5.295  Eine Dame wird von ihrem Liebhaber geraubt werden. Einer der Väter wird daraufhin beide töten.
 

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Zusammenfassung


8/25: In der ersten Zeile wird ein "Liebhaber" erwähnt. Dessen Herz wird von der Liebe einer anderen Person "geöffnet" werden. Das ist wohl so zu verstehen, dass der Liebhaber zunächst von der anderen Person geliebt wird und dann dieses Gefühl erwidert. Weiter erfahren wir, dass es sich hierbei um eine heimliche Liebe handelt. Das dürfte bedeuten, dass sich das Umfeld mindestens einer der beiden gegen eine Verbindung der Liebesleute stellt. In der zweiten Zeile erfahren wir, wie der Liebhaber das Problem lösen wird. Er wird das Objekt seiner Begierde - eine Dame - entführen ("rauben") lassen. Das ließe sich dahingehend interpretieren, dass sich in erster Linie das Umfeld bzw. die Familie der Dame gegen eine Verbindung mit dem Liebhaber stellen wird. Vonstatten gehen wird die Entführung in einem "Bach". Was damit gemeint ist oder wo sich dieser "Bach" befindet, ist im Moment allerdings noch unklar, vgl. Anmerkung 3. In der dritten Zeile tauchen ein "halber Übler" und eine "Lüsterne" auf. Dabei wird der "halbe Üble" die "Lüsterne" nachahmen oder vielleicht auch täuschen (vgl. Anmerkung 4). Der "halbe Üble" könnte mit dem Liebhaber aus der ersten Zeile identisch sein, die "Lüsterne" mit der geraubten Dame aus der zweiten. Was zu dieser Identifizierung passen würde, ist der Umstand, dass die Initiative laut erster Zeile ursprünglich von der Frau auszugehen scheint, was hier mit der "Lüsternheit" der Dame gemeint sein könnte. Unklar ist allerdings, in welcher Beziehung sie der Liebhaber nachahmen oder täuschen wird. Ist mit dem "Nachahmen" vielleicht gemeint, dass der Liebhaber die ihm entgegengebrachte Liebe in gleicher Weise erwidern wird? Oder umgekehrt, dass die erwiderte Liebe nur vorgetäuscht ist? Gemäß Zeile vier wird ein Vater zwei Leute töten (die "Körper der Seele berauben"). Damit könnte der Vater entweder des Liebhabers oder - was wahrscheinlicher sein dürfte - der Vater der geraubten Dame gemeint sein. Und die Getöteten mutmaßlich die lüsterne Dame - seine Tochter - und ihr Liebhaber. Über die Hintergründe dieser Tat, etwa wie der Vater der beiden überhaupt habhaft werden wir, erfahren wir nichts.

1/42: Das in diesem Vierzeiler beschriebene Geschehen wird sich an einem 23. März des julianischen Kalenders zutragen. Dieser Umstand dürfte es gewesen sein, der Nostradamus dazu veranlasst hat, den Quatrain an die Ausführungen des CRINITUS (vgl. Anmerkung 1) anzupassen. Es geht dabei, wie wir in der ersten Zeile erfahren, um eine barbarische - "gotische" - Tat. Ausgeführt ("wiederbelebt") wird dieser Akt der Barbarei von "bösen Leuten" (zweite Zeile). In der dritten Zeile geht Nostradamus sogar soweit, diese Leute als "teuflische Versammlung" zu bezeichnen. Diese Gruppe von Leuten wird in Aktion treten, nachdem ein Feuer erloschen ist (ähnlich wie die Gnostiker bei CRINITUS, nachdem "die Lichter gelöscht" waren). In der vierten Zeile erfahren wir, dass sie etwas suchen werden. Und zwar die Goldschmuckstücke des Liebhabers und einen Ring. Ein Liebhaber taucht auch in 8/25 auf. Dort erfahren wir möglicherweise, dass der Vater - wohl jener der Geliebten - den Liebhaber und seine Tochter töten wird. Diese Tötung könnte Nostradamus in 1/42 mit der "barbarischen Tat" gemeint haben. Vielleicht lässt der Vater die beiden verbrennen, ähnlich wie es die Gnostiker mit Säuglingen gemacht haben sollen (vgl. Anmerkung 1). In diesem Fall würde die "teuflische Versammlung" zunächst warten, bis das Feuer erloschen ist, um dann in der Asche Goldschmuckstücke und einen Ring zu suchen. Es kann vermutet werden, dass es dem mutmaßlichen Auftraggeber, dem Vater der Geliebten, dabei v. a. um die Schmuckstücke und den Ring der eingeäscherten Tochter gehen wird. Gegenstände, die von ihren Liebhaber stammen und darauf hindeuten könnten, dass die beiden zum Zeitpunkt ihrer Tötung bereits verheiratet sein werden. Über die genauen Umstände dieser Tötung erfahren wir nichts. Eine offizielle Hinrichtung auf einem Scheiterhaufen scheint mir allerdings weniger wahrscheinlich zu sein, denn in diesem Fall würde man den beiden wohl bereits zuvor sämtlichen Schmuck abnehmen. Wird das Paar vielleicht in einem Gebäude eingesperrt und Letzteres abgebrannt?

