5.131 Anschluss an 5.59: Im von Merkur beherrschten Ägypten entsteht eine neue Religion, ein christlich-islamisches Mischbekenntnis. Nach einer Zeit der Passivität wird Frankreich durch einen Todesfall wieder aktiv.
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Zusammenfassung
In der ersten Zeile ist von der Geburt eines "Zwitters" die Rede. Ein Ereignis, das der Himmel beweint, was wohl bedeuten dürfte, dass es nicht gottgefällig ist. Nostradamus hatte bei diesem Zwitter wohl den mythologischen Hermaphroditus im Sinn, den Sohn von Merkur und Venus (vgl. Anmerkung 1). Merkur und Venus stehen in der Symbolik des Nostradamus für zwei recht verschiedenartige Akteure. Währenddem Venus für den Islam, also eine Religion, steht, ist Merkur eine Person (vgl. 5.58 und 5.59). Er stammt wohl aus dem Hause Bourbon und dürfte ein Nachkomme von Herkules, einem Mitstreiter CHYRENs, sein (vgl. 10/79, 5.59). Wenn also in 2/45 Merkur und Venus ein "Sohn" geboren wird, dürfte es sich dabei kaum um einen Menschen handeln. Ich vermute, dass er wie der antike Hermaphroditus - oder eben Aphroditus (vgl. Anmerkung 1)! - vielmehr seiner "Mutter" ähneln wird. Und das wiederum bedeutet, dass hier eine neue Religion entsteht. Eine Religion, die offensichtlich ein "Zwitter" sein wird, eine Mischung aus zwei verschiedenen Lehren. Die "mütterliche" Komponente kennen wir bereits - den Islam. Dieser scheint die Episode der "Jupiter"-Religion doch mindestens teilweise zu überstehen (vgl. dazu 5.60, 3/95). Doch welcher Glaube ist der "Vater" der Zwitterreligion? Da der - wohl katholische - Bourbone Merkur der Retter des Christentums ist und die "Jupiter"-Religion besiegt (5.59), dürfte das von ihm verteidigte Bekenntnis gemeint sein. Wie dieser christlich beeinflusste Neo-Islam genau aussehen wird, erfahren wir in diesem Vierzeiler leider nicht. Nur, dass der Himmel (Gott) dessen Entstehung beweinen wird. Vermutlich deshalb, weil es sich bei ihm um eine Verfälschung der Wahrheit (der katholischen Lehre) handelt. Begründet werden wird der neue Glaube wahrscheinlich im Nahen Osten, genauer in Ägypten, das unter die Herrschaft Merkurs gelangen wird (10/79, 5.59). Ob oder wie weit Merkur aktiv in die Entstehung des neuen Glaubens involviert sein wird, lässt sich im Moment noch nicht sagen. Es wäre z.B. auch denkbar, dass diese Religion erst nach Merkurs Regierungszeit entstehen wird, ihre Existenz aber dennoch maßgeblich dem Einfluss verdankt, den Merkurs Herrschaft auf das Land der Pharaonen haben wird. Ebenfalls noch nicht zu entscheiden ist, ob die Ereignisse in den Zeilen zwei bis vier in die Epoche von Merkurs Sieg über "Jupiter" gehören oder in eine spätere Zeit. Die zweite Zeile prophezeit, dass in der Nähe Ägyptens (über dem der Himmel die Entstehung der Zwitterreligion beweint hat) menschliches Blut vergossen werden wird. Ob das etwas mit diesem neu entstandenen Glauben zu tun hat, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Die dritte Zeile betrifft die Franzosen ("das große Volk"). Diese werden durch einen zu spät eingetretenen Tod "wieder belebt" werden. Das ist wohl so zu verstehen, dass sie zunächst sehr passiv sein werden und dieser Tod sie aus ihrer Lethargie reißt. Damit könnte z.B. der Tod des französischen Herrschers gemeint sein, dessen Politik für die französische Passivität verantwortlich sein wird. Diese passive Haltung hat zum Zeitpunkt des Todes allerdings wohl schon negative Folgen gezeitigt, denn Nostradamus charakterisiert den Tod als "zu spät". In der vierten Zeile ist von einer "erwarteten Hilfe" die Rede, die kommen wird und kommen muss (vgl. Anmerkung 4). Ist das eine Hilfe, die die erwähnten negativen Folgen der französischen Lethargie korrigiert? Wenn ja, von wem geht diese Hilfe aus? Vom neuen Herrscher Frankreichs? Hier bräuchten wir Begleitverse. Chronologisch folgt 2/45 wohl Gruppe 5.59.
Quellen
2/45
1) Bei diesem Zwitter dürfte Nostradamus wohl an Hermaphroditus (bzw. Aphroditus) gedacht haben, den Sohn von Merkur (Hermes) und Venus (Aphrodite). Hermaphroditus wurde auf dem Berg Ida bei Troja geboren und von Naiaden (Quellnymphen) in Phrygien (nordwestliches Kleinasien oder die Region um Troja) aufgezogen. Er wird als hübscher junger Mann mit weiblichen Brüsten oder als "Venus mit männlichen Genitalien" (also als "Aphroditus") dargestellt. Geboren wurde Hermaphroditus als normaler Junge. Seine Doppelgeschlechtlichkeit erhielt er erst später: Als er eines Tages an einem See vorbei ging, verliebte sich Salmacis, die Nymphe des Sees, in ihn. Hermaphroditus wies ihre Avancen jedoch zurück. Allerdings wurde er vom klaren Wasser angezogen, entkleidete sich und nahm ein Bad. Salmacis bat darauf die Götter, sie mögen dafür sorgen, dass sie und Hermaphroditus nie mehr getrennt würden. Die Götter erhörten ihre Bitte, verschmolzen darauf beide zu einem Körper und erschufen so den Zwitter Hermaphroditus. Dieser wendete sich daraufhin an seine göttlichen Eltern und bat sie, dass jeder Mann, der von nun an in diesem See baden würde, seine bisherige Männlichkeit verlieren und ebenfalls androgyn werden solle, was Merkur und Venus genehmigten (vgl. Ovid, Metamorphosen, IV, 271 - 415).
Trop le ciel pleure l’Androgyn1) procrée2),
Der Himmel beweint den geborenen2) Zwitter1) sehr.
Pres de ce ciel sang humain respandu,
In der Nähe dieses Himmels [wird] menschliches Blut vergossen [werden].
Par mort trop tarde grand peuple recrée3)
Durch [den] zu späten Tod [wird das] große Volk wieder belebt3) [werden].
Tard & tost4) vient le secours attendu.
Früher oder später4) kommt die erwartete Hilfe.
2) Oder auch: "erzeugte". "Androgyn" ist ein männliches Wort, dennoch weist das dazugehörige Adjektiv eine weibliche Endung auf. Das könnte - falls es sich nicht um einen simplen Druckfehler handelt - ein Hinweis darauf sein, dass wir es hier mit einem Zwitter zu tun haben, bei dem die weibliche Komponente dominiert. Ob es sich dabei um eine Person (etwa ein Mannweib) oder eine Sache handelt, ist hier allerdings nicht ersichtlich.
3) Lies: "recré". Ist die unnötige Anpassung an das "procrée" aus der ersten Zeile vielleicht ein Hinweis darauf, dass der Zwitter tatsächlich überwiegend weiblich ist?
4) Die Wendung "tost ou tard" ("früher oder später" im Sinne von "unausweichlich") existiert seit der Zeit des Nostradamus.