Fester Glaube

schützt das Gemüt

vor dem Verstand


Thema

Wenn wir heute feststellen, dass das zwanzigste Jahrhundert eines der abscheulichsten Rassen- und Religionskriege war, dann dürften wir, nach den ersten Erfahrungen des neuen Jahrtausends, beunruhigt erkennen, dass unser neues Jahrhundert nichts Besseres verheisst. Gemessen an der Kriegsgeschichte war ja jedes Zeitalter abscheulich, denn Kriege scheinen unvermeidbare Formen menschlicher Impulsleistungen zu sein. Freilich lassen sich grosse und kleine Kriege feststellen, die sich aber in Nichts im Leid unterscheiden, das sich Menschen gegenseitig antun. Die Werkzeuge des Kriegshandwerks sind wohl zu immer gewaltigeren Vernichtungsmitteln entwickelt worden, aber die Motivation, einander vernichten zu wollen, ist stets dieselbe geblieben. Grössere Kollektive verkörpern ein grösseres Machtpotential als kleinere, auch wenn sich das nicht immer auch als Machtüberlegenheit auszahlt. Die Kriegsrethorik entspricht nicht immer dem Potential, aber doch wohl dem Ingrimm der feindlichen Parteien. An diesen Geschehnissen ist abzulesen, dass es so etwas wie eine Kollektivseele geben könnte, weil einzelne Menschen wohl kämpfen und leiden, aber nicht Kriege darstellen.
Der Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts bescherte uns eine exzessive Bedrohungslage mit der Möglichkeit erneuter Weltkriege. Das Drohritual ist auch bei unterschiedlichen Machtmitteln überall gleich. Die Interessenlage ist an den rituellen Aufzügen erkennbar, aber nicht an der Verbalisation. Die Gewaltlüsternen sagen etwas anderes als sie meinen, so dass unabhängig von den Kräfteverhältnissen, stets dieselbe Rhetorik zu hören ist. Das neue Jahrtausend begann mit den besonders brisanten Konflikten:
Israel versus Palästina; USA versus afghanische Taliban in aller Welt;
Russland versus Tschetschenien; Indien versus Pakistan.
Atommächte bedrohen die Habenichtse an atomaren Arsenalen, in einem Fall stehen sich zwei Atommächte gegenüber, die aber über enorm ungleiche Ressourcen verfügen. Indien hat ein mehrfach grösseres Menschen-, Wirtschafts- und Bewaffnungspotential zur Hand, als das Objekt seiner Kriegsgelüste, Pakistan.
Weil die Schwächeren stets durch die ihnen angetanen Erniedrigungen fanatisiert werden, wird diese Situation auf lange Dauer mit Sprengstoff geladen, der auch unvermittelt explodieren kann. Mit der Resignation hingegen, würde ein Subjekt verenden. Erschreckend ist die Gleichzeitigkeit der Krisen, und doch gibt es ältere Vorgaben für spätere Nachahmer. Die Kriegsrhetorik scheint aus einer antiken Kultursprache, vor der wir sonst grosse Ehrfurcht haben, in alle zeitgemässen Idiome der beteiligten Völker übersetzt. Gemäss dem rhetorischen Regelmass treibt die schwächere Partei Terrorismus, während die stärkere Seite straft. Das Recht zu strafen scheint sich von der Erfolgsquote im Töten herzuleiten. Die Summe bringt's. Die Bösen sollen mehr Tote zu beklagen haben als die Guten. Die Taktik ist erpresserisch: Auf die Selbstmordaktion eines einzelnen Lebensmüden, wird mit schwerem Geschütz, Panzern und Bulldozern zur Vernichtung von Wohnraum, Kulturland und Infrastruktur, sowie mit der Aufsplitterung der Siedlungsräume und der Ghettoisierung (Gaza und Westbank 2002 = Warschau 1943) des Umfeldes der Einzeltäter geantwortet. Panzergranaten gegen handgeschleuderte Steine, Köpfe um Augen, Hälse um Zähne sind die Regel.
Es sind nicht durchgehend dieselben Bewunderer des gegen die Engländer und die palästinensischen Araber gerichteten Terrorismus, dank dem die seinerzeitigen zionistischen Immigranten sich 1947 ihren Staat ertrotzten, die heutigentags die harte israelische Repression des palästinensischen Terrors bewundern. Schliesslich liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zwischen den Geschehnissen, indem diese tun, was jene taten und haben, was diese hatten. Israel geht es teils unverhohlen um die Vertreibung der nichtjüdischen Bevölkerung Palästinas, doch vorerst um die Ausschaltung der Partisanen, die sich als Freiheitskämpfer verstehen, aber von Israel als Terroristen angesehen werden.
Den Vereinigten Staaten von Nordamerika geht es darum "Flagge zu zeigen", um ihre selbstgewählte Rolle als Weltordnungsmacht mit eigener Ideologie von Weltwirtschaft, Weltgesetzen, in aller Welt gleichen Regierungs- und Rechtsformen, bei ungleicher Verteilung der Reichtümer und Ressourcen durchzusetzen; vorerst aber um die Eliminierung von Widerstandsformen fanatisierter Glaubensbekenner, die sich als Gotteskämpfer verstehen, aber von den USA als Terroristen angesehen werden.
Russland geht es um die territoriale Einverleibung Tschetscheniens, und vorerst um die Ausschaltung der Partisanen, die sich als Freiheitskämpfer verstehen, aber von Russland als Terroristen angesehen werden.
Indien geht es um die endgültige Einverleibung Kaschmirs und vorerst um die Ausschaltung von dessen Partisanen, die sich als Freiheitskämpfer verstehen, aber von Indien als Terroristen angesehen werden.
Obwohl in allen Beispielen das Selbstlob der Mächtigen auffällt, verdeckt die rhetorische Gewandtheit doch nicht, dass deren Kriegsmaschinerien angelaufen sind. Leider gibt es noch mehr aktuelle Kriegsschauplätze als die hier genannten.
Der Vorgang ist überall gleich, die Sprachen sind zwar phonetisch verschieden, aber die Zeremonien der Macht sind so direkt, dass sie auch ohne Vokabular verstanden werden. Die Vorgänge sind wahr, nicht die Beteuerungen. Die Machtmittel sind Gebrauchsgegenstände im Dienste einer Dynamik, die unmöglich von einer humanitären Logik ausgehen kann. Das Kalkül ist simpel: Der Schwache wird zum Feind, gegen den der Stärkere sein Faustrecht einfordert, und Tätlichkeiten sollen klären, wer der Stärkere ist.
Keine Psychologie unseres Zeitalters hat für diesen Irrsinn eine Therapie entwickelt, weil keine Psychologie dieser Zeit die treffende Diagnose des kollektiven Wahnsinns kennt. Solche beziehen sich immer auf als Individuen gesehene Subjekte und lassen den Einbezug der Einzelnen in grössere Identitätseinheiten aus.

