5.191  In London wird ein Gerechter öffentlich hingerichtet, der kein Verbrechen begangen hat. Pest und Feuer werden seinen Tod rächen. Eine "große Dame" wird aus ihrer hohen Stellung stürzen und einige ihrer Gefolgsleute werden getötet werden. Mögliche Zuordnung: Die Hinrichtung des englischen Königs Karls I. 1649 und die spätere Heimsuchung Londons durch die Pest 1665/66 sowie den Großen Brand 1666. Die Auflösung des Parlaments durch Cromwell 1653 und die Rache Karls II. an denjenigen, die das Todesurteil seines Vaters unterzeichnet hatten (ab 1660).
 

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Zusammenfassung
 

9/11: Jemanden, den Nostradamus den "Gerechten" oder "Rechtmäßigen" nennt (vgl. Anmerkung 1), wird man zu Unrecht öffentlich hinrichten (erste und zweite Zeile). Doch später wird der Ort der Hinrichtung von einer großen Pest oder einem großen Unglück heimgesucht werden (vgl. Anmerkung 3), so dass diejenigen, die den "Gerechten" unrechtmäßigerweise verurteilt haben, fliehen müssen (dritte und vierte Zeile).

2/53: In der dritten Zeile taucht das "Blut" des "Gerechten" aus 9/11 auf. Entweder ist damit der "Gerechte" selbst gemeint oder seine Familie bzw. seine Nachkommenschaft (vgl. Anmerkung 1). Jedenfalls wird dieses "Blut" verurteilt oder verdammt werden, ohne ein Verbrechen begangen zu haben. Zudem erfahren wir, dass man einen Preis für dessen Verurteilung zahlen wird. Das könnte so verstanden werden, dass man die Richter besticht, damit diese das gewünschte Urteil fällen. Oder der "Preis" bezieht sich auf die ersten beiden Zeilen. Dort wird wie in 9/11 eine "große Pest" erwähnt. Eine Pest, die nicht zu Ende sein wird, bis dass "der Tod gerächt ist". Damit ist wahrscheinlich die Exekution des "Gerechten" gemeint, was wohl erlaubt, das "Blut des Gerechten" hier mit dem "Gerechten" selbst gleichzusetzen. Und diese Pest, die Nostradamus offensichtlich als Strafe für die unrechtmäßige Hinrichtung interpretiert, wäre dann der "Preis" aus der dritten Zeile, der Lohn für das Verbrechen (vgl. Anmerkung 2). In der ersten Zeile erfahren wir etwas über den Ort, wo diese Pest wüten und der "Gerechte" zuvor sein Leben verlieren wird. Es handelt sich dabei offenbar um eine "Seestadt", also eine Stadt, die am Meer liegt oder einen anderen starken Bezug zum Meer hat. In der vierten Zeile ist zu lesen, wer den "Gerechten" verurteilen wird. Nostradamus nennt diesbezüglich die "große Dame". Wer oder was damit gemeint ist, erfahren wir hier nicht. Nur, dass die "Dame" von dieser "Täuschung" (dem manipulierten Urteil, das die Hinrichtung nach sich zieht) nicht verletzt oder beleidigt sein wird. Vielleicht weil diese Art des Vorgehens ihrem Wesen entspricht und für sie somit nicht ehrenrührig ist. Oder Nostradamus möchte andeuten, dass sie tatsächlich verletzt oder beleidigt werden wird, allerdings durch etwas anderes.

