1/33 [1] Prés d’vn grant pont1) de plaine spatieuse2), [2] Le grand lyon3) par forces5) Cesarées4) [3] Fera abbatre hors cité rigoreuse6), [4] Par effroy portes luy seront reserées7) [1] Nahe eines großen Meeres1) von großer Fläche2) [2] wird der große Löwe3) mit cäsarianischen4) Kräften5) [den Feind] [3] niederschlagen lassen, außerhalb der strengen6) Stadt. [4] Aus Angst werden ihm die Tore geöffnet werden7). 1) Das mittelfranzösische "pont" bedeutet "Brücke". Allerdings stellt sich hier die Frage, ob der Zusatz "von großer Fläche" zu einer Brücke passt. Brücken gibt es zwar auch in breiterer und schmalerer Ausführung, doch werden diese Bauwerke primär durch ihre Länge und Höhe über dem Grund definiert. In 5/54/1 taucht der Latinismus "pont Euxine" für "Pontus Euxinus" (Schwarzes Meer) auf. Ich vermute nun, dass das "pont" aus 1/33/1 ebenfalls das lat "pontus" (Meer) meint. Zur Übersetzung vgl. aber Anmerkung 2. 2) Oder auch: "bei/in der großen Ebene", vgl. LEONI, S. 575. Man beachte dabei das lat. "planum" (Ebene, Fläche). 3) Das Wort "Löwe" ("lion" oder "lyon") taucht bei Nostradamus etliche Male auf. Die französische Stadt Lyon ist dabei wohl in in 1/72/3, 2/83/1, 2/85/2, 3/46/1, 3/52/4, 3/56/3, 3/93/4, 7/4/2, 8/3/4, 8/6/1, 9/68/2, 9/69/3, 9/70/2, 9/98/3 (?) und 10/59/1 gemeint. Die römische Gründung und Sitz eines Erzbischofs Lyon (Lugdunum) fiel 461 an die Burgunder, unter denen sie Königsresidenz war, gehörte aber ab 534 zum Frankenreich. 725 wurde die Stadt von den Arabern verwüstet. Nachdem Lyon durch die Teilungen des Frankenreiches nach 843 zunächst zum Lotharii Regnum und dann zum Arelat (Burgund) gehört hatte, kam die Stadt mit dem gesamten Arelat 1032 zum römisch-deutschen Reich. Endgültig französisch wurde sie 1312. Zur Römerzeit war Lyon die Hauptstadt ("caput") Galliens (der "Tres Galliae" [= der "Drei Gallien"]). Und in dieser Tradition trägt seit 1079 der Erzbischof (Kardinal) von Lyon die Ehrenbezeichnung "Primat des Gaules", ist also nominell Oberhaupt (Primas) der katholischen Kirche in Frankreich (in den [Drei] Gallien). In der Stadt fanden zwei Konzilien statt (1245 und 1274), die die religiöse Bedeutung Lyons unterstreichen. Die erste Hälfte des 16. Jh. war für die Stadt eine Zeit wirtschaftlicher und kultureller Blüte. In den 1550er-Jahren nahmen die Spannungen zwischen dem aufkommenden Protestantismus und den Katholiken jedoch immer stärker zu. Mit der Machtergreifung der Protestanten in der Stadt im Jahr 1562 und der katholischen Rückeroberung in den Folgejahren wurde Lyon schließlich in die Wirren der Religionskriege hineingezogen. Die Stadt an der Rhone trägt den Löwen (franz. "lion") in ihrem Wappen, so wie u. a. auch England und Venedig. Die einst große Seemacht Venedig ist wahrscheinlich in 2/94/3 mit dem "Löwen des Meeres" gemeint. Von mehreren englischen Löwen ist wohl in 1/35/1 und 7/16/3 die Rede: Das englische Wappen zeigt drei Leoparden bzw. "leopardierte" (d. h. schreitende) Löwen. Mehrere Löwen finden wir bei Nostradamus in 6/71/4, wobei hier allerdings noch abzuklären ist, ob es sich vielleicht um einen Verständnisfehler beim Setzen handelt. Auf einen einzelnen Löwen treffen wir in 1/31/4 (viertes Wort), 8/2/3, 5/25/1, 8/34/1 (sechstes Wort) und 9/19/2, wobei in diesen fünf Fällen wohl das Tierkreiszeichen gemeint ist. Das vierte Wort in 1/31/4 ("lyon" = Löwe) könnte aber neben dem Tierkreiszeichen gleichzeitig auch einen französischen Akteur in den Prophezeiungen des Nostradamus meinen, der an anderer Stelle auftaucht. Wir finden diesbezüglich in 1/33/2, 1/93/2, 5/99/3, 8/34/1 (viertes Wort) und 8/34/4 einen mit