5.162  Ein Machthaber mit ungewöhnlichem Namen wird die Franzosen führen und großen Ruhm ernten. Mögliche Zuordnung: Napoleon I. (1799 - 1815).
 

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Zusammenfassung
 

1/76: In den ersten beiden Zeilen erwähnt Nostradamus das Auftauchen eines Machthabers, der einen "wilden" oder ungewöhnlichen (vgl. Anmerkung 1) Namen tragen wird. Und die Bedeutung dieses Namens wird genau dem Schicksal des Machthabers entsprechen. Dabei gilt es anzumerken, dass mit dieser "Bedeutung" nicht das Resultat einer neutralen philologischen Analyse gemeint ist, sondern das, was Nostradamus aus diesem Namen herausgelesen hat. In der dritten Zeile erfahren wir, dass der Machthaber offenbar die Franzosen (das "große Volk") anführen wird. Und zwar mit "Worten" und "Tatkraft". Diese "Worte" oder "Sprache" (vgl. Anmerkung 5) könnten eine erste Kritik an diesem Machthaber sein, falls unser Seher an das lat. "lingua" im Sinne von "Vermessenheit" gedacht hat. Die "Tatkraft" wiederum ist vielleicht ein Hinweis darauf, in welchem Bereich die Stärke dieses Herrscher liegen wird. Das von Nostradamus verwendete mittelfranzösische "faict" bezeichnet nämlich auch die militärischen Fähigkeiten eines Kommandeurs. Das Resultat sehen wir in der vierten Zeile: dieser Machthaber wird mehr Ruhm und Ansehen besitzen, als irgendein anderer.

4/54: Nostradamus erwähnt in der ersten Zeile wieder den Herrscher mit dem ungewöhnlichen Namen aus 1/76. Kein gallischer (französischer) König hat je einen solchen Namen getragen. Diese Bemerkung ist wahrscheinlich v. a. als Hinweis dafür gedacht, dass es sich bei diesem Machthaber um einen Franzosen handeln wird. Als Nachfolger der französischen Könige wird der Mann mit dem ungewöhnlichen Namen (de iure oder de facto) auch oberster Gerichtsherr des Landes sein. Wie wir in der zweiten Zeile erfahren, scheint er diese Funktion aber mindestens einmal zu missbrauchen oder schlecht wahrzunehmen. Nostradamus kritisiert eines seiner Urteile, das er als "feige" (vgl. Anmerkung 1) brandmarkt. Die dritte Zeile bezieht sich auf die Außenpolitik dieses Herrschers: Italien, Spanien und die Engländer werden vor ihm zittern. In der letzten Zeile ist von einer Frau aus dem Ausland die Rede, der gegenüber er sehr aufmerksam sein wird. Das könnte seine Ehefrau sein, denn auch seine Vorgänger, die französischen Könige, haben aus politischen Gründen ausländische Prinzessinnen geheiratet. Zur Zeit des Nostradamus etwa Heinrich II., der die Florentinerin Katharina de Medici zur französischen Königin gemacht hat. 

Mögliche historische Zuordnung

1/76: Der französische Herrscher mit dem "wilden" oder ungewöhnlichen Namen, den noch nie ein König von Frankreich getragen hat (4/54), könnte Napoleon Bonaparte sein, der als Kaiser Napoleon I. die Grande Nation angeführt hat. Napoleon wurde am 15. August 1769 im korsischen Ajaccio geboren. Am 15. August wird bekanntlich das Fest Mariä Himmelfahrt begangen. Unter den Tagesheiligen finden wir jedoch auch Napoleon von Alexandria, nach dem Bonaparte offensichtlich benannt worden ist. Napoleon (oder Neopol) starb im vierten Jahrhundert als Märtyrer in der ägyptischen Hafenstadt. Der Name "Napoleon" lässt sich nun auf verschiedene Arten "deuten". Er erinnert an das griech. "ne apollyon", was etwa "wahrlich ein Verderber" bedeutet (siehe LE PELLETIER). Aus "Napoleon" lässt sich aber auch das griech. "nape" oder "napos" (Wald, waldiges Tal, Tal) und "leon" (Löwe) herauslesen und als "Löwe aus dem Wald" interpretieren. Das würde erklären, weshalb Nostradamus in der ersten Zeile von einem "wilden" Namen spricht. Der im Sternzeichen Löwe geborene Napoleon Bonaparte kann wegen seines militärischen Hintergrunds sicher mit dem König der Tiere verglichen werden. Aber auch der Verderber passt. Er brachte mit seinen Kriegen Tod und Verderben über andere, aber zum Schluss auch über Frankreich und sich selbst. Er zerstörte das alte vorrevolutionäre Europa und beseitigte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das etwa neun Jahrhunderte lang existiert hatte. Mit Tatkraft und militärischem Geschick hat er Frankreich über Jahre geführt. Mit den "Worten" oder der Vermessenheit aus der dritten Zeile könnte Nostradamus an seine Selbsterhebung zum Kaiser der Franzosen 1804 gedacht haben. Oder die "Worte" beziehen sich auf die unter ihm ausgearbeitete neue Verfassung oder den Code Civil, das bürgerliche Gesetzbuch. Als Kaiser mit erblichem Titel wurde der aus kleinem korsischem Adel stammende Napoleon jedenfalls endgültig zum Nachfolger der französischen Könige. Über größeren Ruhm und größeres Ansehen als irgendein anderer Franzose zu seiner Zeit verfügte Napoleon auf jeden Fall. Als genialer Feldherr und politischer Reformer reicht sein Ruhm sogar bis heute.

