5.14  Aufstieg, Karriere und Ende des französischen "tüchtigen Kapitäns", eines neuen Markgrafs Roland.

 

Ein französischer "tüchtiger Kapitän" hochadliger Herkunft - ein neuer Markgraf Roland - wird in der Armee vom einfachen Soldaten bis zum Oberbefehlshaber aufsteigen. Im militärischen Bereich sehr versiert, wird er allerdings die Priester stark bedrängen. Er wird seine französischen Gegner mit großer Macht zurückschlagen und später tief nach Spanien vorstoßen. Dabei wird er die Streitkräfte der französischsprachigen Bretonen und Normannen befehligen. Die Bretonen werden auch die Ligurer vernichten. Dieser tüchtige Kapitän wird einen Sohn haben, der ihm zunächst Ehre und Reichtum einbringt. Wenn der tüchtige Kapitän aber alt ist, wird sein eigener Sohn eine erfolgreiche Rebellion gegen den Vater anführen. Der Sohn wird den geflohenen Vater dann in dessen letzter Bastion belagern und besiegen. Der Grund für die Niederlage wird sein, dass der tüchtige Kapitän auf einen fremden Übersetzer, einen törichten Mann, hört und in der Folge gestürzt wird. Nachdem die letzte Festung des tüchtigen Kapitäns gefallen ist, wird dieser geköpft und der Kopf dem siegreichen Sohn vor die Füße geworfen werden. Die enthauptete Leiche wird zur Abschreckung an der Rah eines Schiffes aufgehängt. Von diesem Anblick abgeschreckt, werden die Unterstützer des tüchtigen Kapitäns die Flucht ergreifen.

          Zur Zeit des tüchtigen Kapitäns wird Frankreich nicht mehr als geeinter Staat existieren. Ein Bündnis aus Bordeaux, Royan und La Rochelle und eine Allianz aus Engländern, Bretonen und Flamen bekämpfen sich. Dabei wird die letztgenannte Allianz das westfranzösische Bündnis bis nach Roanne (Raum Lyon) zurückdrängen. Royan und La Rochelle werden sich dann von Bordeaux ab- und den Bretonen zuwenden. Doch die Bretonen verraten ihre neuen Verbündeten im Hafen von Blaye (Raum Bordeaux). Zu dieser Zeit wird auch der tüchtige Kapitän in seiner letzten Bastion verraten und endgültig gestürzt. Wenn ein Bruder (oder Verbündeter) aus Chartres sieht, wie der Sohn des tüchtigen Kapitäns die letzten Truppen seines Vaters vernichtet, wird er "Orléans" und Royan verraten.

          In dieser Zeit wird der iranische Herrscher dem türkischen Herrscher viel Schlechtes antun. Und zwar in dem Maß, wie Frankreich beiden zuvor Gutes getan hat. Der iranische Herrscher wird dabei in Foix (oder Fez?) stehen und etwa 29 Jahre regieren. Über den türkischen Herrscher wird ein (religiöser?) Bann verhängt werden, wenn "Sonne", "Mars" und "Merkur" in der Nähe des "Wassermanns" sind.

          Dann, wenn die enthauptete Leiche des tüchtigen Kapitäns öffentlich aufgehängt sein wird, wird beim Juliermonument in Saint-Rémy-de-Provence etwas geschehen. Ein Anschlag wird der "königlichen Sache" bekannt sein.

 

 

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8/57

 

[1] De1) souldat simple2) paruiendra en empire3),

[2] De robe courte paruiendra à la longue4)

[3] Vaillant5) aux armes en eglise6) ou plus pyre,

[4] Vexer7) les prestres comme l’eau fait l’esponge8).                 

 

[1] Vom1) [Rang des] einfachen2) Soldaten wird [er] zum Oberbefehlshaber3) aufsteigen.

[2] Vom kurzen Uniformrock wird [er] zum langen kommen.4)

[3] [Er ist] tüchtig5) [im Umgang] mit den Waffen. Was die Kirche angeht6), wo [er der] Schlimmste [sein wird],

[4] [wird er] die Priester ausquetschen7) wie [es mit] dem Wasser aus dem Schwamm gemacht [wird]8).

 

1) Auch denkbar: "le souldat simple", d. h. "der einfache Soldat".

2) "Simple" kann u. a. auch "nicht adlig" bedeuten.

3) Das mittelfranzösische "empire" bedeutet "Macht, Herrschaftsgewalt, Oberbefehl; Reich" und kann auch konkret das römisch-deutsche Reich bezeichnen. Mit Blick auf den einfachen Soldaten scheint die Übersetzung "Oberbefehlshaber" nahezuliegen.

4) Das mittelfranzösische "robe" bedeutet u. a. "Oberbekleidung", hier mit Blick auf die erste Zeile wohl "Uniformrock". CLÉBERT, S. 904, weist darauf hin, dass im 16. Jahrhundert mit dem Wechsel von einem kurzen zu einem langen Rock der Aufstieg von einer untergeordneten zu einer übergeordneten Position ausgedrückt wurde. Hier liegt aber möglicherweise ein Wortspiel vor, das beim Druck untergegangen ist. Mit Blick auf das "esponge" in der vierten Zeile könnte unser Seher in Zeile zwei ursprünglich "longe" (Seil, Leine, Strick; Lederriemen; Hundeleine) geschrieben haben. Ein Begriff, der einerseits das Schicksal dieses Mannes (das aufgehängt werden) und andererseits - durch die optische Ähnlichkeit mit "longue" - die vorausgehende Karriere angekündigt hätte.

5) Oder auch: "fähig, intelligent, tapfer; mächtig, einflussreich". Der Begriff "vaillant" taucht in 3/14/1, 4/83/1, 4/92/1, 4/99/1, 7/10/2, 8/57/3 und 9/17/2 (5.276) sowie im Plural in 2/52/4 (5.94) auf. Von einem tüchtigen Kapitän (oder Heerführer) ist in 4/83 und 4/92 die Rede. Einen militärischen Befehlshaber, der der tüchtigste älteste Sohn einer Königstochter ist, finden wir in 4/99. 7/10 berichtet vom klugen und tüchtigen Anführer eines "großen Heeres". Von jemandem, der tüchtig im Umgang mit Waffen ist und vom einfachen Soldaten bis an die Spitze der Macht aufsteigt, lesen wir in 8/57. In 9/17/2 wird der Begriff "vaillant" im Sinne von "Besitz" verwendet. Zwei, die im Kampf tüchtig sind, verursachen in 2/52/4 einen Krieg.

6) Wörtlich: "In der Kirche".

7) "Vexer" bedeutet im weitesten Sinne "hart mitnehmen, hart zusetzen". Mit Blick auf den Schwamm ist der Begriff hier wohl am ehesten mit "auspressen, ausdrücken" - sinngemäß wahrscheinlich "unterdrücken" - zu übertragen.

8) Etwas unklar formuliert. Vielleicht "l’eau faite d’esponge" oder "l’on fait d’esponge"? In jedem Fall ist der Reim auf "longue" bemerkenswert, vgl. Anmerkung 4.

Ein "tüchtiger Kapitän" hochadliger Herkunft - ein neuer Markgraf Roland (vgl. 7/10) - wird in der Armee vom einfachen Soldaten bis zum Oberbefehlshaber aufsteigen. In militärischen Dingen wird er sehr versiert sein. Doch die Priester wird er bedrücken wie kein anderer.

 

Traditionell wird diese Strophe auf Napoleon Bonaparte bezogen (so auch bei mir, PFÄNDLER, 1997, S. 607f.). Doch hält diese Zuordnung einer genaueren Überprüfung stand?

 

In der ersten Zeile erfahren wir, dass jemand, der den Rang eines einfachen (oder auch: nicht adligen) Soldaten bekleidet, bis zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte aufsteigen wird. Napoleon hatte bei Beginn seiner militärischen Karriere (1786) den Rang eines Leutnants inne, war also bereits kein gewöhnlicher Soldat mehr. Außerdem war er als geborener Buonaparte Angehöriger des niederen korsischen Adels.

 

Die Angaben in den letzten drei Zeilen würden in etwa zu Napoleon passen: Die steile Karriere in Armee und Staat (Zeile zwei) und die Tüchtigkeit im Umgang mit den Waffen (hier: Streitkräfte) in Zeile drei. Die Unterdrückung der Priester (bzw. der Kirche) ließe sich dem Konkordat von 1801 zuordnen, das den Klerus und die katholische Bevölkerung Frankreichs an den französischen Staat band. Der Papst verzichtete darin auf die Rückgabe des eingezogenen Kirchengutes, die Bischöfe wurden von Napoleon bestimmt und vom Papst eingesetzt. Laut Konkordat wurden Bischöfe und Priester vom Staat bezahlt, mussten diesem dafür aber einen Treueeid leisten, in dem sie sich u. a. verpflichteten, staatsfeindliche Umtriebe unter den Gläubigen der Staatsmacht zu melden.

 

Wenn man Napoleon als Herrscher (ab 1799) in einer Reihe mit den Königen Frankreichs sieht, war er tatsächlich jenes Staatsoberhaupt, das in der Bevormundung der Kirche soweit ging wie noch nie eines zuvor. Allerdings hatte die Kirche in den vorangegangenen Jahren der Revolution erheblich mehr zu leiden gehabt als unter dem Korsen. Und falls mit dem "ausquetschen der Priester wie Wasser aus einem Schwamm" eine sehr gewaltsame (bluttriefende) Verfolgung der Kirchenmänner gemeint sein sollte, passt die Beschreibung mit Sicherheit nicht auf Napoleons Zeit.

 

Nach meinem Dafürhalten finden wir den Schlüsselbegriff zur Zuordnung dieser Strophe in der dritten Zeile. Wir lesen, dass der Mann, der laut Zeile eins vom einfachen Soldaten bis zum Oberbefehlshaber aufsteigen wird, tüchtig ("vaillant") im Umgang "mit den Waffen" - also im militärischen Bereich - sein wird. Wie in Anmerkung 5 angetönt, vermute ich hier den tüchtigen Kapitän oder Heerführer aus 4/83 und 4/92 beschrieben, der meines Erachtens auch in 4/99 und 7/10 gemeint ist.

 

Sollte diese Identifikation stimmen, wäre noch der Umstand interessant, dass der aus hohen Adelskreisen stammende tüchtige Kapitän (4/99/1 u. 7/10/1) seine militärische Karriere trotz seiner Herkunft als einfacher Soldat beginnt.

 

 

4/99

 

[1] L’aisné vaillant1) de la fille du Roy,

[2] Repoulsera si profond les Celtiques2):

[3] Qu’3)il mettra foudres4), cõbien en tel arroy5)

[4] Peu & loing6) puis profond es Hesperiques7).

 

[1] Der tüchtige1) älteste [Sohn] der Königstochter

[2] wird die Keltischen2) sehr weit zurückdrängen.

