Sicherungsanlagen (Stellwerke)

Grundsatz

Die Sicherungsanlagen der Eisenbahnen sollen die bekannten Risiken des Eisenbahnbetriebes verhindern oder zumindest massiv reduzieren. Als Grundsatz gilt:

Die Sicherungsanlage (das Stellwerk) reagiert in gefährlichen Situationen (Fehlbedienungen, Fehlverhalten des Lokführers, technische Ausfälle) immer auf die "sichere Seite".

Bei der Eisenbahn ist wegen der Spurführung und der konsequenten Kontrolle aller Fahrten durch Signale mit erzwungenem Sicherheitsabstand das Anhalten bzw. die Notbremsung im Gegensatz zu Strassenfahrzeugen (Fahrt auf Sicht mit Gefahr von Auffahrkollisionen, Schleudergefahr!) und Flugzeugen ("Anhalten" = Absturz!) - ausgenommen bei Brand im Tunnel - immer eine sichere Massnahme!

Die ganze Eisenbahnsicherungstechnik beruht auf diesem einfachen Grundsatz. Die Umsetzung des Grundsatzes ist allerdings alles andere als einfach und führt zu hoch komplexen technischen Lösungen, die nur von wenigen spezialisierten Fachleuten mit langjähriger Erfahrung wirklich im Detail verstanden werden. Die Entwicklung, Prüfung und Zulassung eines neuen Stellwerktyps, aber auch der Bau einer konkreten Stellwerkanlage ist damit sehr aufwändig. Das erreichte Sicherheitsniveau bei den europäischen Eisenbahnen zeigt jedoch, dass dieser Aufwand gerechtfertigt ist!

Risiken und technische Massnahmen

Die nachfolgenden Angaben beziehen sich auf allgemeine Grundsätze. Da die Eisenbahngesetzgebung national ist, können sich von Land zu Land kleine Abweichungen ergeben. Für Nebenbahnen mit geringerem Risiko (weniger dichter Fahrplan, kleinere Geschwindigkeit usw.) werden z.T. vereinfachte Regeln angewendet. Ausserhalb Europas gibt es auch noch viele Fernbahnen, die sicherungstechnisch wesentlich einfacher ausgerüstet sind.

Risiko Massnahmen
Folgefahrten (Auffahrkollisionen)
Gegenfahrten (Frontalkollisionen)
Einteilung der Gleisanlage in Gleisabschnitte, die durch Signale gesichert sind. Nur ein Zug bzw. Rangiermanöver pro Gleisabschnitt zugelassen.
Ungenügende Sicht (langer Bremsweg) Hauptsignale stehen vor Gefahrenpunkten (am Anfang von Gleisabschnitten, vor Weichen und Bahnübergängen)
Vorsignale zeigen dem Lokführer die zulässige Geschwindigkeit am nächsten Hauptsignal rechtzeitig im Bremswegabstand an.
Falsche Bedienung der Signale
Umstellen von Weichen unter dem fahrenden Zug
Signale und Weichen werden nicht mit einfachen "Lichtschaltern" bedient, sondern als ganze "Fahrstrassen" von Signal A nach Signal B.
Eine komplexe Logik im Stellwerk prüft jede Bedienung auf Zulässigkeit und "verschliesst" die Fahrstrassen, bis sie durch den Zug "abgefahren" sind.
Mehrere Züge auf einem Abschnitt
Umstellen von Weichen unter dem fahrenden Zug
Die Gleise werden mit technischen Gleisfreimelde - Anlagen permanent überwacht. Das Einstellen von Zugahrstrassen ist nur auf freigemeldete Gleise möglich. Die Auflösung der Fahrstrassen erfolgt erst, wenn zwei Gleisfreimeldeelemente gearbeitet haben.
Flankenfahrten (seitliche Kollisionen auf Weichen) Grundsätzlich sind auch Flankenfahrten durch Signale ausgeschlossen. Zusätzlich werden im Stellwerk aber beim Einstellen von Fahrstrassen die Weichen in den Nachbargleisen wenn immer möglich in "Schutzstellung" gebracht (absoluter Flankenschutz).
Überhöhte Geschwindigkeit auf Weichen Die zulässige Geschwindigkeit über Weichen in ablenkender Stellung wird vom Stellwerk automatisch ermittelt und dem Lokführer angezeigt.
Unpräzise Bremsung durch den Lokführer Hinter jedem Signal wird bis zum Gefahrenpunkt ein von der üblichen Geschwindigkeit abhängiger "Durchrutschweg" definiert.
Unaufmerksamkeit /
Unwohlsein /
Sekundenschlaf
des Lokführers
Totmannpedal: der Lokführer muss das Totmannpedal, die Bremse oder den Fahrkraftregler in kurzen Abständen bedienen, sonst wird eine Notbremsung eingeleitet. Ein "Bleifuss" auf dem Totmannpedal zählt nicht als Bedienung!