Blick auf 5/99/3 wohl keltischen d. h. französischen Löwen. Zum Begriff "keltisch" vgl. 6/4/1 (5.28). In 10/99/1 finden wir als Teil der Apokalypse ebenfalls noch einmal einen Löwen, der sicher als biblisches Zitat zu verstehen ist. Ob Nostradamus aber auch hier gleichzeitig an eine reale Macht gedacht hat (vielleicht Venedig?), ist im Augenblick noch offen. Doch an welche historische oder mythologische Figur könnte Nostradamus als Vorlage bei seinem französischen Löwen in 1/33/2 (?), 1/93/2, 5/99/3, 8/34/1 (viertes Wort) und 8/34/4 gedacht haben? "Löwe" heißt auf Griechisch "leon", auf Lateinisch "leo" und auf Französisch "lion". Vor diesem Hintergrund gibt es eine große Zahl an möglichen Vorbildern. Zu nennen wären u. a.: Leon, ein Gigant, der von Herakles (Herkules) erschlagen wurde; Leon, 590-560 v. Chr. König von Sparta und Großvater des bekannteren Leonidas; Leonidas I., König von Sparta 480-490 v. Chr. (vgl. 8/46); Leon, ca. 460-406 v. Chr., ein athenischer Politiker und Feldherr; sechs armenische Könige; ebenfalls sechs byzantinische Kaiser namens Leo bzw. Leon, die gut zu den "cäsarianischen" oder "kaiserlichen" Kräften passen würden, die Nostradamus in 1/33/2 erwähnt; Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen 1142-1180 und Bayern 1156-1180; Richard Löwenherz, König von England 1189-1199, sowie Herzog der Normandie und Aquitaniens und Graf von Maine und Anjou; Ludwig VIII. der Löwe, König von Frankreich 1223-1226; Robert III., 1305-1322 Graf von Flandern und somit Vasall sowohl des französischen Königs wie auch des römisch-deutschen Kaisers, genannt der "Löwe von Flandern". Wie so oft könnte Nostradamus auch bei seinem "keltischen (französischen) Löwen" Eingenschaften verschiedener Vorbilder kombiniert haben. Interessant scheint mir aber besonders der oben genannte Robert III., der "Löwe von Flandern" zu sein. Robert (1247-1322) stammte aus dem heute erloschenen französischen (= "keltischen") Haus Dampierre (Aube), dessen Wappen zwei goldene leopardierte Löwen auf rotem Grund zeigte und das seit 1246 die Grafen von Flandern stellte. Militärischen Ruhm errang Robert in den Jahren 1265-1268, als er in Italien an der Seite seines Schwiegervaters Karls I. von Anjou gegen die letzten Staufer kämpfte (eine Verbindung des "Löwens" zu Italien finden wir in 1/93 u. 5/99). Zusammen mit seinem Vater Guido I. nahm Robert am Achten Kreuzzug von 1270 teil, der unter der Führung des französischen Königs Ludwigs IX. nach Tunis führte (eine Verbindung des "Löwens" zum Orient findet sich in 8/34). Flandern, die Grafschaft der Dampierre, führte im Wappen einen nach (unheraldisch gesprochen) links blickenden, auf den Hinterbeinen stehenden schwarzen Löwen auf goldenem Grund und gehörte bis 1525 größtenteils zu Frankreich, im Osten zum römisch-deutschen Reich, dann gänzlich zum römisch-deutschen (Kaiser-) Reich (eine Verbindung zu den cäsarianischen/kaiserlichen Kräften aus 1/33). Nach der Rückkehr von Guido und Robert nach Flandern, kämpften beide politisch und militärisch gegen die Versuche der neuen französischen Könige, Flandern der Krondomäne einzuverleiben. Robert geriet dabei im Französisch-flämischen Krieg von 1297-1305 in Gefangenschaft und wurde von 1300-1305 auf der Burg Chinon an der Loire festgehalten. Nach dem Tod des Vaters und der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Athis-sur-Orge kehrte Robert 1305 als Graf nach Flandern zurück. Der Konflikt mit Frankreich brach allerdings auch danach mehrfach wieder aus. 1322 starb Robert und wurde in der Sankt-Martins-Kirche in Ypern bestattet, wo sich heute noch seine Grabplatte befindet.