[3] Weil3) er Blitze4) schleudern wird, [oh] wieviele auf [einen] solchen Befehl [hin]!5)

[4] Und wenig später6) dann [auch] tief zu den Hesperischen7) [hinein].

 

1) Oder auch: "fähig, intelligent, tapfer; mächtig, einflussreich". Der Begriff "vaillant" taucht in 3/14/1, 4/83/1, 4/92/1, 4/99/1, 7/10/2, 8/57/3 und 9/17/2 (5.276) sowie im Plural in 2/52/4 (5.94) auf. Von einem tüchtigen Kapitän (oder Heerführer) ist in 4/83 und 4/92 die Rede. Einen militärischen Befehlshaber, der der tüchtigste älteste Sohn einer Königstochter ist, finden wir in 4/99. 7/10 berichtet vom klugen und tüchtigen Anführer eines "großen Heeres". Von jemandem, der tüchtig im Umgang mit Waffen ist und vom einfachen Soldaten bis zum Oberbefehlshaber aufsteigt, lesen wir in 8/57. In 9/17/2 wird der Begriff "vaillant" im Sinne von "Besitz" verwendet. Zwei, die im Kampf tüchtig sind, verursachen in 2/52/4 einen Krieg.

2) Bei Nostradamus meinen die Kelten Gallier und somit Franzosen. Möglicherweise allerdings nur einen Teil derselben, vgl. 3/83, wo vom keltischen (und nördlichen) Gallien die Rede ist.

3) Die Konjunktion "que" kann im Mittelfranzösischen u. a. auch "wegen, weil; dann, wenn" bedeuten.

4) Mit diesen "Blitzen" sind wohl einfach schwere Schläge gemeint, die hier ausgeteilt werden. Vgl. dazu lat. "fulmen" (u. a. Blitz; zerschmetternder Schlag, unwiderstehliche Kraft).

5) Unklare Stelle. "Arroy" bedeutet u. a. "Anordnung (Befehl u. Aufstellung), Schlachtordnung, Kriegsausrüstung". Ich vermute, sinngemäß geht es darum, dass der Herrscher dem tüchtigen Kapitän befehlen wird, mit großer Macht und Gewalt vorzugehen und letztgenannter dies dann auch genauso umsetzen wird.

6) Möglicherweise als "& peu loing" zu verstehen, wobei "loing" neben "weiter" auch "später" bedeuten kann.

7) Das lat. "Hesperia" bezeichnet das "Abendland", nach antiker Auffassung Italien, Spanien und Westafrika. Nostradamus meint damit Spanien, vgl. 5/40/2 (5.23).

Der "tüchtige Kapitän" wird der Sohn einer Königstochter sein. Er wird seine französischen Gegner mit großer militärischer Gewalt weit zurückdrängen. Kurze Zeit später wird er tief nach Spanien vordringen.

 

In der ersten Zeile ist vom ältesten Sohn einer Königstochter die Rede. Nostradamus ordnet ihm dabei das Attribut "tüchtig" zu, was ein Hinweis auf den "tüchtigen Kapitän" aus 4/83 und 4/92 sein dürfte, vgl. Anmerkung 1.

 

Zeile zwei ist zu entnehmen, dass dieser tüchtige Mann die "Keltischen" sehr weit zurückdrängen wird. Doch wer ist mit diesen Keltischen gemeint? Die Begriffe "Kelten", "Keltische", "keltisch" tauchen in den Zenturien etliche Male auf. Dass die Kelten in den französischen ("gallischen") Bereich gehören, wird in 2/69/1, 2/72 und 3/83/1 deutlich. Interessant ist dabei v. a. 3/83/1. Nostradamus spricht hier von den "langen Haaren" bzw. den Langhaarigen des keltischen Galliens. Es scheint bei ihm also ein keltisches und demzufolge wohl auch ein nichtkeltisches Gallien zu geben. Die "langen Haare" verweisen dabei auf das lat. "Gallia Comata" (langhaariges Gallien), das bei den Römern das Gallien außerhalb der Provincia Narbonensis bezeichnete. Die Gallia Comata umfasste das heutige Frankreich (außer Süd- und Südostfrankreich vom Raum Toulouse bis Genf) sowie das gesamte linksrheinische Gebiet von den südlichen Niederlanden bis in die Schweiz.

 

Mit den "Kelten" sind bei Nostradamus somit Franzosen bzw. linksrheinische Westeuropäer gemeint, die nicht aus der alten Provincia Narbonensis stammen. Dabei ist es nicht zwingend, dass das Land der Kelten mit der gesamten Gallia Comata identisch ist, es ist jedoch mindestens Teil derselben.

 

Laut Zeile drei wird dieser tüchtige Feldherr zahlreiche heftige Angriffe gegen die Keltischen führen. Wo er dies tut, ist leider nicht ersichtlich, ich vermute aber in Frankreich.

 

Gemäß Zeile vier wird er danach tief nach Spanien vorstoßen. Doch wen bekämpft er dort? Jedenfalls verbindet diese Information die Strophe mit 7/10/4. Dort erfahren wir, dass dieser tüchtige Befehlshaber die Französischsprachigen (aus der Bretagne) und die Normannen in Spanien kommandieren wird.

 

 

 

 

 

 

 

7/10

 

[1] Par le grand prince limitrophe1) du Mans2),

[2] Preux3) & vaillant4) chef de grand exercite5):

[3] Par mer & terre de Gallotz6) & Normans7),

[4] Caspre8) passer Barcelone pillé9) isle.

 

[1] Wegen des großen Fürsten [aus dem] Grenzland1) von Le Mans2),

[2] [des] fähigen3) und tüchtigen4) Anführers des großen Heeres5), [werden]

[3] zur See und zu Land von Französischsprachigen6) und Normannen7)

[4] Gibraltar8) [und] Barcelona passiert [und die] Insel verwüstet9).

 

1) Wörtlich etwa: "[aus dem] Angrenzenden von Le Mans".

2) Le Mans war die Hauptstadt der ehemaligen französischen Provinz Maine. Mit dem "Grenzland von Le Mans" müsste Maine gemeint sein. Vor der endgültigen Vereinigung der Bretagne mit Frankreich 1532 war die Provinz nämlich tatsächlich ein Grenzland zu einem anderen Staat - eben der Bretagne. Interessant ist hier, dass es im Karolingerreich einst eine Bretonische Mark gegeben hat, zu der u. a. der westlichste Teil des Maine gehörte. Deren bekanntester Markgraf war Roland (ca. 736-778), der Held des nach ihm benannten Rolandsliedes. Roland befehligte in Spanien die Nachhut Karls des Großen und fiel am Pyrenäenpass von Roncesvalles im Kampf gegen die christlichen Basken (der Legende nach gegen die Mauren). Roland, der im Französischen auch Roland le preux genannt wird, soll dann in Blaye (32 km nordwestlich von Bordeaux) bestattet worden sein.

3) Das mittelfranzösische "preux" kann als Synonym von "vaillant" begriffen werden. Daneben bedeutet es u. a. aber noch "ritterlich, edel; adlig".

4) Oder auch: "fähig, intelligent, tapfer; mächtig, einflussreich". Der Begriff "vaillant" taucht in 3/14/1, 4/83/1, 4/92/1, 4/99/1, 7/10/2, 8/57/3 und 9/17/2 (5.276) sowie im Plural in 2/52/4 (5.94) auf. Von einem tüchtigen Kapitän (oder Heerführer) ist in 4/83 und 4/92 die Rede. Einen militärischen Befehlshaber, der der tüchtigste älteste Sohn einer Königstochter ist, finden wir in 4/99. 7/10 berichtet vom klugen und tüchtigen Anführer eines "großen Heeres". Von jemandem, der tüchtig im Umgang mit Waffen ist und vom einfachen Soldaten bis zum Oberbefehlshaber aufsteigt, lesen wir in 8/57. In 9/17/2 wird der Begriff "vaillant" im Sinne von "Besitz" verwendet. Zwei, die im Kampf tüchtig sind, verursachen in 2/52/4 einen Krieg.

5) Hier dürften Landstreitkräfte gemeint sein, vgl. dazu auch lat. "exercitus". An dieser Stelle sei zudem daran erinnert, dass das Attribut "groß" bei Nostradamus auch für "französisch" stehen kann, vgl. dazu 1/32/1f. und 3/49/1f.

6) Die 1568er-Ausgaben von Dresden, Paris und Gregorio haben hier fäschlicherweise "Gallois" (Waliser). "Gallotz" sind Französischsprachige, namentlich aus der Bretagne. Sie werden auch in 6/62/3 erwähnt.

7) Normannen tauchen namentlich in 6/16/2, 6/97/4, 7/10/3, 9/30/2 und 10/51/3 auf. Vom normannischen König ist in 9/7/4 die Rede. Die Normannen (Wikinger) stammten ursprünglich aus Skandinavien. 911 erhielten sie vom westfränkischen König die nach ihnen benannte Normandie als Lehen. Kurzzeitig beherrschten sie auch die benachbarte Bretagne. 1066 eroberten die Normannen unter ihrem Herzog Wilhelm dem Eroberer England, der zum englischen König gekrönt wurde. Ein weiterer normannischer Staat entstand in Süditalien, wo die Nordmänner seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts Apulien, Kalabrien und Sizilien kontrollierten. Herzog Roger II. vereinigte 1130 Sizilien und die Besitzungen auf dem italienischen Festland und residierte als König des neuen Gesamtstaates in Palermo. In den folgenden Jahren eroberte er Amalfi, Neapel und Gaeta für sein süditalienisches Normannenreich.

8) In allen Ausgaben von 1557 und 1568 steht fälschlicherweise "Caspre". Dabei dürfte "Caſpre" ein falsch gedrucktes "Calpre" sein und das lat. "(Mons) Calpe" (Gibraltar) meinen. An der spanischen Ostküste, etwa 60 km nordöstlich von Alicante, gäbe es zudem eine Stadt namens Calpe (Calp). Von Calp(r)e ist auch in 1/77/4 und 3/78/3 die Rede.

9) "Pillé" (in allen Ausgaben von 1557 und 1568 so) dürfte als "pillée" zu lesen sein und zur "Insel" gehören.

Der "tüchtige Kapitän", ein neuer Markgraf Roland aus der französischen Provinz Maine, führt die Streitkräfte der französischsprachigen Bretonen und Normannen in den Kampf. Sie werden zu Land und zu Wasser über Barcelona und Gibraltar hinaus vorstoßen und die Iberische Halbinsel verwüsten.

 

In der zweiten Zeile wird ein fähiger und tüchtiger Anführer des "großen Heeres" erwähnt. Ich sehe hier den tüchtigen Kapitän oder Heerführer aus 4/83 und 4/92 (sowie 8/57) gemeint. Das "große" (hier wohl: französische) Heer würde zum ebenfalls französischen Kontext aus Zeile eins und 3/14/2 passen.

