5.184  Die Norddeutschen werden den Norden Lothringens wiedervereinen und in Frankreich die Picardie, die Normandie und den Maine belagern. Mögliche Zuordnung: Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 und der Anschluss Elsass-Lothringens an das preußisch dominierte Deutsche Reich 1871.
 

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Zusammenfassung
 

In der zweiten Zeile werden die Hauptakteure dieses Vierzeilers genannt: die tief gelegenen deutschen Länder, der Norden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (vgl. Anmerkung 2). Anders als Nostradamus es zu seiner Zeit gekannt hat (siehe unten), scheinen diese Länder oder Staatsgebilde hier eine separate Einheit innerhalb des Römisch-Deutschen Reiches zu bilden und gemeinsam zu handeln. Aus den ersten beiden Zeilen erfahren wir, was diese norddeutsche Union bewerkstelligt: sie wird den äußersten Norden Lothringens (die "am tiefsten gelegenen Orte" dieses Herzogtums, vgl. Anmerkung 1) wiedervereinigen, was voraussetzt, dass diese zuvor getrennt sein werden. In der dritten Zeile ist wieder von den Norddeutschen die Rede. Sie scheinen nicht nur Lothringen wiederzuvereinen sondern auch militärisch tief nach Frankreich einzudringen. Ihre Armee (vgl. Anmerkung 3) wird in der Picardie, in der Normandie und im Maine stehen und diese Gegenden bedrohen ("belagern"). Die Belagerer werden sich zudem, wie wir aus der letzten Zeile erfahren, zu einem staatlichen Ganzen wiedervereinigen. Damit müsste die oben angesprochene separate Einheit der Norddeutschen gemeint sein. Eine Einheit, die ihnen wohl überhaupt erst ihr Vorgehen gegen Frankreich ermöglichen wird. Da sie sich wiedervereinigen werden, müssen sie zuvor getrennt gewesen sein. Im 16. Jahrhundert war Norddeutschland jedoch im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation geeint. Die in ihrer großen Mehrheit protestantischen deutschen Tieflande waren darüber hinaus ab 1531 durch den Schmalkaldischen Bund - allerdings unter Einschluss der süddeutschen Protestanten - sogar politisch und militärisch organisiert. Zudem kämpfte dieser Bund nicht gegen Frankreich sondern suchte vielmehr dessen Unterstützung. Der von Nostradamus beschriebenen norddeutschen Allianz käme schon eher der ebenfalls protestantische Torgauer Bund von 1526 nahe, allerdings umfasste dieser nicht den gesamten Norden und richtete sich ebenfalls nicht gegen Frankreich.

Mögliche historische Zuordnung

Mit der in der zweiten Zeile handelnden Einheit der tief gelegenen (norddeutschen) Länder könnte der 1866/67 von Bismarck geschaffene Norddeutsche Bund gemeint sein (vgl. Anmerkung 2). Dieser umfasste unter Preußens Führung ganz Norddeutschland. Wie Nostradamus in der vierten Zeile schreibt, hatten sich die norddeutschen Länder somit einige Jahrzehnte nach Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1806) wieder zu Teilen eines gemeinsamen Staatsgebildes gemacht (wenn auch als Folge des preußischen Sieges gegen Österreich und dessen Verbündete 1866). Mit den süddeutschen Staaten existierten Verteidungsbündnisse, so dass diese nach der französischen Kriegserklärung an Preußen (19. Juli 1870) an der Seite der Norddeutschen in den Krieg gegen Napoleon III. zogen. Bekanntlich besiegten die von den Preußen geführten Deutschen erst das Kaiserreich Frankreich (1. September 1870 Schlacht bei Sedan) und im darauf folgenden Jahr die neu ausgerufene dritte französische Republik. Der Krieg wurde mit dem Frieden von Frankfurt am Main (10. Mai 1871) definitiv beendet. Frankreich verlor dabei Elsass-Lothringen an das neu gegründete Deutsche Reich. Für die nördlichsten oder "am tiefsten gelegenen Orte" Lothringens (erste Zeile), die vor dem Krieg diesseits und jenseits der französisch-preußischen Grenze lagen, bedeutete dies tatsächlich eine Wiedervereinigung. Eine Wiedervereinigung durch die norddeutschen Preußen unter dem Dach des zweiten Deutschen Reiches. Wie auch Nostradamus in der dritten Zeile schreibt, suchte der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 nicht etwa nur den Osten Frankreichs heim. Vielmehr wurden große Teile der nördlichen Landeshälfte in Mitleidenschaft gezogen (die Deutschen besetzten zeitweise etwa auch Städte wie Chartres oder Orléans). Gekämpft wurde tatsächlich auch in der Picardie, in der Normandie und im Maine. In der Picardie z. B. im November 1870 bei Amiens oder im Januar 1871 bei Saint-Quentin. Ebenso in der Normandie, wo die Deutschen im Dezember 1870 Rouen und Dieppe besetzten. Im Maine wurde u. a. im Januar 1871 zwischen Le Mans und Laval gefochten.