5) Die 1557er-Ausgabe aus Utrecht und die 1568er aus Grasse und Stockholm schreiben den Singular "force". 6) Oder auch: "starr, hart". Unklar, welche Stadt hier gemeint sein könnte. Die Bezeichnung "strenge/starre/harte Stadt" könnte auf ihre anfängliche Weigerung verweisen sich zu ergeben. Oder Nostradamus betreibt wieder eines seiner Wortspiele. Vielleicht steckt im lateinischen Namen der Stadt ein Wort, das "streng/starr/hart" bedeutet (z. B. "asper", "acer", "durus", "severus", "austerus" oder "acerbus")? 7) Lat. "reserare" (öffnen), vgl. dazu auch BRIND’AMOUR, S. 96 und v. a. CLÉBERT, S. 104f. Allerdings bedeutet im Mittelfranzösischen "reserrer" eigentlich "wieder (ver)schließen, einschließen". |
Der französische "Löwe" wird
mit kaiserlichen (wohl römisch-deutschen) Truppen einen
Feind besiegen. Eine in der Nähe der Schlacht liegende
Stadt wird ihm daraufhin aus Angst die Tore öffnen. In Zeile zwei ist vom "großen Löwen" die Rede. Damit könnte der keltische (französische) "Löwe" gemeint sein, der auch in 1/31/4 (viertes Wort), 1/93/2, 5/99/3, 8/34/1 (viertes Wort) und 8/34/4 auftaucht - ein neuer "Löwe von Flandern", vgl. Anmerkung 3. Zu dieser Identifizierung würden die "cäsarianischen" (wohl kaiserlichen, d. h. römisch-deutschen) Kräfte passen, mit denen er vorzugehen scheint. Diese lässt er einen Feind besiegen. Wer dieser Feind ist, ist der Strophe nicht zu entnehmen. Etwas mehr Informationen erhalten wir über den Ort der Schlacht. Sie wird im Umkreis einer Stadt geschlagen werden, die Nostradamus in Zeile drei als "streng" bzw. "starr" oder "hart" beschreibt. Das könnte u. a. als Hinweis auf ihren Namen verstanden werden, vgl. Anmerkung 6. Ein weiterer Hinweis auf den Ort der Schlacht bzw. die Lage der Stadt ist in Zeile eins enthalten. Die Stadt könnte an oder in der Nähe eines großen Meeres zu finden sein - oder einer "großen Brücke" in einer großen Ebene, vgl. Anmerkungen 1 und 2. Laut Zeile vier wird die Stadt aus Angst ihre Tore für den "Löwen" öffnen. Man erhofft sich wohl so, dem Schicksal des vom "Löwen" geschlagenen Feindes zu entgehen. |
8/34 [1] Apres victoire du Lyon1) au Lyon2) [2] Sus3) la montaigne de IVRA4) Secatombe5) [3] Delues6) & brodes7) septieme million [4] Lyon, Vlme à Mausol8) mort & tombe. [1] Nach [dem] Sieg des Löwen1) im [Tierkreiszeichen] Löwen2) [2] [wird] beim3) Gebirge des JURA4) [ein] Massaker5) [stattfinden], [3] [dem] "Delves"6) und Allobroger7) [zum] siebten [Teil einer] Million [zum Opfer fallen werden]. [4] [Der] Löwe [wird bei der] Ulme in Saint-Paul-de-Mausole8) Tod und Grab [finden]. 1) Vgl. 1/33/2, Anmerkung 3. 2) Mit dem "Löwen" ist hier wohl die Zeit des gleichnamigen Tierkreiszeichens (Juli/August) gemeint. Mit Blick auf den südfranzösischen Kontext der letzten Zeile (Saint-Paul-de-Mausole) verweist CLÉBERT, S. 879, aber auf eine weitere Deutungsmöglichkeit: den Mont Gaussier unweit von Saint-Paul-de-Mausole, der aufgrund seiner optischen Erscheinung auch "Löwe von Arles" genannt wird. Die Stelle "au Lyon" (auch: "beim Löwen") könnte sich aber, um im erwähnten geografischen Umfeld zu bleiben, auch auf die Stadt Arles selbst beziehen, die in ihrem Wappen einen Löwen trägt.
4) Oder auch: "Berg des Jura". Der Jura beginnt beim französischen Voreppe (14 km nordwestlich von Grenoble bzw. 81 km südöstlich von Lyon), erstreckt sich bogenförmig entlang der französisch-schweizerischen Grenze in die Nordschweiz hinein und endet in seinen Ausläufern bei Dielsdorf (nordwestlich von Zürich). Falls ein bestimmter Berg des Jurabogens gemeint sein sollte, gäbe es etliche Möglichkeiten. Z. B. den markanten Dent de Vaulion etwas östlich der Schweizer Grenze und etwa 22 km südwestlich von Yverdon-les-Bains gelegen. Der Name Vaulion entspricht dabei dem lat. "Vallis Leonis", was "Tal des Löwen" bedeutet. Somit ließe sich "Dent de Vaulion" als "Zahn des Löwentals" verstehen.