 

In der ersten Zeile wird er als "großer Fürst aus dem Grenzland von Le Mans" bezeichnet. Zur Zeit der Abfassung dieser Strophe war die Bretagne bereits über zwei Jahrzehnte fest mit Frankreich verbunden. Dies könnte auch als Hinweis darauf verstanden werden, dass die Bretagne in Zukunft wieder einmal aus dem französischen Staatsverband ausscheiden und der Maine erneut zum Grenzland werden wird.

 

Der Titel "Fürst" und die Parallele zu Markgraf Roland legen eine adlige bzw. hochadlige Herkunft nahe. Dies würde zu 4/99/1 passen, wo vom "tüchtigsten ältesten Sohn der Königstochter" die Rede ist, der sich als Feldherr profiliert.

 

In 7/10/3 erfahren wir, dass dieser Fürst der Grund dafür sein wird, dass auf dem Land- und Seeweg Truppen der "Französischsprachigen (aus der Bretagne)" und "Normannen" in den Krieg ziehen werden. Dies dürfte mit Blick auf 4/99 wohl so zu verstehen sein, dass sie von ihm kommandiert werden.

 

Gemäß Zeile vier werden die französischsprachigen Bretonen und die Normannen wohl an Gibraltar und Barcelona vorbeiziehen und die "Insel" verwüsten. Hier könnte Nostradamus wieder das aus 10/66/2 (5.37) bekannte Spiel betreiben und mit "Insel" "Halbinsel" meinen (vgl. griech. "nesos" = Insel und Halbinsel). Konkret wäre dann wohl von der Iberischen Halbinsel die Rede. Die Zeile schlägt die Brücke zu 4/99/4.

 

 

6/62

 

[1] Trop tard tous deux les fleurs1) seront perdues,

[2] Contre la loy serpent2) ne voudra faire:

[3] Des ligueurs3) forces par gallotz4) confondues,

[4] Sauone5), Albingue6) par monech7) grand martyre.

 

[1] [Es ist] zu spät. Alle beide, die Blumen1), werden verloren sein.

[2] Gegen das Gesetz [wird die] Schlange2) nichts machen wollen.

[3] Die Kräfte der Ligurer3) [werden] von Französischsprachigen4) zerstört.

[4] Savona5) [und] Albenga6) [werden] durch Monaco7) [ein] großes Martyrium erleiden.

 

1) Oder u. a. auch "Blüten". In den Zenturienstrophen taucht eine einzelne nicht näher spezifizierte Blume sowohl in 6/83/4 (5.194) als auch in 9/35/2 (5.106) auf. Je eine Lilienblume finden wir in 4/20/2 (5.29), 5/39/1 (5.15) und 10/79/3 (5.58). Von mehreren Lilienblumen ist in 5/89/4 (5.145) die Rede. Die Lilienblume steht seit dem Spätmittelalter für die französische Monarchie und das Haus Bourbon. Es wäre also möglich, dass in 6/62/1 von zwei Angehörigen der französischen Königsfamilie die Rede ist.

2) Eine oder mehrere Schlangen tauchen in 1/10/1 (5.111), 1/19/1 (5.23), 2/43/4 (5.13), 4/93/1, 5/25/4 (abgekürzt, 5.100) und 6/62/2 auf. In 5/25/4 könnten Feldschlangen (Kanonen) gemeint sein. Die Schlange in 2/43/4 (5.13) ist wohl mit dem üblen Papst "Mabus" zu identifizieren. Im christlich-abendländischen Kontext ist mit einer "Schlange" wahrscheinlich ein übler Charakter, ein arglistiger Täuscher oder gar Verführer gemeint. Man vergleiche dazu die Schöpfungsgeschichte, in der Satan als Schlange auftritt (Genesis 3,1). Im Griechischen bezeichnet "ophis" sowohl das Kriechtier wie auch einen hinterhältigen oder heuchlerischen Menschen.

3) Wörtlich: "die Leute der Liga; Verschwörer". CLÉBERT, S. 747, weist jedoch daraufhin, dass der Begriff "ligueur" erst gegen Ende des 16. Jh. erscheint, nach DUBOIS/MITTERAND/DAUZAT, S. 431, erst 1579. Aus diesem Grund folge ich hier CLÉBERTs Vorschlag, "ligueurs" in "ligures" (Ligurer) zu korrigieren. Die antiken Ligurer lebten v. a. im heutigen nordwestitalienischen Ligurien. Im Rahmen der römischen Unterwerfung der Ligurer wurde ein Teil dieses Volkes nach Samnium umgesiedelt. Samnium lag im Bergland nordöstlich von Neapel.

4) "Gallotz" sind Französischsprachige, namentlich aus der Bretagne. Sie werden auch in 7/10/3 erwähnt.

5) Italienische Hafenstadt, etwa 40 km südwestlich von Genua. Sie wird auch in 1/75/1, 5/88/4, 6/62/4, 8/9/1, 9/39/2 und 10/60/2 erwähnt. Sie wurde 1528 von Genua erobert.

6) Italienische Hafenstadt, etwa 70 km südwestlich von Genua. Sie wurde 1251 von Genua erobert.

7) "Monech" meint bei Nostradamus offensichtlich einen Ort, nämlich Monaco, vgl. BRIND’AMOUR, S. 201, und CLÉBERT, S. 217. Abgeleitet sein könnte der Begriff vom lat. "Monaecum". Monaco stand von 1525 bis 1641 unter dem Schutz Spaniens. Das Fürstentum taucht auch in 2/4/1, 3/10/3, 4/37/4, 4/91/2, 6/62/4, 8/4/1, 9/42/2 (?), 10/23/3 und 10/60/1 (?) auf. In 6/62 könnte sinngemäß aber auch eine Person gemeint sein, vielleicht ein Mönch (griech. "monachos", lat. "monachus") bzw. jemand aus einem religiösen Orden.

Zwei "Blumen" (Bourbonen?) werden verloren sein, und gegen ein Gesetz wird eine "Schlange" nichts machen wollen.

Die französischsprachigen Bretonen werden die Streitkräfte der Ligurer zerstören. Monaco wird Savona und Albenga leiden lassen.

 

Die Erwähnung der "Französischsprachigen" in Zeile drei könnte diese Strophe 7/10 zuordnen. Der Rest des Vierzeilers hängt dagegen noch etwas in der Luft.

 

Die Französischsprachigen (aus der Bretagne) werden die Genuesen besiegen, und Monaco - der Verbündete der erstgenannten? - wird die beiden genuesischen Städte Savona und Albenga sehr leiden lassen (Zeilen drei und vier). Näheres zu diesem Krieg erfahren wir leider nicht.

 

In der ersten Hälfte der Strophe geht es möglicherweise um die französische Königsfamilie. Die beiden "Blumen" der ersten Zeile könnten zwei Mitglieder der Bourbonendynastie sein ("Lilien"), die "verloren" - d. h. vielleicht besiegt oder tot - sind.

 

Eine "Schlange" - wohl ein hinterhältiger Mensch - wird nichts gegen ein Gesetz tun wollen (Zeile zwei). Doch gegen welches Gesetz? Vielleicht das Salische Gesetz, das die Thronfolge der französischen Könige regelt? In welcher Beziehung steht die "Schlange" zu den beiden "Blumen"?

 

Wir müssen diesen Vierzeiler einstweilen so stehen lassen.

 

 

3/14

 

[1] Par le rameau1) du vaillant2) personage3)

[2] De France4) infime5): par6) le pere infelice

[3] Honneurs, richesses trauail7) en son viel aage

[4] Pour auoir creu le conseil d’8)homme nice.

 

[1] Durch den Zweig1) der tüchtigen2) Person3)

[2] von Frankreich4), dem niedrigsten5), [werden] dem6) unglücklichen Vater

[3] Ehrungen, Reichtümer, in seinem hohen Alter [aber auch ein] Leid7) [zuteil werden].

[4] Weil [er] dem Rat eines8) törichten Mannes Glauben geschenkt hat.

 

1) Mit diesem "Zweig" ist wohl ein Nachkomme, ein Spross gemeint, vgl. griech. "klados" (Zweig, Spross, Nachkommenschaft) und "ozos" (Ast, Zweig, Spross; Diener). Interessant könnte vielleicht noch sein, dass das lat. "ramus" (Ast, Zweig) auch die Keule des Herkules bezeichnet. Und von "Herkules" ist bei Nostradamus an anderer Stelle die Rede, vgl. 5.23, 5.37, 5.106, 5.151, 5.187 und 5.216. Gemäß 10/79/3 (5.58) scheint "Herkules" aus der französischen Königsfamilie bzw. dem Hause Bourbon zu stammen. Somit könnte auch der "Zweig" aus 3/14/1 ein Angehöriger dieses Geschlechts sein.

2) Oder auch: "fähig, intelligent, tapfer; mächtig, einflussreich". Der Begriff "vaillant" taucht in 3/14/1, 4/83/1, 4/92/1, 4/99/1, 7/10/2, 8/57/3 und 9/17/2 (5.276) sowie im Plural in 2/52/4 (5.94) auf. Von einem tüchtigen Kapitän (oder Heerführer) ist in 4/83 und 4/92 die Rede. Einen militärischen Befehlshaber, der der tüchtigste älteste Sohn einer Königstochter ist, finden wir in 4/99. 7/10 berichtet vom klugen und tüchtigen Anführer eines "großen Heeres". Von jemandem, der tüchtig im Umgang mit Waffen ist und vom einfachen Soldaten bis zum Oberbefehlshaber aufsteigt, lesen wir in 8/57. In 9/17/2 wird der Begriff "vaillant" im Sinne von "Besitz" verwendet. Zwei, die im Kampf tüchtig sind, verursachen in 2/52/4 einen Krieg.

3) Oder: "Persönlichkeit, Würdenträger".

4) Die Formulierung "von Frankreich" (de France) könnte in diesem konkreten Fall auch als Hinweis darauf verstanden werden, dass diese Person zur französischen Königsfamilie gehört, wo der Titel "de France" verwendet wurde.

5) Das mittelfranzösische "infime" bedeutet "(vom Stand her) niedrig, gering", ließe sich mit Blick auf das lat. "infimus" aber auch als "(topografisch) tiefgelegen" verstehen. Mit Blick auf 8/57 könnte sich dieses Adjektiv auf die "tüchtige Person" aus 3/14/1 beziehen und nicht auf Frankreich (3/14/2). Sollte dies doch der Fall sein, wäre wohl eine französische Tiefebene gemeint. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit wäre, das "infime" im Sinne des lat. "infimus" (u. a. - an Wert - schlechtest, niedrigst, geringst) zu verstehen und auf den "Zweig" und dessen Verhalten zu beziehen (siehe Übersetzung).