Quellen
 

8/25  

Cœur de l’amant ouuert d’amour2) fertiue1)
[Das] Herz des Liebhabers [wird von] heimlicher1) Liebe2) geöffnet [werden].
Dans le ruysseau3) fera rauyr la Dame,
Im Bach3) wird [er] die Dame rauben lassen.
Le demy mal contrefera4) lassiue,
Der halbe Üble wird [die] Lüsterne nachahmen4).
Le pere à deux priuera corps de l’ame.
Der Vater wird zweien [die] Körper der Seele berauben.
1) Lies: "furtive".
2) Im Mittelfranzösischen kann "amour" auch weiblichen Geschlechts sein, vgl. die weibliche Endung von "fertiue".
3) Oder auch: "kleiner Fluss, kleiner Wasserlauf; Gosse". Unklar, was Nostradamus hier gemeint hat. In Nordfrankreich gibt es einen Ort namens Ruisseauville, etwa 55 km südöstlich von Calais. Weiter findet sich zudem das lat. "rivus" (Bach) etwa in "Rivi" (Rieux-Volvestre), "Rivus Morentini" (Romorantin-Lanthenay) oder "Rivus ferrarius" (Saint-Martin en Vallespir). Rieux-Volvestre liegt etwa 45 km südwestlich von Toulouse. Romorantin-Lanthenay findet sich etwa 80 km östlich von Tours. Saint-Martin en Vallespir (Saint-Martin du Canigou) ist ein ehemaliges (Männer-) Kloster und liegt etwa 55 km westlich von Perpignan.
4) Oder auch: "täuschen, vorgehen gegen".
 

1/42  

Le dix Kalendes d’Apuril1) de faict3) Gotique2)
Am zehnten [Tag vor den] Kalenden des Aprils1) [wird die] gotische2) Tat3)
Resuscité5) encor4) par gens malins:
erneut4) von bösen Leuten wiederbelebt5) [werden].
Le feu estainct, assemblée6) diabolique
Das Feuer [ist] erloschen, [die] teuflische Versammlung6)
Cherchant les or[s]7) du d’Amant8) & Pselyn9).
sucht die Gold[schmuckstücke]7) des Liebhabers8) und [den] Ring9).
1) Lies: "Auril". Hier ist der 23. März gemeint. Wie BRIND’AMOUR, S. 108 - 112, entdeckt hat, hat Nostradamus bei der Formulierung dieses Vierzeilers wohl auf CRINITUS 7,4 (16.12.2008) zurückgegriffen. Dort lesen wir:
"CAPUT IV.

Qui de ingenio daemonum scripserint, ac de Gnosticis et Euchaetis, quibusque sacris daemonem se concipere putarent, digna memoria observatio.

Inter philosophos veteres qui et ingenio clari et doctrina praestiterunt, maxime quidem Academici numerantur. Hi autem de geniis multa ac daemonibus scribentes diligenter observarunt, quo habitu sint, quaque potestate polleant. Nam habere illos vires maximas et in quaque re mira quaedam efficere pro comperto affirmant, quod et Christiani philosophi pari consensu asserunt, ut Psellus, Origenes Adamantius et Augustinus, in eo praesertim libro quem de potestate daemonum composuit. Sed quo pacto, quibusque sacris Euchaetae et Gnostici daemonem se olim concipere dicerent, dignum profecto memoria est, cum inter alia quoque portenta ac prodigia magicae vanitatis id ipsum merito referri possit. Nam divinationis genus quae necromantia dicitur, in hunc modum fieri solitum ab ipsis quidem Gnosticis invenio, qui alio verbo "euchaitai" vocantur. Decimo calendas apriles, quo die Jesus Christus a Judaeo populo cruci affixus est, convenire hi solent cum puellis sibi notis qui gnostici dicuntur. Tum, peractis quibusdam sacris atque luminibus extinctis, simul coitum ineunt vel cum sorore vel cum filia, nec ullam prorsus rationem habent affinitatis. Deinde autem nono mense in eundem locum redeunt puellasque advocant, et natos infantes ab illis accipiunt, eorumque corpus circumcidunt. Tum effluente undique cruore phialas implent, et puerorum simul corpora cremantes cineremque accipientes cruori commiscent, atque eo condimento epulas et pocula clam ubicumque incedant, condiunt. Tum his quidem sacris et alimentis divinos quasi "characteres" in illis imprimi atque infundi existimant, ac ipsa etiam daemonia liberius concipi et felicius retineri. [...]"

