Ein Erdenmensch auf anderer Umlaufbahn
Die Pianistin Aziza Mustafa Zadeh spielt heute abend 
orientalischen Jazz im Zürcher „Kaufleuten“

Von Walter De Gregorio / SonntagsZeitung, 27. Oktober 1996

Sie ist eine Prinzessin, mindestens 600 Jahre alt und verbreitet mit Hilfe Gottes den orientalischen Jazz im Abendland. Die Pianistin Aziza Mustafa Zadeh gastiert heute abend im Saal des Zürcher „Kaufleuten“.

Liebe ist eine weltliche Sache, "earth stuff", also vergänglich und somit unnütz. Sie strebt höhere Werte an. Respekt vor den Eltern, vor der Natur, vor der Musik — "das sind heilige Dinge", sagt sie.

            Heilig sind auch ihre Absichten, sagt Aziza Mustafa Zadeh, Pianistin aus Baku, Aserbaidschan. Sie spiele, weil ihr letztlich Gott so befahl. "Denn alles ist programmiert, wir können uns unserem Schicksal nicht entziehen." Das Talent, die richtigen Tasten zu treffen, sei ihr in die Wiege gelegt worden. Bereits als dreijährige habe sie Piano gespielt, mit 14 gab sie ihr erstes Konzert, mit 17 gewann sie die ersten internationalen Preise. "Es wäre eine Sünde, hätte ich nichts aus dieser göttlichen Gabe gemacht", sagt sie.

            Ihr Konzert in der Graf-Zeppelin-Halle in Friedrichshafen, das letzte der diesjährigen Deutschland-Tournee, ist seit wenigen Minuten zu Ende. Das Publikum war begeistert.

            1989 kam die zierliche Frau erstmals nach Deutschland. Bach, Schumann und andere Klassiker hatte sie in Baku studiert. Sie sei aber zu faul gewesen, die Klassiker im O-Ton zu lernen. Darum habe sie improvisiert. "Bach ist damit sicher einverstanden", sagt sie und schmunzelt. Dann kam der Jazz, die Begegnung mit Dizzy Gillespie. Ihr orientalisch inspirierter Jazz, ihre Scat-Einlagen und ihr brillantes Fingerspiel beeindruckten. 1993 erhielt sie den Deutschen Phono-Preis für die beste Jazzproduktion. Mit Stars wie Al Di Meola, Bill Evans, Stanley Clarke und Omar Hakim nahm sie ihr drittes Album auf ("Dance of Fire") und etablierte sich damit endgültig in der Jazzszene.

            Die kontroversen Meinungen der Kritiker sind geblieben. „Wundermädel“ nennen sie die einen, "Mystikerin" die anderen. Wiederum andere loben ihre "elegant artikulierten Lyrismen", ihre "weit ausschweifenden Melismen", ihre "kühle Emphase" — alles hilflose Erklärungsversuche, schreibt der "Spiegel", der darin den Beweis sieht, wie schwierig das Spiel Azizas einzuordnen ist. Aziza nennt sich schlicht "Princess of Jazz".

            Bei jedem Stück bedankt sich die scheu und zierlich wirkende Künstlerin mit gefalteten Händen und Kopfnicken beim Publikum. "Ich habe euch gespürt", sagt sie in Friedrichshafen nach der dritten Zugabe. Dann verschwindet sie im schwarzen Abendkleid, hinter dem schweren Vorhang. Minuten später sitzt sie in Blazer und Jeans in der Hauskantine.

            Sie weiss mit ihrem Publikum umzugehen. Auch mit den Käufern ihrer Produkte. Langes schwarzes Haar, grosse Augen, Schmollmund — auf ihrer neuen CD posiert sie mit nacktem Oberkörper, die Brüste von Ihren Händen verdeckt. Ein durchaus hübscher Erdenmensch, würde man meinen, kreiste sie nicht auf einer anderen Umlaufbahn. 25 ist sie gemäss aktueller Geburtsurkunde. Einige Jahrhunderte älter nach eigener Einschätzung.

"Ich habe eine alte Seele", sagt sie. Im "Kölner Express" sprach sie diesen Sommer von 600 Jahren, im "Spiegel" ein Jahr zuvor von 850 Jahren. Elf Leben habe sie insgesamt, neun liegen bereits hinter ihr. Sie schmunzelt und greift mit den Fingern an ihr Haar. "Sie glauben mir nicht?" Es sei schwierig, dies zu erklären, geschweige denn, für Aussenstehende zu verstehen. "Wer den Duft der Blume beschreiben will, muss die Blume kennen", sagt sie. Notfalls dürften wohl auch ihre CD helfen. "Wer meine Musik hört, sieht in mich hinein", sagt sie.

            Sie spiele nicht mit weiblichen Reizen, sondern mit den Gaben der Natur. Das habe nichts mit "'Playboy stuff'" zu tun, "das ist eine natürliche, also eine heilige Art, sich so zu zeigen", sagt sie. Im Hintergrund nickt Azizas Mutter Eliza. Seit Vater Vagif, ein bekannter Jazzpianist, 39 jährig starb, weicht Mutter Eliza keinen Schritt von ihrer Tochter Aziza. Bei jedem Konzert ist sie dabei, bei jedem Interview sitzt sie im Zimmer — diskret, aber sie sitzt. "Sie ist meine Inspiration", sagt Aziza über ihre Mutter, einst eine gefeierte Opernsängerin in Baku. Diese nickt zur Bestätigung.

"Innere Widersprüchlichkeit, die den Reiz ihrer Musik ausmacht"

Es komme vor, sagt Aziza, dass sie während des Konzerts ihren Körper verlasse, sich beim Spielen zuschaue. "Das ist mir heute dreimal passiert", sagt sie. "Gleich zu Beginn, beim ersten Lied, dann in der Mitte und irgendwann am Schluss". Genau wisse sie das nicht, sagt sie. Sie könne das nicht selber entscheiden. Es passiere einfach. "Strange thing", sagt sie.

            Es fällt schwer, Aziza einzuschätzen. "Vielleicht ist es gerade ihre innere Widersprüchlichkeit, die den reiz ihrer Musik ausmacht", schrieb ein Musikkritiker über Aziza. Sie ist spontan, wirkt aber zugleich altklug, was mit ihren vielen Leben erklärt werden kann. Sie ist feminin und doch schon fast bigott, was sicher mit dem direkten Draht zu Gott zusammenhängt.

            Zweifellos ist sie speziell. Sie könne sich genau erinnern, was sie als achtmonatiges Baby getragen habe, sagt sie: grüne Wäsche. Es sei doch nicht möglich, sich an solche Dinge aus der Kindheit zu erinnern, wenn nicht mehr dahinter stecke.

            Heute Sonntag gastiert Aziza im Zürcher Kaufleutensaal, am Dienstag im Casino Basel. "Wenn die Gestirne richtig stehen, wird es ein gutes Konzert", sagt sie. Es wäre zu hoffen. Ihre Musik ist eigenwillig, aber temperamentvoll. Ihr Programm vielfältig, was nicht erstaunt. Zeit genug hatte Aziza, es über die Jahrhunderte zusammenzustellen.

Pianistin Aziza Mustafa Zadeh: "Wenn die Gestirne richtig stehen, gibt es ein gutes Konzert" (Photo: Walter Bieri)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Reprinted without permission. Published on Jo's Nexus.

 

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