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Zu den Versen +S/31 bis +S/58

+S/1

Siecle1) nouueau, alliance nouuelle,
[Es kommt ein] neues Jahrhundert1) [und ein] neues Bündnis.
Vn Marquisat2) mis dans la nacelle,
Ein Markgrafentitel2) [wird] in die Barke gebracht.
A qui plus fort des deux l’emportera,
Zu dem, der den Stärkeren der beiden besiegen wird,
D’vn Duc3) d’vn Roy, gallere de Florance,
[wird] vom Herzog3) eines Königs [die] Galeere aus Florenz [kommen].
Port à Marseil, Pucelle dans la France,
[Der] Hafen von Marseille [wird angelaufen], [die] Jungfrau [ist] in Frankreich.
De Catherine4) fort chef on rasera.
Man wird Katharinas4) Hauptfestung schleifen.

1) Oder auch: "Zeitalter".
2) Oder auch: "Markgrafschaft".
3) Oder auch möglich: "Feldherr" (lat. "dux").
4) Hier dürfte die französische Königin Katharina von Medici (1519 -1589) gemeint sein.


Kommentar


1. Zeile
: Ein neues Jahrhundert beginnt und ein neues Bündnis wird geschlossen. Doch zwischen wem?

2. Zeile: Die "Barke" dürfte das Schiff Petri, die Kirche, meinen. Es scheint, als ob ein Markgraf zum Pontifex gemacht wird.

3. und 4. Zeile: Aus der Toskana kommt eine "Galeere" (ein Kriegs- oder Handelsschiff) zu jemandem, der den Stärkeren eines Paares besiegt hat. Doch wer das ist, erfahren wir nicht.

5. Zeile: Wer läuft hier den Hafen von Marseille an? Die Galeere aus der Toskana? Oder das Schiff Petri? Dazu würde die "Jungfrau (Maria) in Frankreich" passen. In diesem Fall könnte damit gemeint sein, daß der Sitz der Kirche von Rom nach Frankreich verlegt wird, so wie es schon einmal von 1309 bis 1376 der Fall war (Papstsitz Avignon).

6. Zeile: Unklar, wer hier welche Festung schleifen wird. Sollte von Paris die Rede sein?

 
Wir können nur auf Begleitverse warten.


+S/2

Que d’or d’argent fera despendre,
Wieviel Gold [und wieviel] Silber wird [man] ausgeben lassen,
Quand Comte voudra Ville prendre,
wenn [der] Graf [die] Stadt wird einnehmen wollen.
Tant de mille & mille soldats,1)
So viele tausende und aber tausende Soldaten [werden]1)
Tuez, noyez, sans y rien faire,
getötet [und] ertränkt, ohne dort etwas zu tun.
Dans plus forte mettra pied terre,
In [ein] stärkeres Land wird [er seinen] Fuß setzen.
Pigmée2) ayde des Censuarts3).
[Die] Pygmäen2) [bekommen] Hilfe von den Pächtern3).

1) Etwas frei übersetzt.
2) Lat. "Pygmaei". Die Pygmäen waren im antiken Mythos ein Zwergenvolk, das am Rande des Okeanos, in Ägypten, Äthiopien und Indien lebte.
3) Nach LE PELLETIER. Hier könnte ein Wortspiel dahinterstecken: lat. "colonus" = "Pächter", "Colonus" = antikes Volk nördlich von Athen. Hier würden demnach Griechen den Pygmäen zu Hilfe eilen.

 
Kommentar

 
1. bis 4. Zeile: Hier könnte vielleicht beschrieben sein, daß ein Graf eine reiche Stadt belagert und dabei viele Soldaten sinnlos ihr Leben verlieren. Sinnlos, weil sich der Graf von der Stadt nach langer Belagerung dafür bezahlen läßt abzuziehen.

5. Zeile: Hier dürfte wieder vom Grafen die Rede sein, der sich ein neues Ziel sucht. Es handelt sich dabei um ein "starkes Land".

6. Zeile: Sind die "Pygmäen" (Ägypten? Äthiopien?) das neue Ziel des Grafen? Werden die Angegriffenen von Griechen unterstützt, vgl. Anmerkung 3)?

 
Ohne Begleitverse müssen wir diesen Sechszeiler einstweilen so stehen lassen.

 
+S/3

La Ville sans dessus dessous1),
Die Stadt ohne Herrschaft1) über [sich]
Renuersée de mille coups
[wird] besiegt von tausend Schüssen
De canons: & forts dessous terre:2)
aus Kanonen. Und [auch die] Festungen unter [der] Erde.2)
Cinq ans tiendra: le tout remis,
Fünf Jahre wird [sie] standhalten. Die gesamte Bevölkerung [wird dann] ausgeliefert
Et lasche à ses ennemis,
und ihren Feinden überlassen.
L’eau leur fera apres la guerre.
Das Wasser wird sie nachher bekriegen.

1) Im Mittelfranzösischen kann "dessous" (unten, unterhalb) auch ein Herrschaftsverhältnis, eine Herrschaft meinen.
2) Oder auch: "Und [von] Festungen unter [der] Erde". Dann würden diese "Festungen" zum Fall der Stadt beitragen.

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile
: Eine freie Stadt (Reichsstadt?) wird sturmreif geschossen. Mit ihr fallen unterirdische Festungen, vgl. aber Anmerkung 2).

4. und 5. Zeile: Nach fünf Jahren Belagerung wird die Stadt sich ergeben und alle Einwohner dem Feind überlassen.

6. Zeile: Später wird die Stadt von einer Hochwasserkatastrophe heimgesucht.

 
Ein verständliches Geschehen, zu dem uns aber die Begleitverse fehlen.

 
+S/4

D’vn rond1), d’vn lis2), naistra vn si grand Prince,
Aus einem Unbescholtenen1), aus einer Lilie2) wird ein sehr großer Fürst geboren werden.
Bien tost, & tard venu dans sa Prouince3),
Sehr früh und spät [wird er] in sein Land3) gekommen [sein],
Saturne en Libra en exaltation:
[wenn] Saturn in [der] Waage in der Höhe [ist].
Maison4) de Venus en descroissante force,
[Das] Haus4) der Venus [wird unter] schwindender Kraft [leiden].
Dame en apres masculin soubs l’escorse,
[Die] Dame [wird] danach unter der Schale männlich [sein müssen],
Pour maintenir l’heureux sang de Bourbon.
um das glückliche Blut von Bourbon zu erhalten.

1) Im Mittelfranzösischen bedeutet "rond" neben "rund" usw. auch "integer, unbescholten; vollkommen" u.a.
2) Die Lilie ist das Wappen der Bourbonen.
3) Das mittelfranzösische "prouince" bedeutet neben "Provinz" auch "Staat, Land" sowie "Königreich". Nostradamus könnte aber auch das lat. "provincia" meinen, das ursprünglich "Amt, Wirkungskreis; Oberbefehl" usw. bedeutete. Dann wäre hier einfach der Beginn der Königsherrschaft gemeint.
4) Auch im Sinne von "Königreich, Machtbereich; Familie".

 
Kommentar


Dieser Vers gehört zu 5/38.


1. Zeile
: Ein großer Fürst, ein Bourbone wird geboren. Hier muß wieder einmal in Erinnerung gerufen werden, daß "groß" bei Nostradamus nicht unbedingt "moralisch integer" sondern v.a. "historisch bedeutsam" heißt. Der "Unbescholtene" und die "Lilie" könnten den Vater des Fürsten meinen.

2. Zeile: Unklar. Tritt der "große Fürst" vielleicht sehr jung, aber in einer heiklen politischen Situation die Herrschaft an (vgl. Anmerkung 3))?

3. Zeile: Hier könnte Verschiedenes gemeint sein. Entweder eine astronomische Konstellation, oder die Lage im Nahen Osten. Im zweiten Fall würde der Saturn den Juden entsprechen, die den Samstag (lat. "dies Saturni") feiern und die Waage nach astrologischer Tradition Ägypten und Äthiopien (damit wurden in der Antike verschiedene Gebiete im nordöstlichen Afrika bezeichnet). Sollte hier, wie ich vermute, vom Nahen Osten die Rede sein, hätten die Juden/Israel wohl einen Sieg in Nordostafrika zu verzeichnen.

