Nichts ist ohne Grund so wie es ist.
Die Selbstdarstellung fordert dem Menschen viel Phantasie und schöpferischen Impetus ab. Sie hat sozusagen keine Grenzen innerhalb alles Menschenmöglichen. Diese Erkenntnis ist zwar biblischen Alters, aber dort bekennt sich nur der Qohèlet
dazu. Ansonsten wird, im gegenseitigen Bescheidwissen, solche intime Gewissheit nur aus der Defensive heraus angriffig verbalisiert, denn sie ist peinlich. Selbstdarstellung spielt auf der Klaviatur der Tugenden wie der Untugenden, sie übertreibt allenfalls in Güte wie in Bösartigkeit, sie ist ein Individualtrieb wie auch ein Kollektivphänomen und drückt sich in ausgewogener Beziehungskunst wie in Massenpsychosen aus. Die Welt ist eine Schaubühne der Eitelkeiten, und der Bühnenprospekt ist in der Politik besonders breit angelegt. Eitelkeit macht blind für die Grenzen des Angemessenen. Welche Bedeutung die Nachahmung bei diesen Aktivitäten hat, wird greifbar anschaulich auf dem Laufsteg der Modeschauen vorgeführt. Es scheint mit dieser Nachahmung auch die Verführung zur progressiven Steigerung der Protagonisten verbunden. Die Spielregeln sind in allen Bereichen, die wir modisch nennen, gleich, von der Damenkonfektion bis hin zur Konjunktur der Weltanschauungen.
Bei den Bemühungen, die seelischen Vorgänge der menschlichen Natur zu verstehen, ist davon auszugehen, dass es eine grundlegend endogene Steuerung des Verhaltens gibt
. Es ist nicht jeden Tag neu, aber kann jeden Tag in einer anderen Anpassung an die Umfeldvariablen erscheinen. Es stimmt zwar, dass jede Generation sich ihre eigene Welt jeweilen erstmals erschafft, neu entdeckt; aber es ist eine alte Welt, und deren Neuerschaffung geschieht stereotyp. Den typischen einmaligen Tyrannen? Jede Generation hat den ihren, und wenn sie ihn nicht haben sollte, würde sie einen erfinden.
Jede Epoche hat ihren Menschenrechtsapostel, und oftmals ist gerade er der für die Zeit typische Tyrann. Terror wird mit Forderungen ausgeübt, und somit kann sogar das gute Beispiel zum Terror gereichen. Tugendanforderungen können ganze Sippschaften nötigen, ihrer Natur zuwider zu handeln und somit sich selbst fremd zu sein; aber das wird dann Erziehung genannt.
Um die Dynamik von Verhaltensformen am Objekt studieren zu können, eignet sich jedes Geschehnis, in welches Gruppen und Körperschaften politischer, sportlicher, kirchlicher, beruflicher, gesellschaftlicher und verwandtschaftlicher Natur verquickt sind. Es kann auch jede von Menschen bewohnte oder beanspruchte Region Anschauungsmaterial zu Feldstudien bieten, und kriegerische Ereignisse sind darin die akuten Episoden, an denen sich erforschen lässt, ob die erkannten Abläufe den Wert naturgesetzlicher Normen haben. Einen Sinn für Naturgesetzlichkeit müsste ein Forscher allerdings mitbringen.
Zu diesem Sachgebiet liegt einige Literatur vor, beginnend mit den Verhaltensstudien an Tieren, angefangen von den Bienen
, über hierarchische Organisationen höherer Säuger, bis zur Humanethologie. Adolf Portmann
, selbst Biologe, sagt dazu: "Die Wege zu solchem Wissen führen über das wissenschaftliche Erkennen, dessen Einsichten voll eingehen müssen in das umfassendere Erfahren von den Gestalten, wenn die Beziehung zum andern Leben nicht blosses freies Schwärmen des Gefühls, sondern Weg zu wahrem vertieftem Erleben sein soll", womit er selbst sich eine schwärmerische Dimension erhalten hat. Eine solche legt Zeugnis von den Gefühlen ab die uns bewegen und gilt deshalb als edel. Unser Denken ist stets auch gefühlsbestimmt.