2/51: In der ersten Zeile taucht erneut das "Blut des Gerechten" auf. Wir erfahren hier, dass es einen Fehler begeht oder etwas tut, was ihm selber schadet (vgl. Anmerkung 1). Da der "Gerechte" bereits hingerichtet worden ist, ist diese Zeile als Rückblick zu verstehen. Wahrscheinlich auf das, was die Verurteilung und Hinrichtung schließlich nach sich gezogen hat. Wichtig ist der Umstand, dass Nostradamus nur von einer Fehlleistung des "Gerechten" spricht. Denn wie wir aus den anderen beiden Vierzeilern wissen, wird der "Gerechte" ja hingerichtet, ohne (nach Nostradamus’ Auffassung) ein Verbrechen begangen zu haben. Ein Widerspruch liegt hier somit nicht vor. In der dritten Zeile erfahren wir, dass die "antike Dame", die wohl mit der "großen Dame" aus 2/53 zu identifizieren ist, aus ihrer hohen Stellung stürzen wird (und somit nicht mehr "groß" sondern nur noch "antik" ist). Eine Stellung, die es ihr wahrscheinlich überhaupt erst erlaubt hat, den "Gerechten" zum Tode zu verurteilen. In der vierten Zeile ist zu lesen, dass sogar mehrere Anhänger dieser "Sekte" getötet werden. Mit der "Sekte" ist dabei wohl die "antike Dame" bzw. ihre Anhängerschaft gemeint. Wo sich das alles ereignen dürfte, erfahren wir in der ersten Zeile: London. Zur englischen Hauptstadt würde auch die Umschreibung "Seestadt" aus 2/53 passen. Zwar liegt die Stadt nicht direkt am Meer, ist aber über die (früher seichtere) Themse mit diesem so eng verbunden, dass in der Stadt etwa noch die Gezeiten bemerkt werden können. Zudem begann im 16. Jahrhundert der Aufstieg Londons zu einem der wichtigsten Handelszentren Europas - gerade auch dank des Seehandels. Ziemlich unklar ist die zweite Zeile. Offensichtlich werden Menschen durch Blitze oder Bestrafungen (vgl. Anmerkung 2) verbrannt werden. Möglicherweise sechs Personen aus einer Gruppe von 23? Sind dies die getöteten Anhänger der "antiken Dame" aus der vierten Zeile?

Mögliche historische Zuordnung


2/51: In den ersten beiden Zeilen könnte die Hinrichtung des englischen Königs Karls I. am 30. Januar 1649 in London beschrieben sein. In diesem Fall wäre wohl nicht primär von einem "Gerechten" sondern in erster Linie von einem "Rechtmäßigen" die Rede (vgl. Anmerkung 1). Vom einzig rechtmäßigen Herrscher Englands. Karl I. war der Enkel von Maria Stuart (1542 - 1587), die nach katholischem Verständnis die rechtmäßige Königin von England gewesen wäre. Es scheint, als habe Karl I. die Auffassung vertreten, dass sich das Herrschaftsrecht der Könige einzig und allein von der Gnade Gottes herleitet. Eine Haltung, die für den Mitwirkungsanspruch des englischen Parlaments keinen Platz ließ. Dieser Grundkonflikt mündete in zwei Bürgerkriege, in denen der König den Anhängern des Parlaments (unter der Führung Oliver Cromwells) schließlich unterlag. Da Cromwell sah, dass sich der König auch nach der Niederlage nie einer Verfassung nach Vorstellung des Parlaments unterordnen würde, zwang er das Parlament, den Monarchen wegen Hochverrats zum Tode zu verurteilen. Karl I. wurde vor dem Banqueting House in London öffentlich und im Beisein einer großen Menschenmenge enthauptet. Wie Nostradamus in den beiden letzten Zeilen schreibt, wurde der Ort der Hinrichtung später tatsächlich von einer großen Pestepidemie heimgesucht. 1665 und 1666 wütete in Südengland der Schwarze Tod und forderte etwa 100 000 Opfer, davon über 70 000 in London (ein Fünftel der Stadtbevölkerung). Wer es sich leisten konnte, verließ die Stadt. Dazu gehörte König Karl II. (der Sohn Karls I.) und die meisten wohlhabenden Händler und Handwerker. Der Bürgermeister und die Ratsherren der Stadt sowie einige Ärzte, Apotheker und Kleriker blieben jedoch. Die Angehörigen und Anhänger des (1660 aufgelösten) Parlaments, das Karl I. einst zum Tod verurteilt hatte, dürften also, sofern in London lebend, die Stadt ebenfalls verlassen haben. Oder unser Seher hat mit den zur Flucht genötigten "Verurteilenden" pauschal einfach die Londoner bzw. deren obere soziale Schichten gemeint.