4. Zeile: Ich denke, hier könnte Nostradamus nicht nur zweierlei meinen, sondern er tut es tatsächlich. Das "Haus der Venus" dürfte einerseits den Islam bzw. seinen Machtbereich meinen (der Islam feiert den Freitag, den "dies Veneris"), der hier (gegen die Juden) eine Niederlage einstecken muß. Zum anderen spielt unser Seher wohl auf Vorgänge im Hause Bourbon an. In 5/38 schreibt Nostradamus nämlich über diesen großen Bourbonen aus der ersten Zeile, daß er ein "rechtswidriges und schlüpfriges" Leben führen wird. Hier erfahren wir, daß sich dies negativ auf seine gesamte Familie auswirken wird, weshalb sie hier als "Haus der Venus", d.h. Haus der Unzucht, bezeichnet wird (lat. "venerius" = "geschlechtlich, sinnlich, unzüchtig"). Die Umtriebe des Fürsten schwächen das Haus Bourbon.

5. und 6. Zeile: Doch das Haus Bourbon hat Glück. Es geschieht etwas, was in der französischen Königsherrschaft eigentlich unmöglich ist. In 5/38 erfahren, wir, daß das Salische Gesetz, das einer Frau verwehrt, französische Königin zu werden, fallen wird. Und im vorliegenden Sechszeiler scheint tatsächlich eine Frau die Dynastie Bourbon auf dem Thron zu halten. Allerdings scheint sie unter ihrer weiblichen Haut (Schale) einen männlichen "Kern" herausbilden zu müssen, um Erfolg haben zu können. Das dürfte wohl heißen, sie wird hart, vielleicht sogar brutal zu regieren haben. Wir erfahren leider nicht, wer diese Dame ist. Vielleicht eine Schwester oder Tochter des unzüchtigen Fürsten?

 
Wir haben hier Zukünftiges vor uns.


+S/5

Celuy qui la Principauté1),
Derjenige, der das Fürstentum1)
Tiendra2) par grande cruauté,
mit großer Grausamkeit regieren wird2),
A la fin3) verra grand phalange4):
wird am Ende3) [ein] großes Heer4) sehen.
Par coup de feu tres dangereux,
Mit [seinem] Schuß [ist er] sehr gefährlich.
Par accord pourroit5) faire mieux,
Mit [einem] Abkommen könnte [es5)] besser fahren.
Autrement boira suc d’Orange6).
Sonst wird [es] Orangensaft6) trinken.

1) Oder auch: "Fürstenwürde".
2) Oder auch: "besetzen wird".
3) Auch möglich: "an der Grenze".
4) Lat. "phalanx" (u.a. Heer).
5) Vom Sprachlichen her könnte aber auch vom grausamen Fürsten die Rede sein.
6) Ein Wortspiel. Orange ist eine Stadt in Südfrankreich nahe der Flüsse Rhone und Eygues nördlich von Avignon. Hier könnte gemeint sein, daß das Heer in einem dieser Flüsse nahe Orange "ertrinken" wird und so im übertragenen Sinn "Orangensaft" zu kosten hat.

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile
: Ein grausamer Fürst wird "am Ende", vielleicht kurz vor seinem Tod oder auch an den Grenzen seines Fürstentums (vgl. Anmerkung 3)), ein großes Heer erblicken.

4. Zeile: Der Fürst scheint militärisch sehr beschlagen zu sein, sein "Schuß" ist gefährlich.

5. und 6. Zeile: Nostradamus rät dem Heer zu verhandeln, sonst könnte es eine Niederlage einstecken. Das ganze Geschehen scheint sich in Südfrankreich zuzutragen, vgl. Anmerkung 6).

 
Wir bräuchten Begleitverse, um mehr sagen zu können.

+S/6

Quand de Robin1) la traistreuse entreprise,
Wenn das verräterische Vorhaben von "Robin"1)
Mettra Seigneurs & en peine vn grand Prince,
Feudalherren und einen großen Fürsten ins Elend stürzen wird,
Sceu par la Fin, chef on luy tranchera:
[wird] am Ende bekannt, [daß] man ihm [den] Kopf abschlagen wird.
La plume au vent,2) amye dans Espagne,
Die Feder [ist] im Wind2) [und die] Freundin in Spanien.
Poste attrappé estant dans la campagne,
[Der] Bote [wird] auf dem Land abgefangen,
Et l’escriuain dans l’eauë se jettera.
und der Verfasser wird sich ins Wasser stürzen.

1) Der Eigenname "Robin" kann im Mittelfranzösischen auch einen anmaßenden Emporkömmling bäuerlicher Herkunft oder eine Person ohne Ansehen bezeichnen.
2) Es gibt im Mittelfranzösischen die Wendung "mettre la plume au vent". Das bedeutet, sich dazu zu entscheiden, ein Abenteuer einzugehen (wörtlich: "die Feder in den Wind zu halten").

 
Kommentar


 1. bis 3. Zeile: Ein gewisser "Robin" (ein Emporkömmling?) führt in verräterischer Absicht ein Unternehmen durch, das die (feudalistische) politische Ordnung in seinem Land (Frankreich?) schwer schädigen wird. Am Ende wird jemand seinen Kopf verlieren. Doch wer? "Robin" oder vielleicht der "große Fürst" aus der zweiten Zeile?

4. bis 6. Zeile: Es könnte hier darum gehen, daß ein Franzose, der eine Botschaft an seine Freundin in Spanien geschrieben hat ("Verfasser"), sich selbst den Tod gibt, weil der Überbringer der Botschaft abgefangen wurde. Und diese Botschaft oder die Beziehung zu seiner Freundin scheinen ein großes Wagnis gewesen zu sein (er hat "die Feder in den Wind halten"). Man muß hier noch darauf hinweisen, daß nicht unbedingt von einer gescheiterten Romanze die Rede sein muß. Die "Freundin" in Spanien könnte z.B. eine befreundete Macht meinen, die in Spanien steht und der Franzose könnte z.B. mit dem "großen Fürsten" aus der zweiten Zeile identisch sein, der aus Spanien Hilfe anfordert.

 
Wie auch immer, wir brauchen jedenfalls Begleitverse, um diesen Sechszeiler einordnen zu können.


+S/7

La sangsuë au loup se ioindra,
Der Blutegel wird sich mit dem Wolf vereinen,
Lorsqu’en mer le bled1) defaudra,
wenn auf dem Meer der Weizen1) fehlen wird.
Mais le grand Prince sans enuie2),
Aber der große Fürst ohne Neid2)
Par ambassade luy donra
wird ihm durch [eine] Gesandtschaft
De son bled pour luy donner vie,
von seinem Weizen [geben], um ihm [das] Leben zu schenken.
Pour vn besoin s’en pouruoira.
Auf eine Notsitutation wird [er] sich damit vorbereiten.

1) Oder überhaupt "Getreide".
2) Oder auch: "Haß".

 
Kommentar


1. und 2. Zeile
: Der Handel mit Weizen oder Getreide ist (auf dem Mittelmeer?) zum Erliegen gekommen. Da verbünden sich der "Wolf" und der "Blutegel", zwei noch nicht identifizierte Mächte. Es wäre möglich, daß sich der "Blutegel" auf Kosten des "Wolfes" erhält, daß er ihm also "Blut abzapft". Wir hätten dann ein parasitäres Verhältnis vor uns.

3. bis 5. Zeile: Ein "großer Fürst" scheint hier einem der beiden ohne Neid oder Haß mit Weizenlieferungen das Überleben zu sichern. Ist dabei vom "Lieferanten" die Rede, der in anderen Sechszeilern auftaucht?

6. Zeile: Wer bereitet sich hier mit dem Getreide auf eine Notsituation vor? Vielleicht der "große Fürst", der mit dieser Hilfeleistung den "Blutegel" oder den "Wolf" für kommende Krisen zur Hilfe verpflichten will? Das würde zu 4/15 passen, wo jemand mit "zynischem Geiz" einem anderen Öl und Weizen liefert, um wahrscheinlich eine dritte Partei auszuschalten. Auf den vorliegenden Vers übertragen würde dann die Unterstützung des "großen Fürsten" vielleicht den Zweck haben, das Bündnis zwischen "Blutegel" und "Wolf" zu sprengen.

 
Dieser Sechszeiler könnte zu 4/15 gehören.

