5.286  Ein bei Italien geborener Kaiser, den man eher für einen Schlächter denn für einen Fürsten hält, wird dem Reich teuer zu stehen kommen. Mögliche Zuordnung: Der auf Korsika geborene Kaiser der Franzosen Napoleon I., der das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation herbeigeführt hat (1769 - 1821).
 

Zurück / Zurück zur Startseite
 

Zusammenfassung
 

In der ersten Zeile erfahren wir, dass in der Nähe der Apenninenhalbinsel (vgl. Anmerkung 2) ein Herrscher zur Welt kommt, der den Kaisertitel tragen wird. Über seine genaue Herkunft oder das Land, in dem er Kaiser sein wird, schreibt Nostradamus nichts. Wir lesen in der zweiten Zeile nur, dass er dem "Reich" oder "der Herrschaft" sehr teuer zu stehen kommen wird. Damit könnte das römisch-deutsche Reich gemeint sein (vgl. Anmerkung 4), das zur Zeit des Nostradamus von einem Kaiser regiert wurde. Aber auch Frankreich kannte in seiner Frühzeit einige Herrscher mit Kaisertitel (vgl. Anmerkung 1). Unser Seher schreibt wörtlich, dass der Kaiser dem Reich "sehr teuer verkauft" werden wird. Das ist wohl als ein Hinweis darauf zu verstehen, dass hier das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mindestens mitgemeint ist. Der römisch-deutsche Kaiser wurde nämlich von den Kurfürsten gewählt, wobei die Kandidaten die Gunst der sieben Wahlberechtigten auch durch materielle Anreize auf ihre jeweilige Seite zu ziehen versuchten. Anders formuliert: der deutsche Kaiserthron war - mindestens zum Teil - käuflich. So konnte sich etwa Karl V. dank der finanzkräftigen Unterstützung der Fugger gegen seinen französischen Konkurrenten Franz I. bei der Kaiserwahl von 1519 durchsetzen. Dass es bei Nostradamus nun umgekehrt das römisch-deutsche Reich ist, das zu bezahlen hat, ist vielleicht als kleiner Seitenhieb auf das deutsche Kaiserwahlsystem zu verstehen. Ein System, an dem nicht erst Franz I. sondern bereits dessen Vorgänger Philipp III. (1270 - 1285) und Karl I. von Valois (Regent 1314 - 1316) gescheitert waren. Die Stelle lässt sich aber - wie bei Nostradamus nicht ungewöhnlich - auch in anderer Hinsicht verstehen. Nämlich so, dass dieser Kaiser seiner eigenen Herrschaft, seinem eigenen Land, teuer zu stehen kommen wird. In der dritten und vierten Zeile erfahren wir, was "sie" und "man" (wohl seine Zeitgenossen) über ihn sagen und denken werden. Historisch bedeutsame Personen werden von ihren Zeitgenossen - oder auch der Nachwelt - aber kaum je einhellig beurteilt. Unser Seher muss also, allein schon wegen der Kürze der Vierzeiler, unter den verschiedenen Ansichten immer eine Auswahl treffen. Und nur schon durch diese Auswahl fließt stets auch sein persönlicher Standpunkt mit ein. Laut dritter Zeile wird man darüber erstaunt sein, mit welchem "Volk" sich dieser Kaiser versammeln wird. Das kann dahingehend verstanden werden, dass er sich in seinem persönlichen Umfeld mit Leuten umgibt, die eines Imperators unwürdig sind. Oder aber er hält sich inmitten von Kriegsvolk, von Truppen auf, die allgemeines Erstaunen hervorrufen (vgl. Anmerkung 5). Wahrscheinlich wegen ihrer Zahl bzw. ihrer Kampfkraft. Man könnte diese Stelle auch so verstehen, dass es sich um einen regelrechten "Soldatenkaiser" handeln wird, d. h. um einen Herrscher, der sich besonders im militärischen Bereich engagiert und demzufolge vielleicht auch öfters Krieg führt. Dazu würde jedenfalls gut die letzte Zeile passen, wo wir erfahren, dass man ihn eher für einen Schlächter denn für einen Fürsten halten wird. Ein Hinweis auf die hohe Opferzahl, die seine Kriege fordern könnten.