Zugsicherung : Bei jedem Vorsignal, das eine Reduktion der Geschwindigkeit verlangt, wird der Lokführer akustisch gewarnt. Falls er nicht zu bremsen beginnt oder das Totmannpedal bedient (sinnvoll z.B. bei leichten Zügen mit kurzem Bremsweg), wird eine Notbremsung eingeleitet.

Wird ein "Halt" zeigendes Hauptsignal überfahren, löst die Zugsicherung automatisch eine Notbremsung aus. Neuere Zugsicherungssysteme (bisher erst an besonders gefährlichen Stellen in Betrieb) überwachen sogar die gesamte Bremskurve zwischen Vorsignal und Hauptsignal!
Defekt von Elementen (Lampen, Drahtbrüche usw.) Jedes Element des Stellwerks und der Aussenanlage wird beim Stellen bzw. Auflösen von Fahrstrassen auf Ausfall geprüft, Fehler werden dem Bediener angezeigt und durch den Ausfall betroffene Anlagenteile blockiert. Gegebenenfalls wird dadurch eine Notbremsung ausgelöst.
Kollisionen mit Strassenverkehrsfahrzeugen und Fussgängern Das Gesetz schreibt vor, dass auf Bahnübergängen - wegen des längeren Bremsweges - grundsätzlich der Schienenverkehr vortrittsberechtigt ist. Wo Bahnübergänge nicht durch Unter- bzw. Überführungen abgelöst werden konnten, sind sie meist durch Schranken bzw. wenigstens Blinklichtanlagen gesichert. Bahnseitig sind diese Anlagen überwacht und in die Anschaltung der Signale einbezogen.
Missachtung des Vortritts durch Strassenverkehrsteilnehmer Mittlerweile die weitaus häufigste Unfallursache auf Bahnübergängen - auch bei funktionierender Blinklichtanlage, in einzelnen Fällen sogar bei geschlossenen Schranken! Dagegen ist die Bahntechnik machtlos!

Schienenbrüche, Erdrutsche, umgestürzte Bäume und dergleichen können beim heutigen Stand der Technik noch nicht automatisch erfasst werden. Die Qualität der Geleise wird aber durch erfahrene Streckenwärter garantiert, die jedes Gleis regelmässig abschreiten und dessen Zustand optisch prüfen. Zudem wird jede Strecke mindestens einmal jährlich mit speziellen Messwagen abgefahren, die den Abstand zwischen den Geleisen, die Höhe der Schienen und die Laufruhe exakt aufzeichnen. Aufgrund dieser Messfahrten wird das Erneuerungsprogramm für Schotterbett, Schienen und Schwellen jährlich festgelegt.

Vier Stellwerk - Generationen
und ihre Zusatzeinrichtungen

1. Mechanische Stellwerke

Als die ersten Stellwerke entwickelt wurden, steckte die Elektrotechnik noch in den Kinderschuhen. Deshalb mussten wurden zunächst mechanische Lösungen gesucht und gefunden. Weichen und Signale eines kleinen Bahnhofs oder einer Seite eines grossen Bahnhofs wurden über Gestänge oder Drahtzüge mit Stellhebeln in einem Stellwerk verbunden. Das allein wäre aber noch keine Sicherungsanlage, sondern bloss eine mechanische Urform des Lichtschalters!

Zur Sicherungsanlage wurden die zentral zusammengefassten Stellhebel, indem ein so genanntes "Verschluss - Lineal" aus massivem Metall hinter ihnen angeordnet und so mit Kerben versehen wurde, dass die dazupassenden Nocken an den Stellhebeln nur unter bestimmten Bedingungen hineinpassten. Zudem wurden Fahrstrassenhebel eingeführt. Der Stellwerkwärter musste nun nacheinander

Die Auflösung der Fahrstrasse erfolgte in der umgekehrten Reihenfolge: Wie man leicht sieht, waren damit die grundlegenden Funktionen einer Sicherungsanlage bereits im 19. Jahrhundert erfüllt. Einzig die automatische Gleisfreimeldung, die Zugsicherung und die Verbindung zum Nachbar - Stellwerk fehlten noch.

