Berliner Zeitung, 20. 9. 1999

Endlose Komposition: Ein scheues Genie schafft sich sein eigenes Phantasiegebilde

Von Markus Schmidt
 


Aziza Mustafa Zadeh bei ihrem Auftritt im Kulturzelt. Foto: Peter Sierigk

In derartigen reflektierten Zusammenhängen ist es erstaunlich, dass für Aziza irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem sie ihre Komposition für abgeschlossen erklärt. Denn im Kern geht es um ständige Veränderung. Und genau diese wache und neugierige Intuition im Umgang mit sehr unterschiedlichen klanglichen Inventarien hat Aziza zu einer der innovativsten Gestalten zeitgenössischer Musik gemacht. Einflüsse von Karlheinz Stockhausen, Béla Bartók und Conlon Nancarrow sind unüberhörbar, sie vermengt sie mit arabischer Eleganz und setzt in dem Titel „Father“ ihrem Vater, dem Musiker, Vagif Mustafa Zadeh, der 1979 starb, ein Denkmal.

Doch erst das Zusammenspiel von Klavier und Gesang komplettiert das Phänomen Aziza Mustafa Zadeh. Ihre Stimme passt nicht in das Raster Jazz, zu umfangreich und präzise kontrolliert sie ihre Oktavensprünge. Mal gehaucht, mal inbrünstig fordert sie immer wieder neue Spannung, lässt es dabei nie zum Höhepunkt kommen. Schade: In ihrer   Version von "Georgia" zeigt Aziza, dass sie zu sehr Technikerin ist, um den Blues zu spielen. Blues lebt von Klarheit und Gefühl. Aziza setzt jedoch so viele Schnörkel auf das Gerüst, dass es einstürzt.

Trotzdem ist Aziza Mustafa Zadeh eine Chance für kulturoffene Musikliebhaber, sich in eine berauschend vielseitige, zu den Hörgewohnheiten komplementäre Klangwelt aus Quer- verweisen und Einflussnahmen, aus Anregungen und kreativen Impulsen zu vertiefen.


Solo-Auftritt bei  Kultur im Zelt: die Pianistin Aziza Mustafa Zadeh aus Aserbaidschan verbindet Jazz, Klassik und Folklore

Die Musik von Aziza Mustafa Zadeh zaubert noch zwei weitere Farben ins Wappen ihres Heimatlandes Aserbaidschan: die- Farben der Menschen, der weder weißen noch schwarzen Araber, das Pink des Optimismus und das Aschgrau des Leidens. Ihr Auftritt bei Kultur im Zeit in Braunschweig zeigte einen Farbenreichtum, der über das gewöhnliche Verständnis von Komposition hinausgeht.

Aziza bleibt Aziza. Die Selbstverliebtheit und Kompromisslosigkeit der 29-jährigen Komponistin und Pianistin wird besonders in ihren neuen Stücken deutlich. Die Künstlerin entfernt sich immer mehr von Klassifizierung und Schubladendenken. Jazz? Weit gefehlt. Aziza geht es uni ein Verschmelzen und Kombinieren von Jazz-Traditionen, arabischer Folklore und europäischer Klassik.

Scheu, fast nervös, sitzt die Musikerin am Flügel, ihre hüftlangen Haare sauber gekämmt, ihr schmächtiger Körper in ein leichtes Kleid gehüllt. Sie atmet tief, schließt die Augen. Ihre Konzentration, ob gespielt oder wirklich kreiert ein Spannungsfeld zwischen ihr und ihrem Publikum.

Doch wenn ihre langen, schlanken Finger in die Tasten hauen, wird eine kaum vorstellbare Energie frei. In „Heartbeat for my Love“ [sic] bearbeitet sie die Tasten fast perkussiv. Das Herz, dem sie in diesem Song Leben einhaucht, führt ein rhythmisches Eigenleben, pumpt rasant Blut durch die Arterien, treibt es mit aberwitzigem Tempo zum Infarkt. Der Stillstand wirkt wie eine Erlösung, die Zuschauer atmen auf. Mit einem Lächeln entwaffnet Aziza die gesamte Dynamik und gebaute Kraft ihres Spiels.

Nun ist diese Zustandsbeschreibung als ästhetische Diagnose durchaus erklärbar. Aziza hat es sich zum Ziel gemacht, immer komplexere Harmonien zu schreiben. Für den Theoretiker ist dabei vor altern der Prozess der Strukturbildung interessant. Aziza legt ihre Hände auf die Tasten, scheint sich ihre Musil vorzustellen. Ihre Finger zeichnen dieses mentale Bild nach, indem sie die Tasten drücken. Die anatomischen Gegebenheiten ihrer Hände und die Konfiguration der Klaviertastatur haben Azizas ganz persönliches Phantasiegebilde geformt.


Reprinted without permission. Published on Jo's Nexus.



Back to Aziza Links