Die Evolution (Biologie) ist der lebendige Prozess, der den Erkenntnisgewinn belegt, welcher dem Vorgang selbst innewohnt. Im Bereiche der Morphologie geschieht dies unbewusst. Die phsysikalischen Eigenschaften des Wassers bestimmen die Zweckmässigkeit der Struktur der Flossen von Wasserbewohnern; die Physik der Luft entscheidet über die Sinnfälligkeit der Morphologie derer, die sich in die Lüfte erheben. Die zweckmässigen Organe sind auf die Bedingungen zu entwickelt. Zerebrale Systeme sind ihrer Umwelt angemessen, so auch dasjenige des Menschen, das den bewussten Erkenntnisgewinn ermöglicht
. Es ist ein Phänomen des kreisartigen Prozesses des sich gegenseitig bedingenden Wechselspiels zwischen Organismus und Umwelt, Umwelt und Organismus (Gestaltkreis
).
Übertragen wir diese, zur allgemeinen Grundbildung gehörenden Einsichten auf bestimmte menschliche Talente, dann ist zu schliessen, dass auch das Empfindensspektrum in solchen Wechselfunktionen strukturiert ist.
Immanuel Kant
war der Ansicht, dass Anschauungsformen a priori vorgegeben seien, gewissermassen als Brillen, ohne welche wir nicht sehen könnten. Konrad Lorenz
kam mit seinen Forschungen zum Schluss, dass Anschauungsformen als Funktionen unserer Sinne und des Gehirns stammesgeschichtlich entstanden seien, und so sich auf Grund einer Jahrmillionen alten Auseinandersetzung mit, und Anpassung an reale Gegebenheiten bildeten. Für das Individuum sind sie vorausgesetzt, für die Art sind sie Ergebnis. Der Geist fiel nicht vom Himmel, titelte Hoimar v. Ditfurth, als er die Evolution unseres Bewusstseins beschrieb
. Die neuzeitliche Biologie, in Beachtung der Merk- und Wirkwelten, hat durch Experimentieren mit Atrappen erkannt, dass dem Instinkt in engerem Sinne eine Reizsuche vorausgeht, dass Übersprungshandlungen dazwischentreten können, und erst im Endausdruck der eigentliche Instinkt ausläuft, und die spezifischen Impulse verbraucht werden
. Diejenige Leistung, die das Lebewesen dem Auslöser der Instinkthandlung zuführt, wird als Appetenz bezeichnet. So stark und unveränderlich der Endinstinkt ist, so plastisch und zielstrebig ist das Suchen nach der adäquat auslösenden Aussensituation der Endhandlung
. Nach K. Lorenz
ist das Appetenzverhalten zielstrebig, wobei das Ziel nicht ein Objekt oder eine bestimmte Situation ist, sondern nur die Auslösung der Instinkthandlung.
Tinbergen
meint, dass die Psychologen, die bei ihren Verhaltensexperimenten Ratten durch ein Labyrinth laufen liessen, nur selten begriffen hätten, dass die Tiere nicht des Futters oder des Nachwuchses wegen liefen, sondern nur, um zum Ablauf der Fressbewegungen oder des Pflegeverhaltens zu kommen. Es kommt zu Übersprunghandlungen, wenn zwei stark aktivierte Triebe miteinander im Wettstreit liegen oder wenn bei sehr starkem Triebe die Aussensituation nicht hinreicht, um die Endhandlung auszuführen. Auch in der Zweifelssituation zwischen Angriffs- und Fluchtstimmung, kommt es zu Übersprungshandlungen. Instinkte seien voneinander abhängig und hemmten einander. Das sind zwei notwendige Prinzipien, um chaotische Abläufe auszuschliessen. Ob das Gesamtverhalten innerhalb eines Funktionskreises mit seinen mannigfaltigen Teilhandlungen, oder ob auch einzelne Abschnitte derselben Instinkthandlung heissen sollen, kann zu Spezifizierungszwecken diskutiert werden, ohne an der Erkenntnis der Funktionsabläufe und ihrer Organisation grundsätzlich etwas zu ändern.
