5.175 Beim Trasimenischen See werden ein entführter Vater und sein Kind getötet. Bei Ravenna findet eine neue Rabenschlacht statt.
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Zusammenfassung
6/39: In den ersten beiden Zeilen ist von einem Vater und seinem Kind die Rede, die beide fürstlichen Geblüts sein dürften (Nostradamus nennt das Kind "Kind der Herrschaft"). Man wird das Kind "ausrauben", um den gefangenen Vater zu befreien. Das könnte z. B. so verstanden werden, dass man aus dem Vermögen des Kindes einen exorbitant hohen Betrag entnehmen wird, um den gefangenen Vater damit freikaufen zu können. In der dritten und vierten Zeile ist von Vorgängen in der Nähe des Trasimenischen Sees die Rede. Eine Truppe wird gefangen und in Geiselhaft genommen werden. Das Ziel der Geiselnehmer scheint darin zu bestehen, sich "ziemlich stark berauschen" zu können. Ich vermute, bei dieser "Truppe" handelt es sich um den oben erwähnten Vater und seinen Begleittross. Dass es sich bei dieser Geiselnahme um einen kriminellen und nicht um einen politischen Akt handelt, könnte man aus dem offensichtlichen Ziel der Kidnapper herleiten. Sie wollen sich "berauschen", d. h. wohl nach einer hohen Lösegeldzahlung in Saus und Braus leben.
5/67: In den ersten beiden Zeilen ist vom Oberhaupt von Perugia die Rede, wir befinden uns also wieder in der Gegend des Trasimenischen Sees. Dieses Oberhaupt wird es nicht wagen, "seine Tunika zu tragen", d. h. wohl, sein ihm zustehendes Amt auch tatsächlich auszuüben (vgl. Anmerkung 2). Bei diesem Oberhaupt handelt es sich wahrscheinlich um das in 6/39 erwähnte Kind, wobei wir jedoch nichts über das tatsächliche Alter dieses "Kindes" erfahren oder was es davon abhält, seine Position einzunehmen. Nostradamus teilt uns allerdings mit, dass dessen Verstand offensichtlich getrübt sein wird. Nur so ist es zu erklären, dass es sich vollkommen ausrauben lassen wird. Hierbei dürfte vom selben Vorgang wie in 6/39 die Rede sein, der der Befreiung des gefangen genommenen Vaters dienen soll: die Beschaffung des Lösegeldes. Doch etwas scheint schief zu laufen. Gemäß vierter Zeile werden beide, Vater und Sohn, getötet werden (vgl. auch Anmerkung 6). Wer die beiden töten wird, erfahren wir in 5/67 nicht. In der dritten Zeile ist jedoch davon die Rede, dass sieben Aristokraten gefangen genommen werden. Diese könnten in die Affäre verwickelt sein.
8/47: In der zweiten Zeile ist von Verschwörern die Rede, die in Perugia in Haft genommen werden. Das dürften die sieben Aristokraten aus 5/67 sein. Gemäß erster Zeile wird der Trasimenische See (wohl genauer: das Geschehen an diesem Gewässer) Zeugnis dafür ablegen, was die Verschwörer in Perugia getan haben. Das ist wahrscheinlich so zu verstehen, dass offensichtlich werden wird, dass die sieben Aristokraten aus Perugia mit der Entführung des Vaters bei diesem See und der anschließenden Ermordung von Vater und Kind zu tun haben werden. Sie dürften mit den Entführern unter einer Decke stecken. Doch warum? Handelt es sich um einen als kriminelle Entführung getarnten Putsch gegen eine regierende Dynastie? In den letzten beiden Zeilen ist von einem Dummkopf die Rede, der vorgibt, weise zu sein (vgl. aber Anmerkung 2). Er wird einen "Teutonen" bzw. Germanen vernichtend schlagen und ihn sogar töten. Damit knüpft Nostradamus wahrscheinlich an die "Rabenschlacht" bei Ravenna an, auf die er in 8/72 anspielt.