Wir haben Grund zur Annahme, dass das Erleben, Fühlen und Denken des Menschen vornehmlich in Beziehungsbereichen, in Kreisen und deren Ausdehnung zur Horizonterweiterung erfolgt, also räumlich ist. Dafür stehen Begriffe wie Platz, Raum, Bereich, Sphäre, Umfeld, und auch der seiner Etymologie entfremdete Begriff Freiheit, der besonders oft nichts anderes meint denn Spielraum, und den nehmen auch wir in Anspruch, um unsere Thesen zu stützen.
Um praxisnah zu bleiben, orientieren wir uns am politischen Tagesgeschehen. Nachvollziehbare Beispiele sind somit leicht zur Hand, um die Struktur der Abläufe anschaulich vorstellen zu können. Gegenwärtig (rund um die Jahrtausendwende) fallen z.B. die "Globalisierungsbestrebungen" auf, die von Gewaltprotesten begleitet werden. "Weltwirtschaftsgipfel", die sich mit einer noch zu schaffenden weltweiten "Chancengleichheit" befassen, werden spontan und auch durch generalstabsmässig geplante Massenproteste behindert. Ökonomischer Internationalismus wird von aggressiven Kollektiven bekämpft, auf deren Fahnen oft gleichzeitig die Symbole des politischen, nun bereits bankrotten marxistischen Wirtschafts-Internationalismus flattern. Das ist paradox, denn der eine Internationalismus ist durch den anderen nicht zu widerlegen. Die bekannten Gewaltszenen zwischen den verschiedenen Globalisierungsideologien sind sachlich nicht begründet, und dennoch sind sie wirklich. Es dürfte sich um Manifeste eines "Unbehagens im Grenzenlosen" handeln. Die humane Wirklichkeit ist durch ihre humanen Grenzen bestimmt und wird durch diese fasslich. Entscheidend für das subjektive Wohlbefinden ist immer der engere Sozialbereich. Von hier aus wird Miss- oder Wohlbehagen auf die Umwelt übertragen. Soziale Probleme sind eine Ausstrahlung summierten, subjektiven Befindens. Das gilt besonders für die Wirtschaft, die jedermanns Lebensgrundlage ist. Sie muss fassbar sein, um Wohlbehagen zu erlauben. Den Randalierern geht es nicht darum, ungünstige Wirtschafts- bzw. Lebensbedingungen zu verteidigen, sondern darum, ihr gesteigertes Missbehagen durch Wut in Tätlichkeiten umzusetzen. Wie solche "Sozialgefühle" beschaffen sind, sollte sozialpsychologisch dargelegt werden. Die oberflächliche Diagnose, es handle sich um Auswüchse politischer Agitation, genügt nicht, denn damit eine solche wirken kann, ist die entsprechende Ausrichtung einer Grundstimmung vorausgesetzt. Um diese handelt es sich, die verstanden werden muss, um Agitation neutralisieren zu können.
Die offene Frage ist, aus welchen Grundstimmungen welche Dynamik entkeimt. Die "Strukturen der mentalen Wirklichkeit" müssen erforscht werden, um die "sich aus sich selbst heraus organisierende Gewalt" verstehen zu können, welche sozio-emotionale Ladungen explodieren lässt. Darüber gibt Demoskopie nur rudimentäre Auskunft, denn es sind unterschwellige Stimmungen dafür verantwortlich, die nicht einfach auf der Zunge liegen, und es müsste auch schon die Fragestellung gemäss entsprechenden Vorkenntnissen gebildet sein.

