Keine Angst vor Blitz und Donner


Es gibt neun Götter, die Blitze senden, und elf Arten von solchen. Jupiter schleudert drei.
So einfach war es, bevor die Wissenschaft sich der Erforschung der mächtigsten
elektrischen Naturerscheinung annahm. Heute weiss man Genaueres über das natürliche
Hochspannungswunder Blitz. Zu dieser Erkenntnis hat die Schweizer Blitzforschung einen
massgebenden Beitrag geleistet. Jedem von uns, seien wir ehrlich, sitzt trotz
naturwissenschaftlicher Erkenntnis und aufgeschlossener Denkweise auch heute noch
ein wenig die Angst vor dem Phänomen Blitz und Donner im Nacken. Diese Furcht
wurzelt tief.

Tötungszauber und Fruchtbarkeitsmagie

Der Blitz fuhr der Menschheit seit jeher in die Glieder, und sie fühlte sich, je nach
Kulturstufe, hin- und hergerissen zwischen elementarer Furcht vor dem Tötungszauber
seiner dämonischen Kraft und ehrfürchtiger Verehrung seiner Eigenschaft als Teil des
fruchtbarkeitsspendenden Gewitters.

In unzähligen bildlichen Darstellungen rund um die Welt hat dieses Urphänomen der
Natur seine Spuren hinterlassen, als Donnerkeil, Donnerstein und Teufelsfinger in der
alten und als Donnervogel in der neuen Welt. Gemalte und gemeisselte Blitzfeuer und
heilige Blitzgräber zeugen noch heute vom grossen Zittern der Antike vor der
zerschmetternden Kraft des Himmelsfeuers, zumal im vorderasiatischen und
griechisch-römischen Kulturkreis. Blitz-, Donner-, Wind- und Regengottheiten sind
Legion.

Auch die Kunst nahm sich des himmlischen Feuers an. Während die Gotik noch zögerte,
wagte die Renaissance erste Gewitterdarstellungen, und der Barock schliesslich zeigte
eine ganz besondere Vorliebe für das Motiv des Blitzes. Die Malerei der Neuzeit überliess
die Blitzdarstellung der Fotografie.

Vom Donnerkeil zum Hochspannungsphänomen

Aber auch der Respekt vor dem Blitz wandelte sich im Laufe der Zeiten. Schleuderten ihn
im Altertum erhabene Götter, bekam der Blitz in Renaissance und Barock eine leicht
komische Note, und das heitere Rokoko lässt spielende Putten mit Blitzchen um sich
werfen, als wären es harmlose Papierschlangen. Von der Romantik zur Neuzeit wandelte
sich dann das Blitzverständnis grundlegend, der mystische Donnerkeil mauserte sich zum
erklärbaren, luftelektrischen Vorgang.

Nur einmal noch, in Wilhelm Buschs satirischer Bildergeschichte vom heiligen Antonius
von Padua, tritt eine Blitzgottheit in Erscheinung und lässt den unheiligen Dr. Alopecius
durch Blitzschlag ein böses Ende in Rauch und Asche nehmen...

Naturwunder Blitz und Donner

Als erster hatte der englische Geistliche D. William Wall den Geistesblitz, der Blitz sei
eine Form des elektrischen Funkens. Stephen Gray (1666 - 1736) kam zu demselben
Vergleich, und der Leipziger Physikprofessor Johann Heinrich Winkler (1703 - 1770)
widmete in seinen physikalischen Schriften ein ganzes Kapitel der Frage, “ob Schlag und
Funken der verstärkten Elektrizität für eine Art des Donners und Blitzes zu halten sind.”

Dem Amerikaner Benjamin Franklin (1706 - 1790) gelang es 1752 erstmals, Elektrizität in
der Atmosphäre nachzuweisen, indem er an einer elektrisch leitfähigen, nassen Schnur
einen Drachen steigen liess und dabei aus einem angehängten Schlüssel Funken ziehen
konnte. Zum Glück tat er das nicht während eines Gewitters, sonst hätte ihn dasselbe
Schicksal ereilt wie den Petersburger Physikprofessor G.W. Richman im Jahre 1753, der
den Blitztod fand, als er während eines Gewitters die Stärke der Wolkenelektrizität zu
messen versuchte.

Es dauerte dann rund 200 Jahre, bis man das Phänomen Blitz voll erforscht hatte und bis
die Erkenntnisse in wirksamen Blitzschutz umgesetzt wurden. Trotzdem geistern auch
heute noch Irrmeinungen herum.

Die Mär vom “heissen” und “kalten” Blitz

Für den Volksmund ist die Sache einfach: “Heisse” Blitze können etwas anzünden, weil
sie heiss sind, “kalte” aus dem gegenteiligen Grund nicht. Die wissenschaftliche
Erklärung der Elektrizitätslehre lautet in etwa: Den “heissen”, das heisst
stromschwächeren, Blitz kann man mit einem Schweisslichtbogen vergleichen, den
“kalten”, das heisst stromstarken, mit einer Explosion.