8/72: In der zweiten bis vierten Zeile ist von einem Konflikt bzw. Kampf in der Nähe von Ravenna die Rede. Der Sieger wird dabei den Unterlegenen vollkommen vernichten (vgl. Anmerkung 2). Das schlägt eine Brücke zu 8/47, wo ein Germane vernichtend geschlagen und getötet werden wird. 493 wurde der germanische Herrscher Italiens ("rex Italiae"), Odoaker, vom Ostgotenkönig Theoderich (Dietrich von Bern) bei Ravenna besiegt und anschließend ermordet. Allerdings war Theoderichs Sieg in der Rabenschlacht keineswegs so überwältigend wie der bei Nostradamus erwähnte. In der dritten Zeile teilt uns Nostradamus eine Zeitangabe für diese Schlacht mit: man wird ein Fest feiern und eine Prozession durchführen. Damit könnte etwa eine Fronleichnamsprozession gemeint sein. Die vierte Zeile hält noch einmal das Resulat der Schlacht von Ravenna fest: der Sieger (der Dummkopf aus 8/47) wird das "besiegte Pferd" (den Teutonen aus 8/47) vollkommen vernichten. Doch warum nennt unser Seher Theoderich bzw. sein zukünftiges Pendant einen Dummkopf? Möglicherweise bezieht sich Nostradamus hier auf den Glauben dieses Ostgoten, den Arianismus (eine christliche Häresie). Der neue Theoderich könnte vielleicht ebenfalls einer religiösen Irrlehre angehören. Doch weshalb wird Odoakers Double, der Herrscher Italiens, als "besiegtes Pferd" bezeichnet? Auch hier können wir nur spekulieren. Nostradamus könnte damit z. B. auf den Namen Hippolytus (etwa: "Pferdebändiger", "Pferdebezwinger") anspielen, bzw. diesen etwas eigentümlich "übersetzen". Hippolytus ist in der antiken Mythologie ein Sohn des Theseus und der Amazone Antiope. Seine Stiefmutter Phaidra (die Ehefrau des Theseus) versuchte erfolglos, Hippolytus zu verführen. Als dies nicht gelang, verleumdete sie ihn bei ihrem Ehemann. Theseus verfluchte darauf hin seinen Sohn bei Neptun, der dafür sorgte, dass Hippolytus einen tödlichen Unfall erlitt. Aus Kummer nahm sich Phaidra dann das Leben. In 5.61 taucht das Thema Stiefmutter - Stiefsohn in einem italienischen Kontext möglicherweise ebenfalls auf. Dort dürfte die Stiefmutter nach dem Tod des Ehemannes den Stiefsohn allerdings tatsächlich bekommen. In der ersten Zeile von 8/72 erwähnt Nostradamus eine enorme Niederlage im Gebiet von Perugia. Damit müssten die Ereignisse beim Trasimenischen See gemeint sein, die in 5/67 erwähnt werden: der Tod von Vater und Kind beim Versuch, den gefangenen Vater zu befreien. Bei der Formulierung dieser Stelle hat Nostradamus aber wohl sicher an die Schlacht beim Trasimenischen See im Jahr 217 v. Chr. gedacht (vgl. 6/39, Anmerkung 3).
6/36: Wieder ist von Perugia (zweite Zeile) und einer Landschlacht (erste Zeile) die Rede. Es scheint, dass keiner der beiden Kontrahenten aus der Schlacht von Ravenna es schaffen wird, durch Etrurien bis nach Perugia vorzustoßen. Allerdings wird die Toskana zu dieser Zeit aus anderen Gründen Schwierigkeiten haben. Pisa wird sich erheben und Florenz sich in einer üblen Lage befinden. Rebelliert Pisa gegen Florenz, die Hauptstadt der Toskana? In 5.51 wird Florenz Pisa zurückgewinnen. Vielleicht nachdem die in 6/36 erwähnte Rebellion zunächst Erfolg haben wird? Völlig unklar ist die letzte Zeile: ein König, der in der Nacht auf einem Maultier reitet, das einen schwarzen Seitenschutz trägt, wird verwundet werden. Zur Zeit des Nostradamus war die Toskana (Florenz) ein Herzogtum unter der Herrschaft der Medici. Somit ist in der vierten Zeile wohl eher kein Herrscher dieses Landes gemeint. Aber vielleicht ein übergeordneter König von Italien? Doch dann bleiben weitere Fragen. Weshalb lässt ihn Nostradamus auf einem Maultier reiten und nicht auf einem edlen Ross, wie es sich für einen König gehören würde? Eine Parallele könnten wir in der Bibel, im zweiten Buch Samuel finden. Abschalom, ein Sohn König Davids, der versuchte, seinen Vater zu stürzen, fand sein Ende wegen eines Unglücks, das ihn ereilte, als er auf einem Maultier ritt: "Plötzlich kam Abschalom in das Blickfeld der Krieger Davids; er ritt auf einem Maultier. Als das Maultier unter den Ästen einer großen Eiche hindurchlief, blieb Abschalom mit dem Kopf fest an der Eiche hängen, sodass er zwischen Himmel und Erde schwebte und das Maultier unter ihm weglief." (zweites Buch Samuel, 18, 9). So konnte der rebellische Abschalom von den Männern König Davids gestellt und getötet werden. Ist der König bei Nostradamus ebenfalls nach verlorener Schlacht auf der Flucht? Dazu könnte passen, dass er "in der Nacht" (unplanmäßig, überstürzt?) unterwegs ist. Was soll der schwarze Seitenschutz des Maultiers verdeutlichen? Trauer? Die erlittene Niederlage? Wir müssen zum Verständnis der letzten Zeile wohl noch auf Begleitverse warten.