2/53: Falls hier die Londoner Pestepidemie von 1665/66 gemeint ist, hat sie Nostradamus in der ersten und zweiten Zeile offensichtlich als "Rache" oder Strafe Gottes für die Hinrichtung des Königs im Jahr 1649 gedeutet. In der dritten Zeile erwähnt er nochmals den Tod des "Gerechten", des rechtmäßigen Herrschers, der kein Verbrechen begangen hatte, sondern nur seine gottgegebenen Rechte gegen die Ansprüche des Parlaments durchsetzen wollte. Der "Preis", den man für diese Verurteilung zu zahlen hat (dritte Zeile), ist also wahrscheinlich diese Pest. Mit der "großen Dame", die laut vierter Zeile für Verurteilung und Tod des Monarchen verantwortlich ist, wäre somit das zu einem Rumpfparlament verkleinerte "Lange Parlament" gemeint, das von Cromwell dazu gezwungen wurde, das Todesverdikt zu verhängen. Da es sich beim Langen Parlament um das Unterhaus, also die Bürgervertretung handelte, könnte die "große Dame" im weiteren Sinne für die republikanische oder demokratische Staats- bzw. Regierungsform stehen. Laut Nostradamus wird diese "große Dame" jedenfalls nicht durch dieses manipulierte Urteil ("Täuschung") verletzt oder beleidigt werden. Das Lange Parlament wurde auch nicht eigentlich durch dieses Urteil beschädigt sondern durch Oliver Cromwell. Cromwell formte es zuvor - unter Einsatz von Gewalt - zu einem willigen Vollzugsorgan, dem schon erwähnten Rumpfparlament.

2/51: Als entscheidenden Fehler (erste Zeile) könnte man Karl I. den Versuch anrechnen, einige feindselige Parlamentarier zu verhaften, wobei der König mit Waffengewalt in das Parlament eindrang (4. Januar 1642). Eine Aktion, die dazu führte, dass sich etwa die Stadtregierung Londons auf die Seite des Parlaments stellte. Da der Herrscher in seiner Hauptstadt nun nicht mehr sicher war, floh er nach Oxford, wo er seine Anhänger um sich scharte. Kurz darauf brach der Bürgerkrieg aus. Die Londoner, die den König zur Flucht gezwungen hatten und in deren Stadt er sieben Jahre später sogar den Tod fand, wurden 1665/66 zunächst durch die Pestepidemie "bestraft" (vgl. oben). In der zweiten Zeile lesen wir jedoch von "Blitzen", die sie verbrennen. Das passt zum großen Brand von London, der nur wenige Monate nach Abklingen der Pest einen großen Teil der Stadt in Schutt und Asche legte. Das Feuer, das vom 2. bis 5. September 1666 wütete, machte Zehntausende obdachlos, kostete aber nach offiziellen Angaben bloß wenigen Menschen das Leben. Ausgelöst wurde die zweite Katastrophe jenes Jahres allerdings nicht durch Blitzschläge (http://en.wikipedia.org/wiki/Great_Fire_of_London). Nostradamus hat die Blitze wohl deshalb eingeführt, um anzudeuten, dass er auch den Brand für eine Strafe Gottes hält (vgl. Anmerkung 2). Unklar aber interessant ist der zweite Teil der Zeile: "von 23 die sechs". Die Opfer des Feuers können damit nicht gemeint sein, da - egal wieviele es waren - in London mehr als 23 Menschen gelebt haben. Bemerkenswert ist allerdings zweierlei: Erstens: wenn man die Stelle als Subtraktion versteht, d. h. "von 23 die sechs" abzieht, erhält man 17. Zwischen der Hinrichtung Karls I. (1649) und dem Brand von London (1666) liegen 17 ganze Jahre und einige Monate. Ein Zufall? Zweitens: falls Nostradamus auf diesen Zeitraum hat hinweisen wollen, wieso hat er ausgerechnet eine Formulierung gewählt, bei der die Zahlen 20, 3 und 6 nebeneinander erscheinen? Die 6 finden wir dreimal in der Jahreszahl 1666. Rechnet man 20 x 3 und addiert 6 dazu, erhält man 66. Sollten das vielleicht Hinweise auf die auffällige Jahreszahl sein? Etwas einfacher dürften die letzten beiden Zeilen einzuordnen sein. Die "antike Dame" ist wohl der "großen Dame" aus 2/53 und somit dem "Langen Parlament" gleichzusetzen. Und in der Tat ist dieses Parlament einige Zeit nach Hinrichtung des Königs aus seiner "hohen Stellung" gestürzt worden. 1653 wurde es von Cromwell (widerrechtlich) aufgelöst, der sich selber als "Lordprotektor" zum Herrscher einer Militärdiktatur machte. Zwei Jahre nach Cromwells Tod (1658) trat das "Lange Parlament" wieder zusammen. Es rief den Sohn Karls I. (Karl II.) als König nach England zurück. Am 16. März 1660 löste sich das Parlament selbst auf. Der neue König nahm in der Folge Rache an denen, die seinen Vater zum Tode verurteilt hatten. Von den noch lebenden 31 Unterzeichnern des Todesurteils ließ er 12 wegen Hochverrats hinrichten, darunter auch einige frühere Parlamentarier (http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_regicides_of_Charles_I). Nostradamus hat das Parlament vielleicht deswegen als "antike Dame" bezeichnet, weil zu seiner Zeit das Gottesgnadentum der Herrscher die dominierende Regierungsform war. Republiken wie England unter Cromwell oder parlamentarische Systeme kannte unser Seher in erster Linie aus der Antike (Rom, Griechenland).

