Stefan Zweig (1881-1942)
Der österreische Schriftsteller Stefan Zweig wurde am 28. November
1881 in Wien geboren und beging am 23. Februar 1942 in Petrópolis bei
Rio de Janeiro Selbstmord. Seine literarischen Werke zeichnen sich
durch subtile Sprache, klaren Stil und anschauliche Darstellung aus.
Neben gross angelegten Biographien und Essays verfasste er auch
Gedichte und einige Novellen, wovon die
Schachnovelle am bekanntesten wurde.
Zweig studierte Philosophie, Germanistik und Romanistik und unternahm zahlreiche Reisen innerhalb
Europas, besuchte Russland, Indien, Nordafrika, Nord- und Zentralamerika. In den ersten Jahren des Ersten
Weltkriegs arbeitete er im österreichischen Kriegspressehauptquartier mit, bis es ihm zu bunt wurde.
Er wurde zum überzeugten Pazifisten und verbrachte die letzten Kriegsjahre in der Schweiz. Ab 1919
lebte er in Salzburg. 1934 emigrierte Zweig nach Grossbritannien und 1940 zog er via USA nach Brasilien,
wo er sich 1941 endgültig niederliess. Die politischen Verhältnisse in Europa und die
Bitterkeit des Exils stürzten ihn in eine tiefe Depression. Zusammen mit seiner zweiten Frau Lotte
schied er freiwillig aus dem Leben.
Zweig trat früh als Übersetzer Verlaines, Baudelaires und vor allem Verhaerens hervor und veröffentlichte 1901 unter dem
Titel Silberne Saiten seine ersten eigenen Gedichte, die vom Wiener Impressionismus und vom
französischen Symbolismus beeinflusst waren. In seinen historischen Werken zeichnete Zweig in seiner
eigenwilligen Weise literarische Porträts bedeutender Persönlichkeiten, so etwa in Joseph
Fouché, Marie Antoinette, Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam, Castellio gegen Calvin, Maria Stuart oder Balzac. Im berühmten
Essayband Sternstunden der Menschheit schilderte Zweig 1927 entscheidende Konstellationen der
Weltgeschichte. Sehr bekannt wurden Zweigs Novellen, in denen er charakteristische Seelenzustände
des modernen Menschen exemplarisch darzustellen und mit einer an Freud geschulten Psychologie Hintergründe unter der Oberfläche eines
bürgerlichen Daseins aufzuhellen versuchte. Die berühmteste dieser Novellen ist die Schachnovelle, die erst im Todesjahr erschien. Zweigs Memoiren erschienen 1944
postum unter dem Titel Die Welt von gestern.
Literatur: |
Stefan Zweig, Schachnovelle, Frankfurt am Main 2003, Fischer.
Stefan Zweig, Sternstunden der
Menschheit, Frankfurt am Main .., Fischer.
Stefan Zweig, Triumph und
Tragik des Erasmus von Rotterdam, Frankfurt am Main .., Fischer
Stefan Zweig, Castellio gegen
Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt, Frankfurt am Main 1984, Fischer |
Internet: |
Jakob Auer,
Stefan Zweig, kurze Buchbeschreibungen. |
Zusammenfassung
Der Erzähler fährt mit dem Schiff von New York nach Buenos Aires. Doch schon bevor
das Schiff ausläuft, erfährt er von einem Kollegen, dass sich auf dem Schiff auch der
berühmte Schachweltmeister Czentovic befinden soll. Sofort versucht er, mit diesem
sonderbaren ungarischen Genie Kontakt aufzunehmen. Schliesslich gelingt es ihm, den
reichen McO'Connor zu überreden, für eine Schachpartie gegen Czentovic die
geforderten 200$ zu bezahlen. Das Spiel endet natürlich mit der Niederlage der
unbedarften schottischen Lords. In die Revanche greift plötzlich ein sonderbarer
Dr. B. ein, der ein Remis
erzwingt. Doch als er nochmals spielen sollte, will Dr. B. nicht mehr. Da der Erzähler
Österreicher ist, erhält er von den anderen Zuschauern des Spiels die Aufgabe, den seltsamen
Fremden
zu einer weiteren Schachpartie zu überreden. Auf die
Frage, warum er so gut Schach spielen könne, holt Dr. B. zu einer langen Geschichte aus.