6) Im Mittelfranzösischen weist die Präposition "par" ein größeres Bedeutungsspektrum auf als heute. Sie lässt sich u. a. mit "durch, wegen, von", aber auch etwa mit "bei, auf, mit, zwischen" übersetzen. In obigem Fall vermute ich, der "unglückliche Vater" ist mit der "tüchtigen Person" der ersten Zeile identisch und das "par" müsste demzufolge mit Blick auf 4/83/3f. im Sinne von "für" verstanden werden. Man könnte alternativ im Original auch "par" durch "pour" oder "par le" durch "au" ersetzen.

7) "Travail" bedeutete bis ins 16. Jahrhundert "Leid, Kummer, Mühsal, Qual; Anstrengung".

8) Oder: "des".

Der "tüchtige Kapitän" wird einen Sohn haben. Dieser wird dem Vater zwar erst Ehre und Reichtum einbringen, sich aber dann als schäbig erweisen. Er wird dem "tüchtigen Kapitän" in dessen hohem Alter ein Leid zufügen. Und zwar, weil der Vater auf den Rat eines törichten Mannes hört.

 

In der ersten Zeile erscheint eine "tüchtige Person". Wie in Anmerkung 2 gezeigt, taucht das Attribut "tüchtig" in nur wenigen Strophen auf, namentlich aber in Zusammenhang mit einem "Kapitän" oder "Heerführer" (4/83, 4/92). Der zweiten Zeile ist zu entnehmen, dass diese Person offensichtlich französischer Herkunft ist, vielleicht sogar zur Königsfamilie gehört (Anmerkung 4).

 

Diese "tüchtige Person" hat laut Zeile eins einen Nachkommen ("Zweig"). Einen Nachkommen, dem Nostradamus einen nur geringen Wert zumisst (Zeile zwei). Dieser Nachkomme wird "dem" - wohl seinem eigenen - Vater (der mit der "tüchtigen Person" aus 3/14/1 identisch ist) Ehre und Reichtum einbringen. Aber dann, wenn der Vater bereits ein hohes Alter erreicht hat, auch ein Leid zufügen. Dies dürfte der Grund dafür sein, dass Nostradamus den Nachkommen trotz anfänglich großer Leistung als "von geringem Wert" charakterisiert. Den alten Vater nennt er dagegen folgerichtig "unglücklich" (zweite und dritte Zeile).

 

In der vierten Zeile erfahren wir, was der Grund dafür ist, dass der Sohn dem Vater ein Leid zufügt (oder zufügen kann). Weil "er" - mit Blick auf 6/60 ist damit wohl der Vater gemeint - auf den Rat eines törichten Mannes hört.

 

Das erwähnte Leid könnte wiederum das Schicksal des "tüchtigen Kapitäns" aus 4/83, 4/92, 2/2 und 7/1 sein, der erst vom eigenen Sohn belagert (4/83/4) und dann geköpft und öffentlich zur Schau gestellt wird (4/92, 2/2 und 7/1). Demzufolge wäre der Vater (= die tüchtige Person) aus 3/14 mit dem "tüchtigen Kapitän" aus 4/83/1 und 4/92/1 identisch.

 

 

 

 

 

 

 

 

4/83

 

[1] Combat nocturne le vaillant1) capitaine2),

[2] Vaincu3) fuyra peu de gens4) profligé5):

[3] Son peuple6) esmeu7), sedition non vaine,

[4] Son propre filz le tiendra assiegé.

 

[1] [Im] nächtlichen Kampf [wird] der tüchtige1) Kapitän2)

[2] besiegt3). [Er] wird fliehen [und dabei nur] von wenigen Leuten4) geschlagen5) [worden sein].

[3] Sein Volk6) [hat sich] erhoben7), [und dessen] Aufstand [wird] nicht vergeblich [sein].

[4] Sein eigener Sohn wird ihn belagern.

 

1) Oder auch: "fähig, intelligent, tapfer; mächtig, einflussreich".

2) Ein "capitaine" ist ein Kapitän zur See, der eines oder mehrere Schiffe kommandiert. Er kann sogar eine ganze Flotte befehligen, bleibt aber einem Admiral untergeordnet. Zu Land bezeichnet der Begriff einen Heerführer oder etwa auch den Oberkommandanten einer Stadt oder Festung. GRUBER, S. 256, sieht hier eine Verbindung zur bekannten Strophe 9/20 (5.11), wo ein "gewählter Cap(.)" erwähnt wird. Und in der Tat taucht dort auch das Wort "tranche" auf, was ein starkes Indiz für einen Zusammenhang zu 4/92 zu sein scheint.

          "Cap(.)" taucht in 7/37/4, 9/20/4, 9/30/3 und 9/64/4 auf. Als Abkürzung mit Punkt (oder selten: Komma) wird der Begriff in 9/20/4 (alle), 9/30/3 (alle außer Dresden, Paris u. Gregorio) und 9/64/4 (alle außer Dresden, Paris u. Gregorio) geschrieben. In 7/37/4 erscheint das Wort nirgends als Abkürzung. Das mittelfranzösische "cap" hieße dabei "Kopf, milit. Anführer, Kap". Ich vermute allerdings, dass es überall "cap." (mit Punkt) heißen sollte. Doch welches Wort könnte Nostradamus hier abgekürzt haben? Auch hierzu habe ich einen Verdacht. Unser Seher verwendet in 4/11/1, 5/78/4, 8/19/1 und 9/26/2 den Begriff "cappe" (Ornat eines Geistlichen, das über den Rang seines Trägers Auskunft gibt). Dabei legt besonders 5/78 nahe, dass es sich dabei wohl um das Papstornat bzw. den Papst handelt. Ich vermute nun, dass mit dem "cap(.)" - dem "Ornat" - ebenfalls das Kirchenoberhaupt gemeint ist.

3) Oder auch: "[Der] Besiegte wird fliehen".

4) Auch im Sinne von "Soldaten".

5) Lat. "profligare" (u. a. niederschlagen, überwältigen).

6) Oder u. a. auch: "Kriegsvolk, Truppe".

7) Oder u. a. auch: "[ist] unruhig, beunruhigt".

Gegen den "tüchtigen Kapitän" werden die eigenen Leute erfolgreich rebellieren. Den Aufstand anführen wird dabei sein eigener Sohn. Der tüchtige Kapitän wird bei dieser Rebellion nächtens von nur wenigen Leuten besiegt und muss fliehen. An seinem Zufluchtsort wird er dann vom rebellierenden Sohn belagert.

 

In den ersten beiden Zeilen erfahren wir, dass ein "tüchtiger Kapitän" in einem nächtlichen Kampf besiegt wird. Wie in Anmerkung 2 ausgeführt, kann dabei "Kapitän" einen Seeoffizier, aber auch einen Heerführer zu Land meinen. Dass dieser "tüchtige Kapitän" wahrscheinlich tatsächlich einen Bezug zur Seefahrt hat, ist aus 4/92/3 zu schließen. Wir erfahren dort nämlich, dass sein toter Körper an der Rah eines Schiffes aufgehängt werden wird. Doch auch wenn wir diesen Hinweis wörtlich verstehen schließt das nicht aus, dass dieser Kapitän - aufgrund seiner Bedeutung im politischen oder militärischen Machtgefüge - auch als Oberkommandierender von Landstreitkräften fungiert.

 

Beim erwähnten nächtlichen Kampf wird der tüchtige Kapitän von nur wenigen Leuten besiegt werden und muss fliehen. Dieser in den ersten beiden Zeilen erwähnte Kampf ist vermutlich mit der erfolgreichen Rebellion des eigenen Volkes oder Kriegsvolkes (Anmerkung 6) in der dritten Zeile identisch. Anführer des Aufstandes dürfte dabei sein eigener Sohn sein. Jedenfalls wird der Sohn den vertriebenen Vater danach belagern (Zeile vier). Über die Gründe für die Rebellion erfahren wir in 4/83 nichts.

 

Wohin der tüchtige Kapitän flieht, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Möglicherweise in eine ihm treu gebliebene Festung. An seinem Zufluchtsort scheint er jedenfalls noch über genügend militärische Mittel zur eigenen Verteidigung zu verfügen: Der Sohn muss ihn belagern und kann seiner nicht ohne Weiteres habhaft werden (Zeile vier).

 

 

3/9

 

[1] Bourdeaux, Rouen1) & la Rochele2) ioints

[2] Tiendront5) au tour la3) grand mer oceane4):

[3] Anglois, Bretons6) & les Flamans conioints

[4] Les chasseront8) iusques au-pres de Roane7)

 

[1] Bordeaux, Royan1) und La Rochelle2) [sind] vereint [und]

[2] werden [das Gebiet] beim3) großen Meer [des] Oceanus4) beherrschen5).

[3] [Die] Engländer, [die] Bretonen6) und die Flamen [werden] verbündet [sein,

[4] und] sie bis in die Nähe von Roanne7) verfolgen8).

 

1) Im Original steht Rouen. Rouen liegt in Nordfrankreich an der Seine, etwa 120 km norwestlich von Paris. Von 1419-1449 wurde die Stadt von den Engländern beherrscht und war ein Zentrum der englischen Macht in Frankreich. 1431 wurde Jeanne d’Arc in Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Stadt wird in 3/9/1, 3/49/4, 4/19/1, 4/61/4, 4/100/4, 5/84/4 und 6/60/3 erwähnt. CLÉBERT, S. 354 (und 745), sieht hier einen Fehler und vermutet Royan gemeint. Royan liegt an der Gironde, rund 94 km nordwestlich von Bordeaux und rund 60 km südlich von La Rochelle. Mit Blick auf den Kontext (französische Atlantikküste) vermute ich, CLÉBERT hat hier recht.

2) Hier ist wohl die Stadt an der zentralen französischen Atlantikküste gemeint. Es gäbe jedoch noch ein La Rochelle in Ostfrankreich, etwa 32 km südöstlich von Langres sowie ein La Rochelle-Normande, etwa 14 km südöstlich von Granville (Normandie). La Rochelle wird in 2/61/1, 3/9/1, 6/60/3 und 9/38/1 erwähnt.

3) Die 1557er-Ausgabe aus Utrecht zeigt fälschlicherweise ein zweites "la".

4) Nach antiker Vorstellung war der Oceanus das Weltmeer, das die Kontinente umgab. Der Atlantik war Teil des Oceanus und ist hier mit dem "großen Meer" gemeint.

5) Oder auch: "besetzen".

6) Die Bretonen (nicht mit den Briten zu verwechseln!) werden namentlich in 3/9/3, (9/7/4), 9/58/4 und 9/59/4 erwähnt.

7) Stadt im südöstlichen Frankreich an der Loire, etwa 90 km nordwestlich von Lyon. Es gäbe zudem noch ein Roannes-Saint-Mary südwestlich von Aurillac in Zentralfrankreich.

8) Oder auch: "treiben".

Zur Zeit des "tüchtigen Kapitäns" wird Frankreich gespalten und in sich zerstritten sein. Ein Bündnis aus Bordeaux, Royan und La Rochelle wird ein Gebiet an der französischen Atlantikküste beherrschen. Dieses Dreierbündnis wird von einer Allianz aus Engländern, Bretonen und Flamen bekämpft. Dabei wird die englisch-bretonisch-flämische Allianz das westfranzösische Dreierbündnis bis nach Roanne im Raum Lyon zurückdrängen.