Mögliche historische Zuordnung


In diesem Vierzeiler könnte tatsächlich Napoleon Bonaparte gemeint sein, wie "Nostradamisten" (vgl. GRUBER, S. 271) schon lange vermuten. Napoleon wurde am 15. August 1769 in Ajaccio auf Korsika geboren. Korsika liegt unweit des italienischen Festlandes und gehört sprachlich-kulturell gesehen zu Italien. Die Insel wurde am 5. Mai 1768 von Genua an Frankreich abgetreten. Allerdings lieferten sich die korsischen Nationalisten noch einen erbitterten Kleinkrieg mit den Franzosen, so dass letztere die Insel erst kurz vor Napoleons Geburt wirklich beherrschten. Napoleon krönte sich am 2. Dezember 1804 in der Kathedrale Notre-Dame in Paris selbst zum "Kaiser der Franzosen". Er war nun neben dem Habsburger Franz II. der zweite Kaiser im Abendland. Franz II. war seit 1792 der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und seit 1804 als Franz I. gleichzeitig Kaiser von Österreich. Auf Druck Napoleons legte Franz II. am 6. August 1806 die Krone des römisch-deutschen Kaisers nieder und löste das Reich auf. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation musste für Napoleons Herrschaft in Frankreich und seine Machtpolitik in Europa also tatsächlich einen sehr hohen Preis bezahlen. Denn obwohl die Auflösung durch Franz II. rechtlich kaum haltbar war, endete wegen Napoleon 1806 - nach 844 Jahren - faktisch die Existenz des römisch-deutschen Reiches. Aber auch für Frankreich selber ist die Bilanz der napoleonischen Herrschaft zwiespältig. So kosteten seine - auch von den Feinden aufgezwungenen - Kriege das Land Hunderttausende von Soldaten. 1814/15 kam der Krieg sogar nach Frankreich zurück. Napoleon, der selber aus niederem korsischen Adel stammte, wurde von den hochadligen Herrschern der anderen europäischen Mächte nie als wirklich ebenbürtig akzeptiert. Seine gesamte Macht basierte letztlich nur auf seinem militärischen Können sowie auf der Stärke seiner Armeen. Was die Größe der befehligten Streitkräfte anbelangt, setzte Kaiser Napoleon I. neue Maßstäbe. 1805 hatte er beim nordfranzösischen Boulogne 200 000 Mann für die geplante England-Invasion zusammengezogen. 300 000 Mann führte Napoleon 1808 nach Spanien. Und mit weit über 500 000 Mann griff Napoleon 1812 Russland an. Man hat Napoleon allerdings kaum je vorgeworfen, dass er sich mit für ihn "unwürdigen" Leuten umgeben hätte, galt er seinen Feinden doch selber als Emporkömmling. Treffender ist da schon die vierte Zeile von 1/60, nach der man ihn weniger als "echten Fürsten" denn als einen Schlächter betrachtet habe (ein Vorwurf, den Nostradamus auch dem Machthaber aus 5.198: 8/76 - Oliver Cromwell? - macht). Allerdings ist auch hier wieder die Frage der Perspektive entscheidend. In Frankreich galt und gilt Napoleon im Allgemeinen bis heute eher als Held, der die Nation auf die höchsten Höhen der Macht geführt hat. In den Ländern seiner Feinde, die er mit Krieg überzogen hat, war und ist die Beurteilung naturgemäß anders und entsprach gerade bei den Zeitzeugen tatsächlich eher derjenigen, die wir in der letzten Zeile von 1/60 finden.

Quellen
 

1/60  

Vn Empereur1) naistra3) pres d‘Italie2),
Ein Kaiser1) wird nahe Italien2) geboren3) werden,
Qui à l‘Empire4) sera vendu bien cher,
der dem Reich4) sehr teuer verkauft werden wird.
Diront auecques quels gens5) il se ralie6)
[Sie] werden sagen: "Mit welchem Volk5) versammelt er sich6)!",
Qu‘on trouuera moins prince que boucher.7)
[er,] den man weniger für einen Fürsten denn für einen Schlächter halten wird.7)
1) Zur Zeit des Nostradamus gab es im abendländischen Europa nur einen Herrscher, der den Titel eines Kaisers trug: Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (seit 962). Im östlichen Europa allerdings ab 1547 zusätzlich noch den russischen Zaren (Zar ="Cäsar", "Kaiser"). Nach dem Tod Karls des Großen (814) trugen u. a. auch westfränkische ("französische") Herrscher den Kaisertitel: Ludwig der Fromme (813 - 840), Karl II. der Kahle (875 - 877) und Karl III. der Dicke (885 - 888). Der französische König Franz I. (1515 - 1547) scheiterte 1519 mit dem Versuch, sich zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wählen zu lassen. Das lat. "imperator", auf das "empereur" zurückgeht, bedeutet "Gebieter, Herr, Herrscher; Oberfeldherr, Feldherr".
2) "Italia" bezeichnete in der Antike zunächst nur die Südwestspitze der Apenninenhalbinsel, das heutige Kalabrien. Später wurde der Begriff für das ganze Land bis zu den Alpen verwendet. Die drei großen vorgelagerten Inseln Korsika, Sardinien und Sizilien wurden ursprünglich nicht zu Italien gezählt.
3) Oder auch: "erscheinen".
4) Das lat. "imperium" bzw. mittelfranz. "empire" bedeutet neben "(Kaiser-) Reich" u. a. auch "Herrschaft, Regierung, Befehlsgewalt". Möglicherweise ist hier das "Saint Empire", das Heilige Römische Reich Deutscher Nation gemeint.
5) Im Sinne von "Leuten" aber auch von "Kriegsvolk, Truppen". Möglich wäre auch, dass hier "Völker" gemeint sind ("quelles gents").
6) Oder auch: "trifft er zusammen".
7) Oder auch denkbar: "[Sie] werden sagen, zusammen mit derartigen Leuten, mit denen er sich versammelt, dass man ihn weniger für einen Fürsten denn für einen Schlächter halten wird".


Zurück / Zurück zur Startseite