5.273 Ein Machthaber Veronas, eine falsche "Bestie", gelangt von unten in seine hohe Position. Unter vielen Tränen verliert er seine Stellung wieder.
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Zusammenfassung
1/12: In diesem Vierzeiler geht es um einen Machthaber von Verona. Ob dieser Machthaber mehr beherrschen wird als nur die norditalienische Stadt ist nicht ersichtlich. Es sei aber darauf verwiesen, dass Verona einst Residenz Theoderichs (ca. 454 - 526) war, der als Ostgotenkönig u. a. Italien und den nordwestlichen Balkan beherrschte. Theoderich war Arianer, d. h. er gehörte einer häretischen Strömung innerhalb des Christentums an. Auch Alboin, König der heidnischen Langobarden (568 - 572), machte Verona später zur Residenzstadt, wo er auch starb. Er beherrschte nur Teile Italiens. Gemäß Nostradamus wird der neue Herrscher von Verona schnell von unten nach oben aufsteigen (zweite Zeile). Das könnte so verstanden werden, dass er aus einfachen Verhältnissen stammen wird. In der ersten Zeile nennt ihn unser Seher eine "Bestie" bzw. ein "Tier" (vgl. dazu Anmerkung 3). Dieser Machthaber wird sich schon kurz nach Beginn seiner Herrschaft als falsch und schwach erweisen. Noch ein bisschen später, bei welcher Gelegenheit erfahren wir leider nicht, bestätigt der Veroneser Herrscher seinen schlechten Charakter: es zeigt sich erneut, dass er falsch (unredlich) und schwach (unbeständig) ist.
8/100: Wieder geht es um einen Herrscher, der offenbar von unten nach ganz oben aufsteigen wird (zweite Zeile). In der ersten Zeile erfahren wir, dass dieser Herrscher offensichtlich in Tränen zerfließt. Wahrscheinlich weil er sein Schicksal beweint und beklagt. Das deutet auf einen schwachen Machthaber hin, der erstens eine Niederlage erleidet und zweitens auf seine Lage ganz unstandesgemäß reagiert und Schwäche zeigt. Das würde zur "Bestie" aus Verona passen, die nicht nur ebenfalls von "unten" kommt sondern zweimal als "schwach" bezeichnet wird. In der dritten Zeile erfahren wir, dass man im "Spiel" bzw. im "Schauspiel" (vgl. Anmerkung 3) das Leben verlieren wird. Das ist eine Parallele zu 1/45 (5.99), wo ebenfalls von einem "Bühnenspiel" und einem "Tier im Theater" die Rede ist und womit Nostradamus an die antiken Zirkusspiele in Rom erinnern dürfte. In 5.99 geht es um den Kampf eines katholischen Großinquisitors gegen "Sekten" und deren Einfluss in der Kirche. Und auch in 8/100 dürfte es um einen religiösen Konflikt gehen. Wir erfahren nämlich, dass es neben der Weinerlichkeit des erwähnten Herrschers der zu große (oder vermessene, vgl. Anmerkung 2) Glaube sein wird, weswegen man im "Spiel/Schauspiel" sterben wird. Möglicherweise geht es in 1/45 (5.99) und 8/100 konkret nur um den Tod des Veroneser Potentaten, der mit der "Bestie" aus 1/12 bzw. dem "Tier" aus 1/45 (5.99) identisch sein könnte. Ist er vielleicht ein Oberhaupt oder eine Hauptstütze der "Sekten", die vom erwähnten Großinquisitor bekämpft werden? Der vierten Zeile ist zu entnehmen, dass man zu dieser Zeit unter einer gewaltigen Not leiden wird, während der man vor Durst sterben wird. Näheres zu dieser wohl verheerenden Dürre erfahren wir allerdings nicht.
8/7: In der vierten Zeile lesen wir erneut von jemandem, der von oben nach unten fallen wird und dabei möglicherweise einen Hilfeschrei ausstößt (vgl. Anmerkung 7). Das würde zur schwachen "Bestie" aus 1/12 bzw. zum weinerlichen Machthaber aus 8/100 passen. Nostradamus nennt ihn in 8/7 den "Einzigartigen". Falls dieser mit den oben erwähnten Akteuren identisch sein sollte, wäre diese Bezeichnung wahrscheinlich ein Hinweis darauf, dass es sich bei diesem Veroneser Potentaten um jemanden handelt, dessen Bedeutung weit über die Grenzen der norditalienischen Stadt hinausreicht. Und das wäre wiederum der Fall, wenn er das religiöse oder politische Oberhaupt einer der "Sekten" aus 1/45 (5.99) wäre. In den ersten drei Zeilen geht es um Vorgänge in Italien, für deren Einordnung uns der größere Rahmen aber noch fehlt: Vercelli und Mailand scheinen ein Abkommen zu schließen (vgl. allerdings Anmerkung 3) und in Pavia erhält jemand seinen "Lohn". Oder das erwähnte Abkommen wird dort geschlossen (vgl. Anmerkung 5). In Florenz lodert Feuer oder dieses Feuer brennt wegen Florenz auch anderswo. Mit dem Feuer dürfte wohl ein Krieg gemeint sein, da das Feuer dem Mars zugeordnet wird. Gleichzeitig, so erfahren wir in der dritten Zeile, wird in der Seine Wasser und Blut fließen. Dass in einem Fluss Wasser fließt, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Nostradamus könnte hier vielleicht an ein Hochwasser gedacht haben. Oder die Stelle ist so gemeint, dass in der Seine soviel Wasser wie Blut fließen wird. In diesem Fall würden an der Seine wahrscheinlich blutige Kämpfe stattfinden.
