5.21  In der Toulouser Basilika Saint-Sernin stehen heidnische Götzenbilder. Später werden diese wieder entfernt und zerstört.
 

Zurück / Zurück zur Startseite 
 

Zusammenfassung
 

9/12: In der dritten Zeile erfahren wir, dass ein "Bildhauer" reinen "Ton" suchen wird, wahrscheinlich um diesen später für seine Arbeit zu verwenden. Zu dieser Zeit wird man in einem "See" Standbilder finden, die aus ebenso viel Silber wie Quecksilber bestehen oder den heidnischen Gottheiten Diana und Merkur geweiht sind (erste und zweite Zeile). Im Vierzeiler 8/28, der zu 9/12 gehörten dürfte, ist zu lesen, dass die Standbilder aus Gold und Silber geschaffen sind. Wir könnten hier also Statuen vor uns haben, die - nach Nostradamus’ Einschätzung - hauptsächlich aus Gold bestehen aber zudem gleichgroße Anteile an Silber und Quecksilber enthalten. Allerdings sollte man diese Angaben mit Vorsicht genießen und nicht als metallurgische Analyse auffassen. Gold, Silber und Quecksilber - alles klassische Edelmetalle - sollen hier vielleicht lediglich ausdrücken, dass diesen Standbildern eine große Bedeutung zukommt und sie deshalb von ihren Schöpfern ausschließlich aus edlen Stoffen gefertigt werden. Zudem hat die Erwähnung des Silbers und des Quecksilbers unserem Seher die Möglichkeit eröffnet, zwei heidnische Gottheiten zu erwähnen und so einen Hinweis auf die kultische Funktion dieser Statuen zu geben. Wichtiger ist der Hinweis auf den "See", in dem sie gefunden werden. Laut 8/28 wurden diese Statuen einst geraubt und dann in diesem ungenannten See versenkt. Zur Zeit des Nostradamus wäre es wohl eher schwierig gewesen, Statuen aus einem See zu bergen, wenn diese in einigermaßen tiefem Wasser liegen. Doch dieser "See" war wahrscheinlich bereits zur Zeit unseres Sehers schon längst nicht mehr vorhanden. Wenn wir bei der Nennung von Diana und Merkur nämlich nicht primär an die antiken Götter sondern wie erwähnt an die ihnen zugeordneten Metalle denken, ist die Identifikation dieses "Sees" recht einfach: Der Legende nach haben die keltischen Tectosagen den geraubten Schatz des Apollo-Orakels von Delphi nach Toulouse gebracht und dort in einem kleinen See oder Teich versenkt, der zu einem keltischen Apollo-Heiligtum gehörte. Am Ort dieses Sees wurde der Überlieferung nach später die Toulouser Basilika Saint-Sernin errichtet (vgl. LEONI, S. 699f.). Verstehen wir Diana und Merkur bloß als Silber und Quecksilber, ergibt sich nicht der Widerspruch, dass die Tectosagen einst aus dem Apollo-Heiligtum Delphi Statuen geraubt haben sollen, die andere Götter darstellten. Wie bei Nostradamus nicht unüblich, dürften aber auch hier verschiedene Bedeutungsebenen vorhanden sein. Laut Zeilen eins und zwei von 9/12 wird man also in der Basilika Saint-Sernin (einer der wichtigsten katholischen Kirchen der Stadt) kostbare heidnische Götterstatuen finden. Das kann so verstanden werden, dass man bei archäologischen Grabungen in der Basilika tatsächlich solche Standbilder zu Tage fördert. Oder dieses "finden" bzw. "vorfinden" (das Original lässt hier beide Übersetzungen zu) bedeutet, dass man in Saint-Sernin heidnische Götterbilder zum Zwecke der Verehrung aufgestellt sehen wird. Das würde aber heißen, dass die heute noch katholische Basilika in einen (neu-) heidnischen Tempel umgewandelt sein wird. In einen Tempel, in dem vielleicht u. a. auch Diana und Merkur wieder verehrt werden. Ich vermute, Nostradamus hat hier an die zweite Deutungsmöglichkeit gedacht (vgl. die Ausführungen zu 8/28).