 
+S/8

Vn peu deuant l’ouuert1) commerce,
Kurz vor dem offenen1) Handel
Ambassadeur viendra de Perse,
wird [ein] Gesandter aus Persien kommen,
Nouuelle au franc2) pays porter:
[um eine] Botschaft ins fränkische2) Land [zu] bringen.
Mais non receu, vaine esperance,
Aber [er wird] nicht empfangen [werden], [die] Hoffnung [wird] vergeblich [sein].
A son grand Dieu sera l’offance,
Seinem großen Gott wird [die] Beleidigung gelten,
Feignant de le vouloir quitter.
[indem er] vortäuscht, ihn verlassen zu wollen.

1) Im Sinne von "öffentlich, offengelegt" wie auch von "ehrlich".
2) Das ist Frankreich. Auch möglich: "freies Land".

 
Kommentar


1. bis 4. Zeile
: Kurz vor dem "offenen Handel" wird ein persischer Gesandter nach Frankreich kommen, um eine Botschaft zu überbringen. Doch er wird nicht vorgelassen, seine Hoffnungen auf einen erfolgreichen Abschluß seines Auftrages sind vergebens.

5. und 6. Zeile: Hier könnte beschrieben sein, wie der Perser zum Schein seinen islamischen Glauben aufgibt. Vielleicht versucht er mit dieser extremen Maßnahme doch noch vorgelassen zu werden, um seine Botschaft überbringen zu können? Sein "großer Gott" ist möglicherweise eine Anspielung auf das arabische "Allahu akbar" (Gott ist groß).

 
Es dürfte sich hier um Zukünftiges handeln, zu dessen Verständnis wir aber noch Begleitverse brauchen.


+S/9

Deux estendars du costé de l’Auuergne1),
Zwei Standarten [werden] von der Seite der Auvergne1) [kommen].
Senestre pris, pour un temps prison regne,2)
[Die] Linke [wird] ergriffen, [und] für eine Zeit beherrscht [sie das] Gefängnis.2)
Et vne Dame enfans voudra mener,
Und eine Dame wird [die] Kinder führen wollen,
Au Censuart3) mais descouuert l’affaire,
[und zwar] zum Pächter3), aber die Sache [wird] entdeckt.
Danger de mort murmure4) sur la terre5),
Todesgefahr [und] Streit4) [herrschen] im Land5).
Germain6), Bastille7) frere & sœur prisonnier.
[In] Saint-Germain-en-Laye6), [in der] Festung7), [sind] Bruder und Schwester gefangen.

1) Ehemalige französische Provinz im Massif Central.
2) Oder: "... für eine Zeit herrscht [das] Gefängnis".
3) Nach LE PELLETIER.
4) Oder auch: "Unruhe".
5) Oder natürlich auch: "auf der Erde".
6) Hier gäbe es auch andere Möglichkeiten. "Germain" kann nämlich auch als "Bruder" oder "Germane" übersetzt werden, was im letzteren Fall wohl ein Hinweis auf einen Deutschen oder Deutschland wäre. Sollte aber, wie ich vermutet habe, mit "Germain" ein Ortsname gemeint sein, gäbe es in Frankreich eine Reihe von Alternativen, da etliche Städte und Dörfer "Saint-Germain" heißen oder einen Bezug zu gleichnamigen französischen Heiligen aufweisen (Auxerre, Autun, Paris). Saint-Germain-en-Laye liegt einige Kilometer westlich von Paris. Dort steht auch ein bedeutendes königliches Schloß.
7) Das mittelfranzösische "bastille" bezeichnet einfach einen militärischen Festungsbau. Die am 14. Juli 1789 gestürmte Bastille in Paris stand zwar schon zu Zeiten des Nostradamus, ist hier aber wohl nicht gemeint.

 
Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ohne Zusammenhang ist nicht zu klären, worum es hier geht und wer mit den beiden "Standarten" gemeint ist.

5. Zeile: Zu dieser Zeit scheinen aber in Frankreich schwierige und gefährliche Verhältnisse zu herrschen. Wahrscheinlich ein Krieg oder Bürgerkrieg.

3., 4. und 6. Zeile: Es könnte hier darum gehen, daß eine Dame zwei Königskinder (Schwester und Bruder) aus einer gefährlichen Situation (Gefangenschaft?) heimlich wegschaffen und zu einem einfachen Bauern (Pächter) in Sicherheit bringen will. Doch der Plan mißlingt, und die beiden Kinder werden im Königsschloß von Saint-Germain-en-Laye inhaftiert.


Ohne Begleitverse müssen wir diesen Sechszeiler einstweilen so stehen lassen.

+S/10

Ambassadeur pour vne Dame,
[Ein] Gesandter [wird] wegen einer Dame
A son vaisseau mettra la rame,
an seinem Schiff das Ruder anbringen,
Pour prier le grand medecin:
um den großen Arzt zu bitten,
Que de l’1)oster de telle peine,
daß [er] sie1) von [einem] solchem Leiden befreien [möge].
Mais en ce s’opposera Royne,
Aber diesem wird sich [die] Königin widersetzen.
Grand peine auant qu’en veoir la fin.
Großes Leiden [wird sie noch zu ertragen haben,] bevor das Ende davon [zu] sehen [sein wird].

1) Oder auch: "ihn".

 
Kommentar


1. bis 4. Zeile
: Ein Gesandter bricht per Schiff auf, um einen großen Arzt zu bitten, eine Dame (wohl die Königin der fünften Zeile) von ihrer schweren Krankheit zu befreien.

5. Zeile: Doch die Königin scheint sich gegen den Arzt zu sträuben. Das legt die Vermutung nahe, daß der Gesandte aus der ersten Zeile aus eigener Initiative aufgebrochen ist. Man könnte sich noch fragen, weshalb eine schwerkranke Frau einen Arzt ablehnt. In früheren Zeiten waren oft Juden Ärzte. Vielleicht ist dies auch hier der Fall und der Grund für die Ablehnung?

6. Zeile: Die Königin noch wird viel zu leiden haben. Leider erfahren wir aber nicht, ob die Krankheit mit dem Tod endet oder ob sie nicht doch vielleicht den Arzt akzeptiert, der ihr helfen kann.

Ohne Begleitverse läßt sich dieser Sechszeiler nicht einordnen.


+S/11 (2158/59 n. Chr.)

Durant le siecle1) on verra deux ruisseaux,
Während des Jahrhunderts1) wird man zwei Bäche sehen,
Tout vn terroir inonder de leurs eaux,
[wie sie] ein ganzes Land mit ihren Wassern überschwemmen
Et submerger par ruisseaux et fontaines:
und mit [ihren] Bachläufen und Quellen unter Wasser setzen.
Coups & Monfrin Beccoyran, & ales,2)
"Coups" und Montfrin, "Beccoyran" und Alès2)
Par le gardon3) bien souuant trauaillez,
[werden] vom Gard3) sehr häufig gequält.
Six cens & quatre4) alez5), & trente moines.
[Im Jahr] 6044) [sind sie] getrennt5) und dreißig Mönche [auch].

1) Oder einfach eines längeren Zeitraums.
2) Hier werden vier Ortsnamen erwähnt, zwei verschleiert und zwei unverschleiert. Montfrin liegt am Gard, wenige Kilometer nördlich vom südfranzösischen Beaucaire. Alès liegt in der gleichen Region, etwa 40 km nordwestlich von Nîmes. "Coups" (wörtlich "Schläge, Hiebe, Stöße...") und "Beccoyran" sind noch ungeklärt, müssen aber wohl Örtlichkeiten in der beschriebenen südfranzösischen Region meinen. In "Beccoyran" könnte das mittelfranzösische "bec" (u.a. Zusammenfluß) und vielleicht das lat. "coire" (u.a. zusammentreffen) stecken. In diesem Fall könnte damit z.B. der Zusammenfluß des Gard d’Alès und des Gard d’Anduze zum "eigentlichen" Gard gemeint sein (einige Kilometer südlich von Alès). Oder auch das Zusammentreffen des Gard mit der Rhone (nördlich von Beaucaire). Für die letztere Annahme würde die sprachliche Ähnlichkeit von "Beccoyran" und Beaucaire sprechen.
3) Der Gard oder Gardon entspringt in den Cevennen und mündet in der Nähe von Beaucaire in die Rhone.
4) Wie aus den nachfolgenden Sechszeilern hervorgeht, sind hier Jahreszahlen gemeint. Nach Nostradamus’ Zeitrechnung entspräche "604" unserem 2158/59 n.Chr.
5) Nach LE PELLETIER vom provenzalischen "alé" (u.a. getrennt).

