5.292  Der Gegner eines Fahnenflüchtigen aus einer großen Festung wird diesem zeigen, was große Tapferkeit ist. Ein Kaiser wird bald darauf sterben. Mögliche Zuordnung: Das Ende des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71. Der französische Marschall Bazaine kapitulierte am 23. Oktober 1870 mit über 170 000 Mann in Metz vor Prinz Friedrich Karl von Preußen. Letzterer sorgte anschließend mit seinen Siegen über die Franzosen an der Loire und bei Le Mans dafür, dass das belagerte Paris Ende Januar 1871 kapitulieren musste. Der gestürzte Kaiser der Franzosen Napoleon III. starb nicht einmal zwei Jahre später in seinem englischen Exil.
 

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Zusammenfassung
 

4/65: In den ersten beiden Zeilen dürfte es um einen Deserteur gehen (vgl. aber Anmerkungen 1 u. 3). Wahrscheinlich um einen bedeutenden Fahnenflüchtigen, einen Befehlshaber, der seinen Posten verlässt. Es ist anzunehmen, dass er der Kommandeur der in der ersten Zeile erwähnten "großen Festung" ist. Nachdem er desertiert sein wird, wird sein Gegner ihm zeigen, was große Tapferkeit oder eine große (militärische) Leistung ist (vgl. Anmerkung 5). Der Gegner dürfte zuvor die große Festung des Fahnenflüchtigen angegegriffen haben. Und dieser Angriff wird es wohl gewesen sein, der den Befehlshaber der Festung zur Fahnenflucht getrieben hat. Das Herausstreichen der großen Tapferkeit des Feindes in der dritten Zeile soll wohl die Feigheit des Deserteurs verdeutlichen. In der vierten Zeile taucht ein Kaiser auf, der bald nach den Vorgängen aus den ersten drei Zeilen tot sein wird. Den Grund für seinen Tod kennen wir nicht, vgl. Anmerkung 7. Auch lässt der Text die Beziehung des Kaisers zum Fahnenflüchtigen oder dessen Gegner offen.

Mögliche historische Zuordnung


Dieser Vierzeiler passt zum Ende des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 /71 (vgl. auch LEONI). Der Fahnenflüchtige aus der großen Festung könnte der französische Marschall François-Achille Bazaine (1811 - 1888) sein. Die große Festung wäre demzufolge die Festungsstadt Metz, wobei "groß" wieder einmal (auch) als "französisch" verstanden werden kann. Bazaine wurde am 18. August 1870 bei Gravelotte (Lothringen) von den preußisch-deutschen Truppen unter Helmuth von Moltke geschlagen. Entscheidenden Anteil an diesem Sieg hatte dabei Prinz Friedrich Karl von Preußen (1828 - 1885), ein Neffe des preußischen Königs. Daraufhin zog sich Bazaine nach Metz zurück. Die Stadt war seit 1552 französisch und wurde im 17. und 18. Jahrhundert massiv befestigt, so dass Metz Frankreichs stärkste Festungsstadt war. Am 20. August 1870 begann unter dem Kommando von Prinz Friedrich Karl die Belagerung von Metz. Um den eingeschlossenen Bazaine zu entsetzen, eilte Marschall Mac-Mahon mit einem großen Teil der französischen Armee Richtung Metz. Allerdings wurden die Franzosen auf dem Weg dahin am 2. September bei Sedan besiegt. Der bei der Schlacht anwesende Kaiser Napoleon III. (1808 - 1873) wurde gefangen genommen. Nur zwei Tage später wurde in Paris die dritte Republik proklamiert und der Kaiser somit abgesetzt. Der Krieg ging aber auch nach dem unspektakulären Ende des Zweiten Kaiserreichs weiter. Bazaine war mit mehr als 170 000 Mann immer noch in Metz eingeschlossen, und am 19. September begann die Belagerung der Hauptstadt Paris. Bazaines Armee war zu diesem Zeitpunkt eine der letzten Hoffnungen für das taumelnde Frankreich. Doch nachdem Ausbruchsversuche aus Metz misslungen waren und Bazaine sah, dass er nicht auf Hilfe von außen hoffen konnte, kapitulierte er am 23. Oktober 1870. Eine Entscheidung, die in Frankreich mit großer Enttäuschung und Verbitterung aufgenommen wurde. Auch weil man mit der neu gebildeten Loirearmee das belagerte Paris befreien wollte. Bazaines Kapitulation setzte aber große Kräfte der Deutschen frei. Der Sieger von Metz, Prinz Friedrich Karl (der mit dem "Gegner" in der dritten Zeile von 4/65 gemeint sein müsste) marschierte nun an die Loire. Nachdem er dort Angriffe der Franzosen abgewehrt hatte, ging er zum Gegenangriff über und eroberte Orléans (4. Dezember 1870). Die Franzosen wurden bis Le Mans und Bourges zurückgedrängt. Anfang Januar 1871 besiegte Prinz Friedrich Karl die Franzosen mehrfach bei Le Mans und machte so jeden Entsatz für das belagerte Paris unmöglich. Die Hauptstadt schloss in der Folge noch vor Ende Monat, am 28. Januar, Waffenstillstand mit den Deutschen. Rund einen Monat später wurde der Vorfrieden von Versailles geschlossen (26. Februar), der endgültige Friedensvertrag von Frankfurt am 10. Mai 1871. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der abgesetzte Kaiser der Franzosen Napoleon III. bereits im Exil in Chislehurst (heute ein Teil Londons). Dort starb der gesundheitlich bereits angeschlagene Neffe Napoleon Bonapartes am 9. Januar 1873 an den Folgen einer Operation.


