5.239  Im Konflikt zwischen Christentum und Islam berufen sich beide Seiten auf die Prophezeiungen des Nostradamus, ohne sie jedoch zu verstehen. Erst um das Jahr 2055 n. Chr. werden die Prophezeiungen wirklich verstanden werden, dann aber die Menschen froh machen.
 

Zurück / Zurück zur Startseite

 
 

Zusammenfassung
 

5/53: In der zweiten Zeile geht es um Prophezeiungen ("Prophetie") bzw. deren Inhalt ("Sinn", vgl. allerdings Anmerkung 5). Jemand wird sich die erwähnten Weissagungen zu eigen machen, d. h. sie für seine Interessen einsetzen bzw. so auslegen, dass sie seiner Sache dienen. In der dritten Zeile erfahren wir, dass es sich offenbar um zwei Personen oder Interessengruppen handeln wird, die sich der Vorhersagen annehmen werden. Und dass entweder keine der beiden Seiten die Prophezeiungen verstehen wird oder beide unbesonnen sein werden (vgl. Anmerkung 6). Um welche Prophezeiungen es sich dabei handelt, erfahren wir nicht. Nach meinem Dafürhalten spricht Nostradamus aber wohl von seinen eigenen Weissagungen, den Zenturien. Denn nur bei diesen dürfte unser Seher mit Sicherheit beurteilen können, ob sie von der Leserschaft richtig verstanden werden oder nicht. In der ersten Zeile erfahren wir, dass sich zu dieser Zeit das (katholische) Christentum und der Islam (vgl. Anmerkungen 2 und 3) auf Konfrontationskurs befinden ("zerstritten sein") werden. Hier liegt die Vermutung nahe, dass es diese beiden Glaubensgemeinschaften sein werden, die um die Auslegung der Prophezeiungen streiten. Das wiederum bedeutet aber, dass die Weissagungen in Zukunft ernster genommen werden als heute. Über die Gründe für den Interpretenzwist können wir nur spekulieren. Dass die Zenturien für die Muslime ein Ärgernis sind, ist verständlich. Immerhin prophezeit Nostradamus nicht nur deren Niederlage im künftigen Kampf ums Abendland sondern sogar den Untergang von Muhammads Religion so wie wir sie heute kennen (vgl. 5.60, 3/95 und 5.131). Die Kirche wiederum könnte vielleicht irritiert darüber sein, dass es laut Nostradamus dem alten Feind (Satan) bis zur Wiederkunft Christi einige Male gelingen wird, in ihr Innerstes Vorzudringen und dort großes Unheil anzurichten. Als Beispiele seien etwa die neuheidnische "Jupiter"-Religion oder das Auftauchen einiger übler Päpste (z. B. in 5.11, 5.13 oder 5.35) genannt. Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit dem Islam ist zudem auf 5.30 zu verweisen. Dort wird beschrieben, wie "Gift" in die katholische Lehre gemischt wird, möglicherweise zugunsten der muslimischen Herrschaft in Italien. Und ein prophetisches Werk, das eine derartige Anpassung an den Feind, eine derartige Kollaboration vorhersagt, dürfte für die Kirche in einer Zeit des Konflikts mit dem Islam (erste Zeile) schwer zu ertragen sein. Dass aber solche Vorbehalte gegen die Prophezeiungen des Nostradamus eigentlich unbegründet sind, zeigt die vierte Zeile von 5/53. Unser Seher macht der Kirche keine Vorwürfe. Im Gegenteil: er sagt aus, dass die christliche Lehre (das Gesetz des großen Messias Jesus Christus) gerade durch die Sonne (die katholische Kirche, vgl. Anmerkungen 7 und 2) Bestand haben, also auch die Episode des islamischen Angriffs überstehen wird. Somit kann die erwähnte Anpassung an den muslimischen Feind so falsch nicht sein.

