülle des Ballons schon so weit ausgedehnt, dass dieser zerplatzt und die
Messgeräte an einem Fallschirm zur Erde zurück gleiten. Nur ein Drittel der
Radiosonden werden gefunden und können ein zweites Mal eingesetzt werden. In der
Schweiz existiert genau eine Radiosondenstation in Payerne, wo um 00 und 12 Uhr
UTC vollständig ausgerüstete Radiosonden starten. Die Zeitangabe UTC steht für
Universal Time Coordinate und entspricht 2 bzw. 14 Uhr mitteleuropäischer
Sommerzeit. Die Messdaten liefern genaue Informationen über den vertikalen
Aufbau der Atmosphäre und bilden einen zentralen Bestandteil bei der Analyse und
Prognose des Wetters.
Abb.
1: Im Emagramm sind die Linien gleicher Temperatur (Isothermen) um 45°
geneigt. Rot dargestellt ist ein hypothetischer Verlauf der Temperatur. Abschnitte mit Inversionen, Isothermien und normaler Temperaturabnahme können sofort erkannt werden. |
Abb. 2: Emagramm vom 1. Mai 2003 um 2 Uhr. |
Das Emagramm
Das Emagramm (auch TEMP, Tephigram oder Stüve Diagramm
genannt) ist eine vertikale Darstellung der Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Die
Darstellung im Emagramm soll die verschiedenen thermodynamischen Prozesse in der
Troposphäre (dem Teil der Atmosphäre, in dem sich unser Wetter abspielt)
möglichst gut und genau veranschaulichen. Die vielen zusätzlichen Linien und
Werteskalen sind Hilfsmittel, die ein schnelles Arbeiten mit dem Emagramm
ermöglichen. Leider sind die vielen Linien eher verwirrend als hilfreich für
alle, die sich zum ersten Mal mit dem Emagramm auseinander setzen. Doch wer die
Einstiegshürde nicht scheut, wird bald über die Informationsfülle dieses
Diagramms staunen.
Auf der Abszisse (X-Achse bzw. horizontale Achse) ist die
Temperatur in °C, auf der Ordinate (Y-Achse bzw. vertikale Achse) die Höhe in
Meter und in hPa angegeben. Normale Diagramme, die wir aus anderen Bereichen
kennen, haben eine rechtwinklige Darstellung dieser beiden Werteskalen. Beim
Emagramm sind die Linien gleicher Temperatur dagegen um 45° geneigt und
verlaufen von links unten nach rechts oben (Abbildung 1). Im Durchschnitt nimmt
die Temperatur in der Troposphäre mit zunehmender Höhe ab. Diesen
Temperaturverlauf bezeichne ich als «normal». Im Emagramm ist der effektive
Temperaturverlauf als rote Linie wiedergegeben. Die durchschnittliche
Temperaturkurve der Troposphäre verläuft im Emagramm vertikal. Eine Isothermie
ist dann vorhanden, wenn die rote Temperaturkurve parallel zu den Linien
gleicher Temperatur (also 45° gegen rechts geneigt) verläuft. Aus der Abbildung
1 ist auch ersichtlich, wie eine Inversion im Emagramm erkannt werden kann.
Die Emagramme der
MeteoSchweiz
Für die Radiosonde von
Payerne und von weiteren Stationen werden die Emagramme auf dem Internet unter
http://www.meteoschweiz.ch/de/Daten/Hoehendaten/sondierungen.shtml
laufend aktualisiert. Sie können zirka eine Stunde nach Sondenstart betrachtet
werden. Im Folgenden wird das Emagramm am Beispiel vom 1. Mai 2003 erklärt. Zur
Veranschaulichung siehe jeweils Abbildung 2.
Oben in der Mitte findet man das
Datum und die Uhrzeit der Radiosonde. Z bedeutet das gleiche wie UTC. Auf der
vertikalen Achse ist links die Höhe in hPa und rechts die Höhe in Metern und in
Fuss angegeben. Die Linien gleicher Temperatur (Isothermen) sind schwarz
ausgezogen und verlaufen von links unten nach rechts oben. Die O°-Isotherme ist
dicker als die anderen Isothermen. Der Abstand zwischen zwei benachbarten
Isothermen entspricht 2 °C. Die Werte der Isothermen sind in 10-°C-Schritten
angeschrieben und in Abbildung 2 schwarz eingekreist.