Der zweite Weltkrieg (1939-1945) hatte zwar Anlass gegeben, das Augenmerk vermehrt auf kollektivpsychologische Phänomene zu lenken, aber während der fetten Jahre der zweiten Jahrhunderthälfte war die dabei entstandene Fachliteratur obsolet geworden. Um die Grundzüge der sozialen Identitätspsychologie zu diskutieren, sollte sie jedoch in Betracht gezogen werden. Es wäre unklug, diesen latenten, bisweilen sehr akuten Problemen mit der Floskel auszuweichen, dass es sich um Theoreme handle, die viel zu praxisfern seien, um sich damit beschäftigen zu müssen. Sie brennen uns ja auf den Nägeln.
Auffällig sind auch die Rassenunruhen, denen man durch Antirassismusgesetze herr zu werden glaubt. Solche Gesetze sind jedoch zugespitzte Charakterisierungen, die eher zur Polarisierung als zur gegenseitigen Annäherung führen. Das Problem liegt anderswo. Wenn Zuwanderungen besonderer Kulturgruppen eine proportional kritische Grösse zur autochthonen Bevölkerung erreichen, dann assimilieren diese Immigranten sich nicht, sondern behaupten ihre kulturelle Eigenständigkeit mit dem Anspruch auf sogenannte "Gleichstellung", was aber "Dominanz" meint. Es setzt die Dynamik zur Schaffung einer neuen Rangstufenordnung ein. Das geschieht nicht nur bei sichtbar unterschiedlichen Rassenmerkmalen, sondern auch innerhalb derselben Rasse, wenn Kulturunterschiede zum Klassenkampf führen, und im Ansatz gibt es das gleiche Phänomen ebenfalls bei den grossen Generationenkonflikten. Es genügt der Blick zurück auf die 68er Unruhen, als die damaligen Jungakademiker mit dem Schlachtruf "Traue keinem über 30!" ihren Marsch durch die Institutionen in die hierarchischen Positionen antraten, die sie nun besetzen, um zu ahnen, dass wir es dabei mit naturgesetzlichen Abläufen, deren Strukturen erforscht werden sollten, zu tun haben. Sie waren sehr emotional, die Wortführer von damals. Mittlerweile sind sie selbst über die fünfzig gealtert und dabei alternde Wortführer einer alten Generation geworden.


Hier wird die Meinung vertreten, dass sich ohne die nun zu entwickelnden Grundlagen, das politische und allgemein soziale Tagesgeschehen weder ordnen noch verstehen liesse. Die sozialpsychologische Dynamik muss ja – notwendigerweise – einer natürlichen Anlage folgen, und mit dieser Arbeit über die soziale Identität werden solche Strukturen der emotionalen Wirklichkeit vorgestellt, die unser Wahrnehmen, Fühlen und Handeln bestimmen. Es geht nicht darum zu moralisieren, nicht um die Kunst, durch polarisieren von Adjektiven Ereignisse zu thematisieren, die wie Wohlklang durch das Gehör in die moralische Instanz eines obwohl virtuellen, aber dennoch real dynamisierenden Über-Ich gelangen. Es geht um Vorgänge, also darum zu verstehen, wie Lebendiges sich vom Statischen unterscheidet. Es geht nicht um gut oder böse, recht oder schlecht, sondern um gekünstelt oder echt! Was wirklich ist beschäftigt uns, auch wenn es unangenehm wirkt, denn auch das ist wirklich. Wir versuchen die untheologische Daseinsbetrachtung, versuchen die Gestaltswahrnehmung der Vorgänge auch zu erfassen, die wir ohne es zu wollen ständig erfahren, indem wir leben und sind.