Dr. B. war vor dem Zweiten Weltkrieg Vermögensverwalter gewisser reicher Klöster und
Mitglieder der kaiserlichen Kurie, er hatte die Vermögen dieser Oberschichten vor den
Schergen der Nazi in Sicherheit zu bringen. Doch diese Operation flog auf und er wurde in einem
Hotel isoliert. In seinem Zimmer gab es nur ein Bett, nichts zu tun, nur denken und
schlafen. Doch schliesslich gelang es ihm, nach einer Vernehmung ein Buch über Schach ins
Zimmer zu schmuggeln. So spielte er alle Meisterpartien im Kopf immer wieder durch, er
nannte das später eine "Schachvergiftung". Als er ernsthaft psychisch erkrankte, wurde er entlassen,
was ihm das Leben rettete. Schliesslich lässt sich Dr. B. überzeugen, alleine gegen Czentovic
anzutreten.
Die erste Partie gewinnt er, der Schachweltmeister wirft das Brett als Zeichen der Kapitulation
um. In der zweiten Partie schliesslich brennt Dr. B.s Schachfieber erneut durch und
er weiss plötzlich nicht mehr, in welchem Spiel er sich befindet. Nach der Partie schwört
er, dass er nie wieder Schach spielen werde.
Was ist eine Novelle?
Der Begriff "Novela" stand im römischen Latein für eine Gesetzeserneuerung, im Mittelalter
wurde seine
Bedeutung auf eine Neuigkeit im Allgemeinen ausgeweitet.
Im Mittelpunkt einer Novelle als literarischer Form stets üblicherweise ein besonders eigenartiger
Charakter in einer entscheidenden Wende seines Lebens. In Zweigs Schachnovelle kommen gleich zwei
solche Charaktere vor, nämlich Czentovic und Dr. B. (siehe Personenporträts weiter unten). Eine
Novelle beschreibt eine unerhörte Begebenheit, wobei "unerhört" dabei zwei Bedeutungen hat;
einerseits unglaublich, vom Erwarteten abweichend; andeerseits auch im Sinn von neuartig. Im Gegensatz
zum Roman lässt die Novelle unnötiges weg, sie ist zugespitzt auf das Hauptgeschehen,
ökonomisch, verkürzt, konzentriert. Gute Novellen sind dramatisch aufgebaut; auf eine kurze
Einleitung folgt eine stetige Steigerung der Spannung bis zum Höhepunkt. Sehr oft enthalten Novellen
sind Symbole.
Charakterisierung der Personen
Ich-Erzähler
Der Erzähler der Novelle stammt aus Österreich und befindet sich auf der Reise nach
Südamerika.
Er ist vornehm zurückhaltend, aber dennoch neugierig. In geistigen Dingen artet seine Neugier sogar
in eine regelrechte Passion aus.
Mirko Czentovic, Schachweltmeister
Czentovic stammt aus Ungarn. Als er 12 Jahre alt war, starb sein Vater, seitdem lebte er beim Pfarrer.
Als Kind war er träge, unsympathisch und absolut teilnahmslos. Der Pfarrer pflegte an vielen Abenden
mit dem Wachtmeister Schach zu spielen, Mirko sah dabei oft zu, ohne dass die beiden Erwachsenen ihn
bemerkten; als der Pfarrer einmal die letzte Ölung erteilen musste, gewann Mirko die Partie gegen
den zurückgebliebenen Wachtmeister. Nach diesem Spiel begann sein rasanter Aufstieg. Zuerst wurde er
von
Graf Simczic in Wien in der Schachkunst ausgebildet, mit 18 war er Ungarnmeister, mit 20 schliesslich
bereits Weltmeister. Von anderen begabten Schachspielern unterscheidet ihn aber, dass er nicht blind
spielen kann, das heisst, er muss immer das Feld vor sich sehen.
Dr. B.
Der geheimnisvolle Fremde leitet mit seinem plötzlichen Ausruf «Um Gottes Willen! Nicht!
» den
Wendepunkt in der Geschichte ein (S. 37). Es besteht ein sichtbarer Widerspruch zwischen der bisher
gezeigten wohlanständigen Bescheidenheit und seiner Besessenheit beim Schachspiel. Dr. B. ist
ebenfalls Österreicher. Als Anwalt brachte er das Vermögen des Adels und des Klerus vor den
anrückenden Nationalsozialisten in Sicherheit. Diese verhafteten ihn und internierten ihn in einer
leeren
Zelle, wo er nichts tun konnte. Eines Tages klaute er sich ein Schachbuch, und da er sonst nichts anderes
zu tun hatte, spielte er immer wieder die Meisterpartien in seinem Kopf durch, bis er eine
«Schachvergiftung» bekam, die ihm schliesslich das Leben rettete. Die eigentliche
Hauptperson der
Novelle übt eine starke geheimnisvolle Ausstrahlung aus.
Mc O'Connor
Mc O'Connor ist ein steinreicher, eingebildeter und unsympathischer schottischer Lord. Er meint, er sei
ein guter Schachspieler und fordert Czentovic zu einem Wettkampf heraus, wofür er ihm die stattliche
Summer von 200 Dollar im Voraus bezahlt.