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile
: Die beiden Bäche meinen wohl die beiden Quellflüsse, die sich zum Gard vereinen. Während einer langen Zeit werden sie (als Gard) die Region bei Nîmes überschwemmen.

4. und 5. Zeile: Es handelt sich dabei aber nicht um eine permanente Überschwemmung sondern um eine langandauernde Serie von Überflutungen.

6. Zeile: Im Jahr 2158/59 scheint sich eine besonders schwere Überschwemmungskatastrophe zu ereignen, die die verschiedenen Städte und Lokalitäten voneinander abschneidet. Doch was bedeutet der Hinweis auf die dreißig Mönche? Wird hier auf ein bestimmtes Kloster dieser Region angespielt?

 
Dieser Vers gehört wohl zu 9/9 und 10/6, wo eine verheerende Überschwemmung von Nîmes vorhergesagt wird.

+S/12 (2159/60 n. Chr.)

Six cens & cinq1) tres grand’ nouuelle,
[Im Jahr] 6051) [gibt es eine] sehr große Neuigkeit.
De deux Seigneurs la grand querelle,
Der große Streit zweier Herren
Proche de Genaudan2) sera,
wird nahe von Gévaudan2) stattfinden.
A vne Eglise apres l’offrande3)
Bei einer Kirche wird nach der Opfergabe3)
Meurtre commis, prestre demande
[ein] Mord begangen. [Der] Priester bittet [um Verschonung und]
Tremblant de peur se sauuera.
wird, zitternd vor Angst, fliehen.

1) D.h. 2159/60 n.Chr.
2) Ehemalige südfranzösische Grafschaft nordwestlich von Mende im Departement Lozère. Hier liegt übrigens wieder ein Setzfehler vor, es sollte im Original "Geuaudan" heißen.
3) Oder auch: "Angebot".

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile
: Inhaltlich verständlich.

4. bis 6. Zeile: Ist der hier beschriebene Mord mit dem Streit der Herren aus der zweiten Zeile identisch? Jedenfalls scheint ein Priester Zeuge der Mordtat zu werden. Als man ihn beseitigen will, bittet er um sein Leben und scheint damit Erfolg zu haben.

 
Wir bräuchten Begleitverse, um mehr sagen zu können.

+S/13 (2160/61 oder 2163/64 n. Chr.)

L‘auanturier six cens & six ou neuf1),
Der Abenteurer [wird im Jahr] 606 oder [60]91)
Sera surpris par fiel2) mis dans vn œuf,
überrascht von [der] Galle2), [die] in ein Ei getan wurde.
Et peu apres sera hors de puissance
Und wenig später wird [er] von [der] Macht entfernt werden
Par le puissant Empereur general3)
durch den mächtigen universellen3) Kaiser,
Qu’au monde n’est vn pareil ny esgal,4)
der auf der Welt nicht seinesgleichen hat4)
Dont vn chascun luy rend obeïssance.
wo ihm ein jeder Gehorsam entgegenbringt.

1) D.h. 2160/61 oder 2163/64 n.Chr.
2) Auch im übertragenen Sinne wie "Bitterkeit".
3) D.h. dieser Kaiser beherrscht die "ganze Welt", wenigstens die ganze christlich-abendländische Welt.
4) Sinngemäß übersetzt.

 
Kommentar

1. und 2. Zeile: Hier dürfte wieder ein Wortspiel vorliegen. "In einem Ei", lat. "in ovo", soll wohl auf das lat. "ovo" (u.a. ich juble) verweisen. Dann müßten diese beiden ersten Zeilen etwa beschreiben, daß ein politischer Abenteurer im Zeitraum zwischen 2160 und 2164 als Herrscher zwar noch bejubelt wird, er aber schon merkt, daß sich seine Zeit dem Ende zuneigt. Es mischt sich schon Bitterkeit in den Jubel.

3. bis 6. Zeile: Wenig später wird der Abenteurer von der Macht entfernt. Und zwar von diesem einzigartigen Kaiser, dem die die ganze Welt gehorcht. Damit könnte "Chyren" gemeint sein.
 

+S/14 (2159/60 n. Chr.)

Au grand siege1) encor grands forfaits,
Beim großen Sitz1) [geschehen] erneut große Verbrechen.
Recommançans plus que iamais
[Sie] beginnen von neuem [und sind] schlimmer als je zuvor.
Six cens & cinq2) sur la verdure,
[Im Jahr] 6052) im Frühling
La prise3) & reprise sera,
werden Gefangennahme3) und Tadel folgen.
Soldats és champs iusqu’en froidure
[Die] Soldaten in den Feldern [bleiben] bis in den Winter,
Puis apres recommencera.
danach wird [es] von neuem beginnen.

1) Auch: "Thron, Tagung, Belagerungsarmee" u.a.
2) D.h. 2159/60 n.Chr.
3) Oder z.B. auch: "Erstürmung".

 
Kommentar


1. und 2. Zeile
: Es hängt alles davon ab, was hier mit dem "großen Sitz" gemeint ist. Vielleicht der Papstsitz ("le Saint Siege")? Dann stellte sich noch die Frage, wer die großen Verbrechen begeht. Die Feinde der Kirche?

3. und 4. Zeile: Wird im Frühling 2159 ein Papst gefangen und angeklagt? Wenn ja, von wem und warum?

5. und 6. Zeile: Unklar. Sind mit den "Soldaten" die Truppen der Leute gemeint, die (vielleicht) den Papst gefangennehmen? Was beginnt im Winter von neuem? Ein Krieg?

 
Wir bräuchten Begleitverse, um mehr sagen zu können.

+S/15

Nouueau esleu patron du grand vaisseau,1)
[Der] neugewählte Chef des großen Schiffes1)
Verra long temps briller le cler flambeau2)
wird lange Zeit die helle Flamme2) scheinen sehen,
Qui sert de lampe3) à ce grand territoire4),
die als Lampe3) diesem großen Gebiet4) dient.
Et auquel temps armez5) sous son nom,
Und [zwar in der] Zeit, in der [die] Waffen5) unter seinem Namen
Ioinctes à celles de l’heureux de Bourbon
vereint [sein werden] mit denen des Glücklichen von Bourbon.
Leuant, Ponant6), & Couchant sa memoire.
[Das] Morgenland, [der] Westen6) und [das] Abendland [werden] sein Andenken [bewahren].

1) Das ist der Papst, der Chef von Petri Fischerboot, der Kirche.
2) Wohl im übertragenen Sinne, vgl. lat. "flamma" (u.a. Licht, Glanz).
3) Wohl im übertragenen Sinne, vgl. lat. "lumen" (u.a. Lampe; Zierde, Vorbild).
4) Auch: "Land". Mit diesem "großen Gebiet/Land" dürfte Frankreich gemeint sein, das bei Nostradamus öfters in ähnlicher Weise bezeichnet wird.
5) Es sollte hier wohl "armes" heißen. "Armes" kann zudem u.a. "Wappen" bedeuten.
6) Möglicherweise eine Anspielung auf das mittelfranzösische "la mer de Ponant" (der Atlantik, als Gegenstück zum Mittelmeer). Dann würde die Zeile aussagen, daß man sich im ganzen mediterranen Bereich (Abendland und Morgenland) aber auch jenseits davon (Atlantik, britische Inseln, Amerika) lange an diesen Bourbonen erinnern wird.

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile
: Hier ist von einem neugewählten Papst die Rede, der während langer Zeit die Herrschaft eines französischen Herrschers miterlebt, der eine Zierde für sein Land ist.

4. bis 5. Zeile: Nostradamus nennt diesen Franzosen den "Glücklichen von Bourbon". Er scheint einen Bund mit dem Papst geschlossen zu haben.

6. Zeile: Die ganze Welt wird sich noch lange an den Bourbonen (oder auch den Papst) erinnern. Diese letzte Zeile würde zu "Chyren" passen, dem ebenfalls langanhaltender Ruhm prophezeit wird (vgl. z.B. 6/70).

+S/16 (2159/60 und 2160/61 n. Chr.)

