5.110  Ein kleines Kind aus Frankreichs Königsfamilie wird von einer Nonne und einem Mönch gerettet. Als Erwachsener wird der Gerettete später eine sehr hohe Machtposition einnehmen. In Südwestfrankreich bildet sich ein Bündnis, wenn das "Monster aus dem Lauragais" an die Macht gelangt.
 

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Zusammenfassung
 
 
1/95: Vor einem Kloster (vgl. Anmerkung 1) wird ein (lebendiges) Zwillingskind gefunden, dass aus "heroischem Blut" stammt. Mit diesem "heroischen Blut" ist wahrscheinlich das französische Königsgeschlecht gemeint, das sich selbst auf den sagenhaften trojanischen Helden Francus zurückgeführt hat. In der vierten Zeile erfahren wir, dass sein Zwillingsbruder offenbar schon tot ist oder nicht überleben wird. Ob beide Zwillige gleichzeitig vor diesem Kloster ausgesetzt werden, erfahren wir allerdings nicht. Aus der zweiten Zeile ist zu entnehmen, dass dieser Zwilling nicht nur aus dem erwähnten "heroischen Blut" stammen sondern auch von einem Mönch und einer Nonne kommen wird. Damit dürfte jedoch nicht gemeint sein, dass die beiden Ordensleute die leiblichen Eltern sind sondern bloß, dass sie den Zwilling vor dem Kloster aussetzen werden. In der dritten und vierten Zeile wird die steile Karriere dieses Kindes kurz skizziert. Er wird in einer nicht näher beschriebenen "Gruppierung" sowie im Staat ("Volk" und "Macht") höchsten Ruhm ernten, was auf eine hohe Machtposition hinweist. Über die Identität dieser "Gruppierung" kann im Moment nur spekuliert werden. Vielleicht die Kirche in Frankreich?

9/24: In den ersten beiden Zeilen teilt uns Nostradamus in verschleierter Form mit, wo die königlichen Zwillinge geraubt werden. Es wäre möglich, dass es sich dabei um das Château des Rochers nahe des bretonischen Vitré handelt (vgl. Anmerkung 1). In der vierten Zeile taucht (wieder) eine Nonne auf. Sie ist es wohl, die sich der beiden Kinder bemächtigt. Doch sie wird verfolgt. Man folgt ihr über Orléans, Paris und Saint-Denis. Die Absicht der Verfolger ist klar: Man will die Nonne und die beiden Kinder erschlagen. Somit erscheint die "Entführung" der Kinder in einem neuen Licht. Es scheint sich dabei nicht um einen kriminellen Akt sondern vielmehr um eine Rettungsaktion zu handeln. Wohin die Nonne mit den beiden Kindern flieht und vor welchem Kloster diese ausgesetzt werden, ist nicht ganz klar. Vor der Abtei bzw. Abteikirche in Saint-Denis?

9/10: Die ersten beiden Zeilen gehören zu den Vorgängen in 1/95 und 9/24. Wir erfahren hier, dass die Nonne aus 9/24 offensichtlich einen Helfer hat: einen Mönch (vgl. 1/95). Diese beiden Ordensleute werden gemeinsam die Zwillinge (den lebenden und den offensichtlich bereits verstorbenen) aussetzen. Nostradamus erwähnt dabei explizit das tote Kind. Doch was könnte dahinter stecken? Setzen die beiden den verstorbenen Zwilling vielleicht an einem speziellen Ort aus, so dass die Verfolger aus 9/24 auf eine falsche Spur gelockt werden und das überlebende Kind so in Sicherheit ist? In der zweiten Zeile dürften die Verfolger der Nonne und der Kinder erwähnt werden. Es handelt sich dabei um eine "Bärin" und einen "Eber". Die Nonne und der Mönch fallen diesen beiden Akteuren zum Opfer, werden vom "Eber" entführt und von der "Bärin" getötet. Wer aber mit diesen Tieren gemeint ist, lässt sich im Augenblick noch nicht sagen. Die "Bärin" lässt vielleicht an eine Kraft aus dem Norden denken (vgl. griech. "arktos"), der "Eber" ist noch ungelöst. In der dritten und vierten Zeile geht es um Vorgänge in Südwestfrankreich. Im Raum von Foix/Pamiers wird eine Armee aufgestellt werden, gleichzeitig scheint Carcassonne gegen Toulouse ebenfalls zu rüsten. Ob die beiden Ereignisse zusammenhängen, ist hier leider unklar. 