Zweigs Stil
Zweigs Novelle ist gekennzeichnet durch treffende und prägnante Sätze. Das Geschehen wird
plastisch vorstellbar und oft verblüffend genau geschildert. Zweig benutzt eine leicht altmodische
Sprache, die heutigen Lesern vielleicht etwas gar vornehm und gehoben erscheinen mag. Sehr häufig
werden
schwerfällige Genitiv-Formen benutzt. In den Dialogen zeigt Zweig, dass für ihn das sprachliche
Element
als Hinweis auf das menschliche Element dient: Er legt Dr. B. humanistische und bildungsgesättigte
Sätze
in den Mund, während er den Czentovic nur schroffe Kurznachrichten äussern lässt.
Die Schachnovelle ist syntaktisch relativ komplex aufgebaut. Doch trotz den vielen
Einschüben,
Nebensätzen und Nachträgen lässt sich die Novelle insgesamt fliessend lesen. Sie ist
fokussiert auf das
Hauptgeschehen und enthält wenig atmosphärisches Zugemüse.
Um Spannung zu erzeugen, werden auffallende Wörter und andere Stilmittel eingesetzt.
Wortwiederholungen wie in der Schilderung des Gefängnisses: «Dieses Nichts und Nichts und
Nichts um einen, dies immer nur Tisch und Bett und Waschschüssel, immer dieselben Gedanken, die
im Nichts um das eine kreisen, bis man irre wird» (S. 63) erzeugen Dramatik.
Historische Fussnote: Österreichs unglückliche Kanzler
Dolfuss war Bundeskanzler von 1932-34, als er bei einem NS-Putschversuch getötet
wurde. Nach ihm kam Kurt von Schuschnigg. Beide versuchten durch Zusammenarbeit mit dem
faschistischen Italien die Souveränität Österreichs zu erhalten. Schuschnigg gab 1938
schliesslich nach und wurde ins KZ eingewiesen. Er kam nach dem Krieg wieder zurück,
starb 1977 (tragische Person).
Kommentar aus "schachlicher" Sicht
«So grossartig dieses Stück Literatur in Sprache, Dramaturgie und Zeitgeist auch
sein mag, rein "schachlich" betrachtet finde ich das Werk laien- und klischeehaft.
Die geschilderten Gedankengänge der Spieler während der Partien sind mit ihrem
dreizügigen Horizont auf Amateurniveau. Natürlich kann man nicht erwarten, dass
Stefan Zweig als herausragender Schriftsteller auch noch ein Schach-Genie sein
musste. Aber einen ungarischen Bauerntrottel als Weltmeister (mit 20 Jahren!)
zu schildern, ist schon mehr als unglaubwürdig. Und diesen Weltmeister dann
auch noch verlieren zu lassen gegen einen Verstörten, der in seinem Leben nur
ein Schachbuch gelesen hatte, ist endgültig utopisch.
Mir ist schon klar, dass eine Novelle eine besondere Situation zu schildern hat,
aber die "Schachnovelle" verursacht bei mir nur Kopfschütteln. Alle 14 offiziellen
Schachweltmeister waren gebildete Leute, die mehrere Sprachen beherrschten
und oft auch zu Doktorwürden kamen.»
Bert Kölske, 26.10.04

Politik
«Einer muss den Frieden beginnen wie den Krieg.»
«Wahrhaftigkeit und Politik wohnen selten unter einem Dach.»
«Ich glaube, dass kein Volk auf Kosten eines andren gelobt werden sollte.»
«Was liegt Intriganten und Politikern an ein paar tausend Toten, sofern nur ein Konkurrent
beseitigt
ist.»
«Immer wird es gerade der reingläubige, der religiöse, der ekstatische Mensch, der
Weltveränderer und
Weltverbesserer sein, der in edelster Absicht Anstoss gibt zu Mord und Unheil, das er selber
verabscheut.»
Mensch und Leben
«Der Sinn des Lebens ist mehr als das Leben selbst.»
«Erst im Unglück weiss man wahrhaft, wer man ist.»
«Wer Schicksale formt, fällt in Schuld.»
«Ungeduld ist Angst.»
«Niemand ist fort, den man liebt. Liebe ist ewige Gegenwart.»
«Das Gerücht erreicht immer denjenigen als letzten, mit dem es sich beschäftigt.»
«Altwerden heisst nichts anderes, als keine Angst mehr haben vor der Vergangenheit.»
«Wer einmal zu sich selbst gefunden hat, der kann nichts auf dieser Welt mehr verlieren.»
«Der geistigen Menschen höchste Leistung ist immer Freiheit, Freiheit von den Menschen, von
den
Meinungen, von den Dingen, Freiheit zu sich selbst.»