Quellen
 

9/11  

Le iuste1) à tort à mort lon viendra mettre
Den Gerechten1) wird man widerrechtlich hinrichten.
Publiquement, & du milieu2) estaint:
Öffentlich und vor Publikum2) [wird sein Lebenslicht] erloschen [sein].
Si grande peste3) en ce lieu viendra naistre,
[Eine] derart große Pest3) wird an diesem Ort auftreten,
Que les iugeans fouyr feront4) contraint.
dass die Verurteilenden gezwungen sein werden4) [zu] fliehen.
1) Oder auch: "Rechtmäßigen", vgl. lat. "iustus"und griech. "dikaios".
2) Hier zielt Nostradamus wohl auf das lat. "medium" ab, das u. a. "Mitte" (milieu) aber auch "Publikum" bedeuten kann.
3) Im Mittelfranzösischen bezeichnet "peste" jede Epidemie mit hoher Sterblichkeit. Daneben aber auch generelles Unheil und Unglück.
4) Hier liegt wahrscheinlich ein Druckfehler vor. Statt "feront" sollte es sinngemäß eher "seront" heißen (vgl. LEONI). "Fouyr feront contraint" wäre etwa als "[sie] werden das Fliehen obligatorisch machen" zu übersetzen.

2/53  

La grande peste de cite maritime
Die große Pest der Seestadt
Ne cessera que mort ne soit vengée
[wird] nicht aufhören, [bis] dass [der] Tod gerächt ist.
Du iuste sang1), par pris2) damne3) sans crime
[Das] Blut1) des Gerechten [wird] zu einem Preis2) verurteilt3) [worden sein], ohne [ein] Verbrechen [begangen zu haben].
De la grand dame par feincte n’outraigée4).
[Verurteilt] von der großen Dame, [die] von dieser Täuschung nicht verletzt4) [sein wird].
1) Auch im Sinne von "Familie, Abstammung, Geschlecht" oder "Abkömmling, Kind" (lat. "sanguis"). Möglicherweise hat Nostradamus aber das griech. "haima" im Sinn gehabt, das neben "Blut" auch den Menschen als solchen bezeichnen kann. Dann wäre das "Blut" des Gerechten wohl einfach als die "Person" des Gerechten zu verstehen.
2) Oder auch: "Lohn". Daneben auch: "in einem Vergleich", was dann wohl im Sinne eines Prozesses zu verstehen wäre.
3) Lies: "damné" (verurteilt, verdammt).
4) Auch im Sinne von "beleidigt, geschmäht".

2/51  

Le sang du iuste à Londres fera faute1)
Das Blut des Gerechten wird in London fehlen1).
Bruslés par fouldres2) de vint trois les six3).4)
Verbrannt [werden sie] durch Blitze2), von 23 die sechs3).4)
La dame antique5) cherra de place haute:
Die antike5) Dame wird aus der hohen Stellung fallen.
De mesme secte6) plusieurs seront occis.
Von der gleichen Sekte6) werden mehrere getötet werden.
1) Im Sinne von "sich an seiner Ehre oder Pflicht vergehen, eine Fehlleistung erbringen".
2) Im Mittelfranzösischen bedeutet "fouldre" neben "Blitz" auch "Verurteilung, Strafe". Den Blitz als Strafe Gottes treffen wir etwa in Jesus Sirach 43, 13: "Gottes Machtwort zeichnet den Blitz hin, lässt die Brandpfeile seines Gerichtes leuchten." Oder im Buch der Weisheiten 19, 13: "Die Strafen kamen über die Sünder nicht ohne Warnung durch wuchtige Blitze. [...]"
3) Oder auch denkbar: "von 20, drei[mal] die sechs".
4) Unklare Zeile. Es könnten hier sechs Personen aus einer Gruppe verbrannt werden. Oder vielleicht haben wir hier eine verklausulierte Zeitangabe vorliegen, vgl. die mögliche historische Zuordnung.
5) Oder auch: "alte".
6) "Secte" bezeichnet im Mittelfranzösischen eine Gruppierung im weitesten Sinne, religiöser wie nichtreligiöser Natur.

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