Am Anfang stand die Feststellung, dass Identität und Intimität von ein – und derselben Struktur seien, die zudem in den grammatischen Grundformen des Gebrauchs der Personalpronomina festgelegt ist und Ausdruck findet. Auf der Ebene der Gestaltwahrnehmung zur Definition: Dorsch , Psychologisches Wörterbuch, Bern, Stuttgart, Wien 1976 verbleibend, gehen wir der mentalen Wirklichkeit nach, um dieses Gefüge darzustellen.
Wir sind der Meinung, dass die theoretischen Tiefenpsychologien, die vor allem mit der Schuld der Eltern an den Fehlentwicklungen der Triebbefriedigung ihrer Zöglinge operieren, auf die realistische Basis der Selbstregulierung von endogenen Veranlagungen, ergänzt durch postnatale Prägungen freier Potentiale durch zeittypische, allgemeine Moralvariablen, zurückgeführt werden sollten; auch sehen wir den Sexualtrieb nicht als alleinige Quelle und Ziel unseres Sinnens und Trachtens. Die Selbstdarstellung, mit ihren mannigfaltigen Ausprägungen, zeigt zumindest, dass es uns treibt, als ein Selbst im sozialen Umfeld wahrgenommen und anerkannt zu werden. Die aktuelle Wirklichkeit scheint jeweilen der Prüfstein zur Feststellung des Eigenwertes zu sein.

Wir gehen folglich von Aktualitäten aus, um vor allem zu klären, ob es eine neue, bis dato nicht bekannte Dynamik psychosozialer Funktionen gibt (Gestaltwandel), und inwiefern die Funktionsdynamik ein endogener Automatismus (Instinkt) und/oder eine exogene, das heisst eine freie, von aussen bestimmte Angelegenheit ist.
Wir suchen die Gliederung solcher Mechanismen zu erkennen, die, falls es endogene Verhaltensmuster gäbe, ja notwendigerweise dazugehören würde. Es geht uns also darum, Gefüge von emotionalen Vorgängen darzustellen, deren Koordinaten durch soziale Bindungsbereiche gegeben sind Kulturmorphologie, z.B. Spengler Oswald , Der Untergang des Abendlandes, München 1923 .
Der Vorsatz, Strukturen von Verhaltensweisen, die das Zusammenleben steuern, an konkreten Beispielen festzumachen, lenkt unser Augenmerk auch auf gewalttätige Auseinandersetzungen. Uns beelendet die Drangsalierung der Schwächeren, und wir rufen nach Gerechtigkeit! Aber Recht ist eine Normgrösse, die in einem soziologischen Inkreis verbindlich ist, und inkreisspezifische Normen befremden im Auskreis. In der Begegnung an den Trennlinien ist die gegenseitige Angleichung der gesellschaftlichen Grundregeln jedoch möglich. Die Geissel der Menschheit ist nicht die Verschiedenheit der Ansichten (die ist eher belebend), sondern der emotionale Zustand Fanatismus, mit dem versucht wird, Konformität in allen zwischenmenschlichen Kontaktbereichen zu erzwingen.
Wir nehmen an, dass die impulsive Steuerung des individuellen Sozialverhaltens als Empfindung des "In-guten-Treuen rechtens zu handeln" wirkt, weil die funktionale Natur des Menschen grundsätzlich sozial bestimmt ist. Folglich bemühen wir uns hier um Argumente zur Stützung dieser These. Es ist eine Psychologie, die das Individuum in die umfassendere Identität einer sozialen Intimität einschliesst.
"Völker werden von Völkern beeinflusst, und entscheidend ist dabei das jeweilige Selbstverständnis, das sich im Verhalten all ihrer Vertreter auf allen Ebenen ausdrückt." Frenkel Max, Lorbeeren sind da kaum zu holen. In: NZZ Folio, März 2002 So hat Max Frenkel in seinem Aufsatz zum Stand der Dinge, mit dem Titel: "Lorbeeren sind da kaum zu holen", den politisch entscheidenden Funktionskreis dargestellt. Was liegt näher, als die Struktur dieser Vorgänge aufzuschlüsseln? Das soll nun im Folgenden diskutiert werden.


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