 

3/9 gesellt sich zu 6/60 und 4/61. Über 4/61 gehören 3/9 und 6/60 in die Zeit des "tüchtigen Kapitäns", den wir oben kennengelernt haben.

 

In der ersten und zweiten Zeile erfahren wir, dass ein Bund aus Bordeaux, Royan und La Rochelle ein Gebiet an der französischen Atlantikküste beherrschen wird. Vom Städtepaar Royan und La Rochelle ist in 6/60/3, von Royan in 4/61/4 die Rede.

 

Von einem zweiten Bündnis lesen wir in 3/9/3. Es wird aus Engländern, Bretonen und Flamen bestehen. In 6/60/3 taucht die antike Aremorica auf, die die heutige Bretagne und Normandie umfasste. Normannen werden in 7/10/3 erwähnt, französischsprachige Bretonen ebenfalls in 7/10/3 sowie in 6/62/3.

 

Das zweite Bündnis wird gegen das erste kämpfen und es bis in die Nähe von Roanne in Südostfrankreich zurückdrängen (Zeile vier).

 

Wie aus 3/9 zu schließen ist, wird Frankreich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als ein geeintes Land existieren. Es gibt jedenfalls den Bund dreier Städte an der Atlantikküste (Bordeaux, Royan, La Rochelle), der im Krieg mit einem anderen Bündnis liegt, zu dem neben Engländern und Flamen auch die Bretonen gehören.

 

 

 

 

6/60

 

[1] Le Prince hors de son terroir Celtique1)

[2] Sera trahy, deceu par interprete2):

[3] Rouan3), Rochelle4) par ceulx de l’Armorique5)

[4] Au port de Blaue6) deceus par moyne & prebstre7).

 

[1] Der Fürst [wird] außerhalb seines keltischen1) Gebietes

[2] vom Übersetzer2) verraten [und] in die Irre geführt werden.

[3] Royan3) [und] La Rochelle4) [werden] von denen aus der Aremorica5)

[4] im Hafen von Blaye6) verraten [werden. Und zwar] von [einem] Mönch und [einem] Priester7).

 

1) Bei Nostradamus meinen die Kelten Gallier und somit Franzosen. Möglicherweise allerdings nur einen Teil derselben, vgl. 3/83, wo vom keltischen (und nördlichen) Gallien die Rede ist.

2) Das mittelfranzösische "interprete" bedeutet "Übersetzer". Das lat. "interpres" lieferte aber noch weitere Möglichkeiten: Unterhändler, Vermittler; Dolmetscher, Übersetzer; Deuter, Ausleger, Wahrsager. Ähnlich das griech. "hermeneus" (Ausleger, Erklärer, Dolmetscher). Interessant wäre bei diesem Begriff ein denkbarer Fingerzeig auf "Hermes", der als "Merkur" bei Nostradamus ebenfalls auftaucht - in 5.58 (4/28, 4/29, 9/55, 5/93, 10/79) und 5.255 (10/75) - und dort einen französischen Herrscher meinen könnte, den Nostradamus mit Herzog Ludwig II. von Bourbon (1337-1410) vergleicht. Anzumerken gilt es noch, dass sich "interprete" nicht auf "prebstre" reimt.

3) CLÉBERT, S. 745, sieht hier nicht Rouen sondern Royan gemeint. Mit Blick auf  3/9 dürfte er wohl recht haben. Royan liegt an der Gironde, rund 94 km nordwestlich von Bordeaux und rund 60 km südlich von La Rochelle.

4) Hier ist wohl die Stadt an der zentralen französischen Atlantikküste gemeint. Es gäbe jedoch noch ein La Rochelle in Ostfrankreich, etwa 32 km südöstlich von Langres sowie ein La Rochelle-Normande, etwa 14 km südöstlich von Granville (Normandie). La Rochelle wird in 2/61/1, 3/9/1, 6/60/3 und 9/38/1 erwähnt.

5) Die "Aremoricae civitates" umfassten die gallischen Stämme in der Bretagne und der Normandie.

6) Vgl. lat. "Blavia". Ort an der Küste der Gironde, etwa 30 km nordwestlich von Bordeaux. Die Stadt galt im Hundertjährigen Krieg als Schlüssel zu Aquitanien und war dementsprechend umkämpft. Sie gehört seit 1452 definitiv zu Frankreich. Es gäbe daneben noch ein Blaye-les-Mines, etwa 15 km nördlich von Albi in Südwestfrankreich. Blaye wird auch in 9/38/1 erwähnt.

7) Die Stelle kann so verstanden werden, dass es sich um zwei Personen handelt oder nur um eine, d. h. um einen zum Priester geweihten Mönch. In der 1557er-Ausgabe aus Budapest/Moskau ist "prebstre" mit einer Äbkürzung widergegeben. So oder so, "prebstre" reimt sich nicht auf "interprete". Für "prebstre" existiert allerdings die Nebenform "preste", die passen würde. Möglicherweise hat Nostradamus mit diesem "Priester" den mehrdeutigen Begriff "clerc" ersetzt, der zum einen "Kleriker", zum anderen aber auch "Schriftkundiger, Gebildeter, Gelehrter" bedeuten kann.

          Zum "Mönch" gilt es anzumerken, dass im Mittelfranzösischen "Mönch" auch als Bezeichnung für eine verachtete Person verwendet wurde, von der man getäuscht oder betrogen werden konnte. Vgl. etwa die Wendung "bailler le moyne a quelqu’un" (jemandem den Mönch geben = jemandem betrügen, jemandem Unglück bringen, GREIMAS/KEANE, S. 419).

Royan und La Rochelle werden sich von Bordeaux abwenden und sich mit den Bretonen einlassen. Doch die Bretonen werden mit Hilfe eines "Mönchs und Priesters" ihre beiden neuen Partner im Hafen von Blaye (im Raum Bordeaux) verraten. Verraten wird auch der "tüchtige Kapitän". Und zwar von einem Übersetzer.

 

Über 4/61 gehören 3/9 und 6/60 in die Zeit des "tüchtigen Kapitäns", den wir oben kennengelernt haben.

 

In Zeile 6/60/3 tauchen wieder Royan und La Rochelle auf, zwei Städte, die auch in 3/9/1 genannt werden.

 

Das Städtepaar wird laut Zeilen drei und vier verraten werden. Und zwar im Hafen von Blaye, also zwischen dem Raum Royan/La Rochelle und Bordeaux. Interessanterweise erwähnt Nostradamus hier aber Bordeaux, den dritten Bündnispartner aus 6/60, nicht. Ist Bordeaux aus dem Dreierbund ausgeschieden oder haben sich im Gegenteil Royan und La Rochelle von dieser Stadt abgewandt?

 

Gemäß Zeile drei werden Royan und La Rochelle von Leuten aus der Aremorica (Bretagne und Normandie) verraten werden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die beiden Städten mit den Aremorikern eine Übereinkunft oder einen Vertrag geschlossen haben müssen. Dies würde zur Vermutung passen, dass die beiden Städte Bordeaux im Stich lassen werden.

 

In 3/9 lesen wir, dass ein Bündnis aus Engländern, Bretonen und Flamen gegen die Dreierallianz Bordeaux-Royan-La Rochelle erfolgreich kämpfen wird. Mit Blick auf 6/60 könnten dann die Bretonen (Aremoriker) Royan und La Rochelle in Blaye dazu bringen, den Bund mit Bordeaux zu verlassen um für sich zu retten, was noch zu retten ist. Vielleicht sind Kräfte aus den beiden Städten in Blaye eingeschlossen, und die Bretonen versprechen ihnen bei Aufgabe freies Geleit?

 

Wie auch immer, die Bretonen werden sich nicht an etwaige Abmachungen mit Royan und La Rochelle halten. Vielmehr werden sie die beiden Städte möglicherweise von Anfang an betrügen (verraten). So könnte man die vierte Zeile wenigstens verstehen. Wir lesen dort, dass ein "Mönch und Priester" - ich vermute, es handelt sich dabei um nur eine Person, dabei eine zentrale Rolle spielen wird.

 

Auch in der ersten Hälfte der Strophe geht es um einen Verrat. Das Opfer ist dabei ein Fürst, der offensichtlich aus einem "keltischen Gebiet" stammt. Wie zu 4/99 ausgeführt, ist damit wohl einfach ein linksrheinisches bzw. französisches Gebiet gemeint. Verraten und in die Irre geführt wird er von einem Übersetzer oder auch Unterhändler, vgl. Anmerkung 2. Dies könnte die vorliegende Strophe mit 3/14/3f. verbinden. Dort ist zu entnehmen, dass der "tüchtige Kapitän" in hohem Alter ein Leid erfährt, weil er auf den Rat eines "törichten Mannes" hört.

In diesem Fall wären der Übersetzer und der törichte Mann identisch.

 

Eine andere Möglichkeit wäre, dass in 6/60/1f. derselbe Verrat gemeint ist wie in 6/60/3f. Dann würden Royan und La Rochelle vom Fürsten aus der ersten Zeile befehligt werden.

 

 

4/61

 

[1] Le vieulx mocqué1) & priué de sa place,

[2] Par l’estrangier qui le subornera2):

[3] Mains3) de son filz mangées deuant sa face,4)

[4] Le frere5) à Chartres6), Orl.7) Rouan8) trahyra.

 

[1] Der Alte [wird] getäuscht1) und seiner Position beraubt [werden]

[2] wegen des Fremden, der ihn in die Irre führen2) wird.

[3] [Die] von seinem Sohn vernichteten Scharen3) vor seinem Angesicht,4)

[4] wird der Bruder5) [aus] Chartres6) Orl[éans]7) [und] Royan8) verraten.

 

1) Das mittelfranzösische "estre mocqué" bedeutet "getäuscht werden; verhöhnt, verspottet werden".

2) Oder auch: "verführen, vom rechten Weg abbringen; betrügen".

3) Die 1568er-Ausgaben von Dresden, Paris und Gregorio schreiben hier fälschlicherweise "mais" (aber).

4) Wörtlich u. a.: "[Die] Hände [werden] von seinem Sohn vor seinem Angesicht gegessen [werden]." Auf "gegessene Hände" treffen wir auch in 3/36/2. Nostradamus hat bei diesen "Händen" vermutlich an das lat. "manus" bzw. das griech. "cheir" gedacht, die neben "Hand" u. a. auch "Macht; Schar, Haufen" bzw. "Kampf, Handgemenge" bedeuten können. Man vergleiche dazu die mittelfranzösische Wendung "mener des mains" (angreifen). "Essen" wiederum lässt sich im Sinne des lat. "edere" verstehen, das auch die Bedeutung "verzehren, zerstören" aufweist. Das mittelfranzösische "manger" schließlich lässt sich im übertragenen Sinn u. a. als "verwüsten" und "einen Kampf beginnen" übersetzen. Fügen wir diese verschiedenen Möglichkeiten zusammen, könnten diese "gegessenen Hände" z. B. als "zerstörte Macht" bzw. "vernichtete Scharen" verstanden werden oder als "begonne Kämpfe". Sollte letzteres zutreffen, wäre die Zeile etwa mit "[Die] Kämpfe [werden] von seinem Sohn vor seinem Angesicht begonnen [werden]" zu übersetzen.