"Kapitel IV.

Denkwürdige Betrachtung darüber, was man über die Natur der Dämonen sowie über die Gnostikera), Euchitenb) und über die Kulthandlungen geschrieben hat, bei denen sie glaubten, einen Dämon in sich aufzunehmen.

Unter den alten Philosophen, die sich durch glänzenden Verstand und Gelehrsamkeit auszeichneten, sind besonders die Akademikerc) zu erwähnen. Diese aber, die viel über die Geniend) und Dämonen schrieben, beobachteten sorgfältig deren Verhaltene) und mit welcher Macht jene Einfluss ausüben. Denn sie halten es für sicher, dass jene allergrößte Kräfte haben und in jeder Sache etwas Außerordentliches zustandebringen. Eine Ansicht, der sich auch christliche Philosophen mit gleicher Einmütigkeit anschließen. Christliche Philosophen wie Psellusf), Origenes Adamantiusg) und Augustinush), der Letztgenannte besonders im Buch, das er über die Macht der Dämonen verfasst hat. Aber auf welche Art und Weise und mit welchen Kulthandlungen die Euchiten und Gnostiker einst behaupteten, einen Dämon in sich aufzunehmen, ist wirklich erwähnenswert. Sowie es dieses Unterfangen schon für sich allein genommen verdient, zusammen mit den anderen phantastische Erdichtungen und Ungeheuerlichkeiten der magischen Einbildung, überliefert zu werden. Denn diese im Folgenden dargestellte Art von Wahrsagekunst, Nekromantiei) genannt, war, so lese ich, Brauch bei eben diesen Gnostikern, die mit dem griechischenj) Wort "euchaitai" bezeichnet werden. Am zehnten Tag vor den Kalenden des Aprilsk), dem Tag, an dem Jesus Christus vom jüdischen Volk ans Kreuz geschlagen wurde, pflegen diese Leute, die Gnostiker genannt werden, mit ihnen bekannten Mädchen zusammenzukommen. Dann, nachdem einige Kulthandlungen durchgeführt und die Lichter gelöscht sind, beginnen sie alle gleichzeitig den Beischlaf. Sei es mit der eigenen Schwester oder mit der eigenen Tochter, sie nehmen dabei keinerlei Rücksicht auf Verwandschaftsverhältnisse. Dann aber, neun Monate später, kehren sie an denselben Ort zurück, rufen die Mädchen herbei und lassen sich von diesen die dadurch geborenen Kinder geben. Und deren Körper beschneiden sie dann ringsheruml). Anschließend füllen sie das auf allen Seiten ausfließende Blut in Trinkschalen, verbrennen die Körper und sammeln deren Asche. Mit dieser vermischen sie das Blut, und mit diesem Gewürz würzen siem) heimlich Gerichte und Getränke überall dort, wo sie auftreten. Dann, so glauben sie, würden durch diese Kulthandlungen und Nahrungsmittel gleichsam göttliche Buchstaben in sie eingeprägt und eingeflößt. Und dass so auch die Dämonischenn) unbeschränkter empfangen und erfolgreicher bewahrt werden können. [...]"

