5.30 Der Vormarsch einer islamischen Macht und die Verfälschung der katholischen Lehre.
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Zusammenfassung
5/72: In der ersten Zeile spricht Nostradamus von einem "Edikt". Zu seiner Zeit verstand man darunter ein vom französischen König erlassenes Gesetz. Im Römischen Reich wurde damit analog ein vom Kaiser erlassenes Gesetz bezeichnet. Wer bei Nostradamus dieses Edikt veröffentlicht, erfahren wir nicht. Er teilt uns nur mit, dass es "wollüstig" sein oder zur Venus gehören wird (vgl. Anmerkung 1). Und dieses Edikt - oder dessen Verfasser - wird mit Freude zur Kenntnis nehmen, dass "Gift" in das "Gesetz" (bzw. die Lehre, vgl. Anmerkung 2) gemischt werden wird (zweite Zeile). In der dritten und vierten Zeile liefert Nostradamus den Kontext, der es uns erlaubt, die ersten beiden Zeilen einzuordnen: sie gehören in eine Zeit, in der der Islam gewaltig an Macht und Einfluss gewinnen wird. Und zwar auf Kosten des Christentums, das in seinem Wert oder seiner Qualität (vgl. Anmerkung 4) vermindert werden wird. Jetzt dürfte klar sein, in welches "Gesetz", bzw. in welche Lehre gemäß zweiter Zeile "Gift" gemischt wird. Es handelt sich dabei um das Christentum bzw. die Lehre der katholischen Kirche (vgl. Anmerkung 5), die man durch die Hinzufügung neuer und schlechter Bestandteile "vergiftet" und damit wertmäßig herabsetzt. Da in diesem Vierzeiler vom Aufstieg der islamischen Venus die Rede ist, liegt es nahe, das "wollüstige Edikt" der ersten Zeile als "venerisch-islamisches Edikt" zu verstehen. Da sich dieses über die Beimengung des "Giftes" freut, könnte das Bedeuten, dass die Lehre der Kirche durch Elemente verunreinigt werden wird, die entweder aus dem Islam stammen oder Muhammads Religion "neu" bewerten. Hier stellt sich die Frage, warum die katholische Kirche sich derart dem Islam anbiedern sollte. Wird zu dieser Zeit vielleicht Italien von den Muslimen beherrscht? Sollte die Appeninenhalbinsel unter islamischem Recht stehen, hätten die dortigen Christen den Status von "Schutzbefohlenen" (Dhimmis), d. h. von Bürgern zweiter Klasse, die die Vorherrschaft der Muslime anzuerkennen haben. Hat Nostradamus mit dem "wollüstigen Edikt" die Einführung des islamischen Rechts (Scharia) in Italien gemeint? In diesem Fall könnte das in die katholische Lehre gemischte "Gift" konkret aus Elementen der Scharia bestehen. Elemente, die v. a. die Vorherrschaft der Muslime und ihres Rechts von höchster Stelle absegnen und für die Christen somit verbindlich machen. Sollte hier eine Verbindung zur "dienenden Kirche" aus 8/78 (5.8) bestehen?
5/18: Dieser Vierzeiler bezieht sich auf das Geschehen in 5.31. In der vierten Zeile lesen wir von einer Mauer, die am siebten Tag fällt. In 5/81 (5.31) lesen wir von der "Mauer des Ostens" (wohl der syrische Limes), der fallen wird. Ob jene "Mauer des Ostens" mit der aus 5/18 identisch ist, ist aber unsicher. Gemäß 5/81 werden sieben Tage nach dem Fall des syrischen Limes die Feinde bei den Toren (den Stadttoren Jerusalems?) sein. Es wäre meines Erachtens deshalb auch möglich, dass mit der am siebten Tag fallenden Mauer aus 5/18 die Stadtmauer gemeint ist, die zu den Toren aus 5/81 gehört. Gemäß der vierten Zeile von 5/18 wird am siebten Tag jedoch nicht nur eine Mauer fallen sondern auch ein Fürst unterliegen. Damit ist wohl der neue Saul aus 5.31 gemeint. In der ersten Zeile von 5/18 erfahren wir, dass der besiegte Fürst Saul "an Trauer und unglücklich" sterben wird. Das passt zu den Angaben der Bibel über das Ende Sauls, der nach der Niederlage gegen die Philister und nachdem seine Söhne in der Schlacht gefallen waren, vor Anst und Verzweiflung Selbstmord begangen hat (erstes Buch Samuel 31, 2 - 4). In der zweiten Zeile von 5/18 ist zu lesen, dass seine Besiegerin ein Massaker veranstalten wird. Damit ist wohl die Venus gemeint, die für den Islam steht. Dem Blutbad zum Opfer fallen dürften Gefolgsleute bzw. Untertanen des toten Saul - Juden. Die dritte Zeile könnte die Vorgänge im Nahen Osten mit den Geschehnissen in Italien (vgl. 5/72) zeitlich verbinden. Nostradamus spricht dabei von einem "freien" ("schamlosen"?) Edikt, womit das "wollüstige" Edikt aus 5/72 gemeint sein könnte (vgl. Anmerkung 6). Gleichzeitig scheint es unser Seher als das "frühere Gesetz" zu bezeichnen. Oder sollte die Zeile so zu verstehen sein, dass das neue Edikt anstelle des früheren Gesetzes erlassen wird?