3/94: In der ersten Zeile erwähnt Nostradamus einen Zeitraum von 500 Jahren. Einen Zeitraum, in dem man sich mit einer Sache (vgl. Anmerkung 1) entweder beschäftigen oder im Gegenteil nicht mehr beschäftigen wird (vgl. Anmerkung 2). Unser Seher beurteilt diese Sache in der zweiten Zeile als eine Zierde für die Zeit, in der sie entstanden ist. Es handelt sich dabei also um ein Meisterwerk. Dann, nachdem das erwähnte halbe Jahrtausend verstrichen ist, wird die Sache plötzlich "Klarheit bringen", d. h. wohl verstanden werden. Gemäß vierter Zeile wird dieses Verständnis die Leute dann sehr froh machen. Meines Erachtens spricht Nostradamus hier von seinen Prophezeiungen, auf die er mit der "plötzlichen Klarheit" aus der dritten Zeile verweisen dürfte (vgl. Anmerkung 6). Seit der Entstehung der Zenturien, die mit dem 1. März 1555 datiert sind, hat man sich immer wieder mit diesen Weissagungen beschäftigt. Allerdings ist bis heute der große Durchbruch zum Verständnis, die große "Klarheit" ausgeblieben. Zudem werden die Zenturien bis heute in den esoterischen Randbereich der abendländischen Literatur abgeschoben und fristen ihr Schattendasein in den "Giftschränken" unserer Bibliotheken. Nostradamus sagt nun voraus, dass sich dies um das Jahr 2055 schlagartig ändern wird. Gemäß 5/53 wird man wahrscheinlich schon vor dem besagten Jahr seine Prophezeiungen ernster nehmen als in der Vergangenheit, denn immerhin werden sich sowohl Christen wie auch Muslime in ihrem Streit auf die Zenturien berufen. Man könnte die Zenturien zunächst vielleicht nur teilweise verstehen aber dennoch so viel erkennen, dass es sich um echte, d. h. zutreffende Vorhersagen handelt. Der große Durchbruch wird allerdings wie erwähnt erst in der Mitte des 21. Jahrhundert geschafft sein. Man wird die Prophezeiungen des Nostradamus dann plötzlich ganz verstehen. Wie es dazu kommen wird, erfahren wir allerdings nicht. Gemäß Nostradamus werden die Menschen zu jener Zeit jedoch sehr froh über das Verständnis dieses Werkes sein. Das ließe sich beispielsweise so interpretieren, dass die Menschen jener Epoche großen Problemen gegenüberstehen und die Weissagungen unseres Sehers dann Trost und Hoffnung spenden werden (vgl. Anmerkung 6). Probleme, die vielleicht vom christlich-islamischen Konflikt aus 5/53 verursacht werden?

Quellen
 

5/53  

La loy1) du Sol2), & Venus3) contendens4),
Das Gesetz1) der Sonne2) und [die] Venus3) [sind] zerstritten4).
Appropriant l’esprit5) de prophetie:
[Man] eignet [sich] den Sinn5) der Prophetie an.
Ne l’vn ne l’autre ne seront entendus6),
Weder der Eine noch der Andere wird verständig6) sein.
Par Sol7) tiendra la loy du grand Messie.
Durch [die] Sonne7) wird das Gesetz des großen Messias Bestand haben.
1) Hier steht "Gesetz" wieder einmal für "Lehre".
2) Lat. "sol" (Sonne). Mit dem "(Gesetz der) Sonne" ist das Christentum gemeint, das den Sonntag feiert (Sonntag = lat. "dies Solis" = Tag der Sonne). Im engeren Sinne wohl die katholische Kirche bzw. die katholische Lehre, da Nostradamus in 1/8 (5.46) Rom als "Sonnenstadt" bezeichnet.
3) Oder: "... und [das Gesetz der] Venus ...". Die Venus steht für den Islam, dessen Feiertag der Freitag ist (Freitag = lat. "dies Veneris" = Tag der Venus).
4) Oder: "kämpfen, rivalisieren". GRUBER, S. 212, korrigiert hier zu "contendus", was zu "entendus" in der dritten Zeile passen würde.
5) Wörtlich: "Geist", hier aber wohl im Sinne des griech. "noos" bzw. "nous" (u. a. Geist; Redesinn, Bedeutung) bzw. des lat. "sensus" (u. a. Verstand, Denkkraft; Sinn, Bedeutung) zu verstehen. Mit dem "esprit de prophetie" könnte aber auch die Gabe des prophetischen Sprechens als solche gemeint sein. In diesem Fall ginge es in 5/53 nicht um den Sinn von bereits gemachten Prophezeiungen sondern eher um eine Methode, selber zu solchen Weissagungen zu kommen. Um eine Methode, die gemäß dritter Zeile jedoch nicht richtig verstanden oder verantwortungslos angewendet wird. Vielleicht um jene, nach der auch Nostradamus vorgegangen ist?
6) Oder auch: "besonnen". Das mittelfranzösische "les entendus" bedeutet "die Wissenden, die Kundigen".
7) Hier ist nun eine Organisation gemeint, da das "Gesetz des großen Messias" das Christentum ist. Konkret meint unser Seher damit die katholische Kirche, vgl. Anmerkung 2.
 