En Octobre six cens & cinq1).
Im Oktober [des Jahres] 6051)
Pouruoyeur du monstre marin,
[wird der] Lieferant des Seeungetüms
Prendra du souuerain le cresme,
das Salböl des Herrschers ergreifen.
Ou en six cens & six2), en Iuin,
Dann, im [Jahr] 6062), im Juni,
Grand’ ioye aux grands & au commun,
[gibt es eine] große Freude für die Großen und das einfache Volk.
Grands faits apres ce grand baptesme.
Große Taten [werden] nach dieser großen Taufe [folgen].

1) D.h. 2159/60 n.Chr.
2) D.h. 2160/61 n.Chr.

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile
: In 5/88 ist ebenfalls von einem "Seeungetüm" die Rede. Und zwar in Zusammenhang mit Vorgängen in Nordwestitalien. Es ist allerdings nicht klar, ob diese beiden Verse deswegen eine Einheit bilden. Hier scheint sich der "Lieferant" des Seeungetüms unrechtmäßig zum Herrscher über ein christliches Land zu machen. Unrechtmäßig, da er gar kein Christ ist.

4. und 5. Zeile: Doch im folgenden Jahr bekehrt er sich zum christlichen Glauben, was es nun seinen Untertanen, den Großen wie dem einfachen Volk, erheblich erleichtert, ihn als Herrscher anzuerkennen.

6. Zeile: Nach dieser Taufe, einem bedeutenden Ereignis, wird der Herrscher zusammen mit seinen Untertanen Großes vollbringen. Was, das erfahren wir leider nicht.

 
Wir bräuchten Begleitverse, um mehr sagen zu können.
 

+S/17

Au mesme temps vn grand endurera,
Zur gleichen Zeit wird ein Großer leiden.
Ioyeux1) mal sain, l’an complet ne verra,
[Der] kranke Fröhliche1) wird das vollendete Jahr nicht sehen.
Et quelques vns qui seront de la feste,
Und [auch] einige [nicht], die von der Feier kommen werden.
Feste pour vn seulement, à ce iour,
[Es ist eine] Feier für einen bloß, an diesem Tag.
Mais peu apres sans faire long seiour,
Doch wenig später, ohne lange innezuhalten,
Deux se donront l’vn à l’autre de la teste.2)
werden zwei es sich, der eine dem anderen, mit dem Kopf geben.2)

1) Hier könnte auf den lat. Namen Hilarius (hilarus = fröhlich, heiter) angespielt werden. Als historische Vorbilder kämen dann zwei Kirchenmänner gleichen Namens in Frage. Der Heilige Hilarius (ca. 315 - 367), Bischof von Poitiers und Hauptwidersacher der Arianer im Westen und der heilige Papst Hilarius (461 - 468) aus Sardinien.
2) D.h. die beiden scheinen sich (wohl im übertragenen Sinne) mit ihren Köpfen zu schlagen, vgl. auch LEONI.

 
Kommentar


1. und 2. Zeile
: Ich vermute, es geht hier um einen Papst, der entweder Hilarius heißt oder mit einem Hilarius aus der Geschichte etwas gemein hat. Dieser Papst scheint krank zu sein und an seiner Krankheit auch zu sterben.

3. und 4. Zeile: Nach seinem Ableben wird ein neuer Papst gewählt und feierlich eingesetzt ("Feier"). Doch es liegt ein Konflikt in der Luft. Ein Konflikt, dem noch im gleichen Jahr einige der Gäste zum Opfer fallen werden, die an der Amtseinsetzung des neuen Papstes teilgenommen haben (wohl hohe kirchliche oder auch weltliche Würdenträger).

5. und 6. Zeile: Kurz nach der Amtseinsetzung des neuen Papstes bricht der Konflikt aus. Leider erfahren wir nicht, ob es sich z.B. um einen weltlichen oder innerkirchlichen Konflikt handelt.

+S/18 (2159/60 n. Chr.)

Considerant la triste Philomelle1)
Die unglückliche Philomela1) betrachtend,
Qu’en pleurs & cris sa peine renouuelle,
was unter Tränen und Gejammer ihr Leiden erneuert
Racoursissant par tel moyen ses iours,
[und] womit [sie] ihre Tage verkürzt,
Six cens & cinq,2) elle en verra l’issuë,
wird sie [im Jahr] 6052) darin das Ende erblicken.
De son tourment, ia la toille tissuë3),
[Das Ende] von ihrem Schmerz. Der Stoff [ist] schon bestickt3).
Par son moyen senestre aura secours.4)
Dadurch wird [sie] unheilvolle Hilfe erhalten.4)

1) Philomela ist eine sagenhafte athenische Königstochter. Sie wurde von ihrem Schwager Tereus vergewaltigt, der ihr nach der Schandtat auch noch die Zunge abschnitt, um sie zum Schweigen zu bringen. Doch Philomela teilte ihrer Schwester Prokne (der Frau des Tereus) ihr schreckliches Geheimnis dennoch mit. Und zwar in der Form, daß sie es auf einen Wandteppich stickte. Die beiden Frauen rächten sich an Tereus, indem sie ihm seinen eigenen Sohn Itys zum Essen vorsetzten. Vor der anschließenden Verfolgung durch Tereus retteten sich die Schwestern zu den Göttern, die Philomela in eine Nachtigall, Prokne in eine Schwalbe und den Tereus in einen Wiedehopf verwandelten. Im übertragenen Sinne kann das lat. "Philomela" denn auch Nachtigall bedeuten.
2) D.h. 2159/60 n.Chr.
3) Oder auch nur: "gewoben".
4) Zum Satzbau siehe LE PELLETIER und LEONI.

 
Kommentar


4. und 5. Zeile
: Im Jahr 2159/60 erblickt eine weibliche Person (oder eine derart umschriebene Institution oder Gruppe) die Möglichkeit, ihren "Schmerz" zu beenden.

1. bis 3. Zeile: Diese Person scheint sich in einer ähnlichen Lage zu befinden wie einst Philomela. Es wurde ihr (sinnbildlich?) Gewalt angetan und ihr die Möglichkeit genommen, dies anderen mitzuteilen. Als Zeitvertreib scheint diese Person antike Sagen und Mythen zu lesen. Dies ist ein interessantes Detail. Vielleicht kann diese Person im Moment gar nichts anderes tun als die Zeit totschlagen? Das könnte man dann aber dahingehend deuten, daß sie möglicherweise in einem Gefängnis sitzt, und in diesem Fall wäre die "angetane Gewalt" schnell identifiziert; wir hätten dann nämlich eine ungerechtfertigte Haft vor uns. Eine Haft, bei der es der gefangenen Person nicht möglich ist, irgendeinen Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Durch die Lektüre der antiken Erzählung von Philomela wird der Schmerz der besagten Person zwar aktualisiert und verstärkt, sie liefert aber auch die zündende Idee, wie die gefangene Person ihr Schicksal verändern kann.

5. und 6. Zeile: Die Schlüsselstelle in der antiken Erzählung ist der von Philomela bestickte Wandteppich, vgl. Anmerkung 1). Die hier bedrängte Person scheint auch einen "Stoff" zu "besticken", vielleicht einen ganz speziellen Kassiber anzufertigen. Und sie scheint damit Erfolg zu haben. Es kommt Hilfe. Allerdings wird diese als "unheilvoll" bezeichnet. Doch für wen? Unheilvoll für die bedrängte Person oder deren Peiniger?

 
Wir bräuchten Begleitverse, um mehr sagen zu können.
 

+S/19 (2159/60 - 2171/72 n. Chr.)

Six cens & cinq, six cens & six & sept1)
[Ab den Jahren] 605, 606 und [60]71)
Nous monstrera iusques à l’an dix sept2),
werden [sich] uns bis zum Jahr [6]172)
Du boutefeu4) l’ire, hayne & enuie3),
der Zorn, [der] Haß und Neid3) des Brandstifters4) [zeigen].
Soubs l’oliuier d’assez long temps caché,
Ziemlich lange Zeit unter dem Ölbaum verborgen,
Le Crocodrile sur la terre acaché,
hat das Krokodil auf der Erde versteckt,
Ce qui estoit mort, sera pour lors en vie.
was tot war [und was] dann [wieder] lebendig sein wird.

1) D.h. 2159/60, 2160/61 und 2161/62 n.Chr.
2) D.h. 2171/72 n.Chr.
3) Oder im Mittelfranzösischen auch: "Haß".
4) Auch: "Brandbombe, Artillerist, Aufwiegler".