Das erste Stellwerk in der Schweiz wurde 1880 in Bern in Betrieb genommen. Aufgrund der guten Erfahrungen in Bern rüstete die Gotthardbahn noch vor der Eröffnung mehrere Stationen mit Stellwerken aus und hatte bereits 1884 die Weichen- und Signalbedienung auf 20 ihrer 41 Stationen zentralisiert.

Der Streckenblock

Vor der Erfindung des Streckenblocks mussten die Züge zwischen den Stationen zunächst stur nach Fahrplan verkehren. Mit der Einführung der Morsetelegraphie (1840 erfunden) konnten die Stationen sich über Abweichungen vom Fahrplan verständigen. Durch das Telefon (1876 erfunden, ab etwa 1880 im Bahnbetrieb genutzt) wurde die Kommunikation vereinfacht, aber die Möglichkeit von Missverständnissen nicht ausgeschlossen. Mit der Erfindung von elektrisch betriebenen Blockapparaten wurde die Zulassung einer Fahrstrasse auf die Strecke hinaus von der Zustimmung der Gegenstation abhängig. Das Grundprinzip ist bis heute gleich geblieben: Der Blockapparat besteht auf jeder Seite der Strecke pro Gleis aus je einem "Anfangsfeld" und einem "Endfeld", die unmanipulierbar festhalten, dass ein Zug von der Station auf die Strecke ausgefahren ist und in welcher Richtung. Der Blockapparat kann erst in die Grundstellung zurückkehren, wenn die Gegenstation die Ankunft des Zuges bestätigt hat.

2. Elektromechanische Stellwerke (Schalterwerke)

Die raschen Fortschritte der Elektrotechnik brachten in den Zwischenkriegsjahren die Einführung von Lichtsignalen, von elektrisch betriebenen Weichenmotoren und Gleisfreimeldeeinrichtungen sowie von elektromechanischen Stellwerken, bei denen die Stellwerkhebel durch handliche Schalter und die Verschluss - Lineale durch elektromechanische Sperrpendel ersetzt wurden.

3. Gleisbildstellwerke und Spurplanstellwerke

In den Schalterwerken bewährte sich das Relais als Bauteil der Stellwerktechnik. In den Nachkriegsjahren fand man deshalb den Mut, in der nächsten Stellwerkgeneration auf herkömmliche mechanische Verschlüsse, die von Menschenhand in die gewünschte Lage gebracht werden, ganz zu verzichten. Stattdessen wurden sogenannte Stütz - Relais konstruiert. Diese bestehen eigentlich aus zwei miteinander gekoppelten Relais, bei denen das erste sich beim Anziehen auf eine kleine mechanische Klappe abstützt und somit auch bei Stromausfall in seiner Lage verbleibt, während das zweite Relais beim Anziehen die ganze Kombination aus dem abgestützten Zustand heraushebt und in die Grundstellung zurückfallen lässt.

Damit wurde es möglich, das Einstellen der einzelnen Elemente (Weichen, Fahrstrassen und Signale) zusammenzufassen und für den Bediener auf das Grundsätzliche, nämlich die Fahrstrasse vom Startsignal zum Zielsignal zu reduzieren. Den Rest der Arbeit erledigt das Stellwerk selbst! Gleisbild; Zeichnung M. Jud Das Stellwerk wird an Pulten bedient, auf denen die Gleisanlage geografisch korrekt aufgemalt sind (daher der Name "Gleisbild - Stellwerk") und allen wesentlichen Elementen Tasten zur Bedienung und Lämpchen zur Anzeige des Zustandes zugeordnet sind (im Bild: gelb = eingestellte Fahrstrasse, rot = vom Zug belegte Gleisabschnitte, Signal D zeigt Fahrt).

Ein derart komplexes Gebilde aus mehreren hundert Relais jedesmal neu zu erfinden und auf der Station von Grund auf aufzubauen, wäre allerdings nicht nur viel zu aufwändig gewesen, sondern hätte auch viel zu viele Möglichkeiten für Fehler bei der Planung und beim Bau eröffnet. Deshalb werden die Relais in Baugruppen zusammengefasst, die eine bestimmte Teilfunktion erfüllen. So gibt es Baugruppen zur Steuerung und Überwachung von Weichen, von Hauptsignalen, von Vorsignalen und von Zwergsignalen (Rangiersignalen) sowie für die Streckenblöcke. Die Baugruppen wurden industriell gefertigt und auch mit Prüfautomaten auf fehlerfreie Funktion geprüft. Was blieb, war die Verbindung der einzelnen Baugruppen untereinander mit einer grossen Anzahl von einzelnen Drähten.