Quellen
1/12
1) Im Sinne von "in Kürze", d. h. kurze Zeit nachdem Nostradamus diesen Vierzeiler geschrieben hat oder im Sinne von "kurze Zeit nach einem bestimmten Zeitpunkt", was hier gemeint sein müsste. Der Zeitpunkt, auf den sich unser Seher dabei beziehen dürfte, ist wohl der Machtantritt der "Bestie".
Dans peu1) dira faulce2) brute3), fragile4),
Binnen kurzem1) wird [man] sagen, [dass eine] falsche2) Bestie3), [eine] schwache4),
De bas en hault esleué5) promptement:
schnell von unten nach oben gebracht5) [wurde].
Puys en instant desloyale6) & labile7)
Dann, einen Augenblick später, [wird sie sich als] unredlich6) und unbeständig7) [erweisen, die Bestie,]
Qui de Veronne aura gouuernement.
die [die] Macht über Verona haben wird.
2) Hier im Sinne von "unehrlich, hinterhältig" usw.
3) Oder einfach: "Tier". Mit Blick auf den Kontext könnte Nostradamus hier weniger an die "animalische" Grausamkeit dieses Machthabers als vielmehr an dessen mangelnde Intelligenz gedacht haben. Vgl. dazu die mittelfranzösische Wendung "faire la beste brutte" (vollkommen verblödet sein). Ähnlich äußert sich unser Seher auch in 1/64 (5.133).
4) Nach BRIND’AMOUR, S. 63f. auch: "leicht wortbrüchig".
5) Lies: "esleuée".
6) Oder u. a. auch: "betrügerisch; illoyal, untreu, verräterisch".
7) Oder u. a. auch: "schwach".
8/100
1) Falls "l’arme" gemeint sein sollte, hätten wir hier "verbreitete Waffe[n]" vor uns.
Pour l’abondance de larme1) respandue
Wegen des Überflusses an vergossene[n] Träne[n]1)
Du hault en bas par le bas au plus hault
von oben nach unten durch den [von] unten nach ganz oben [Aufgestiegenen].
Trop grande foy2) par ieu3) vie perdue,4)
[Und wegen] des zu großen Glaubens2) [wird] im Spiel3) [das] Leben verloren [gehen].4)
De soif mourir par habondant deffault.
Vor Durst [wird man] sterben während [der] gewaltigen Not.
2) Oder auch: "Vertrauen". Falls hier ein "zu großer Glaube" gemeint sein sollte, könnte das "zu groß" im Sinne von "vermessen" zu verstehen sein.
3) Auch: "Schauspiel".
4) Oder auch: "[Und wegen] des zu großen Glaubens im Spiel [wird das] Leben verloren [gehen]."
8/7
1) Stadt in Norditalien, etwa auf halbem Weg zwischen Turin und Mailand. Nahe Vercelli (lat. Vercellae) besiegten die Römer unter Marius 101 v. Chr. die germanischen Kimbern. Nachdem Marius ein Jahr zuvor die Teutonen bei Aix-en-Provence vernichtet hatte, brachte der Sieg bei Vercelli das Ende der Kimbern.
Verceil1), Milan2) donra intelligence3),
Vercelli1) wird Mailand2) [ein] Abkommen3) geben.
Dedans Tycin4) sera faite la paye5).
In Ticinum4) wird der Lohn ausbezahlt5) werden.
Courir par Seine eau, sang, feu par6) Florence.
In [der] Seine [wird] Wasser [und] Blut fließen, Feuer [lodert] in6) Florenz.
Vnique choir d’hault en bas faisant maye7).
[Der] Einzigartige, [der] von oben nach unten fallen [wird], schreit: Hilfe7)!
2) Oder auch umgekehrt.
3) "Intelligence" bedeutet im Mittelfranzösischen "Abkommen, Vereinbarung; Verstand, Intelligenz". Vercelli könnte Mailand also auch einfach zur Räson bringen.
4) Das heutige Pavia. Es könnte auch der Fluss Tessin gemeint sein, der bei Pavia in den Po mündet.
5) Das mittelfranzösische "paye" bedeutet "Lohnauszahlung". Möglicherweise ist hier aber auch "pais" (Frieden, Übereinkunft) gemeint.
6) Oder auch: "wegen, durch".
7) Unklar. "Maye" bzw. "maie" bedeutet im Mittelfranzösischen u. a. "Backtrog, Truhe, Kasten; fauler Schüler", was hier aber keinen rechten Sinn ergibt. In 8/100 ist von einem wohl eher schwachen Machthaber die Rede, der seine Lage ausgiebig beweint und dessen Tränen "von oben nach unten" fallen werden. Falls dieser mit dem "Einzigartigen" aus der letzten Zeile von 8/7 identisch sein sollte könnte hier ein Aufschrei dieses fallenden Potentaten gemeint sein. LE PELLETIER versteht ihn als "à moi!" (zu mir!), LEONI als Zusammenziehung von "ma aïe" (eigentlich: "mon aïe"), was sich etwa mit "helft mir!, Hilfe!" übersetzen lässt. Sollte ein Druckfehler vorliegen, könnte einfach "aye" (Hilfe) gemeint sein, wobei "faisant aye" sich dann aber auch als "Hilfe leistend" verstehen ließe. Falls in der zweiten Zeile statt "paye" "pais" stehen sollte (vgl. Anmerkung 5), wäre nicht "maye" sondern "mais" zu lesen. Dann wäre "faisant mais" etwa mit "den Unglücklichen spielend" zu übersetzen.