Quellen
6/39
1) Lat. "exspoliatus" (ausgeplündert, gänzlich beraubt).
I’enfant du regne par paternelle prinse,
Das Kind der Herrschaft [wird] wegen [der] väterlichen Gefangennahme
Expolié1) sera pour [le]2) deliurer:
ausgeraubt1) werden, um [ihn2) zu] befreien.
Aupres du lac Trasimen3) l’azur prinse,
Beim Trasimenischen See3), dem blauen, [wird sie] ergriffen [werden],
La troupe hostaige pour trop fort s’enyurer4).
die Truppe, [und zwar] als Geisel, um sich ziemlich stark zu berauschen4).
2) Sinngemäß ergänzt, vgl. LEONI.
3) Westlich von Perugia, in Mittelitalien. 217 v. Chr. schlug Hannibal die Römer am Trasimenischen See vernichtend.
4) Oder vielleicht auch: "weil [sie] sich ziemlich stark berauschen [wird]".
5/67
1) Stadt in Mittelitalien, östlich des Trasimenischen Sees. Perugia war eine der führenden Städte Etruriens. Im Jahr 40 v. Chr. zerstörte Oktavian die Stadt, in der sich sein Gegner Lucius Antonius verschanzt hatte. Im sechsten Jahrhundert eroberten Totilas Goten Perugia. Im 15. Jahrhundert kam es zwischen den um die Alleinherrschaft in der Stadt kämpfenden Geschlechtern, den Oddi und den Baglioni, zu blutigen Fehden. Nach der Eroberung durch die päpstlichen Truppen 1540 gehörte die Stadt zum Kirchenstaat.
Quand chef Perouse1) n’osera sa tunique2)
Wenn [das] Oberhaupt [von] Perugia1) nicht wagen wird, seine Tunika2) [zu tragen],
Sens au couuert3) tout nud s’expolier4):
[wird sein] Verstand benebelt3) [sein, und es wird] sich ganz nackt ausrauben4) [lassen].
Seront prins sept faict5) Aristocratique,
[Es werden] sieben [aus] aristokratischem Stand5) gefangen werden.
Le pere & fils mors par poincte au colier6).
Der Vater und [der] Sohn [werden] wegen [der] Spitze im Kragen6) tot [sein].
2) Die römische Tunika war ursprünglich ein wollenes Unterkleid. Später wurde es zum offiziellen Gewand, das je nach Rang des Trägers (Ritter oder Senator) unterschiedlich verbrämt war.
3) Wörtlich: "bedeckt, in Deckung".
4) Lat. "exspoliare" (ausplündern, berauben).
5) "Faict" bedeutet im Mittelfranzösischen u. a. auch "Situation, Zustand, Stand". Ansonsten wäre die Zeile vielleicht folgendermaßen zu verstehen: "[Es werden] sieben gefangen werden, [und es wird zu einer] aristokratischen Tat [kommen]."
