5.287 Der Vesuv wird ausbrechen und Neapel in Mitleidenschaft ziehen. Zwei Große werden einen langen und sinnlosen Krieg führen.
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Zusammenfassung
In der ersten und dritten Zeile von 1/69 dürfte es um einen Vulkan gehen, der ausbricht und dabei große Gebiete zerstört (vgl. Anmerkungen 2 und 3). In der vierten Zeile erfahren wir, dass ihm dabei u. a. auch eine große Stadt (eine "große Gründung") zum Opfer fallen wird. Im Vorhersagegebiet des Nostradamus gibt es nur wenige aktive Vulkane, bei denen nach menschlichem Ermessen mit einem verheerenden Ausbruch zu rechnen ist. Dazu gehören der Ätna, der Vesuv und der Stromboli. Der Stromboli liegt auf einer Insel nördlich von Sizilien. Diese ist zwar besiedelt, eine große Stadt gibt es dort allerdings nicht. Anders sieht es beim Ätna und beim Vesuv aus. Rund 30 km vom Ätna entfernt befindet sich Catania, das in der Vergangenheit auch schon tatsächlich Opfer des Vulkans geworden ist. Der Vesuv liegt rund neun Kilometer von Neapel entfernt. Neapel wurde bisher noch nie vom Vesuv zerstört. Dafür fielen dem Vulkan im Jahr 79 n. Chr. einige römische Siedlungen zum Opfer (Pompeii, Herculaneum, Stabiae, Oplontis). Als Alternative zu Neapel gäbe es noch Salerno, etwa 30 km südöstlich des Vesuvs gelegen. In der zweiten Zeile erfahren wir, dass dieser verheerende Vulkanausbruch nach einer turbulenten Zeit erfolgen wird. Zunächst wird Frieden herrschen, dann kommt es zu einem Krieg. Hunger wird die Menschen heimsuchen, vielleicht als Folge dieses Krieges. Und zum Schluss wird man auch noch unter einer Überschwemmung zu leiden haben. Falls hier von der gleichen Gegend die Rede sein sollte, in der der Vulkan ausbricht, könnte die Überschwemmung in Kampanien aus 5.34 gemeint sein. In diesem Fall wäre der Vulkan aus 1/69 eindeutig als Vesuv zu identifizieren. Ein Berg, der heute mit 1281 m interessanterweise tatsächlich etwa sieben Stadien hoch ist (vgl. Anmerkung 2).
1/87: In der zweiten Zeile dürfte von Neapel die Rede sein (vgl. Anmerkung 2). Das Land um Neapel wird erbeben, im wortwörtlichen oder vielleicht auch übertragenen Sinne, etwa vor Angst. Den Grund dafür erfahren wir in der ersten Zeile: Feuer aus dem Zentrum der Erde. Und dieses Feuer scheint von Neptun Ennosigaeus, dem Erderschütterer, geschickt zu werden. Hier könnte gemeint sein, dass bei einem verheerenden Ausbruch des Vesuvs Lava ("Feuer") austritt, die sogar die Gegend um Neapel ernsthaft bedroht. Nostradamus scheint dabei ein Erdbeben für den Ausbruch des Vesuvs verantwortlich zu machen. Da Nostradamus jedoch weder Seismologe noch Vulkanologe war, ist diese Erklärung mit Vorsicht zu genießen. Wahrscheinlich ist diese Stelle bloß so zu verstehen, dass dem Vulkanausbruch ein oder mehrere deutlich bemerkbare Erdbeben vorausgehen werden. Falls in 1/87 der gleiche Ausbruch gemeint ist wie in 1/69, dürfte der Vesuv Neapel nicht nur bedrohen sondern tatsächlich zerstören. Ob durch den Lavastrom oder andere vulkanische Ereignisse (Glutlawine, Ascheregen usw.), lässt sich hier nicht entscheiden. Ein Ausbruch des Vesuvs könnte möglicherweise auch in 6/97 (5.196) erwähnt werden. Zu dieser Zeit scheinen jedenfalls zwei große Persönlichkeiten oder Mächte einen sinnlosen aber lang andauernden Krieg zu führen (dritte Zeile). In 5.34 (siehe oben) bekämpfen sich ebenfalls zwei Machthaber: ein neuer "Pippin" und ein neuer "Aistulf". Neu ist in 1/87 allerdings die Erwähnung von Arethusa. Gemäß der vierten Zeile wird Arethusa, die in der Mythologie selber ein Opfer ist (vgl. Anmerkung 5), entweder erneut einen Fluss rot färben oder einem "neuen Fluss" die erwähnte Farbe geben (vgl. Anmerkung 6). Mit der Rotfärbung dürfte wahrscheinlich ein Blutvergießen gemeint sein. Arethusa könnte für ihre Stadt Syrakus stehen. Doch welcher Fluss ist hier gemeint? Der Alpheios auf der Peloponnes? Der Anapo bzw. der Ciane nahe Syrakus? Und wer ist der Gegner der Stadt?
Quellen
1/69
1) Das Substantiv "ronde" kann allerdings auch "Umkreis, Umgebung" bedeuten. Dann hätten wir hier einen Berg mit einem Umfang von sieben Stadien vor uns, oder Nostradamus meint die Umgebung des Berges innerhalb eines Abstandes von sieben Stadien. Man darf sich allerdings fragen, ob eine Erhebung mit lediglich sieben Stadien Umfang noch als "Berg" zu bezeichnen ist.
La grand montaigne ronde1) de sept estades2),
Der große runde1) Berg von sieben Stadien2) [Höhe
Apres paix, guerre, faim, inundation,
wird] nach Frieden, Krieg, Hunger [und] Überschwemmung
Roulera3) loing abysmant4) grands contrades,5)
weit ausschlagen3) [und] große Gebiete ruinieren4).5)
Mesmes antiques6), & grand fondation.