Die rote Kurve ganz
rechts zeigt die Windstärke. Die Skala befindet sich rechts unten und reicht von
0 bis 100 Knoten. Daneben sind rote Pfeile eingetragen, welche die (horizontale)
Windrichtung angeben. Die anderen beiden roten Kurven zeigen die Temperatur und
den Taupunktverlauf.
Temperatur
Die Temperatur in Bodennähe beträgt knapp 10 °C. In den
untersten 300 Höhenmetern ist eine Bodeninversion zu erkennen. Zwischen 850 und
1500 m nimmt die Temperatur stark ab. Darüber ist die Temperaturabnahme bis in
eine Höhe von 4300 m mit kleinen Abweichungen fast vertikal d.h. «normal». In
2100 m Höhe beim Schnittpunkt der Temperaturkurve mit der 0°-Isotherme liegt die
0°-Grenze.
Luftfeuchtigkeit
Die linke rote
Kurve ist eine Darstellung der Feuchtigkeit. Hier wird der Taupunkt verwendet,
das heisst: Bei der angegebenen Temperatur würde die Luft (wenn sie abgekühlt
würde) kondensieren. Je näher die Taupunktkurve bei der Temperaturkurve liegt,
desto feuchter ist die Luft. Wenn sich die beiden Kurven berühren, sind in
dieser Höhe Wolken. Im Beispiel ist es in Bodennähe sehr feucht. Darüber sind
Temperatur und Taupunktkurve 4 bis 6 °C auseinander, und in einer Höhe von 3500
m ist die Luft ziemlich trocken. Auf 4400 m sind Temperatur und Taupunkt weniger
als 1°C auseinander, und es kann vermutet werden, dass es hier aufgelockert
bewölkt ist.
Möglichkeiten der
Thermikprognose
Kaum ist die Sonne
aufgegangen, beginnt sich der Boden zu erwärmen und die darüber liegende Luft
damit. Nehmen wir einmal an, die Maximaltemperaturen erreichen an diesem Tag 20
°C. Dann steigt Luft, die am Boden 20 °C warm ist, in die Höhe. Diese Luft kühlt
sich pro 100 m um 1 °C ab. Die Hilfslinien, die diesen Prozess veranschaulichen,
sind im Emagramm grün, verlaufen von rechts unten nach links oben und heissen
Trockenadiabaten. Trockenadiabatisch bedeutet, dass keine Mischung der
aufsteigenden Luft mit der Umgebungsluft stattfindet und dass die Luft während
des Aufstiegs nicht kondensiert. Da die Trockenadiabaten nur alle 5 °C
eingetragen sind, muss in diesem Fall eine Hilfslinie, die parallel zu den
Trockenadiabaten liegt, eingezeichnet werden. Da sich die Luft beim Aufsteigen
kontinuierlich abkühlt, steigt die relative Feuchtigkeit an und kommt dem
Taupunkt immer näher. Der Taupunkt der aufsteigenden Luft ändert sich entlang
der Linie des konstanten Mischungsverhältnisses. Diese Linien sind im Emagramm
gestrichelt und verlaufen von links unten nach rechts oben. Dort wo das
Mischungsverhältnis (schwarz gestrichelt) die Trockenadiabate (grün) schneidet,
liegt die Wolkenbasis. Hier sind Temperatur und Taupunkt 5 °C, und die relative
Luftfeuchtigkeit beträgt 100%.
Oberhalb der Wolkenbasis steigt die Luft
weiter, aber entlang der Feuchtadiabaten, welche im Emagramm blau gestrichelt
eingezeichnet sind. Im Beispiel könnte die Luft bis über 7000 m weiter steigen
und es könnten sich Gewitterwolken bilden. Aber die Luftschicht oberhalb von
6000 m ist sehr trocken und trocknet die aufsteigende feuchte Luft ab. Der
Prozess ist bei sehr trockener Umgebungsluft nicht mehr streng
adiabatisch.
Es gibt viele mögliche Temperatur- und Taupunktkurven. Kein
Emagramm gleicht dem anderen. Aber auch die Maximaltemperaturen sind je nach
Sonneneinstrahlung verschieden. Sollten die eingezeichnete Trockenadiabate die
Temperaturkurve schneiden, so ist auf dieser Höhe die Temperatur der
aufsteigenden Luft gleich gross wie die Umgebungsluft, und die Luft kann nicht
weiter steigen. Die Luft kondensiert nicht und man spricht von Blauthermik.