Was den Begriff der Spannung anbetrifft: Diese ist beim Blitz unklar. Man müsste sie
zwischen Wolke und Erde messen können; doch diese Millionen Volt kann man bloss
schätzen. Was sich dagegen genau messen lässt, ist der Strom des Blitzes, der ja auch
bis zum Boden herunterkommt, also mit Messgeräten erfassbar ist.

Während die Bauernregel “Je mehr Donnerwetter, je fruchtbarer das Jahr” wohl stimmen
mag, da Gewitter das für den Pflanzenwuchs lebensnotwendige Regenmass mit sich
bringen, könnte die Befolgung der nachstehenden Volksmundregel für das Verhalten bei
Blitzschlag recht böse Folgen haben: “Vor den Eichen sollst du weichen, doch die Buchen
sollst du suchen”.

Diese irrige Auffassung stammt wohl daher, dass man die Blitzeinschläge an glatten
Buchenstämmen stets weniger gut sah als solche an Bäumen mit borkiger Rinde, welche
beim Blitzeinschlag in grossen Fetzen weggefegt wird. Daraus schloss man irrtümlich,
Buchen seien weniger gefährdet. Das stimmt keineswegs. Richtig ist, während eines
Gewitters überhaupt nicht unter Bäumen zu stehen, schon gar nicht unter freistehenden.

Wie man der Blitzgefahr ausweicht

Fast alle Blitzunfälle ereignen sich im Freien. Der Blitz schlägt vornehmlich an Stellen ein,
welche die Umgebung wesentlich überragen. Nicht nur am Einschlagsort besteht Gefahr,
sondern auch im Umkreis von etwa 30 m. Blitzunfälle sind nicht immer tödlich. Wenn ein
Teil eines Blitzstromes über den menschlichen Körper fliesst, kann dies zu unwillkürlichen
Muskelreaktionen führen, die einen Menschen mehrere Meter fortschleudern können;
daher sind auch Stellen mit Absturzgefahr zu meiden. Ganz allgemein hält man sich am
bestem an die vom der Blitzschutzkommission des Schweizerischen Elektrotechnischen
Vereins aufgestellten Hinweise für das Verhalten im Freien bei Gewittern.

Gefährdete, das heisst zu meidende Standorte sind: einzeln stehende Bäume und
Baumgruppen, Waldränder mit hohem Bäumen. Aussichtstürme und andere Objekte auf
freiem Feld, Berggipfel und Berggrate, Freileitungsmasten, hohe Kräne, Schwimmbäder
und Seen (besonders deren Ufer), ungeschützte Zelte und Boote mit Metallmasten,
Aufenthalt neben Auto oder neben Weidezäunen, Tragen überragender Gegenstände
(Pickel, Ski, Fischerrute), Anlehnen an Felswände.

So schützt man sich vor Blitzschlag

Am sichersten ist man in Wohnhäusern, Stahlskelettbauten, Baracken mit
zusammenhängenden Blechwänden und -decken, in Autos mit Ganzmetallkarosserie,
Traktoren mit Metalldach, Eisenbahnwagen, Ganzmetallwohnungen, in Metallkabinen von
Seilbahnen, Schiffen oder Lastwagen, in Höhlen, wo man stehen kann (ohne dass der
Kopf zu nahe an die Decke kommt), im Innern eines Waldes mit gleichmässig hohem
Baumbestand, jedoch nicht in der Nähe einzelner Bäume oder herabhängender Aeste.

Notlösungen bei Ueberraschungen findet man im Innern von Hütten, Kapellen, Scheunen
(aber nicht an Aussenwände anlehnen), unter Freileitungen (jedoch nicht in der Nähe von
Masten), durch Niederhocken mit geschlossenen Füssen in Bodenmulden, Hohlwegen
oder am Fuss von Felsvorsprüngen (geschlossene Füsse deshalb, damit nicht via
gespreizte Beine eine sogenannte Schrittspannung entstehen kann).

Was tun bei Blitzunfall?

Sofern der Unfall nicht tödlich ist, muss sofort mit Wiederbelebungs- und
Erste-Hilfe-Massnahmen begonnen werden: Mund-zu-Mund-Beatmung, äussere
Herzmassage, Seitenlagerung, vor Unterkühlung schützen. Abdecken von
Verbrennungen mit sauberer Gaze, sofort den Arzt rufen und bis zu seinem Eintreffen mit
Wiederbelebungsmassnahmen fortfahren. Kleiner Trost: Die Chance, vom Blitz je
getroffen zu werden, ist laut Wahrscheinlichkeitsrechnung für den einzelnen Menschen
verschwindend klein....