Beim Menschen sind instinktive Bewegungen und instinktgeprägtes Verhalten am eindeutigsten beim Säugling zu beobachten. Die soziale Einbettung der Einzelwesen ist zwar Voraussetzung der menschlichen Existenz, macht aber die Endhandlungen in der Vielzahl der Anforderungen und der Verschiedenartigkeit der Reizauslöser unsicher. Der Mensch ist ein instinktunsicheres Lebewesen, und einige dieser Mechanismen laufen hinter der Maske der Konventionen larviert ab, was ein Phänomen der Kulturangleichung, der Substition und Umgruppierung ist.
Die Frage nach dem, was den Menschen vor anderen hochentwickelten Säugern auszeichnet, wird gewöhnlich vorschnell damit beantwortet, dass er ja eine Seele habe, Vernunft besitze und wisse, was gut und böse sei. Das sind religiöse Antworten, ohne begründete Argumente und ohne Definitionen der gebrauchten Begriffe. Der biblische Qohèlet
(Prediger) sagte jedoch schon: "Der Mensch hat vor dem Tier keinen Vorzug", und begründet das so: "Der Menschenkinder wegen, sie zu prüfen, hat Gott es so gefügt, damit sie sehen, dass sie nicht mehr sind als das Tier. Denn das Geschick der Menschenkinder ist gleich dem Geschick des Tieres; ein Geschick haben sie beide. Wie dieses stirbt, so sterben auch jene, und einen Odem haben sie alle." Offensichtlich aber gibt es Unterschiede der Natürlichkeit zwischen dem Menschen und anderen höheren Säugern. Fühlen, folgern, Erfahrungen nutzen, Anpassungsfähigkeit, Angst, Vergnügen, Spiel und Werkzeugnutzung, Schmuckfreude, Neugier und Vorsicht, all' dieses gibt es auch im aussermenschlichen Tierreich, ebenso wie Intelligenz und Überlebenskunst, wie Verblödung und Ungeschick, wie Lautbildung, Lärm, Melodie und Kakophonie; aber die Fähigkeit, abstrakte Begriffe zu schaffen und in Systemen zu ordnen, die durch Lehre und Unterweisung übertragbar und erhaltbar sind, scheint den aussermenschlichen zerebralen Veranlagungen zu fehlen. Diese Begabung ist offensichtlich menschlich. Damit unterscheidet sich die menschliche Natürlichkeit von derjenigen anderer Kreaturen. Der Traum von einem Zurück zur Natur wird gewöhnlich geträumt wie ein Fernweh, ohne das Ziel dieses "Zurück" zu kennen. Das aber wäre, wie Adolf Portmann in Ascona es in seinem Vortrag "Mythisches in der Naturforschung" formulierte, sein Leben in der Kultur
.
Ausdrucksmittel der Kultur ist die Sprachfähigkeit, ist eben jene Veranlagung, abstrakte Begriffe bilden und in Systemen ordnen zu können. Der Biologe Portmann wörtlich: "Auch in der Grundlegung der menschlichen Welterfahrung gibt es strukturell durch erbliche Isomorphie gegebene Elemente, denen eine zentrale Rolle in der Bildung einer Menschenwelt zukommt. Diesen Elementen wohnt Form inne, sie haben Gestaltcharakter. Das ist das wenige Exakte, was von der biologischen Forschung vorerst zur Kenntnis jener Sphäre beigetragen werden kann, in der die komplexe Psychologie das Reich der Archetypen und einen Ursprung des mythischen Gestaltens annimmt." Ohne Zweifel wäre der Hinweis auf das dynamische Kommunikationsmittel Sprache, das die vereinzelten Menschen zu übergeordneten Einheiten des Menschseins verbindet, konkreter ausgefallen, als die Berührung des Bereichs der Archetypenlehre; aber das war ja nicht das seinerzeitige Tagesthema.
Sprachen sind nicht angeboren. Sie entstehen und verfallen, sind Kulturgut und es gibt deren so viele, wie Kulturvarianten denkbar sind. Angeboren ist jedoch die Befähigung zur Sprachbildung, und zwar überall, wo Sprachen entstehen und bestehen können. Sie dienen der Kommunikation, innerhalb grösserer Funktionseinheiten
. Die Anlage zur Sprachschöpfung hat eine als solche erkennbare Struktur, eben die Grammatik, die der Lautbildung Ordnung verleiht und damit Sinn gibt. Ohne eine definierbare Anlage entsteht nicht, was wir als Kultur erkennen könnten. Solche Veranlagungen bilden auch das Gerüst für ihre Entwicklung und deren Ausdruck. Sie gehören somit zum Mutterboden der Psyche. Hypothesen, die diese Vorbedingung zu jedweder Psychogestalt ausschliessen, sind wie Seifenblasen, die wohl schillern mögen bevor sie platzen, aber nichts anderes darstellen als umhüllte Luft.