3/94  

De cinq cent ans plus compte lon tiendra2)
In 500 Jahren von nun an wird man sich [noch] um es1) kümmern.2)
Celuy qu’3)estoit l’ornement4) de son temps:
[Um] das, was3) die Zierde4) seiner Zeit war.
Puis à vn coup clarté6) donrra
Dann wird [es]5) plötzlich Klarheit6) bringen,
Que par ce siecle les rendra trescontens
so dass [es]7) sie in jenem Jahrhundert sehr froh machen wird.
1) Oder: "ihn". Obwohl es rein sprachlich gesehen auch möglich wäre, dass hier von einer Person die Rede ist, deutet die dritte Zeile inhaltlich eher darauf hin, dass es sich um ein Werk bzw. die Hinterlassenschaft einer Person handelt, die 500 Jahre später plötzlich für Klarheit sorgt.
2) BRIND’AMOUR, S. 456f., versteht die Zeile als "De cinq cent ans lon tiendra plus compte", also: "Während 500 Jahren wird man sich nicht mehr um es (ihn) kümmern".
3) Oder: "[Um] den, der". Vgl. Anmerkung 1.
4) Mit Blick auf das lat. "ornamentum" auch "Schmuck, Prachtstück".
5) Oder: "er". Vgl. Anmerkung 1.
6) Diese "plötzliche Klarheit" ("clarté" = u. a. Klarheit, Licht) dürfte sich auf eine Stelle im Vorwort für Cäsar Nostradamus beziehen: Nostradamus schreibt dort, dass er nach Abschluss seiner Arbeit an den Zenturien die Bücher bzw. Manuskripte verbrannt habe, die er für seine prophetische Arbeit verwendet hat. Dies u. a. um zu verhindern, dass das darin enthaltene Wissen in falsche Hände gerät. Im Vorwort für Cäsar schreibt unser Seher: "Mais doutant ce qui aduiendroit en ay faict, apres la lecture, present à Vulcan, que pendant quil les venoit à deuorer, la flamme leschant l’air rendoit vne clarté insolite, plus claire que naturelle flamme, comme lumiere de feu de clystre fulgurant, illuminant subit la maison, comme si elle fust esté en subite cõflagration." (Aber da [ich] nicht sicher war, was aus [ihnen] werden würde, habe [ich sie] nach der Lektüre Vulkan zum Geschenk gemacht. Als er kam, sie zu verschlingen, gab die [in] der Luft züngelnde Flamme ein ungewöhnliches Licht ab, heller als [eine] natürlich Flamme; wie das Licht des blitzenden Feuers des Donners, [und] erleuchtete sofort das Haus, so als ob es plötzlich [ganz] in Flammen stünde.) An dieser Stelle sei zudem auf die Mehrfachbedeutung der lat. Begriffe "lumen" und "lux" hingewiesen, die neben "Licht" u. a. auch als "Rettung, Heil" verstanden werden können (vgl. dazu auch griech. "phaos, phos"). 
7) Vgl. Anmerkung 5.

Zurück / Zurück zur Startseite