Blitzforschung von Weltruf

Auf dem Monte San Salvatore im Tessin schlummert seit langer Zeit ein seltsames, einst
weltberühmtes Institut im Dornröschenschlaf: Hier war während über drei Jahrzehnten
das Phänomen Blitz erforscht worden. Die Schweizer Blitzforschung nahm ihren Anfang
vor mehr als fünfzig Jahren entlang von Hochspannungsleitungen. Damit eng verbunden
ist der Name des heute 93jährigen, in Zollikon lebenden Professors Karl Berger. Er war
Leiter des Messstation auf dem San Salvatore und zugleich Dozent für
Hochspannungstechnik an der ETH. Dass die Schweizer Blitzforschung weltweite
Anerkennung genoss, bewiesen die Einladungen Professor Bergers, auch bekannt unter
dem Namen “Vater des Blitzes”, bis nach Uebersee sowie seine beiden Ehrendoktortitel
von der Technischen Hochschule München und der Universität Uppsala.

1926 hatte Berger mit Messungen von Blitzüberspannungen auf grossen elektrischen
Leitungen der SBB und verschiedener Elektrizitätswerke begonnen. Um den
Apparatetransport zu vereinfachen, stellten ihm die Bundesbahnen 1930 zwei alte,
ausrangierte Eisenbahnwagen zur Verfügung; den einen für die Instrumente, den anderen
zum Wohnen. So wurden bis 1936 jeden Sommer an irgeneiner Hochspannungsleitung in
der Schweiz Blitzmessungen durchgeführt.

Hexenkessel Tessin

Da der Blitzstrom nur am Ort des Einschlags selber genau zu messen ist, verliess man
die Leitungen im Flachland und stieg 1937 auf die Berge. Dort war die Wahrscheinlichkeit
grösser, Blitze direkt zu erfassen. Auf fünf Bergspitzen - Säntis, Pilatus, Rigi,
Rochers-de-Naye und San Salvatore - wurden Messeinrichtungen installiert. Als
blitzintensivste Ecke der Schweiz erwies sich das Tessin. Da hier die Gewitterdichte am
grössten ist, treten pro Quadratkilometer und Zeiteinheit auch am meisten Blitze auf.
Daher entschied man sich definitiv für den San Salvatore.

1943 wurde mit Hilfe von Soldaten der Uebermittlungstruppen auf dem Gipfel des San
Salvatore der erste von zwei Blitzmasten aufgestellt, und die Station wurde bemannt. Die
Wallfahrtskirche auf dem Gipfel diente als Fotolabor, das nahegelegene
Eremitengebäude des ehemaligen Klosters als elektrische Messstation. Blitzschutz ist
erforderlich für die verschiedensten zivilen und militärischen Institutionen wie Kraftwerke,
Luftverkehr usw.

Kein Land auf der Welt hatte so viele Blitzstrommessungen gesammelt wie die Schweiz.
1951 war unser Land auch Gründungsmitglied der Europäischen Blitzschutzkonferenz,
die seither alle zwei Jahre tagt.

Bis 1954 hatten der Schweizerische Verein und der Verband Schweizerischer
Elektrizitätswerke das Institut finanziert: bis 1972 sprang der Nationalfonds mit Krediten
ein. Dann aber versiegte die Geldquelle endgültig, weil genügend Blitzschutzdaten
vorlagen. Die Aufgabe der Forschungskommission, den Blitz im Hinblick auf den Schutz
von Gebäuden und Einrichtungen zu erforschen, war zu ihrem Abschluss gekommen.

Wie ein Blitz entsteht

Im turbulenten Innern der Gewitterwolke werden Regentropfen und Eiskristalle zerrissen.
Die grösseren Teile bleiben unten, die kleineren werden emporgewirbelt. Dadurch
trennen sich die elektrischen Ladungen. Wird die Spannung zwischen zwei Wolkenteilen
oder zwischen Wolke und Boden für das Isolationsvermögen der Luft zu gross, erfolgt
eine Entladung, ein Funkenüberschlag, genannt Blitz. Man unterscheidet Wolken- und
Erdblitze.

Seinen Weg bahnt sich der Blitz, indem er sich in einem komplizierten Vorgang einen
leitfähigen Kanal (Durchmesser einige Zentimeter) bildet, den er ruckartig stufenweise
vorantreibt. Kommt diese Gleitentladung in Bodennähe, so schlägt ihr von unten her
häufig eine Fangentladung entgegen, die den Kanal fertigstellt und damit die stromstarke
Hauptentladung einleitet. Verschiedene Seitenverzweigungen erreichen den Boden nicht
und enden blind in der Luft.

[Wanderrevue 3/1992, Heini Hofmann]
 
 



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