10/5: Wieder ist Südwestfrankreich der Ort des Geschehens. Albi und Castres (beide Orte liegen nordöstlich von Toulouse) bilden zusammen mit Kräften aus Portugal und den neuen Arianern (vgl. Anmerkung 3) ein Bündnis. Mit diesen "neuen Arianern" könnte z.B. Toulouse gemeint sein. Die Garonne-Metropole und Carcassonne legen auf jeden Fall ihren Konflikt bei, der in 9/10 noch zu eskalieren gedroht hat. Doch was steckt hinter der Gründung dieses Bündnisses und der Aussöhnung von Toulouse und Carcassonne? In der letzten Zeile wird das "Monster aus dem Lauragais" erwähnt, das zum "Oberhaupt" (wohl Frankreichs) aufsteigt und mit "Nero" identisch sein könnte (vgl. Anmerkung 7). Ist dessen Aufstieg vielleicht der Grund für die Entwicklungen im Südwesten? Ist das Bündnis ein Verteidigungspakt gegen das "Monster"? Will sich Carcassonne vielleicht dieser Allianz anschließen und legt deshalb den Streit mit Toulouse bei? Da sich diese Vorgänge etwa zeitgleich mit dem Tod der Nonne und des Mönchs aus 9/10 abspielen dürften, stellt sich ebenso die Frage, ob das "Monster aus dem Lauragais" in die Verfolgung der Zwillinge bzw. der Ordensleute involviert ist.

Quellen
 

1/95
 
Deuant monstier1) trouué enfant besson
Vor [dem] Kloster1) [wird ein] Zwillingskind gefunden [werden],
D’heroic sang de moine & vestutisque2):
aus heroischem Blut [und] von [einem] Mönch und [einer] Ordenstrachtträgerin2).
Son bruit par secte3) langue & puissance son
Sein Ruhm [wird] in [der] Gruppierung3), [im] Volk und [an der] Macht [den] Höhepunkt [erreichen],
Qu’on dira fort eleué le vopisque4).
[so] dass man sagen wird, der überlebende Zwilling4) [sei] hoch aufgestiegen.
1) Oder: "Kirche".
2) Der Begriff "vestutisque" ist nicht ganz klar. Er könnte auf das lat. "vetustus" (alt) zurückgehen und dann wohl zum "heroischen Blut" gehören, womit die Zeile etwa so zu übersetzen wäre: "aus [dem] heroischen und alten Blut eines Mönchs". Oder es steckt das lat. "vestis" (Kleid, Gewand) bzw. "vestitus" (Kleidung, Tracht) dahinter. In 9/10 ist von einem Paar, einem Mönch und einer Nonne die Rede. Falls hier dasselbe gemeint sein sollte, wäre "vestutisque" ("vestitusque"?) wohl etwa als "Ordenstrachtträgerin" (Nonne) zu verstehen.
3) Das mittelfranzösische "secte" bezeichnet eine Gruppierung im weitesten Sinne, religiöser wie nichtreligiöser Natur.
4) Lat. "vopiscus" (ein gesunder Zwilling, der im Gegensatz zu seinem Bruder überlebt).


9/24
 
Sur le palais au rochier des fenestres1)
Beim "Schloss zum Felsen der Fenster"1)
Seront rauis les deux petits royaux,
werden die beiden kleinen Königlichen geraubt werden.
Passer aurelle2) Luthece3) Denis4) cloistres,
Vorbeiziehen [wird man an] Aurelianum2), Lutetia3) [und den] Klosteranlagen [von Saint-]Denis4),
Nonain, mallods5) aualer6) verts noyaulx7).
[um die] Nonne [mit] Schlagwaffen5) niederzuschlagen6), [genauso wie die] "grünen Kerne"7).
1) Das "Schloss zum Felsen der Fenster" ist ein Wortspiel, das einen Ortsnamen umschreibt. Dafür in Frage kommt etwa das Château des Rochers ("Schloss der Felsen"), das einige Kilometer südöstlich des bretonischen Vitré liegt. Es könnte so sein, dass Nostradamus diesen Ortsnamen etwas scherzhaft als "mit Glasfenstern versehen" gedeutet und als Attribut dem "Schloss der Felsen" zugeordnet hat. Das Schloss stammt ursprünglich aus dem 14. Jahrhundert, wurde aber im 17. Jahrhundert umgebaut und in die heutige Form gebracht. Vitré selber liegt im Département Ile-et-Vilaine, etwa 40 km östlich von Rennes.
2) Lat. "Aurelianum" (Orléans).
3) Lat. "Lutetia" (Paris).
4) Saint-Denis liegt etwas nördlich von Paris. Dort befindet sich u.a. die Abteikirche, die den französischen Königen als Grablege diente.  
5) "Mallods" ist ein nicht ganz geklärter Begriff. Er könnte, nach LE PELLETIER, z.B. auf "malois" (übel) zurückgehen. Ich vermute aber, es handelt sich hier um eine Verschreibung von "maillods" (bzw. "maillots"). Das mittelfranzösische "maillot" bezeichnet zum einen eine tödliche Schlagwaffe und zum anderen ein Tuch, in das Neugeborene gewickelt wurden. Es dürfte mit Blick auf die beiden kleinen Königskinder wohl kein Zufall sein, dass Nostradamus hier den Namen einer Waffe gewählt hat, der gleichzeitig auch ein Wickeltuch bezeichnet.
6) Das mittelfranzösische "avaler" bedeutet nicht nur "schlucken" sondern u.a. auch "hinunter bringen" und "gewaltsam niederschlagen" (vgl. das moderne "descendre").
7) Mit diesen "grünen Kernen" sind wohl die beiden kleinen Königskinder gemeint: "Grün" bedeutet im Mittelfranzösischen wie Lateinischen u.a. auch "jung", und bei den "Kernen" hat Nostradamus womöglich an das lat. "semen" gedacht, das neben "Samenkorn" u.a. auch "Sprössling, Nachkomme" bedeutet.