Quellen
 

10/51  

Des lieux plus bas du pays de Lorraine1),
[Die] aus den am tiefsten gelegenen Orten des Lothringerlandes1)
Seront des basses Allemaignes2) vnis,
werden von den tief gelegenen deutschen Landen2) vereinigt werden.
Par ceux du siege3) Picards4), Normans5), du Maisne6)
Von denen von der Belagerung3) [der] Pikarden4), [der] Normannen5) und dem Maine6).
Et aux cantons7) se seront reunis.
Und [diese] werden sich zu Landesteilen7) wiedervereinigen.
1) Das Herzogtum Lothringen war zur Zeit des Nostradamus Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Sein Gebiet gehört heute fast gänzlich zu Frankreich. Mit den "am tiefsten gelegenen Orten" müsste unser Seher wohl den Norden Lothringens meinen, der etwas tiefer liegt als der Süden, etwa das Moselgebiet mit den Städten Metz und Thionville (Diedenhofen).
2) Wörtlich: "Deutschländern". Hier ist wohl einfach das norddeutsche Tiefland bzw. der nördliche (tiefer gelegene) Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gemeint. Zur Zeit des Nostradamus bestand der Norden des Reiches aus verschiedenen Teilstaaten (z. B. Pommern, Brandenburg, Sachsen u. a.). Das Herzogtum Preußen umfasste im 16. Jahrhundert wesentliche Teile des späteren Ostpreußens, gehörte aber nicht zum Deutschen Reich sondern zu Polen. Seit 1618 waren das Kurfürstentum Brandenburg und das Herzogtum Preußen in Personalunion verbunden. Das 1701 geschaffene Königreich Preußen stieg im 18. Jarhundert zur europäischen Großmacht auf. 1806 wurde auf Betreiben Napoleons die Existenz des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation faktisch beendet, also die letzte Klammer aller norddeutschen Staaten beseitigt. Nach Ende der napoleonischen Episode 1815 wurde das alte Deutsche Reich nicht mehr erneuert. Geschaffen wurde an seiner Stelle der lockere Deutsche Bund (bis 1866). Gleichzeitig ging Preußens Aufstieg weiter. Durch den Wiener Kongress erhielten die Preußen u. a. Westfalen und die Rheinprovinz und wurden somit zur dominierenden Macht in Norddeutschland. Zudem grenzte Preußen jetzt erstmals direkt an Lothringen! Währenddem der eher wirtschaftlich ausgerichtete Deutsche Zollverein (1834) noch nicht ganz Norddeutschland umfasste, schuf der Norddeutsche Bund von 1866/67 mit gemeinsamer Verfassung, gemeinsamer Hauptstadt (Berlin) und dem preußischen König als Bundespräsidium zum ersten Mal seit 1806 wieder eine echte Einheit ganz Norddeutschlands. Das 1871 unter Einbezug der süddeutschen Staaten und des von Frankreich abgetretenen Elsass-Lothringens geschaffene (zweite) Deutsche Reich kann mutatis mutandis als erweiterter Norddeutscher Bund verstanden werden und wurde ebenso wie der erstgenannte klar von der norddeutschen Vormacht Preußen dominiert.
3) Oder: "Belagerungsarmee". Daneben kann "siege" u. a. auch "Sitz, Thron" bedeuten.
4) Die Picardie war eine französische Provinz im äußersten Norden des Landes.
5) Mit den Normannen dürfte das Herzogtum Normandie gemeint sein.
6) Der Maine war eine französische Provinz südlich der Normandie.
7) Ein "canton" konnte ab dem 16. Jahrhundert auch einen der "Orte" (Staaten) meinen, die zusammen die schweizerische Eidgenossenschaft bildeten. Hier könnte, sprachlich gesehen, also auch von der Schweiz die Rede sein.

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