5) Auch im Sinne von "Waffenbruder, Verbündeter" sowie "Ordensmann, Mönch".

6) Chartres wird in 3/49/4, 4/42/1, 4/61/4 und 9/86/1 genannt. Mit Blick auf 6/60/3f., wo wir erfahren, dass die Verräter aus der Aremorica (hier = Bretagne) stammen werden, ist in 4/61/4 aber wohl nicht das bekannte Chartres rund 78 km südwestlich von Paris gemeint sondern Chartres-de-Bretagne südlich von Rennes. Die Präposition "à" (in) dürfte durch "de" (aus, von) zu ersetzen sein.

7) Orléans wird wohl in 1/20/1, 3/51/3, 3/66/1, 4/61/4, 5/89/4, 8/42/2, 9/24/3 und 10/45/4 genannt. In 4/61/4 ließe sich die Abkürzung "Orl." aber auch mit "Orléanais" auflösen und würde dann adjektivisch zu Chartres gehören. In diesem Fall würde nur "Rouen" (Royan) verraten werden.

8) Rouen liegt in Nordfrankreich an der Seine, etwa 120 km norwestlich von Paris. Von 1419-1449 wurde die Stadt von den Engländern beherrscht und war ein Zentrum der englischen Macht in Frankreich. 1431 wurde Jeanne d’Arc in Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Stadt wird in 3/9/1, 3/49/4, 4/19/1, 4/61/4, 4/100/4, 5/84/4 und 6/60/3 genannt. Mit Blick auf 3/9/1 und 6/60/3 ist aber eher davon auszugehen, dass wieder Royan gemeint ist.

Der bejahrte "tüchtige Kapitän" wird getäuscht und seiner Position beraubt - gestürzt - werden. Und zwar wegen eines Fremden, der ihn in die Irre führen wird (wohl der Übersetzer aus 6/60). Der Sohn des tüchtigen Kapitäns wird bei der Belagerung seines Vaters dessen letzte Truppen vernichten. Wenn ein Bruder oder Verbündeter aus Chartres dies sieht, wird er Orléans und Royan verraten.

 

In den ersten beiden Zeilen ist von einem "Alten" die Rede, der getäuscht und seiner Position beraubt wird. Das ist wohl eine Parallele zu 6/60 und 3/14.

 

Als alter Mann taucht der weiter oben beschriebene "tüchtige Kapitän" in 3/14/3f. auf. Als ein alter Mann, dem deshalb ein Leid widerfährt, weil er auf den Rat eines törichten Mannes hört. In 4/61/2 erfahren wir jetzt, dass dieser "törichte Mann" offensichtlich ein Fremder sein wird. Ein Fremder, der auf den tüchtigen Kapitän bzw. dessen Entscheidungen einen bedeutenden Einfluss haben wird. Einen derartigen Einfluss kann ein Übersetzer oder Vermittler (vgl. 6/60/2) durchaus haben.

 

In 4/83/3 ist zu lesen, dass der tüchtige Kapitän einer Rebellion im eigenen Volk oder Kriegsvolk zum Opfer fallen wird. Der Fremde aus 4/61/2 wird die Ursache dieser Rebellion sein. Er könnte etwa mit seinem törichten Verhalten oder törichten Ratschlägen den tüchtigen Kapitän zu falschen Entscheidungen verführen, was wiederum zum Aufstand (4/61/1) führt.

 

Die zweite Hälfte der Strophe ist noch recht unklar.

 

In der dritten Zeile tauchen ein Sohn und vernichtete Streitkräfte auf. Es ist naheliegend, den "Sohn" mit dem Sohn des tüchtigen Kapitäns zu identifizieren, der die Rebellion gegen den Vater anführen wird, vgl. 4/83/4. In der gewählten Übersetzung wird der Sohn die Streitkräfte vernichten. Rein sprachlich ließe sich die Zeile allerdings auch gegenteilig verstehen: "[Die] vernichteten Scharen seines Sohnes vor seinem Angesicht".

 

Doch von wessen Angesicht ist hier die Rede? 4/61/4 spricht von einem "Bruder" aus Chartres, der hier gemeint sein dürfte. Doch wessen Bruder (oder Bündnispartner) ist das? Des tüchtigen Kapitäns?

 

Jedenfalls wird der Bruder aus Chartres Orléans und Royan nach der Vernichtung der Streitkräfte verraten. In 6/60 erfahren wir, dass Leute aus der Bretagne Royan und La Rochelle im Hafen von Blaye verraten werden. Falls diese Stellen zusammengehören, wäre Chartres wohl mit Chartres-de-Bretagne (nahe der alten bretonischen Hauptstadt Rennes gelegen) zu identifizieren.

 

Wo aber steht der tüchtige Kapitän in Bezug auf das Geschehen in den beiden letzten Zeilen?

 

Wie in 4/83 zu sehen ist, wird der tüchtige Kapitän die von seinem Sohn angeführte Rebellion überleben und kann fliehen. An seinem Zufluchtsort - möglicherweise eine treu gebliebene Festung - wird ihn der Sohn belagern. Und dies erfolgreich. Die letzte Bastion des tüchtigen Kapitäns wird fallen, er selbst hingerichtet und seine Leiche zur Schau gestellt (vgl. 4/92, 2/2 und 7/1). Somit könnten die "vernichteten Scharen" aus 4/61/3 die geschlagenen Truppen der letzten Zuflucht des tüchtigen Kapitäns sein.

 

Doch welche Rolle spielt Orléans? An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass mit "Orléans" auch eine Person gemeint sein könnte, - der König von Orléans, ein neuer Ludwig XII. (vgl. 5.145: 3/48 - 10/45 - 5/89).

 

 

4/92

 

[1] Teste tranchee du vaillant1) capitaine2),

[2] Sera gettee deuant son aduersaire:

[3] Son corps pendu de la4) classe5) à l’antenne3),

[4] Confus6) fuira par rames à vent contraire7).

 

[1] [Der] abgeschlagene Kopf des tüchtigen1) Kapitäns2)

[2] wird vor seinen Gegner geworfen werden.

[3] Sein Körper wird an der Rah3) des4) Schiffes5) aufgehängt werden.

[4] Bestürzt6) wird [man] mit Rudern gegen den Wind7) fliehen.

 

1) Oder auch: "fähig, intelligent, tapfer; mächtig, einflussreich".

2) Ein "capitaine" ist ein Kapitän zur See, der eines oder mehrere Schiffe kommandiert. Er kann sogar eine ganze Flotte befehligen, bleibt aber einem Admiral untergeordnet. Zu Land bezeichnet der Begriff einen Heerführer oder etwa auch den Oberkommandanten einer Stadt oder Festung. GRUBER, S. 256, sieht hier eine Verbindung zur bekannten Strophe 9/20 (5.11), wo ein "gewählter Cap(.)" erwähnt wird. Und in der Tat taucht dort auch das Wort "tranche" auf, was ein starkes Indiz für einen Zusammenhang mit 4/92 zu sein scheint.

          "Cap(.)" taucht in 7/37/4, 9/20/4, 9/30/3 und 9/64/4 auf. Als Abkürzung mit Punkt (oder selten: Komma) wird der Begriff in 9/20/4 (alle), 9/30/3 (alle außer Dresden, Paris u. Gregorio) und 9/64/4 (alle außer Dresden, Paris u. Gregorio) geschrieben. In 7/37/4 erscheint das Wort nirgends als Abkürzung. Das mittelfranzösische "cap" hieße dabei "Kopf, milit. Anführer, Kap". Ich vermute allerdings, dass es überall "cap." (mit Punkt) heißen sollte. Doch welches Wort könnte Nostradamus hier abgekürzt haben? Auch hierzu habe ich einen Verdacht. Unser Seher verwendet in 4/11/1, 5/78/4, 8/19/1 und 9/26/2 den Begriff "cappe" (Ornat eines Geistlichen, das über den Rang seines Trägers Auskunft gibt). Dabei legt besonders 5/78 nahe, dass es sich dabei wohl um das Papstornat bzw. den Papst handelt. Ich vermute nun, dass mit dem "cap(.)" - dem "Ornat" - ebenfalls das Kirchenoberhaupt gemeint ist.

3) Die Rah (Rahe) ist eine Querstange am Mast, an der das Segel befestigt wird.

4) In den 1568er-Ausgaben von Schaffhausen, Perugia, Dresden, Paris und Gregorio finden wir "la". In den Ausgaben von Grasse, Stockholm, Chomarat, Lyon, Heidelberg, Mejanes und Arbau hingegen "sa".

5) Das lat. "classis" (u. a. Flotte, Heer) kann auch ein Schiff als solches bezeichnen, was hier wohl der Fall ist.

6) Oder u. a. auch: "verwirrt, durcheinander".

7) Oder: "bei Gegenwind, bei ungünstigem Wind". Vgl. hierzu auch 6/45/3 (5.176).

Nach dem Fall seiner letzten Festung wird der "tüchtige Kapitän" enthauptet und sein Kopf vor die Füße seines siegreichen Sohnes geworfen werden. Der geköpfte Leichnam wird an der Rah eines Schiffes aufgehängt. Von diesem Anblick geschockt, werden die Unterstützer des tüchtigen Kapitäns die Flucht ergreifen.

 

In 4/92/1 ist wieder vom "tüchtigen Kapitän" die Rede. Wir erfahren hier, dass dieser enthauptet werden wird. Geschehen wird das aus logischen Gründen erst nachdem seine letzte Zuflucht gefallen sein wird.

 

Sein abgeschlagener Kopf wird seinem Gegner vor die Füße geworfen werden (zweite Zeile). Damit müsste sein eigener Sohn gemeint sein, der ihn ja gemäß 4/83/4 belagert.

 

Der enthauptete Körper wird an der Rah eines Schiffes aufgehängt (Zeile drei), so dass er weithin sichtbar ist. Das kann auch als Hinweis darauf verstanden werden, dass es sich bei der letzten Bastion des tüchtigen Kapitäns um eine Hafenstadt handelt. Vielleicht trägt diese Stadt auch ein Schiff im Wappen, so wie etwa La Rochelle oder Royan.

 

Das zur Schau Stellen des geköpften Leibes wird zur Folge haben, dass "man" bestürzt flieht (vierte Zeile). "Man" - das sind vielleicht verbliebene Anhänger des tüchtigen Kapitäns oder zu Hilfe eilende Seestreitkräfte, die Hals über Kopf kehrt machen und mit ihren Segelschiffen gegen den Wind rudernd das Weite suchen.