9/10
 
Moyne moynesse d’enfant mort exposé,
[Der] Mönch [und die] Nonne des tot ausgesetzten Kindes
Mourir par ourse & rauy2) par verrier1).
[werden] durch [die] Bärin sterben und vom Eber1) geraubt2) werden.
Par Fois & Pamyes3) le camp sera posé
Bei Foix und Pamiers3) [wird] die Armee aufgestellt [werden].
Contre Tholose Carcas4) dresser forrier5).
Gegen Toulouse [wird] Carcas[sonne]4) [einen] Kavalleristen5) aufstellen.
1) "Verrier" (eigentlich: "Glasbläser") dürfte wohl eine reimbedingte Anpassung des lat. "verres" (Eber) an "forrier" sein.
2) Oder auch: "beraubt, ausgeplündert". "Ravy" ist männlich und steht im Singular. Vermutlich sollte es aber "ravys" heißen, d.h. sich auf den Mönch und die Nonne beziehen. "Ravy" beträfe nur den Mönch allein.
3) Foix liegt in Südwestfrankreich, nahe der Grenze zu Andorra. Pamiers etwa 15 - 20 km nördlich von Foix.
4) Stadt in Südwestfrankreich, etwa 85 km südöstlich von Toulouse.
5)  "Forrier" (fourrier) bezeichnete entweder einen Unteroffizier, der im Feindesland Futter für die Pferde der Kavallerie organisierte oder auch einen Kavalleristen.
 

10/5
 
Albi & Castres1) feront nouuelle ligue,
Albi und Castres1) werden [eine] neue Liga bilden,
Neuf2) Arriens3) Lisbon & Portugues4),
[zusammen mit] neuen2) Arianern3), Lissabon und [den] Portugiesen4).
Carcas5), Tholose consumeront leur brigue6)   
Carcas[sonne]5) [und] Toulouse werden ihren Streit6) beenden,
Quand chief neuf monstre de Lauragues7).
wenn [das] neue Oberhaupt [das] Monster aus [dem] Lauragais7) [sein wird].
1) Albi liegt in Südwestfrankreich, etwa 55 km nordöstlich von Toulouse, Castres etwa 35 km südlich von Albi.
2) Lies: "neufs" (neue). Selbstverständlich könnte "neuf" aber auch einfach  als "neun" übersetzt werden.
3) Entweder sind hier "Arianer" gemeint oder "Arier". Die Arianer waren eine christliche Glaubensrichtung in der Spätantike, die sich vom Katholizismus durch ihr Christusbild unterschied. Ihr gehörten die Westgoten an, die bis 507 in großen Teilen Spaniens und in Südwestfrankreich ihr Reich mit der Hauptstadt Toulouse besaßen. Im Gegensatz dazu waren die Franken, die Nordfrankreich beherrschten, seit 497/98 Katholiken. Falls es sich um "Arier" handeln sollte, wären wohl Leute aus dem historischen Aria gemeint, das im Westen des heutigen Afghanistan um Herat gelegen hat. In der Antike gehörte Aria zum Perserreich. Hier hätten wir demzufolge entweder Afghanen oder Perser (Iraner) vor uns.
4) Oder: "[dem] Portugiesen".
5) Stadt in Südwestfrankreich, etwa 85 km südöstlich von Toulouse.
6) Oder auch: "Intrige".
7) Das Lauragais ist ein kleines Gebiet in Südwestfrankreich, etwa auf halbem Weg zwischen Toulouse und Carcassonne. Die genauen Grenzen dieser Region sind aber leider nicht eindeutig festgelegt. An der Ostgrenze des Lauragais befindet sich die Ortschaft Montréal im Département Aude. Es wäre nun möglich, dass das erwähnte "Monster" mit "Nero" aus 5.17 identisch ist, der ebenfalls in einem Ort namens Montréal geboren zu werden scheint.


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