Sollte die eingezeichnete Feuchtadiabate die Temperaturkurve schneiden, dann
liegt in dieser Höhe die Obergrenze der Wolke.
Die Höhe der Wolkenbasis ist
abhängig von zwei Faktoren:
1. Maximaltemperatur: Diese steht in jeder
Wetterprognose. Um jedes Grad, das es wärmer wird, steigt die Wolkenbasis um 125
Meter.
2. Taupunkt: Je trockener die Luft, desto höher die
Wolkenbasis. Aber wenn es zu trocken ist, entsteht gar keine Wolkenbasis und es
bleibt bei Blauthermik.
Genau genommen gilt das besprochene Beispiel nur
dann, wenn der Talboden gleich hoch liegt wie die Station der Radiosonde. Will
man die Höhe der Wolkenbasis für ein Fluggebiet mit einem Talboden bestimmen,
der auf 1000 Meter Höhe liegt, muss von dieser Höhe aus die Trockenadiabate im
Emagramm eingezeichnet werden. Da die Maximaltemperaturen der Wetterprognose für
die Niederungen gelten, muss dieser Wert um –0,5 °C pro 100 m korrigiert
werden. Das heisst, die Maximaltemperatur für ein Fluggebiet mit einem Talboden
auf 1000 m beträgt 2,5 °C weniger.
Indem man den Taupunkt der nächsten
ANETZ-Station im Emagramm einzeichnet und von diesem aus der Linie konstanten
Mischungsverhältnisses folgt, lässt sich die Prognose zusätzlich verfeinern. Die
Taupunkte werden auf dem Internet unter http://www.meteotest.ch/img/wepro/prog_tt.gif
stündlich aktualisiert.
Grenzen der
Thermikprognose
Die Grenzen der
Thermikprognose mit dem Emagramm sind räumlicher und zeitlicher Natur. Die
Radiosonde steigt morgens um 2 Uhr Mitteleuropäische Sommerzeit in Payerne auf.
Wenn die Luftschichten über Payerne denjenigen in den Fluggebieten entsprechen
und es zwischen 2 Uhr morgens und der Zeit, in der wir in der Thermik fliegen,
keine grossen Änderungen gibt, wird die Prognose zuverlässig sein. Je näher bei
Payerne das Fluggebiet und je schwachwindiger die Wetterlage, desto besser sind
diese Bedingungen erfüllt. Für die westlichen und zentralen Landesteile sind die
Radiosondenwerte bei Hoch- und Flachdrucklagen sehr repräsentativ, bei schwachen
West- und Bisenlagen auch noch relativ gut. Herrscht ein mässiger bis starker
Wind, ist es sinnvoll, die luvseitig nächste Radiosonde mit zu berücksichtigen.
Ausgesprochen negativen Einfluss auf die Qualität der Thermikprognose haben
aufkommender Föhn und Föhntendenzlagen. Aber auch die Subsidenz in einem rasch
aufbauenden Hochdruckgebiet drückt auf die Höhe der
Thermikobergrenze.
Temperaturgradient
Neben der Höhe
der Wolkenbasis kann mit dem Emagramm auch noch die Art der Thermik bestimmt
werden. Dazu muss man den Temperaturgradienten aus dem Emagramm ablesen. Der
Temperaturgradient ist die Temperaturabnahme pro 100 m. Hier gilt folgende
Faustregel:
Temperaturgradient (°C/100 m) | Thermikgüte |
< 0,5 | schlecht |
0,5–0,6 | mässig |
0,6–0,8 | gut |
> 0,8 | zu stark |
Optimal ist es, wenn die Temperaturkurve eine Temperaturabnahme um 0,7 °C/100 m zeigt. Liegt die Temperaturabnahme über 0,8 °C pro 100 Meter, sind die Thermikschläuche oft eng, relativ stark ausgeprägt und nicht schön zum Fliegen. Eine praktische Folie zum Bestimmen des Temperaturgradienten kann unten auf der Wetterseite der birdland Homepage (www.birdland.li) ausgedruckt werden. Diese Folie kann man direkt auf den Bildschirm über das Emagamm halten und schon weiss man, in welchen Höhen die gute Thermik zu finden ist.
Micha Schultze