Um auch hier gleichzeitig die Herstellung zu rationalisieren und die Fehlerrate zu senken, wurde in den späten 1950'er Jahren das Spurplanprinzip erfunden. Die Abläufe, die zum Einstellen, Sichern und Auflösen einer Fahrstrasse nötig sind sowie die korrekte Geschwindigkeit, die an einem Signal angezeigt werden darf, werden über sogenannte Spurkabel übertragen, die von einer Baugruppe zur nächsten führen und steckbar sind. Kabel mit Steckern lassen sich wiederum industriell fertigen und prüfen und sind wesentlich einfacher zu montieren als die entsprechende Anzahl einzelner Drähte.

Die Spurkabel bilden im Stellwerk gewissermassen noch einmal die Gleisananlage ab, d.h. eine Weichenbaugruppe hat drei Anschlüsse (je einen für Spitze, linken und rechten Schenkel), ein Signal zwei. Durch die konsequente Systematisierung der Abläufe über die Spurkabel wurde die Verdrahtung auch übersichtlicher und die Funktionalität besser projektierbar und prüfbar. Es genügte nun, bei jeder Weichen - Baugruppe für jeden Schenkel eine Drahtbrücke für die zulässige Maximalgeschwindigkeit einzulegen und schon wurde über das Spurkabel je nach den beteiligten Weichen und ihrer Lage die richtige zulässige Geschwindigkeit ermittelt.

Selbstverständlich sitzt der Teufel auch hier im Detail und vor allem in den örtlichen Spezialitäten, die bei der Erfindung des Prinzips nicht bedacht wurden und so doch wieder durch zusätzliche Relais - Schaltungen ausserhalb des Spurplanprinzips berücksichtigt werden müssen. Insgesamt hat sich die Spurplantechnik aber sehr bewährt und stellt bis heute das Rückgrat der Sicherungstechnik dar, während die letzten in Betrieb stehenden mechanischen Stellwerke und Schalterwerke zu Exoten bzw. Industriedenkmälern wurden.

Erst mit der Entwicklung der Gleisbildstellwerke wurde es überhaupt möglich, ganze Stationen fernzusteuern. Hätte es bei den mechanischen Stellwerken und Schalterwerken Roboter und Videokameras zur Fernbedienung gebraucht (der Vorschlag wurde übrigens noch in den 1990'er Jahren von einem privaten Ingenieurbüro ernsthaft zur Diskussion gestellt!), konnte man die Gleisbildstellwerke nicht nur durch unmittelbaren Tastendruck sondern auch durch die Übertragung der Steuerströme bedienen, die die einzelnen Relais ansteuern. Die Fernsteuerung ist in der Schweiz heute bei den Schweizerischen Bundesbahnen ebenso wie bei den Nebenbahnen die Regelbetriebsart für Relais - Stellwerke.

4. Elektronische Stellwerke

Die ältesten Computer mechanischer Bauart sind zwar älter als die Eisenbahn, aber so richtig brauchbar wurden Computer doch erst, als die Elektronik den "Quantensprung" von der Radioröhre zum Transistor, zum Integrierten Schaltkreis und schliesslich zum Mikroprozessor schaffte. Einfache Computer auf Transistorbasis wurden im Bereich der Fernübertragung und der Zugnummernmeldung ab etwa 1960 eingesetzt, Minicomputer ab etwa 1980 zur Bedienung von Stellwerken über Tastaturen.

Eigentliche Stellwerke auf der Basis von Mikroprozessoren wurden erst in den 1980'er Jahren entwickelt. Die grundlegenden bewährten Ideen der Spurplantechnik wurden zunächst übernommen und in Software "übersetzt". Die Verschlüsse existieren heute nur noch im Arbeitsspeicher der Mikroprozessoren. Nach mehr als zehn Jahren Betriebserfahrung kann aber guten Gewissens gesagt werden, dass das sehr hohe Sicherheitsniveau der Spurplanstellwerke eher noch übertroffen wird.
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