 

 

 

 

 

2/2

 

[1] La teste blue1) fera la teste blanche2)

[2] Autant de mal que France a fait leur bien.

[3] Mort a l’anthenne3) grand pendu sus la branche4),

[4] Quand prins des siens le roy dira combien.5)

 

[1] Der blaue1) Kopf wird dem weißen Kopf2)

[2] genauso viel Schlechtes [antun], wie Frankreich ihnen Gutes getan hat.

[3] Tot [ist] an der Rah3) [der] Große aufgehängt, über dem Ast4),

[4] wenn der König sagen wird, wieviele [der] Seinen gefangen [wurden].5)

 

1) Die 1568er-Ausgaben von Dresden, Paris und Gregorio schreiben fälschlicherweise "glue".

2) Mit dem blauen und dem weißen "Kopf" (hier = Oberhaupt, Anführer) sind aller Wahrscheinlichkeit nach die beiden Könige mit dem weißen bzw. blauen Turban aus 9/73 gemeint. Mit diesem "blau" ist dabei wohl "persisch, iranisch" gemeint. Vgl. dazu das mittelfranzösische "pers" (blau, bläulich). Hier sei auch auf 6/80/4 verwiesen, wo "pers" direkt neben "bleux" (blau, blaue) steht. Möglich wäre allerdings auch, an das lat. "lividus" zu denken, das neben "bläulich, blau" auch "neidisch, missgünstig" bedeutet. Dann hätte wir einfach einen neidischen König vor uns.

          "Weiß" steht wohl für "osmanisch, türkisch". Die osmanischen Sultane, deren Reich den Platz des untergegangenen Byzantinischen Reiches einnahm, trugen bis in die Zeit des Nostradamus weiße Turbane bzw. wurden mit solchen abgebildet. Denkbar wäre allerdings auch, dass die Farbe "Weiß" hier auf das lat. "candidus" abzielt, das neben "weiß" auch "lauter, treuherzig, redlich" bedeuten kann.

3) Die Rah (Rahe) ist eine Querstange am Mast, an der das Segel befestigt wird.

4) Unklar. "Sus la branche" bedeutet "auf/über/bei dem Ast". Interessant ist hier der Blick auf 3/14/1, wo vom "Zweig (= Nachkommen) der tüchtigen Person" die Rede ist. Ich vermute, dass der "Ast" von 2/2/3 sinngemäß dem "Zweig" aus 3/14/1 entspricht und denselben Nachkommen meint. Der "Große" aus 2/2/3 wäre demzufolge mit dem "unglücklichen Vater" aus 3/14/2 gleichzusetzen. Und dieser wiederum mit dem "tüchtigen Kapitän" aus 4/92. Der Umstand, dass der Tote hier über dem (seinem) Nachkommen aufgehängt wird, könnte so verstanden werden, dass beide übereinander tot zur Schau gestellt werden oder dass der Nachkomme lebend zum hingerichteten Vater hinaufblickt.

5) BRIND’AMOUR, S. 197, und CLÉBERT, S. 215, verstehen die Zeile in obigem Sinne. Denkbar wäre aber auch die Übersetzung: " wenn der König, [der] von den Seinen gefangen [wurde], sagen wird wieviel".

Wenn der "tüchtige Kapitän" tot an der Rah über seinem Sohn hängt wird ein König sagen, wieviele der Seinen gefangen wurden. Der iranische Herrscher wird dem türkischen Herrscher  genauso viel Schlechtes antun, wie Frankreich beiden Gutes getan hat.

 

Die dritte Zeile dürfte die Brücke zu 4/92 schlagen. Wir erfahren hier, dass ein bereits toter "Großer" an der Rah eines Schiffes aufgehängt wird. Damit müsste der tüchtige Kapitän aus 4/83/1 und 4/92/1 gemeint sein. Neu erfahren wir in 2/2/3, dass er über dem "Ast" hängen wird.  Dieser "Ast" dürfte der Sohn sein, der entweder zum Leib des toten Vaters hochschaut oder selber unterhalb von diesem hängt, vgl. Anmerkung 4. Da der Sohn den Vater aber militärisch besiegt (vgl. oben), ist wohl die erste Variante zutreffend.

 

Zu diesem Zeitpunkt wird ein König bekannt geben, wieviele "der Seinen" gefangen wurden. Von welchem König hier die Rede ist und um wessen Angehörige oder Gefolgsleute es sich handelt, ist leider nicht ersichtlich. Geht es um den neuen König von Orléans (4/61/4)?

 

In den ersten beiden Zeilen bezieht sich Nostradamus auf ein Geschehen, das sich wohl zeitgleich ereignen wird. Der iranische Herrscher ("blauer Kopf") wird dem türkischen Herrscher ("weißer Kopf") so viel Schlechtes antun, wie Frankreich den beiden Gutes getan hat. Was mit diesem "Schlechten" und "Guten" gemeint ist, erfahren wir hier leider nicht.

 

Die Erwähnung des iranischen und türkischen Herrschers verbindet die Strophe mit 9/73.

 

 

9/73

 

[1] Dans Fois1) entrez4) Roy ceiulee2) Turban3),

[2] Et regnera moins5) reuolu Saturne6),

[3] Roy Turban blanc7) Bizance cœur ban8),

[4] Sol, Mars, Mercure pres la hurne9).

 

[1] In Foix1) [wird der] König [mit dem] blauen2) Turban3) eingedrungen4) [sein].

[2] Und [dieser] wird weniger5) [lang] herrschen [als ein] Saturnumlauf6) [dauert].

[3] [Der] König [mit dem] weißen7) Turban [aus] Byzanz [ist ein] Herrscher [im] Bann8).

[4] Sonne, Mars [und] Merkur werden nahe dem Wasserkrug9) [stehen].

 

1) Stadt in Südwestfrankreich, in der Nähe von Andorra. Der Ort wird in 3/25, 5/100, 8/12, 8/39, 9/10, 9/63 und 9/73 erwähnt. Obwohl in allen 1568er-Ausgaben Foix (bzw. Fois) steht, korrigiert BRIND’AMOUR, S. 198, zu Fez (Fès) in Marokko, was GRUBER, S. 244, übernimmt. Falls 8/39 (5.37), wo klar von Südwestfrankreich die Rede ist, zu obiger Strophe gehören sollte, wäre diese Umdeutung allerdings nicht nur unnötig sondern sogar falsch. Vgl. aber unten, Anmerkung 2!

          Die Grafschaft Foix lag südlich der Grafschaft Toulouse und existierte von 1034 bis 1607. Foix gehörte zu den Hochburgen der häretischen Katharer (Albigenser). Nach Beendigung des Albigenserkreuzzuges von 1209 bis 1229 durch den Frieden von Paris wurden die Grafen von Foix zu Vasallen des französischen Königs.

          Der Vollständigkeit halber sei hier als Alternative zum französischen Foix noch auf den Fluss Foix in Katalonien verwiesen, der bei Cubelles (rund 50 km südwestlich von Barcelona) ins Meer mündet.

2) Vgl. lat. "caeruleus" und "caeluleus" (blau in den verschiedensten Schattierungen, himmelblau). Mit diesem "blau" ist wohl "persisch, iranisch" gemeint. Vgl. dazu das mittelfranzösische "pers" (blau, bläulich). Hier sei auch auf 6/80/4 verwiesen, wo "pers" direkt neben "bleux" (blau, blaue) steht. Eine Strophe, in deren erster Zeile auch Fez (!) erwähnt wird.

3) Die 1568er-Ausgaben von Dresden, Paris und Gregorio schreiben "Turban", jene aus Grasse und Stockholm "Turbam", die anderen "Turbao". Hier scheint von einem iranischen Machthaber aus dem Orient die Rede zu sein. Möglich wäre allerdings auch, die Stelle "ceiulee Turban" ins lat. "livida turba" zu übertragen, wobei "lividus" neben "bläulich, blau" auch "neidisch, missgünstig" und "turba" u. a. "Zornausbruch, Zank" bedeutete. Dann hätte wir einfach einen König vor uns, der einen neiderfüllten Zornausbruch erlebt.

4) In allen 1568er-Ausgaben so geschrieben. Neben "entré" könnte vielleicht auch "entrer" ([wird] eindringen) gemeint sein.

5) Oder auch denkbar: "mindestens".

6) Die 1568er-Ausgaben von Dresden, Paris und Gregorio zeigen "euolu Saturne". Wörtlich bedeutet es jedenfalls: "[ein] umgelaufener Saturn". Der Saturn umkreist die Sonne in etwa 29,5 Jahren.

7) Die osmanischen Sultane, deren Reich den Platz des untergegangenen Byzantinischen Reiches einnahm, trugen bis in die Zeit des Nostradamus weiße Turbane bzw. wurden mit solchen abgebildet.

          Denkbar wäre allerdings auch, dass die Farbe "Weiß" hier auf das lat. "candidus" abzielt, das neben "weiß" auch "lauter, treuherzig, redlich" bedeuten kann.

8) Die Stelle " cœur ban" ist unklar. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass in dieser Zeile eine Silbe fehlt, vgl. BRIND’AMOUR, S. 198. Doch welche und wo? BRIND’AMOUR und ihm folgend GRUBER, S. 244, ändern "cœur" (Herz) in "vainqueur" (Sieger). Das ist möglich, aber nicht zwingend. Denkbar wäre etwa auch, dass dem "Byzanz" ein "de" (von, aus) vorangehen sollte und so den weißen Turban genauer identifiziert. Zum erwähnten "Herz" gilt es auf  1/9/1 und 5/74/1 (beide 5.46) zu verweisen, wo das "Herz" als Synonym für König oder Herrscher verwendet wird. "Ban" bedeutet u. a. "öffentliche Bekanntmachung, Versammlung, Verbannung". In 2/2 erfahren wir, dass der Herrscher mit dem blauen Turban dem mit dem weißen Schlechtes antun wird. Mit Blick auf 9/73/3 könnte das z. B. so zu verstehen sein, dass der Blaue den Weißen besiegt und in die Verbannung treibt. Oder sollte der persische Herrscher den osmanischen unter einen religiösen "Bann" stellen lassen?

9) Lat. "urna" (u. a. Wasserkrug). Damit ist hier wohl das Tierkreiszeichen Wassermann gemeint, vgl. BRIND’AMOUR, S. 198, GRUBER, S. 244f. und CLÉBERT, S. 1032. Der Begriff der "Urne" taucht mit unterschiedlicher Bedeutung in 5/41/3, 8/29/3, 9/73/4 sowie10/50/2 u. 4 auf.

Der Herrscher des Iran wird in Foix (oder Fez?) stehen. Der Perser wird etwa 29 Jahre regieren. Über den türkischen Herrscher wird ein Bann (schiitische Fatwa?) verhängt. "Sonne", "Mars" und "Merkur" werden sich zu dieser Zeit nahe des "Wassermanns" befinden.