In der dritten und vierten Zeile geht es um den eingangs erwähnten "Bildhauer", der reinen "Ton" suchen wird und dessen Familie, Angehörige oder Gefolgsleute ("die Seinen") in Gold schwimmen werden. Es ist anzunehmen, dass der "Bildhauer" den reinen "Ton" suchen wird, um aus ihm etwas zu formen. Den "Ton" treffen wir auch in 5.278 an. Dort sind damit wahrscheinlich Christen gemeint. Wenn der "Bildhauer" Christen sucht (bzw. suchen muss), dürfte das bedeuten, dass diese nicht mehr allzu zahlreich vorhanden sein werden. Vielleicht sind diese Christen zudem nicht mehr öffentlich als solche erkennbar - sie könnten etwa verfolgt werden. Doch wer oder was ist mit dem "Bildhauer" gemeint? Auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Es könnte sich um jemanden handeln, der aus den verbliebenen Christen (dem "Ton") eine funktionierende Kirche ("Tongefäß") formen will. Dann käme als "Bildhauer" etwa ein Papst in Frage, der die stark reduzierte Christenheit anzuführen hat. Oder wir haben im Gegenteil einen Christenverfolger vor uns, der die wenigen noch verbliebenen Gläubigen sucht, um sie zu vernichten. Das würde insofern zu einem Bildhauer passen, als dass ein solcher zunächst etwas aus Ton formt, dann das Geformte aber in den Brennofen steckt. Allerdings würde es einem Christenverfolger wohl reichen, die Christen bzw. den "Ton" auch ungeformt in den Ofen zu schieben. Laut vierter Zeile werden der "Bildhauer" und die Seinen mit Gold abgefüllt oder überschüttet werden. Ist der "Bildhauer" ein Christenverfolger, bedeutet das wohl, dass er und seine Gehilfen sehr erfolgreich sein und deswegen von ihren Auftraggebern großen Lohn erhalten werden. Haben wir einen Papst vor uns, ist mit "den Seinen" vielleicht die "Familia Pontificia", die päpstliche Familie, d. h. sein Hofstaat gemeint. Doch warum sollte zu einer Zeit, in der die Christen "gesucht" werden müssen, ein Papst und sein - wohl ebenfalls stark reduzierter - Hofstaat mit Gold "abgefüllt" oder überschüttet werden? Läuft man vielleicht zu den herrschenden Feinden des Christentums über und wird dafür reich belohnt? Oder erzählt die vierte Zeile umgekehrt vom Sieg des Christentums über die Feinde sowie davon, dass die einst der Kirche geraubten Besitztümer dieser zurückerstattet werden?

8/28: In den ersten drei Zeilen ist wieder von den heidnischen Götterstandbildern die Rede, die wir bereits aus 9/12 kennen. Nostradamus vergleicht sie mit denen, die in Delphi geraubt und im Toulouser See versenkt wurden und gibt damit den entscheidenden Hinweis auf den Ort des Geschehens. Interessant ist, was man laut dritter Zeile mit diesen Statuen macht. "Draußen" - damit ist wohl "außerhalb der Basilika Saint-Sernin" gemeint - wird man sie zerstören und dafür sorgen, dass die Menschen sie vergessen. Damit dürfte klar sein, dass hier kaum von harmlosen archäologischen Funden die Rede ist. Vielmehr dürfte es sich um Standbilder handeln, die kurz zuvor noch eine religiöse Bedeutung besessen haben. Dass man sie jetzt zerstört und in Vergessenheit zu bringen versucht, heißt wohl, dass die Zeit ihrer neuheidnischen Verehrung vorbei ist. Hier könnte gemeint sein, dass das Christentum in Toulouse wieder Einzug hält und Saint-Sernin wieder zu einer katholischen Kirche wird. Der vierten Zeile entnehmen wir, dass Marmorinschriften, die zuvor offenbar gelöscht wurden, wieder von Neuem eingefügt werden. Das dürften christliche Inschriften sein, die dem Vormarsch des Neuheidentums zum Opfer gefallen sind und nun, nachdem Letzteres gescheitert ist, vom triumphierenden Christentum wieder angebracht werden. Vor diesem Hintergrund ist man dazu geneigt, die vierte Zeile von 9/12 dahingehend zu verstehen, dass Papst und Kurie deswegen mit Gold überschüttet werden, weil der Kirche die von den Neuheiden geraubten Besitztümer zurückerstattet werden.