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile
: In 5/100 ist ebenfalls von einem "Brandstifter" die Rede, was aber kein Hinweis auf einen inhaltlichen Zusammenhang sein muß. Dort wird er in Südwestfrankreich vom eigenen Feuer erfaßt, hier erfahren wir nur, daß man zwischen 2159/60 und 2171/72 seinen Zorn, Haß und Neid sehen wird.

4. bis 6. Zeile: Ohne Zusammenhang nicht einzuordnen. Der Ölbaum war der Pallas (Athene/Minerva) geweiht, im alten Ägypten gab es heilige Krokodile. Wir bräuchten Begleitverse, um mehr sagen zu können.

+S/20

Celuy qui a par plusieurs fois
Derjenige, der mehrmals
Tenu la cage & puis les bois1),
den Käfig gehalten [hat] und dann [auch] die Hölzer1)
R’entre à son premier estre2)
kehrt zurück zu seinem ersten Anwesen2).
Vie sauue peu apres sortir,
[Sein] Leben [ist dort] sicher. [Doch] wenig später [wird er] hinausgehen,
Ne se sçachant encor congnoistre,
sich [selber] noch nicht kennend, [um zu] erkennen.
Cherchera sujet pour mourir.
[Er] wird [einen] Diener suchen um zu sterben.

1) Damit können im Mittelfranzösischen u.a. auch Lanzen gemeint sein.
2) Es gibt im Mittelfranzösischen zahllose Möglichkeiten dafür, hier "estre" zu übersetzen. Z.B. als "Lage, Leben, Existenz, Land, Anwesen" u.a.

 
Kommentar


1. bis 4. Zeile
: Unklar, was mit dem "Käfig" und den "Hölzern" gemeint ist. Es scheint aber jemand aus der Gefahr an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren.

4. bis 6. Zeile: Doch es hält ihn dort nicht lange, und er zieht, seiner eigenen Lage unbewußt, in die Welt hinaus, um Erkenntnisse zu sammeln. Die letzte Zeile ist, wie der ganze Vers, nur in einem größeren Zusammenhang zu verstehen.
 

+S/21 (2161/62 n. Chr.)

L’autheur des maux commencera regner
Der Urheber der Übel wird zu herrschen beginnen
En l’an six cens & sept1) sans espargner
im Jahr 6071) ohne
Tous les subiets qui sont à la sangsuë,
alle die Untertanen, die dem Blutegel angehören, [zu verschonen].
Et puis apres s’en viendra peu à peu,
Und danach wird [er]2) allmählich
Au franc3) pays r’allumer son feu,
ins fränkische3) Land [kommen], um sein Feuer wieder anzuzünden
S’en retournant d’où elle4) est issuë.
[und] sich [dahin] zurückzuwenden, von wo er4) hergekommen ist.

1) D.h. 2161/62 n.Chr.
2) Das ist der Blutegel, der im Französischen allerdings weiblich ist.
3) Damit ist Frankreich gemeint.
4) Vgl. Anmerkung 2).

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile
: Der "Urheber der Übel" dürfte ab 2161/62 Frankreich beherrschen, das vorher vom "Blutegel" regiert wurde. Dessen Untertanen werden von dem neuen Machthaber nicht verschont.

4. bis 6. Zeile: Doch der vertriebene "Blutegel" scheint in Etappen zurückzukehren. Er dürfte die Macht erfolgreich zurückerobern (sein "Feuer wieder anzünden").

+S/22

Cil qui dira, descouurissant l’affaire,
Derjenige, der sprechen [und] die Erfordernis [dafür] enthüllen wird,
Comme du mort, la mort pourra bien faire
wie der Tod des Toten beglücken wird können,
Coups de poignards1) par vn qu’auront induit,
[erleidet] Dolchstöße1), [die] von einem [anderen] hervorgerufen sein werden.
Sa fin sera pis qu’il n’aura fait faire
Dessen Ende wird schlimmer sein als [das, was] er verursacht haben wird.
La fin conduit les hommes sur la terre,
Das Ende führt die Menschen auf die Erde,
Gueté par tout, tant le iour que la nuit.
[er wird] überall bewacht, bei Tag so sehr wie bei Nacht.

1) Im Mittelfranzösischen können "Dolchstöße" auch verletzenden Worte meinen.

 
Kommentar


Dieser Vers gehört zur biblischen Apokalypse.

1. und 2. Zeile: Das müßte der wiedergekommene Christus sein, der den Menschen mitteilt, welches irdische Leben ein glückliches jenseitiges Leben nach sich zieht.

3. Zeile: Christus wird hier auf Veranlassung eines anderen angegriffen ("erleidet Dolchstöße"). Damit ist der letzte Aufstand Satans gemeint: "Wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan aus seinem Gefängnis freigelassen werden. Er wird ausziehen, um die Völker an den vier Ecken der Erde, den Gog und den Magog, zu verführen und sie zusammenzuholen für den Kampf; sie sind so zahlreich wie die Sandkörner am Meer. Sie schwärmten aus über die weite Erde und umzingelten das Lager der Heiligen und Gottes geliebte Stadt." (Offenbarung des Johannes, 20, 7 - 9).

4. Zeile: Satan und seine Gehilfen umzingeln Gottes heilige Stadt. Doch Gottes Strafe für diesen Frevel ist schlimmer: "Aber Feuer fiel vom Himmel und verzehrte sie." (Offenbarung, 20, 9).

6. Zeile: Hier ist vom endgültig geschlagenen Satan die Rede. Dazu die heilige Schrift: "Und der Teufel, ihr Verführer, wurde in den See von brennendem Schwefel geworfen, wo auch das Tier und der falsche Prophet sind. Tag und Nacht werden sie gequält, in alle Ewigkeit." (Offenbarung, 20, 10). Natürlich wird Satan nicht nur Tag und Nacht gequält, sondern auch Tag und Nacht bewacht, damit er nicht wieder entkommen kann.

5. Zeile: Das ist die Auferstehung der Toten, die aus den Gräbern auf die Erde zurückkehren, vgl. Offenbarung 20, 11 - 15.

+S/23 (2161/62 und 2164/65 n. Chr.)

Quand la grand nef, la prouë & gouuernal,
Wenn das große Schiff, der Bug und [das] Ruder
Du franc pays1) & son esprit vital,
des fränkischen Landes1) und sein Lebensgeist,
D’escueils & flots par la mer secoüée,
von Klippen und Strömungen im Meer geschüttelt [wird],
Six cens & sept, & dix2) cœur assiegé
[wird im Jahr] 607 und [6]102) [sein] Herz belagert
Et des reflus3) de son corps affligé,
und [es] vom Zurückweichen3) seines Körpers heimgesucht.
Sa vie estant sur ce mal renoüée.
Sein Leben [wird allerdings auch] erneuert, [wenn es sich] in diesem Unglück befindet.

1) Das ist Frankreich. Andere Übersetzungsmöglichkeit: "freies Land".
2) D.h. 2161/62 und 2164/65 n.Chr.
3) Eigentlich: "Zurückfließen, Ebbe".

 
Kommentar


1. und 2. Zeile
: Das "große Schiff" ist die katholische Kirche, das Fischerboot Petri. Nostradamus bezeichnet sie als den "Bug" und das "Ruder" Frankreichs. D.h. der Katholizismus gibt Frankreich die richtige Richtung ("Ruder"), und er hilft dem Land, sich seinen Weg durch die wogende See der Geschichte zu bahnen ("Bug"). Gleichzeitig ist die Kirche der "Lebensgeist" Frankreichs, d.h. seine Seele, seine innerste Lebenskraft.

3. bis 5. Zeile: Die Kirche hat in dieser Zeit schwere Prüfungen zu bestehen. Und gleichzeitig wird auch das Herz Frankreichs (Paris) belagert. Doch von wem? Der "Körper" Frankreichs dürfte wohl einfach sein Staatsgebiet sein, das sich in diesem Krieg verkleinert.

6. Zeile: Jede Krise birgt auch eine Chance! Frankreich kann sich während dieser Unglückszeit erneuern. Doch in welcher Weise? Eine Reform des politischen Systems? Die Rückkehr zum Katholizismus, den Nostradamus eingangs so auffällig als "Seele" Frankreichs beschreibt? In diesem Falle wäre die alte Volksweisheit wieder einmal bestätigt, daß die Not das Beten lehrt.
 

+S/24 (2162/63 und 2174/75 n. Chr.)