 

In der ersten Zeile treffen wir auf den iranischen Herrscher ("blauer Turban") und in der dritten Zeile auf den türkischen Herrscher ("weißer Turban"), die wir beide schon aus 2/2/1 kennen.

 

Der Iraner wird laut Zeile eins in Foix (oder doch Fez?) stehen und etwa 29 Jahre an der Macht sein (Zeile zwei).

 

Über den Herrscher dieses "Osmanischen Reiches" (oder eines vergleichbaren Staatswesens) erfahren wir in der dritten Zeile, dass er in einem Bann stehen wird. Doch um welche Art von "Bann" könnte es sich handeln? Reichsbann (Reichsacht) oder Kirchenbann scheiden wohl eher aus, da der Türke sonst Untertan des Kaisers oder Katholik wäre.

 

Wie in Anmerkung 8 ausgeführt, könnte vielleicht der persische Herrscher den türkischen Herrscher unter einen "Bann" stellen lassen. Das wäre eher möglich, da die Iraner wie die Osmanen Muslime sind.

 

Zur Zeit des Nostradamus kam es im Iran im religiösen Bereich zu einer folgenschweren Entwicklung. Um 1501 stürzte der schiitische Safi-Orden die iranischen Turkmenen-Herrscher. Es etablierte sich an deren Stelle die Safawiden-Dynastie (1501-1736), unter der das Land zwangsweise vom sunnitischen zum schiitischen Islam konvertiert wurde. Unter Schah Ismael I. (1501-1524) kam es dabei auch zum Konflikt mit den sunnitischen Osmanen. Die für die Iraner gesamthaft verlustreichen Auseinandersetzungen mit den westlichen Nachbarn dauerten auch unter Ismaels Sohn und Nachfolger Tahmasp I. (1524-1576) an und konnten erst mit dem Frieden von Amasya (1555) für dreißig Jahre beigelegt werden.

 

Vor diesem Hintergrund könnte der "Bann" vielleicht einer schiitischen Fatwa entsprechen, die sich gegen den sunnitischen türkischen Herrscher richtet.

 

In 9/73/4 erfahren wir, dass Sonne, Mars und Merkur in der Nähe des Wassermanns sein werden. Das scheint eine astronomische Konstellation zu beschreiben. An dieser Stelle sei allerdings daran erinnert, dass bei Nostradamus die Gestirne auch für Religionen, Personen und anderes stehen können. Die Sonne konkret für das Christentum oder der Kriegsgott Mars für den Krieg. "Merkur" taucht zudem in 5.58 (4/28, 4/29, 9/55, 5/93, 10/79) und 5.255 (10/75) auf und könnte dort einen französischen Herrscher meinen, den Nostradamus mit Herzog Ludwig II. von Bourbon (1337-1410) vergleicht. Etwas unklarer ist der Wassermann. Er könnte einfach eine Zeitangabe sein (Januar/Februar) oder sich z. B. auf die Erdeinteilung des PTOLEMÄUS (Tetrabiblos 2,3) beziehen. Dem Wassermann zugeordnet wären dabei: Sauromatica (das osteurop. Tiefland von der Ostsee/Weichsel bis zur Wolga und zum Kaukasus), Oxiana (Land des Amudarja, d. h. Zentralasien zwischen Aralsee und der afghan.-chin. Grenze) und Sogdiana (nordöstl. von Oxiana im Grenzgebiet von Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan) sowie Arabia (arab. Halbinsel), Azania (Küste vom Horn von Afrika bis Tansania) und "Mitteläthiopien".

 

 

7/1

 

[1] L’ARC1) du thresor2) par3) Achilles5) deceu4),

[2] Aux procreés6) sceu la quadrangulaire7):

[3] Au8) faict9) Royal le comment10) sera sçeu,

[4] Corps11) veu pendu au veu du populaire.

 

[1] DER BOGEN1) [bei der Stele] mit dem Schatz2) des3) betrogenen4) Achilles5) -

[2] den Nachgeborenen6) [wird] die viereckige7) [noch] bekannt [sein].

[3] Der8) königlichen Sache9) [wird der] Anschlag10) bekannt sein.

[4] [Der] Körper11) [wird] aufgehängt gesehen werden, vor den Augen des Volkes.

 

1) In der 1557er Ausgabe von Budapest/Moskau steht "L’AC". "Arc" bedeutet "Bogen". Falls - mit Blick auf das "thresor" - "arche" gemeint sein sollte, hätten wir eine Kiste (Schatzkiste) vor uns. Wie aus dem Zusammenhang des Textes hervorgeht, ist hier aber ein architektonischer Bogen gemeint. Nostradamus bezieht sich in dieser Strophe wahrscheinlich auf das ihm bekannte römische Juliermonument nahe Saint-Rémy-de-Provence, vgl. PRÉVOST, S. 167, GRUBER, S. 184, und CLÉBERT, S. 785f. Das Juliermonument ("Mausoleum") ist ein 18 Meter hohes Denkmal mit viereckigigem Grundriss. In früheren Zeiten wurde zu diesem Juliermonument fälschlicherweise auch der Triumphbogen gezählt, der einige Meter nordöstlich davon steht und an den Nostradamus wohl gedacht hat.

          Das Mausoleum besteht aus drei Etagen, dem Sockel, dem Mittelteil und dem Oberteil. Der Sockel zeigt auf jeder Seite ein Relief mit einer historischen oder mythologischen Szene. Auf der nach Westen ausgerichteten Seite ist eine Szene aus dem Trojanischen Krieg abgebildet. Sie zeigt, wie um den Besitz des Leichnams des Patroklos gekämpft wird. Patroklos kämpfte bei Troja bekanntlich in der prächtigen Rüstung seines engen Freundes Achilles, fiel aber durch Hektor. Der Mittelteil des Monuments besteht aus vier Torbögen. So befindet sich über jedem der vier Reliefs ein eigener Bogen. Über einem dieser Bogen lesen wir die Inschrift: "SEX. L. M. IVLIEI. C. F. PARENTIBUS. SVEIS." (Sextus, Lucius und Marcus, die Söhne von Gaius Julius, [haben dieses Monument] ihren Eltern [gewidmet].) Vgl. dazu 5/57 und 4/27 (beide 5.151). Den Oberteil des Denkmals bildet ein kleiner Säulenrundbau mit Dach.

2) Schon im Mittelfranzösischen konnte der Begriff "Schatz" neben materiell wertvollen Gegenständen auch eine Person bezeichnen, die einem gefühlsmäßig viel bedeutet. Hier dürfte Achilles’ "Liebling", sein enger Freund Patroklos gemeint sein, vgl. Anmerkung 1.

3) Im Mittelfranzösischen weist die Präposition "par" ein größeres Bedeutungsspektrum auf als heute. Sie lässt sich u. a. auch mit "durch, wegen, von" übersetzen. Sinngemäß müsste es hier "de" bzw. "d’" heißen.

4) "Deceu" bedeutet "getäuscht, betrogen", so dass wir hier einen betrogenen Achilles vor uns haben. CLÉBERT, S. 785, setzt dieses Adjektiv mit "tot" gleich, was sich mir nicht erschließt. Der "betrogene Achilles" spielt dabei auf ein Geschehen während des Trojanischen Krieges an: Nach der Eroberung der Stadt Lyrnessos durch die Griechen erhielt Achilles die Königstochter Briseis als Sklavin und Konkubine zugesprochen. Allerdings nahm sie ihm der Anführer der Griechen, Agamemnon, später weg. Der um seine Beute betrogene Achilles zog sich daraufhin zornig aus dem Kampf um Troja zurück. Erst der Tod des Patroklos (vgl. dazu Anmerkungen 1 und 2) bewog den großen Held der Griechen - zum Zweck der Rache an Hektor -, wieder am Krieg teilzunehmen.

5) Achilles war einer der griechischen Helden vor Troja. Er war unverwundbar, bis auf seine schwache Stelle an der Ferse, die "Achillesferse". In einem Zweikampf tötete er den Trojaner Hektor. Achilles selbst wurde vom trojanischen Prinzen Paris mit einem Pfeil getötet, den Gott Apollo ins Ziel führte. Achilles wurde nach seinem Tod vor Troja verbrannt. Seine Knochen wurden anschließend in einem aus Gold und Silber gehauenen Kasten bestattet. Diesen könnte man vielleicht auch als "Schatzkiste des Achilles" bezeichnen, vgl. Anmerkung 1.

6) Oder: "Geborenen, Erzeugten".

7) Mit dieser "Viereckigen" ist vermutlich das Juliermonument gemeint, das einen viereckigen Grundriss besitzt. Das weibliche Geschlecht könnte sich dadurch erklären, dass Nostradamus hier an das griech. "stele" (u. a. Grabsäule, Gedenksäule, Ehrensäule) bzw. das lat. "stela" (Grabsäule) gedacht hat.

8) Oder auch: "von der".

9) "Sache, Tat, Handlung" im weitesten Sinne.

10) Vgl. lat. "commentum" (auch "Erzählung, Erdichtung" usw.).

11) Die 1568er-Ausgaben von Schaffhausen, Mejanes und Perugia schreiben fälschlicherweise "cors". An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass "corps" neben "Körper" gerade auch den Leichnam, die sterblichen Überreste eines Menschen bezeichnen kann.

Dann, wenn die Leiche des "tüchtigen Kapitäns" vor aller Augen aufgehängt sein wird, wird beim Juliermonument in Saint-Rémy-de-Provence etwas geschehen. Ein Anschlag wird der "königlichen Sache" bekannt sein.

 

In der vierten Zeile erfahren wir, dass ein Körper (wohl ein Leichnam, vgl. Anmerkung 11) aufgehängt und dem Volk zur Schau gestellt wird. Das ist wohl eine Parallele zu 4/92/3 und 2/2/3 und verortet damit die Strophe im zeitlichen Ablauf.

 

In 7/1/1f. wird eine Ortsangabe mitgeteilt. Nostradamus spricht wahrscheinlich vom Triumphbogen beim Juliermonument nahe Saint-Rémy-de-Provence. Bei diesem Triumphbogen wird etwas zu jener Zeit geschehen, wenn der tote Körper des oben erwähnten tüchtigen Kapitäns öffentlich zur Schau gestellt wird. Doch was?

 

Interessant ist hier 5.151. Dort erfahren wir, dass "Herkules" von Leuten aus der Gegend von Saint-Rémy-de-Provence und Tarascon gefangen genommen und dann beim Sextus-Mausoleum (Juliermonument) auf entehrende Art und Weise an Leute aus der Bigorre weitergereicht wird.

 

Unklar ist im Augenblick noch Zeile 7/1/3. Welcher "Anschlag" ist hier gemeint? Und was ist die "königliche Sache"? Bezieht sich die Zeile vielleicht auf die Vorgänge um "Herkules"? Von einem König von Orléans könnte in 4/61/4 die Rede sein.

 

 

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