6) Oder auch: "Halsband". Hier dürfte Nostradamus eine mittelaterliche Hinrichtungsart beschreiben, die so genannte "katalanische Garrotte". Die Garrotte ist eine Art starkes Halsband, das dem zum Tode Verurteilten um den Hals gelegt und zusammengezogen wird, bis der Tod durch Erwürgen eintritt. Bei der katalanischen Version weist dieses Halsband eine zusätzliche Eisenspitze auf, die sich dem Delinquenten in den Nacken bohrt und diesen gleichzeitig nach vorne drückt. Der Hinzurichtende stirbt dabei an der Strangulation und am Genickbruch. Die Garrotte wurde v. a. auf der Iberischen Halbinsel und in Lateinamerika angewendet.
8/47
1) Lies: "serrez" (eingesperrt, eingeschlossen).
Lac Trasmenien portera tesmoinage,
[Der] Trasimenische See wird Zeugnis ablegen
Des coniurez sarez1) dedans Perouse
für die Verschwörer, [die] in Perugia eingesperrt1) [sein werden].
Vn despolle2) contrefera le sage,
Ein Dummkopf2) wird den Weisen spielen
Tuant Tedesq3) de4) sterne & minuse5).
[und den] Teutonen3) töten. [Er] schlägt ihn4) vernichtend und haut ihn in Stücke5).
2) Nach LE PELLETIER ein altfranzösischer Begriff für "Dummkopf", was inhaltlich gut passen würde. "Despouiller" bedeutet u. a. "berauben, verlassen, entkleiden".
3) Lies: "tudesque" (Teutone, Germane, Deutscher).
4) Lies: "le" (ihn). In späteren Ausgaben fehlt das "de" ganz.
5) Nach LEONI: "esterne & menuse" ([er] schlägt vernichtend und haut in Stücke).
8/72
1) Ravenna liegt in der südöstlichen Poebene. Die Stadt wurde 408 von den Westgoten unter Alarich belagert. 493 endete der mehrjährige Kampf zwischen Theoderich und Odoaker um Ravenna (die "Rabenschlacht") mit dem Sieg Theoderichs und der Ermordung Odoakers. Theoderich begründete darauf das ostgotische Reich in Italien mit Ravenna als Hauptstadt. 1512, also schon zu Lebzeiten des Nostradamus, tobte bei Ravenna die Schlacht zwischen Frankreich und der Heiligen Liga (Kirchenstaat, Habsburg, Aragonien, Schweiz, Venedig, England), die die Franzosen für sich entscheiden konnten. Allerdings fiel dabei der französische Oberkommandierende Gaston de Foix.
Champ Perusin o l’enorme deffaite
Gebiet von Perugia, oh welch enorme Niederlage [wirst du sehen].
Et le conflit tout au pres de Rauenne1)
Und [was] die Auseinandersetzung ganz in der Nähe von Ravenna1) [angeht],
Passage sacre lors qu’on fera la feste,
[so findet ein] heiliger Umzug [statt], wenn man das Fest begehen wird.
Vainqueur vaincu cheual manger la venne2).
[Der] Sieger [wird vom] besiegten Pferd das Mark2) essen.
2) Lat. "vena" (u. a. Mark, Herz, Innereien). Wahrscheinlich spielt die gesamte Zeile auf die französische Wendung "manger jusqu’à l’os" ("bis auf den Knochen abnagen", d. h. vollkommen zerstören) an.
6/36
1) Oder auch: "[das] Gute" bzw. "[das] Schlechte".
Ne bien ne mal1) par bataille terrestre,
Weder [der] Gute noch [der] Schlechte1) aus [der] Landschlacht
Ne paruiendra aux confins de Perousse:
wird die Grenzen von Perugia erreichen.
Rebeller Pise, Florence voir mal estre2),
Pisa [wird sich] erheben [und] Florenz [eine] üble Situation2) sehen.
Roy nuict blessé sur mulet à noire house3).
[Der] König [wird bei] Nacht verwundet [werden], auf [einem] Maultier mit schwarzem Seitenschutz3).
2) "Estre" als Substantiv kann im Mittelfranzösischen u. a. "Lage, Situation" bedeuten.
3) Lies: "housse" (eine Art Abdeckung, die am Sattel angebracht wurde, um die Seiten des Pferdes zu schützen).