Auch alte6) und [eine] große Gründung.
2) Das Stadion war ein antikes Längenmaß, das je nach Region unterschiedlich groß sein konnte. Es gab u. a. das attische Stadion (177,6 m), das römische Stadion (185,22 m) und das olympische Stadion (192,27 m). Sieben Stadien können somit beispielsweise 1243,2 m (attisch), 1296,54 m (römisch) oder 1345,89 m (olympisch) sein. Zur Zeit des Nostradamus war es wohl möglich, den Umfang eines Berges zu bestimmen. Doch die Höhe einer Erhebung zu ermitteln, dürfte erhebliche Probleme bereitet haben. Interessant ist allerdings, dass unser Seher hier die symbolträchtige Zahl Sieben in Zusammenhang mit einem Berg einführt. Es ist mindestens vorstellbar, dass es Nostradamus mit dieser Höhen- oder Längenangabe um etwas Anderes gegangen ist als um die exakte Beschreibung topografischer Gegebenheiten. In Agrippa von Nettesheims "Magischen Werken" (De occulta philosophia) finden wir im vierzehnten Kapitel des zweiten Buches die orphische Leiter der Zahl Zwölf. Diese ordnet den zwölf Monaten von März (1) bis Februar (12) bzw. den zwölf Tierkreiszeichen Widder bis Fische u. a. je eine antike Gottheit zu. Beim siebten Monat (September) bzw. dem siebten Tierkreiszeichen (Waage) ist dies Vulcanus. Und das könnte ein Hinweis auf die Natur des Berges aus 1/69 sein, vgl. Anmerkung 3.
3) Das mittelfranzösische "rouler" bedeutet "rollen, drehen, umdrehen; (sich) verändern; schlagen". Mit einem Berg, der "schlägt" oder "ausschlägt" wäre wohl ein Vulkan gemeint. Der römische Gott Vulcanus (oder: Volcanus) war u. a. der Gott des Feuers und der Schmiedekunst. Als solcher besaß er auch einen Schmiedehammer, mit dem Nostradamus hier einen nach ihm benannten feuerspeienden Berg durchaus hätte "ausschlagen" lassen können. Dazu würde auch die Beschreibung "runder Berg" in der ersten Zeile passen. Vulkane haben oft Kegelform und einen mehr oder weniger kreisförmig-runden Grundriss.
4) Oder auch: "verschlucken, in Mitleidenschaft ziehen".
5) Oder, wenn man das Adverb "loing" (lange, weit) auf "abysmant" bezieht: "ausschlagen [und] lange große Gebiete ruinieren".
6) Oder: "antike". Möglicherweise sollte die ganze Zeile auch "Mesme antique, & grand fondation" heißen. Dann wäre nur von einer alten und großen Gründung die Rede.
1/87
1) Lat. "Ennosigaeus", der Erderschütterer, ist ein Beiname Neptuns. Neptun taucht als menschlicher Akteur bei Nostradamus an anderer Stelle ebenfalls auf (vgl. 5.49 und 5.50).
Ennosigée1) feu du centre de terre2)
Ennosigaeus’1) Feuer aus dem Zentrum der Erde2)
Fera trembler au tour de cité neufue3):
wird [das Gebiet] um [die] neue Stadt3) zum beben [bringen].
Deux grãdsrochiers4) lõg têpsferont la guerre
Zwei Große werden lange gegen Felsen4) Krieg führen,
Puis Arethusa5) rougira nouueau fleuue6).
dann wird Arethusa5) [von] neuem [den] Fluss rot färben6).
2) Oder auch: "[Der] verstorbene Ennosigaeus aus dem Zentrum der Erde". Nach griechischer Auffassung lag das Zentrum der Welt in Delphi und wurde dort durch den Omphalos markiert. Bevor Delphi zur Kultstätte Apollos wurde, war die Stätte u. a. auch Neptun (Poseidon) geweiht. Doch wie sollte ein verstorbener Neptun das Gebiet um Neapel noch zum beben bringen? Ich neige deswegen eher zur Annahme, dass hier tatsächlich von einem "Feuer aus dem Zentrum der Erde" die Rede ist, für das der durchaus "lebendige" Neptun in seiner Funktion als Erderschütterer verantwortlich zeichnet.
3) Damit ist wohl Neapel gemeint (griech. "Neapolis" = die neue Stadt).
4) BRIND’AMOUR, S. 170, sieht hier die französische Wendung "faire la guerre aux rochers" ("gegen Felsen Krieg führen", d. h. sich in vergeblichen Kämpfen aufreiben) gemeint. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Nostradamus hier an das lat. "scopulus" gedacht hat, das neben "Felsen" auch "Zerstörer" bedeuten kann. Dann hätten wir zwei große Zerstörer vor uns, die lange Krieg führen werden.
5) Arethusa ist im Mythos eine Nymphe, in die sich der Flussgott oder Jäger Alpheios verliebt hatte. Alpheios stellte Arethusa auf der Jagd nach, doch wollte Letztere nichts von ihm wissen. Um sie zu schützen, wurde Arethusa von den Göttern als Quelle nach Syrakus auf Sizilien versetzt. Alpheios aber wurde in einen Fluss auf der griechischen Halbinsel Peloponnes verwandelt. Die Arethusa-Quelle befindet sich auf der Insel Ortygia, dem Zentrum der Stadt Syrakus. Der Alpheios (Alfios) ist der Hauptfluss der Peloponnes und mündet ins Ionische Meer. Arethusa wurde zur Stadtgöttin von Syrakus.
6) Oder: "[den] neuen Fluss rot färben".