6/58: Die zweite Zeile dürfte diesen Vierzeiler mit 5/72 verbinden. Wir lesen hier nämlich, dass "die Sonne durch Selin (vgl. Anmerkung 2) ihren Glanz verlieren wird", was zum "verdunkelten Wert" der Sonne aus 5/72 passt. Gemäß vierter Zeile wird dem toskanischen Siena und "den Inseln" die "Freiheit" (wieder-) gegeben werden. Falls mit der "Freiheit" die Herrschaft der venerischen "Zügellosigkeit" (des Islams) gemeint sein sollte (vgl. Anmerkung 5) würde dies zur oben vermuteten muslimischen Herrschaft in Italien passen. Mit den Inseln könnten z. B. Sardinien und Korsika oder die der Toskana vorgelagerten Eilande wie Elba gemeint sein. Der Grund für die Ausdehnung der (islamischen?) Macht wird dabei in der Rivalität von zwei unwürdigen und weit voneinander entfernten Herrschern zu suchen sein (erste und dritte Zeile). D. h. der Angreifer wird von der Zerstrittenheit seiner Gegner profitieren. Näheres dazu erfahren wir hier allerdings nicht.
Quellen
5/72
1) Möglicherweise als Anspielung auf die Venus zu verstehen (lat. "venerius" = sinnlich, geschlechtlich, wollüstig).
Pour le plaisir d’edict voluptueux1), Zur Freude des wollüstigen1) Edikts On meslera la poyson dans l’aloy2): wird man das Gift in das Gesetz2) mischen. Venus3) sera en cours si vertueux, Venus3) wird so kraftvoll auf dem Weg [nach Oben] sein, Qu’obfusquera6) du soleil5) tout aloy4). dass [sie den] ganzen Wert4) der Sonne5) verdunkeln6) wird.
2) Nach Utrecht 1557 bzw. Moskau 1557. Lies: "la loy" (das Gesetz). Mit "Gesetz" dürfte hier "Lehre" gemeint sein. "L’aloy" hieße "der Wert, die Qualität, die Güte". In späteren Ausgaben steht hier gelegentlich "foy" (Glaube).
3) Die Venus steht für den Islam, dessen Feiertag der Freitag ist (Freitag = lat. "dies Veneris" = Tag der Venus).
4) Nach Utrecht 1557 bzw. Moskau 1557.
5) Die "Sonne" steht für das Christentum, das den Sonntag feiert (Sonntag = lat. "dies Solis" = Tag der Sonne). Im engeren Sinne wohl für die katholische Kirche bzw. die katholische Lehre, da Nostradamus in 1/8 (5.46) Rom als "Sonnenstadt" bezeichnet.
6) Lies: "offusquera".
5/18
1) Lat. "infelix" (u. a. unglücklich).
De dueil mourra l’infelix1) profligé2), An Trauer wird [er] sterben, der unglückliche1) Besiegte2). Celebrera son vitrix3) l’hecatombe4): Zelebrieren wird seine Besiegerin3) die Hekatombe4). Pristine5) loy franc6) edict redigé7), [Das] frühere5) Gesetz, [das] freie6) Edikt, [wird] formuliert7) [werden]. Le mur & Prince au septiesme iour tombe8). Die Mauer und [der] Fürst fallen8) am siebten Tag.
2) Lat. "profligare" (u. a. besiegen, überwältigen).
3) Lat. "victrix" (Besiegerin).
4) Eine Hekatombe war ursprünglich die religiöse Opferung von hundert Ochsen. Später wurde der Begriff auch als Synonym für "Massaker, Blutbad" verwendet.
5) Lat. "pristinus" (früher, ehemalig).
6) Oder auch denkbar: "fränkisch" im Sinne von "französisch". Nostradamus hat bei "franc" aber möglicherweise das lat. "liber" gemeint, das neben "frei" u. a. auch "zügellos, ausschweifend, schamlos" bedeutet.
7) Das von Nostradamus verwendete mittelfranzösische "rediger" ist doppeldeutig. Es bedeutet u. a. sowohl "einen Text verfassen" wie auch "etwas zurückfahren, beschränken". Hier kann das "freie Edikt" also sowohl formuliert wie auch genau im Gegenteil zurückgezogen, bzw. in seiner Gültigkeit beschränkt werden.
8) "Fallen" im Sinne von "stürzen, umstürzen". Der Fürst muss also nicht unbedingt im Kampf sterben sondern kann auch bloß unterliegen bzw. seine Macht verlieren.
6/58
1) Lat. "sol" (Sonne).
Entre les deux monarques esloignez, Zwischen den beiden [weit von einander] entfernten Herrschern [wird] Lors que le Sol1) par Selin2) clair perdue: dann, wenn die Sonne1) durch "Selin"2) [ihren] Glanz verloren [hat], Simulré3) grande entre deux indignez, [eine] große Rivalität3) [herrschen]. Zwischen [den] beiden Unwürdigen, Qu’aux Isles & Sienne4) la liberté5) rendue6). so dass den Inseln und Siena4) [die] Freiheit5) zurückgegeben6) [wird].
2) "Selin" verweist auf Selene, die griechische Mondgöttin, die bei Nostradamus für den Islam steht. Der Begriff scheint männlichen Geschlechts zu sein. Das bedeutet, dass "Selin" neben dem Islam als Religion oder einer islamischen Macht wohl auch konkret einen muslimischen Machthaber bezeichnen kann. Wie aus dem Kontext hervorgeht allerdings kaum "Chyren Selin", der ja an anderer Stelle für das Christentum gegen den Islam kämpft.
3) Lies: "simulté". Lat. "simultas" (Eifersucht, Rivalität, gespanntes Verhältnis, Feindschaft).
4) Stadt in der zentralen Toskana.
5) Oder nach lat. "libertas" auch: "Zügellosigkeit, Ausschweifung".
6) Oder auch nur: "gegeben".