Dafür, dass Sprachen von der Grundstruktur einer spezifisch menschlichen Psychonatur zeugen, lassen sich konkrete Belege sammeln. Es ist nicht nur die Anatomie des Rachenraumes, die sprechen erst ermöglicht, sondern auch ein zerebrales System, dem eine solche Morphologie von Nutzen ist. Wir verbinden gewöhnlich ethnische Kennzeichen mit bestimmten Sprachen, obwohl offenbar ist, dass Menschen jedwelcher Ethnie jede Sprache lernen und gebrauchen können. Nicht der Wortschatz macht die Sprache aus, sondern die Ordnung, die einzelne Wörter sinnvoll untereinander in Beziehung setzt. Die Frage: "Woher kommt eine bestimmte Sprache in ein ebenso bestimmtes Gebiet?", ist nicht mit der blossen Vermutung von Einwanderungen zu beantworten. Das hat Cornelia Isler-Kerényi
(anhand der Ausstellungen über die Etrusker in Venedig und Bologna
) erfrischend und überzeugend dargestellt. Sie weist nach, dass die Entstehung urbaner Zentren mit der Hierarchisierung der Gemeinschaften einhergeht. Hierarchien sind immer Inkreis-Auskreis-Gliederungen. Die Archeologin antwortet auf die Frage, woher denn die Etrusker gekommen sein mögen mit der Weiterung, woher denn die Italiener oder Schweizer gekommen seien, und erklärt dann plausibel, dass es Etrusker oder jede andere Ethnie von dem Momente an gegeben habe, als sie sich als solche fühlten, sich also als eine eigene Identität wahrnahmen und darstellten. Es sind historische Prozesse, die zur Gestalt von Nationen führen, und davon nicht unbedingt nur die Invasionen und Unterwerfungen, sondern eher noch die Ansprüche und deren Befriedigung, die sich Menschen erlauben können. Es wäre falsch, diese Erkenntnis nur auf den sogenannten Luxus zu beziehen. So ergeben sich auch offensichtliche Einflüsse aus anderen Regionen, weil zum Beispiel entwickelte autochthone Bedingungen es ermöglichen, exotische Gerätschaften und Kunst zur eigenen Freude und Nutzen, wie auch zur Selbstdarstellung zu gebrauchen. Sprachen sind Mittel der Verständigung, der Wechselwirkung, des Austauschs, der Kulturdominanz und des Machtbeweises. Sie unterliegen dem Naturgesetz von Entwicklung und Verfall und stellen dieselben durch ihren Zustand dar. Selbstbewusstsein drückt sich lebendig im Sprachgebrauch und in der Sprachdisziplin aus, kann edel wie auch morbid sein, und diese Qualitäten sind am Niveau der Sprachpflege erkennbar.
So trägt Frau Isler-Kerényi auch eine Reflexion zur Sprachgeschichte bei und bemerkt, dass in der indoeuropäischen Sprachenflut der Bronzezeit die archaischen Lemnier und Etrusker sich ausnehmen wie die Spitzen altmediterraner Eisberge. Allein dies wäre schon Grund genug, eingehender zu erforschen, welche Bedeutung die Sprachentwicklung in der langen Geschichte unseres Kontinents hat. Archaische, auch rudimentäre Beschriftungen, wie die etruskischen, sind kostbare Quellen, die trotz ihres ehrwürdigen Alters, eine insgesamt noch junge europäische Kultur bezeugen, deren Wechselfälle wir doch gern durchschauen möchten, um ihre inhärenten Funktionsgesetze zu begreifen, um eine reelle Sozialpsychologie entwickeln zu können.
Sprache und Gestalt - Diskussion: Nihil Ex Nihilo - Diskussion: Babylonische Verwirrung