Von neuheidnischen Umtrieben in Toulouse lesen wir auch in 5.261. In 5.262 werden die Toulouser Kirchen geschändet und geplündert.

Quellen
 

9/12
 
Le1) tant d’argent2) de Diane3) & Mercure4) Aus1) ebenso viel Silber2) von Diana3) und Merkur4) [werden sie bestehen,]
Les simulachres5) au lac seront trouuez,6) die Standbilder5), [die] im See gefunden werden,6)
Le figulier7) cherchant argille neufue8) [wenn] der Bildhauer7) reinen8) Ton sucht.
Luy & les siens d’or seront abbreuez9). Er und die Seinen werden mit Gold abgefüllt9) [werden].
1) Lies: "de". Ansonsten siehe Anmerkung 6.
2) Das mittelfranzösische "argent" bedeutet "Silber, Geld" aber auch "Reichtum, Vermögen". GRUBER, S. 186, übersetzt hier "Schatz".
3) Römische Göttin u. a. der Jagd und des Mondes. Das dem Mond zugeordnete Metall ist Silber.
4) Römischer Gott u. a. des Handels. Das dem Merkur zugeordnete Metall ist Quecksilber ("vif argent").
5) Das mittelfranzösische "simulachre" bezeichnet besonders das Standbild einer heidnischer Gottheit der Antike, vgl. auch lat. "simulacrum" (Statue, Götterbild).
6) Oder: "Aus dermaßen viel Silber [werden sie bestehen,] die Standbilder von Diana und Merkur, [die] im See gefunden werden."
7) Lies: "figurier". Das mittelfranzösische "figurer" bedeutet u. a. "etwas bildlich oder figürlich darstellen". GRUBER, S. 186, übersetzt hier bloß mit "Töpfer".
8) Im Original steht "neufue" (neu). Allerdings reimt sich das nicht auf das "Mercure" der ersten Zeile. GRUBER, S. 186, schlägt hier deshalb "pure" (rein) vor.
9) "Abfüllen" wie in "jemanden mit Alkohol abfüllen". Sinngemäß kann hier auch "überschüttet" übersetzt werden.
 

8/28
 
Les simulachres d’or & d’argent enflez1), Die aufgeblasenen1) Standbilder aus Gold und Silber,
Qu’apres le rapt au lac furent gettez die nach dem Raub in den See geworfen wurden,
Au descouuert2) estaincts tous & troublez3). [werden] alle draußen2) zerstört und verdunkelt3) [werden].
Au marbre escriptz prescriptz4) intergetez5) Auf Marmor werden [die] gelöschten Inschriften4) eingefügt5).
1) Das mittelfranzösische "enfler" bedeutet u. a. "aufblähen, aufblasen". "Estre enflé" im übertragenen Sinne auch "von Stolz erfüllt sein". Hier dürfte mit "aufgeblasen" entweder "anmaßend" (weil heidnische Gottheiten verehrend) oder "überladen" (zu protzig) gemeint sein.
2) Das mittelfranzösische "au descouuert de" bedeutet "außerhalb von". Hier könnte aber auch "à descouuert" gemeint sein, was entweder mit "ohne Verteidigung, ohne Schutz" oder "öffentlich, vor aller Augen" zu übersetzen wäre.
3) Oder u. a. auch: "erschüttert, verwirrt". Mit "verdunkeln" ist hier wohl "in Vergessenheit bringen" gemeint, vgl. lat "obscurare".
4) Das mittelfranzösische "prescrire" bedeutet "auslöschen, abschaffen". Das lat. "praescribere" u. a. "schriftlich davorsetzen, verordnen". Die Zeile kann somit unterschiedlich übersetzt werden: "Auf Marmor werden [die] gelöschten Inschriften eingefügt", "[Die] auf Marmor eingefügten Inschriften [werden] gelöscht" oder auch "[Den] Inschriften auf Marmor [werden] Zusätze eingefügt".
5) Lat. "interiacere" (u. a. einfügen, einschieben, einmengen). 


Zurück / Zurück zur Startseite