4/54: In der ersten Zeile deutet Nostradamus an, dass Kaiser Napoleon I. praktisch die Nachfolge der französischen Könige angetreten hat. Die Nachfolge von Königen, von denen nie einer "Napoleon" geheißen hat. Mit der "feigen Verurteilung" aus der zweiten Zeile müsste unser Seher wohl die Verurteilung und Hinrichtung des Herzogs von Enghien im Jahr 1804, kurz vor Napoleons Kaiserkrönung, meinen. Louis Antoine Henri de Condé, Herzog von Enghien (1772 - 1804), stammte aus einer Seitenlinie der in der Französischen Revolution gestürzten Bourbonen und lebte im badischen Ettenheim im Exil. Nachdem im August 1803 eine Verschwörung gegen Napoleon rechtzeitig hatte aufgedeckt werden können, suchte der Korse einen Bourbonen, an dem er ein Exempel statuieren konnte. Dazu ließ er in einem Kommandounternehmen den leicht erreichbaren Herzog von Enghien in Baden entführen und nach Paris bringen. Obwohl an der aufgedeckten Verschwörung unschuldig, ließ Napoleon ihn in einem Scheinprozess verurteilen und hinrichten (21. März 1804). In der dritten Zeile richtet Nostradamus seinen Blick auf die Außenpolitik des Franzosenkaisers. Diese ließ tatsächlich Italien, Spanien und die Engländer erzittern. Bis 1809 brachte Napoleon - der offiziell auch König von Italien war - die gesamte Apenninenhalbinsel unter Kontrolle. Etrurien und Rom wurden besetzt und ins Empire eingegliedert. Ab 1807 kämpften die französischen Armeen auf der Iberischen Halbinsel. Ein Krieg, der bis 1813/14 dauerte und mit der Einnahme von Toulouse durch die Engländer (Wellington) nach Frankreich übergriff. Die Engländer waren immer der Hauptfeind des erst revolutionären, dann napoleonischen Frankreichs. 1804 traf Napoleon bei Boulogne Vorbereitungen zur Invasion Großbritanniens, musste diese nach der verlorenen Seeschlacht bei Trafalgar aber abbrechen. Nach dem Sieg über die Verbündeten der Briten auf dem Kontinent 1805 verkündete Napoleon 1806 die Kontinentalsperre gegen England und fügte so der britischen Wirtschaft merklichen Schaden zu. In der letzten Zeile spricht Nostradamus von einer ausländischen Frau, der gegenüber Napoleon sehr aufmerksam gewesen sein soll. In Napoleons Leben gab es zwei Frauen ausländischer Herkunft, die hier in Frage kommen. Zum einen die polnische Gräfin Maria Walewska und zum anderen seine zweite Ehefrau, die Habsburgerin Marie-Louise von Österreich. Obwohl Napoleon mit Maria Walewska einen Sohn hatte, trennte er sich aus Gründen der Staatsräson von seiner Mätresse, um 1810 die österreichische Prinzessin Marie-Louise zu heiraten. Diese schenkte ihm ein Jahr später den ersehnten Thronfolger, Napoleon II. Es wird berichtet, dass Napoleon seine zweite Frau tatsächlich gut behandelt haben soll und ihr - ihm Gegensatz zu seiner ersten Frau Joséphine - zeitlebens treu gewesen sei.

Quellen
 

1/76
 
D’vn nom farouche1) tel proferé2) sera,
Von einem [so] wilden1) Namen wird jener Erwähnte2) sein,
Que les troys seurs3) auront fato le nom:
dass die drei Schwestern3) den Namen [zu seinem] Schicksal machen werden.
Puis grand peuple4) par langue5) & faict6) duira
Dann [wird er das] große Volk4) mit Worten5) und Tatkraft6) führen.
Plus que nul autre aura bruit & renom.
Mehr als irgendein anderer wird [er] Ruhm und Ansehen besitzen.
1) Oder auch: "unvertraut".
2) Oder auch: "Hervorgebrachte". Vgl. lat. "proferre".
3) Damit sind hier die drei Parzen gemeint. Diese drei Schicksalsgöttinnen teilten nach antiker Vorstellung den Menschen ihr Schicksal zu, wobei die erste den Lebensfaden des Menschen spann, die zweite ihn erhielt und die dritte ihn durchschnitt (und somit den Tod des Menschen bestimmte).
4) Auch im Sinn von "Kriegsvolk".
5) Nostradamus hat hier möglicherweise an das lat. "lingua" gedacht, das "Sprache" in vielerlei Sinn bedeutet. U. a. kann damit die Redegewandtheit, die Schwatzhaftigkeit aber auch die Vermessenheit einer Person gemeint sein.
6) Das mittelfranzösische "faict" (Tat, Handlung) weist ein breites Bedeutungsspektrum auf. U. a. können damit auch die militärischen Fähigkeiten eines Kommandeurs gemeint sein.

4/54
 
Du nom qui onques ne fut au Roy Gaulois,
Von [dem mit dem] Namen, den niemals [ein] gallischer König trug,
Iamais ne fut vn fouldre2) si craintif1):
kam nie [zuvor] eine so feige1) Verurteilung2).
Tremblant l’Italie, l’Espaigne & les Anglois,
Zittern [werden] Italien, Spanien und die Engländer.
De femme estrangiers grandement attentif.
Was [die] Frau [der] Fremden angeht, [so wird er] sehr aufmerksam [sein].
1) Oder auch: "ängstlich, vorsichtig".
2) Im Mittelfranzösischen bedeutet "fouldre" neben "Blitz" u. a. auch "Verurteilung".
 

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