Le Mercurial non de trop longue vie,
Der Merkurische mit nicht allzu langer Lebensdauer
Six cens & huict & vingt1), grand maladie2),
[fällt in den Jahren] 608 und [6]201) [der] Lepra2) [anheim]
Et encor pis danger de feu & d’eau,3)
und noch größere Gefahr [erwächst ihm] aus Feuer und Wasser.3)
Son grand amy lors luy sera contraire,
Sein großer Freund wird dann gegen ihn sein.
De tels hazards se pourroit bien distraire,
Von solchen Risiken könnte [er] sich gut fernhalten,
Mais bref, le fer4) luy fera son tombeau.
aber, kurz [gesagt], das Eisen4) wird sein Grab bereiten.

1) D.h. 2162/63 und 2174/75 n.Chr.
2) Wörtlich: "[die] große Krankheit". Damit wird im Mittelfranzösischen aber die Lepra bezeichnet.
3) Entweder sind hier Feuersbrünste und Hochwasser gemeint, oder aber Krankheiten, was gut in den Kontext passen würde. Für das "Feuer" käme dann der Rotlauf (eine ansteckende Hautkrankheit) oder das "Antoniusfeuer" (Gangräne) in Frage, für das "Wasser" vielleicht die Wassersucht. Es wäre die Aufgabe eines Mediziners, "Feuer" und "Wasser" bestimmten Krankheiten zuzuordnen.
4) Im Mittelfranzösischen bedeutet "Eisen" u.a. auch "(eiserne) Waffe", was hier gemeint ist.

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile
: Der "Merkurische" ist entweder mit dem "Merkur" der Zenturien identisch oder mit dessen Sohn oder Nachkommen, der ebenfalls in den Zenturien erwähnt wird. Hier erfahren wir jedenfalls, daß dieser "Merkurische" nicht lange lebt und zudem öfters von Krankheiten heimgesucht wird. Doch es ist nicht seine schwache Gesundheit, die ihn tötet.

4. bis 6. Zeile: Der "Merkurische" scheint sich mit einem großen Freund zu verfeinden. Er könnte den Risiken eines Konfliktes oder Krieges zwar sehr wohl ausweichen, doch läßt er sich auf den Kampf ein und fällt diesem zum Opfer.
 

+S/25 (2160/61 - 2163/64 n. Chr.)

Six cens & six, six cens & neuf,1)
[In den Jahren von] 606 [bis] 6091)
Vn Chancelier2) gros comme vn bœuf,
[wird er,] ein Kanzler2) [so] groß wie ein Ochse
Vieux comme le Phœnix3) du monde4),
[und] alt wie der Phönix3) des Mundus4),
En ce terroir plus ne luyra,
in diesem Land nicht mehr leuchten.
De la nef d’oubly passera,
Mit dem Schiff des Vergessens wird [er] hinüberfahren
Aux champs Elisiens5) faire ronde.
in die elysäischen Felder5), [um seine] Runde [zu] drehen.

1) D.h. 2160/61 und 2163/64 n.Chr.
2) Ein Kanzler war der oberste Beamte eines Herrschers.
3) Der Phönix ist ein sagenhafter ägyptischer Wundervogel, der sich nach einem Leben von 500 Jahren selbst verbrennt und dann verjüngt aus seinem Nest emporsteigt.
4) "Monde" bedeutet natürlich zuerst einmal "Welt". Hier dürfte aber vom Inhalt her eher das lat. "mundus" gemeint sein. Das heißt zwar ebenfalls "Welt", weist aber noch eine andere Bedeutung auf. Der Mundus war im alten Rom eine runde Opfergrube, die als Eingang zur Unterwelt den unterirdischen Göttern geweiht war und nur dreimal im Jahr geöffnet wurde. Der "Phönix des Mundus" ist demzufolge der sehr alte Vogel, der kurz vor seiner Verbrennung, seinem (vorübergehenden) Einzug in die Unterwelt steht.
5) Das Elysium, die Inseln der Seligen, der Lieblinge der Götter, lag nach antiker Vorstellung am Westrand der Welt (später auch in der Unterwelt). Also etwa da, wo heute Amerika liegt.

 
Kommentar


1. bis 4. Zeile
: Es ist von einem Kanzler, dem obersten Beamten eines Herrschers, die Rede. Er scheint sehr stattlich zu sein, obwohl er wohl kaum wirklich so groß und beleibt wie ein Ochse sein dürfte. Ebensowenig wird er 500 Jahre alt sein wie der Phönix kurz vor seiner Verbrennung. Nostradamus meint wohl einfach, daß er sehr alt ist und fast schon das Ende seines Lebens erreicht hat. In den Jahren zwischen 2160/61 und 2163/64 wird er außer Landes sein und nicht mehr zu Hause "leuchten". Das dürfte bedeuten, daß dieser Kanzler bei der Ausübung seines Amtes sehr großes Geschick bewiesen und darin "geleuchtet" hat.

5. und 6. Zeile: Unklar, was mit dem "Schiff des Vergessens" gemeint ist. Jedenfalls scheint der Kanzler in die neue Welt zu fahren, vielleicht ins Exil? Er dreht dort nur eine Runde. D.h. er kehrt zurück, genauso wie Phönix aus der Asche.

 
Dieser Vers könnte zu 10/66 gehören, wo ein britischer Staatschef in Amerika weilt, während zu Hause eine Rebellion stattfindet.
 

+S/26 (2160 - ca. 2164 n. Chr.)

Deux freres sont de l’ordre Ecclesiastique,
Zwei Brüder kommen aus dem kirchlichen Stand,
Dont l’vn prendra pour la France la picque1),
von denen der eine für Frankreich Soldat werden wird1).
Encor2) vn coup si l’an six cens & six3)
Zu dieser Stunde2) [erleidet er] einen Schlag, wenn [er auch im] Jahr 6063)
N’est affligé d’vne grande maladie4),
nicht von einer großen Krankheit4) heimgesucht wird.
Les armes en main iusques six cens & dix5),
Die Waffen [wird er] in der Hand [halten] bis [ins Jahr] 6105).
Gueres plus loing ne s’estendant sa vie.6)
Viel länger wird sein Leben nicht dauern.6)

1) Die mittelfranzösische Wendung "prendre la pique" bedeutet "Infanterist werden".
2) Das mittelfranzösiche "encor" bedeutet anders als heute auch: "zu dieser Stunde".
3) D.h. 2160/61 n.Chr.
4) "La grande maladie" bezeichnet im Mittelfranzösischen die Lepra. Hier ist aber nur von einer großen Krankheit die Rede, so daß nicht klar ist, um welche Seuche es sich handelt.
5) D.h. 2164/65 n.Chr.
6) Etwas frei übersetzt.

 
Kommentar


1. und 2. Zeile
: Zwei Brüder haben einen geistlichen Beruf ergriffen. Doch einer der beiden sattelt um und tritt für Frankreich in die Armee ein. Es muß sich wohl um zwei bedeutende Brüder handeln, wenn Nostradamus ihnen einen Vers widmet. Vielleicht um zwei französische Bischöfe?

3. und 4. Zeile: Hier ist vom Bruder die Rede, der bei seinem kirchlichen Beruf geblieben ist. Für diesen ist die Entscheidung seines Bruders anscheinend ein Schlag. Und dieser Schlag trifft ihn im Jahr 2160/61 n.Chr. Im Jahr, in dem eine Seuche grassiert, der er aber nicht zum Opfer fällt.

5. und 6. Zeile: Der Bruder, der den Kriegsdienst vorgezogen hat, bleibt bis ins Jahr 2164/65 unter den Fahnen. Kurz danach stirbt er. Doch woran? An den Folgen eines Krieges?

 
Wir bräuchten Begleitverse, um Näheres sagen zu können.
 

+S/27

Celeste feu du costé d’Occident,
Himmlisches Feuer [kommt] von der Seite des Westens
Et du Midy, courir iusques au Leuant,
und vom Süden [her], [um sich] bis in den Osten auszubreiten.
Vers demy morts sans point trouuer racine,
[Die] Frühlinge [werden] halb tot [sein,] ohne daß auch nur [eine] Wurzel [zu] finden [wäre].
Troisiesme aage, à Mars le Belliqueux,1)
[Im] dritten Zeitalter, [dem] des Mars, des kriegerischen,1)
Des Escarboucles on verra briller feux,2)
wird man [die] Feuer der Karbunkel leuchten sehen.2)
Aage Escarboucle, & à la fin famine.
[Es wird ein wahres] Karbunkelzeitalter [kommen]. Und zum Schluß [kommt noch die] Hungersnot.