Quellen
 

4/65  

Au deserteur1) de la grand forteresse2),
Dem Fahnenflüchtigen1) der großen Festung2) [wird],
Apres qu’aura son lieu4) abandonné:
nachdem [er3)] seinen Posten4) verlassen hat,
Son aduersaire fera si grand prouesse5),
sein Gegner sehr große Tapferkeit5) zeigen.
L’Empereur6) tost mort sera condamné.7)
Der Kaiser6) [wird] bald [zu] sterben verurteilt sein.7)
1) Das mittelfranzösische "deserteur" bedeutet neben "Fahnenflüchtiger, Deserteur" auch "Verwüster, Zerstörer".
2) Das mittelfranzösische "forteresse" bedeutet neben "Festung, Befestigungsanlage" auch "Kraft, Stärke".
3) Damit kann der Fahnenflüchtige aber auch der Gegner gemeint sein.
4) Oder einfach "Ort, Platz" im weitesten Sinne.
5) Oder auch: "Großtat, Heldentat".
6) Zur Zeit des Nostradamus gab es im abendländischen Europa nur einen Herrscher, der den Titel eines  Kaisers trug: Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (seit 962). Im östlichen Europa allerdings ab 1547 zusätzlich noch den russischen Zaren (Zar ="Cäsar", "Kaiser"). Nach dem Tod Karls des Großen (814) trugen u. a. auch westfränkische ("französische")  Herrscher den Kaisertitel: Ludwig der Fromme (813 - 840), Karl II. der Kahle (875 - 877) und Karl III. der Dicke (885 - 888). Der französische König Franz I. (1515 - 1547) scheiterte 1519 mit dem Versuch, sich zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wählen zu lassen. Das lat. "imperator", auf das "empereur" zurückgeht, bedeutet "Gebieter, Herr, Herrscher; Oberfeldherr, Feldherr".
7) Im medizinischen Sinne zu sterben verurteilt, etwa tödlich erkrankt sein (vgl. CLÉBERT, S. 535). Die letzte Zeile lässt sich allerdings auch anders verstehen: "Der Kaiser [wird] bald [zum] Tod verurteilt werden" (vgl. CLÉBERT, ebd.) oder "Der Kaiser, [der] bald tot [sein wird], wird verdammt werden."


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