a) Sammelbegriff für häretische christliche Gruppierungen in der Antike, die u. a. ein dualistisches Weltbild mit zwei Göttern (einem guten und einem bösen) postulierten.
b) Die Euchiten (u. a. auch Eucheten, Euphemiten, Massalianer oder Messalianer genannt) waren religiöse Gruppierungen im Kleinasien, Syrien und Armenien der Spätantike. Sie ähnelten Mönchsgemeinschaften und vertraten ein Glaubensgut, das gnostischen Ideen nahestand.
c) Mit der "Akademie" ist hier die von Plato im 4. Jh. v. Chr. gegründete Philosophenschule in Athen gemeint, die bis ins 6. Jh. n. Chr. bestand.
d) Die Römer verstanden unter "Genien" Schutzgeister von Menschen oder Orten.
e) Oder: "Beschaffenheit".
f) Michael Psellos (lat. Psellus) (ca. 1017/18 - 1078) war ein byzantinischer Mönch und Gelehrter. Er verfasste u. a. das Werk "De operatione daemonum", eine Klassifizierung der Dämonen (PDF-Download-Link für die englische Übersetzung des Werkes, 17.12.2008).
g) Origenes Adamantius (185 - 253/54) war einer der Kirchenväter und verfasste eine Reihe von Werken.
h) Augustinus von Hippo (354 - 430) war Bischof und der bedeutendste Kirchenvater der abendländischen Kirche. In "De civitate Dei" (dt. "Über den Gottesstaat", 18.12.2008) äußert er sich auch zu den Dämonen. Beim erwähnten Buch über die Macht der Dämonen hat CRINITUS wohl v. a. an das neunte der gesamthaft 22 Bücher von "De civitate Dei" gedacht.
i) Nekromantie ist die Beschwörung von Toten.
j) Im lateinischen Text steht nur "anderen" ("alio").
k) Der zehnte Tag vor den Kalenden des Aprils ist der 23. März.
l) D. h., sie schneiden den Kindern Arme, Beine und den Kopf ab.
m) Oder: "bereiten sie zu".
n) Wahrscheinlich Wesen oder Kräfte.
2) Auch im Sinn von "barbarisch", vgl. CLÉBERT, S. 116f. BRIND’AMOUR, S. 108, korrigiert hier zu "Gnostique" (Gnostisch), was mit Blick auf CRINITUS denkbar ist. Dann hätten wir hier möglicherweise eine religiöse Handlung vor uns. Vgl. aber Anmerkung 9.
3) Hier sollte es wahrscheinlich "le faict" (Tat, Handlung; Untat, Verbrechen u. a.) heißen. "De faict" wäre mit "gewaltsam, mit Gewalt; tatsächlich" zu übersetzen.
4) Oder u. a. auch: "dann".
5) Im Sinne von "erneut durchführen". Falls hier doch eine Person "wiederbelebt" werden sollte, käme dafür wohl v. a. der "Gotische" aus der ersten Zeile infrage. Dann wären die ersten beiden Zeilen aber so zu verstehen: "Am zehnten [Tag vor den Kalenden] des Aprils [wird der] Gotische tatsächlich von bösen Leuten erneut wiederbelebt werden."
6) "Versammlung" im weitesten Sinn, so z. B. auch von "Armee".
7) Unklar. "Les ors" könnten Goldgegenstände (etwa Schmuckstücke) sein, vgl. lat. "aurum". BRIND’AMOUR, S. 108, korrigiert hier zu "les ords" (die Schmutzigen). In späteren Ausgaben steht hier auch "les os" (die Knochen).
8) Lies: "de l’Amant" (des Liebhabers). LE PELLETIER hat hier "du Démon" (des Dämons) verstanden. BRIND’AMOUR, S. 108, korrigiert zu "Adamant" und bezieht die Stelle auf Origenes Adamantius, der bei CRINITUS genannt wird.
9) "Pselyn" dürfte meines Erachtens das griech. "pselion" (Ring; Armband, Armgeschmeide; Spange) meinen (angepasst an das "malins" der zweiten Zeile). Ähnlich wie LE PELLETIER hat auch BRIND’AMOUR den Begriff "Pselyn" naheliegenderweise auf Michael Psellos aus dem Text des CRINITUS bezogen. Es dürfte wohl auch kaum ein bloßer Zufall sein, dass in Nostradamus’ Vierzeiler eine Stelle auftaucht, die in der erwähnten Quelle ganz offensichtlich ihr Vorbild hat ("[de l’]Amant & Pselyn" - "ut Psellus, Origenes Adamantius"). Allerdings sollte man sich hier wie so oft vor zu schnellen Schlüssen hüten und die beiden Stellen einfach gleichsetzen. Vielmehr gilt es im Auge zu behalten, dass unser Seher den Leser nur allzu gerne in die Irre führt. Nostradamus scheint damit gerechnet zu haben, dass man seine Vorlage früher oder später findet. Durch die Wortwahl in seinem Vierzeiler hat er aber dafür gesorgt, dass diese Entdeckung zu mehr Verwirrung als Klarheit führt. So würde sich auch erklären, weshalb in der ersten Zeile wahrscheinlich der Begriff "barbarisch" durch "gotisch" ausgedrückt wird. "Gotisch" eignet sich einfach dazu, den Kenner des CRINITUS-Textes auf die falsche "gnostische" Fährte zu locken (vgl. Anmerkung 2).

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