1) Nach antiker Vorstellung folgt dem ersten (goldenen) und zweiten (silbernen) Zeitalter das dritte (eherne), das nur dem Krieg ergeben ist und sich selbst gegenseitig vernichtet. Es ist also das Zeitalter des kriegerischen Mars, genau wie Nostradamus schreibt.
2) Karbunkel sind große, gefährliche Hautgeschwüre. Die "Feuer" beziehen sich wohl auf ihr äußeres Erscheinungsbild (Schwellung, Rötung usw.), da im Mittelfranzösischen einige Hautkrankrankheiten so bezeichnet wurden.

 
Kommentar


Ein Vers, den die Menschen erst seit 1945 verstehen können.

1. und 2. Zeile: Dieses "himmlische Feuer" meint explodierende Kernwaffen. Im Westen und Süden scheint es damit loszugehen.

3. Zeile: Die Folgen dieses Krieges (Verstrahlung, nuklearer Winter usw.) treffen die Vegetation schwer. Ein großer Teil der Pflanzen stirbt, es gibt Frühlinge ohne normalen Pflanzenwuchs.

4. bis 6. Zeile: Der Atomkrieg findet zwar noch im "ehernen Zeitalter" statt (deshalb sieht man schon da die Karbunkel), ist aber gleichzeitig der Beginn einer neuen Ära, die Nostradamus "Karbunkelzeitalter" nennt. Es ist eine Epoche, in der sich die Überlebenden und ihre Nachkommen mit den Folgeschäden des Krieges (Geschwüre, genetische Veränderungen usw.) plagen müssen. Dazu sind ihre Nahrungsressourcen zerstört, der Hunger regiert.

 
Dieser Vers dürfte zum "zwischenzeitlichen Weltuntergang" in der Mitte des 23. Jahrhunderts gehören, den Nostradamus in seiner Widmung an König Heinrich II. beschrieben hat.

 

+S/28 (3160/61 - ca. 3168/69 n. Chr.)

L’an mil six cens & neuf ou quatorziesme1),
Im Jahr 1609 oder [16]141)
Le vieux Charon2) fera Pasques en Caresme,
wird der alte Charon2) Ostern in der Fastenzeit feiern.
Six cens & six3), par escript le mettra
[Im Jahr 1]6063) wird [er] das schriftlich festlegen.
Le Medecin, de tout cecy s’estonne4),
Der Arzt erschrickt4) über all dieses.
A mesme temps assigné en personne
Zur gleichen Zeit wird [er] persönlich vorgeladen,
Mais pour certain l’vn d’eux comparoistra.
aber gewiß wird der Eine von ihnen sich zeigen.

1) D.h. 3163/64 n.Chr. oder 3168/69 n.Chr.
2) Charon war im antiken Mythos der greise Fährmann, der die Toten über den Fluß Acheron in die Unterwelt fuhr. Als Fahrgeld mußten die Toten eine Münze (Obolus) bezahlen.
3) Hier muß im Hinblick auf den Kontext "606" zu "1606" ergänzt werden. Damit ist 3160/61 n.Chr. gemeint.
4) Das mittelfranzösiche "s’estonner" bedeutet u.a. "erschrecken".

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile: Wie aus +S/48 hervorgeht, scheint der "alte Charon" ein französischer König zu sein. 3160/61 wird er schriftlich festlegen, daß Ostern (in Frankreich) zukünftig vorverlegt und somit in der Fastenzeit gefeiert wird.

4. bis 6. Zeile: Dieser Arzt dürfte der Leibarzt des Königs sein. Er erschrickt und wird persönlich vor ein Tribunal geladen. Ich vermute, es passiert etwa folgendes: Der Herrscher wird von jemandem aus seiner näheren Umgebung ermordet. Fälschlicherweise wird aber der Arzt beschuldigt, was ihn in Schrecken versetzt. Der Eine, der wahre Mörder aus dem königlichen Hofstaat, wird sich aber zeigen. Vielleicht stellt er sich freiwillig und entlastet so den Arzt?

 
+S/29 (2162/63 n. Chr.)

Le Griffon1) se peut aprester
Der Greif1) kann sich vorbereiten,
Pour à l’ennemy resister,
um dem Feind zu widerstehen,
Et renforcer bien son armée,
und [er kann] seine Armee gut verstärken.
Autrement l’Elephant viendra
[Doch] auf eine andere Weise wird der Elefant kommen,
Qui d’vn abord le surprendra,
der ihn von einer Landungsstelle aus überraschen wird.
Six cens & huict,2) mer enflammée.
[Im Jahr] 6082) [wird das] Meer in Flammen [stehen].

1) Ein Greif ist ein Fabeltier der Antike mit Adlerkopf, Flügeln und einem Löwenleib. Er galt als Diener und Wächter, aber auch als Personifizierung von Gottheiten.
2) D.h. 2162/63 n.Chr.

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile
: In 10/86 aus den Zenturien wird ein König von Europa beschrieben, der "wie ein Greif" gegen den König von Babylon ziehen wird. Es ist gut möglich, daß hier von ein und demselben Mann die Rede ist. Jedenfalls steht der Greif hier auch im Krieg und kann sich gut auf einen bevorstehenden feindlichen Angriff vorbereiten.

4. und 5. Zeile: Der Elefant ist der Feind des Greifs. Im nahöstlichen Bereich wurden in der Antike tatsächlich u.a. Kriegselefanten eingesetzt, so daß eine Gleichsetzung des Elefanten mit dem König von Babylon aus 10/86 nicht grundsätzlich auszuschließen wäre.

6. Zeile: Das Meer, das hier in Flammen steht dürfte das Mittelmeer sein, vielleicht aber auch das Rote Meer oder der Persische Golf.


Dieser Vers könnte möglicherweise zu 10/86 gehören.

+S/30

Dans peu de temps Medecin1) du grand mal,
In kurzer Zeit [werden der] Arzt1) des großen Übels
El la sangsuë d’ordre & rang inegal,
und der Blutegel, von Stand und Rang [her] ungleich,
Mettront le feu à la branche d’Oliue,
das Feuer an den Olivenzweig legen.
Poste courir2), d’vn & d’autre costé,
[Es] breitet sich sehr schnell aus2), von [der] einen und von [der] anderen Seite.
Et par tel feu leur Empire accosté,
Und von [einem] solchen Feuer [wird] ihr Reich erreicht.
Se r’alumant du franc4) finy saliue3).
[Das] sich wieder entzündende [Feuer wird vom] Speichel3) des Franken4) gelöscht.

1) Hier dürfte ein Wortspiel mit dem lat. "medicus" vorliegen. "Medicus" bedeutet nämlich sowohl "Arzt" als auch "Meder". Die Meder waren ein antikes vorderasiatisches Volk, das v.a. im westlichen Iran lebte. Hier könnte also von einem (üblen) Iraner die Rede sein.
2) "Poste courir" meint wohl die mittelfranzösische Wendung "courir la poste" (sehr schnell gehen).
3) Mit Blick auf das lat. "saliva" könnte hier auch "Appetit, Begierde" gemeint sein.
4) Das ist ein Franzose, wahrscheinlich ein französischer Herrscher.

 
Kommentar


1. bis 3. Zeile: Es scheint zunächst Frieden zu herrschen (Ölzweig). Doch zwei Personen, dieser "Arzt" und sein "Blutegel", entfachen in kurzer Zeit den Krieg (setzen den Ölzweig in Brand). Wir erfahren über die beiden, daß sie unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten (Ständen) angehören und in ihrem Land unterschiedliche Positionen (Ränge) einnehmen. In der fünften Zeile wird übrigens bestätigt, daß beide in ein und demselben Land leben. Damit könnte der Iran gemeint sein, vgl. Anmerkung 1).

4. und 5. Zeile: Der Krieg breitet sich schnell aus, kehrt aber ins Land der Urheber zurück.

6. Zeile: Ein Franzose kann den Krieg (wohl siegreich) beenden. Der Hinweis mit dem Speichel könnte bedeuten, daß es ihm mit nur geringem Aufwand gelingt zu siegen. Oder er gewinnt den Krieg durch seine Begierde, vgl. Anmerkung 4).

 

Zu den Versen +S/31 bis +S/58

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