Es ginge alles besser, wenn man mehr ginge, sagte Schriftsteller Gottfried Seume schon vor 200 Jahren. Der deutsche Literat war so etwas wie ein "Berufswanderer": Zu Fuss reiste er bis nach Sizilien und nach Moskau. Fürchten musste er Wanzen im Nachtqaurtier und Wegelagerer - dafür kannte er keinen Ärger mit Motorisierten oder Mountainbikern.
Seume hatte erkannt, was seinen Zeitgenossen offenbar schon nicht mehr selbstverständlich war - dass der Mensch ein "Fusswesen" zu Aufrechterhaltung seiner körperlichen wie geistigen Gesundheit dringend auf die natürliche Fortbewegungsart angewiesen bleibt. Heute ist das Wandern zur Volksbewegung geworden, zum idealen Ausgleich für einen weitgehend sitzenden Lebensstil.
Sanfter Sport ohne Doping
In der Tat zählen zu den wertvollsten Stunden jene, die wir zu Fuss verbringen: auf Schusters Rappen oder "per pedes", wie die alten Römer sagten, welche ihr Riesenreich meist auf diese Weise in alle Richtungen durchmassen. Während sie, sei’s als Legionäre oder Kaufleute, stets beruflich unterwegs waren, machen wir uns nun zum Vergnügen auf die (Wander-) Socken.
Wandern ist die beste Therapie gegen allerhand Zivilisationsleiden. Kaum eine andere Sportart beeinflusst das Befinden derart positiv - und garantiert ohne Nebenwirkungen - wie das Herumstreifen in Wald und Feld, über Stock und Stein. Weil das Element des Wettkampfs fehlt, ist die Gefahr von Überanstrengungen denkbar gering, und auch für den Griff zu Dopingmittel fehlt jeder Grund. Höchstens holt man sich mal einen Muskelkater oder isst während der Mittagsrast eine Wurst zuviel - lässliche Sünden in einer Welt, die zunehmend durch Masslosigkeit geprägt ist.
Gut für Herz und Lungen
Tragen wir einmal die Wirkungen eines Wandertages zusammen: Fast jedes Organ unseres Körpers dürfte uns Dank wissen.
- Das Herz schlägt schneller, wenn’s bergauf geht - ideales Fitnesstraining für unsere treue "Pumpe", wie für den ganzen Kreislauf überhaupt, die sonst in aller Regel viel zu wenig auf Touren kommen.
- Die Lungen weiten sich und atmen reine Luft; das Blut reichert sich mit Sauerstoff an - "Nahrung" nicht zuletzt für das Gehirn, dem das Durchlüften gut tut.
- Schwitzen ist gesund - endlich kann der Körper seine Schlackenstoffe auf natürliche Weise loswerden. Um die verlorene Flüssigkeit zu ersetzen, sollte man auf Wanderungen stets genügend trinken.
- Nicht nur die Beine, auch alle anderen Teile unseres Skelettes sind für ein Leben in Bewegung geschaffen. Lassen wir also der Natur den Lauf und setzen Knochen wie Gelenke regelmässig ihrer Bestimmung ein - sie werden um so länger klaglos ihren Dienst verrichten.
- Auch die Haut, unser grösstes Organ, profitiert von einem Tag an frischer Luft. Temperaturunterschiede und andere Reize (Wind, Sonne, Regen) trainieren ihr Anpassungsvermögen - wichtig zum Vorbeugen vor Erkältungskrankheiten.
- Das Auge schliesslich nimmt die für unser Wohlbefinden erforderliche Menge natürlicher Strahlen auf - unerlässlich besonders im Winterhalbjahr, wenn Lichtmangel zu Depressionen führen kann.
Gut für die Seele
Damit kommen wir von den körperlichen zu den seelischen Wirkungen einer Wanderung. Tapetenwechsel, Szenenwandel, hinaus aus grauer Städte Mauern - das Streben nach Abwechslung und der Drang in die Ferne sind allen Menschen angeboren. Schade bloss, dass diese so gesunden Triebe heute vielfach vom Sofa aus mit der Fernbedienung des TV-Gerätes befriedigt werden: In einer Stunde hat man sich durch 39 Programme geknipst... und im Grunde gar nichts erlebt.
Wieviel tiefer bleiben da die grösseren oder kleineren Abenteuer auf der Wanderroute haften: das Beobachten von Pflanzen und Tieren, der Wechsel der Landschaft und des Wetters, die Begegnung mit anderen Menschen - oder aber die Wohltat des Alleinseins. In der Natur kann nicht allein die Lunge, sondern auch die Seele Atem schöpfen. Der Blick auf ziehende Wolken während der Rast bringt der Psyche mehr als alle Fernsehprogramme, und das Grün der Wälder ist Balsam für jedes Gemüt, das unter der Reizüberflutung unseres so banalen Alltags leidet.
[Quelle: Wanderrevue 1/93 (Andreas
Aregger)]