6) Die Identität dieser "Delues" oder "Delves" ist noch nicht eindeutig geklärt. Es gibt im Mittelfranzösischen den Begriff "delvis" als Nebenform von "derviche" (Derwisch). Derwische sind Angehörige eines islamischen Bettelordens. Da die "Delves" aber zusammen mit den gallischen Allobrogern erwähnt werden (vgl. Anmerkung 7), sind erstere wohl ebenfalls in diesem Bereich zu suchen. Zu den aussichtsreichen Kandidaten gehören dabei wohl die Helvii, die Helvier (franz. "Helviens"), die im Vivarais (Département Ardèche, im südlichen Rhonetal zwischen Avignon und Valence) lebten. Aber auch die nördlichen Nachbarn der Allobroger, die Helvetii (Helvetier) in der heutigen Schweiz dürften in Betracht kommen (franz. "Helvètes"). CLÉBERT, S. 879, sieht hier die Leute der Dauphiné gemeint, lat. Delphinatii ("Delphes"). Die frühere Provinz Dauphiné lag zwischen Rhone und Alpen sowie zwischen Savoyen und der Provence. 7) Die "Brod(d)es" tauchen in 3/92/3, 4/3/1 und 8/34/3 auf. Das altfranzösische "brode" bedeutet dabei eigentlich "braun, schwarz; schwach, dekadent". LE PELLETIER, Band 2, S. 313, vermutet mit den "Brod(d)es" die Brodiontii gemeint. Die Brodiontii (oder Bodiontici) waren einer der keltisch-ligurischen Volksstämme in den Alpen, die von Augustus unterworfen wurden. Auf ihrem Siedlungsgebiet gründeten die Römer die Stadt Dinia, das heutige Digne-les-Bains, ein Kurort in den südlichen Westalpen, etwa 100 km nordöstlich von Marseille. CLÉBERT, S. 446, zitiert jedoch eine Stelle in Cäsar Nostradamus’ Werk über die Geschichte der Provence aus dem Jahr 1614, die wahrscheinlich die "brodes" identifizieren dürfte: "Les Allobroges que les Provençaux par corruption et syncope appellent Brodes". "Brodes" scheint in der Provence also eine Verkürzte und veränderte Form von "Allobroges" gewesen zu sein: Allobroges - Broges - Brodes! Von den Allobrogern ist in 5/42/2, 7/31/3 und 9/88/3 die Rede. Die gallischen Allobroger waren ein Stamm bzw. eine Stammesföderation, deren Siedlungsgebiet vom Genfer See bis ins französische Rhonetal reichte. Vienne an der Rhone war ihre Hauptstadt. Ihr Gebiet umfasste das heutige Savoyen und die südlich davon gelegene Dauphiné. 8) Saint-Paul-de-Mausole (auch: Saint-Pol-de-Mausole) taucht in 4/27/1, 8/34/4, 8/46/1, 9/85/4 und 10/29/1 auf. Zur Zeit des Nostradamus war Saint-Paul-de-Mausole ein Augustiner-Chorherrenstift (Kloster) unweit südlich von Saint-Rémy-de-Provence, dem Geburtsort unseres Sehers gelegen. Heute (2019) befindet sich dort die Nervenheilanstalt Cliniques Saint-Paul et Van Gogh.
|
Der französische "Löwe" wird
zur Zeit des Löwen (Juli/August) einen Sieg erringen.
Danach wird nahe des Juras ein Massaker stattfinden, dem
über 140'000 Südostfranzosen zum Opfer fallen werden.
Der "Löwe" selbst wird später nahe Saint-Paul-de-Mausole
sterben und dort bestattet werden. In der ersten Zeile ist von einem Sieg des "Löwen" die Rede. Mit diesem "Löwen" ist vermutlich der französische bzw. keltische Löwe (ein neuer "Löwe von Flandern") gemeint, der auch in 1/33/2, 1/93/2, 5/99/3 und 8/34/4 auftaucht. Stattfinden wird dieser Sieg wohl in der Zeit des Tierkreiszeichens Löwe (Juli/August) oder - falls die Stelle als geografischer Hinweis zu verstehen ist - in der Nähe des Mont Gaussier oder der Stadt Arles, vgl. Anmerkung 2.
Alternativ könnte dieser Sieg auch mit Strophe 1/35 in Verbindung gebracht werden, wo ein älterer "Löwe" einen jüngeren "Löwen" hinterhältig ermorden und dann dessen Heer in einer Schlacht vernichtend schlagen wird. Doch scheint mir 1/35 zu einem innerenglischen Thronstreit zu gehören, den ich von den Vorgängen um den keltischen Löwen (vorerst) trennen würde. Wen der französische "Löwe" in 8/34 besiegt, erfahren wir nicht. Es könnte aber um jenen Sieg gehen, von dem in 1/33 die Rede ist. 8/34/2f. ist zu entnehmen, dass nach dem Sieg des "Löwen" beim oder im Jura ein Massaker stattfinden wird. Ein Massaker, dem wohl über 140'000 Menschen (mutmaßlich Soldaten) zum Opfer fallen werden. Bei diesen wird es sich um Südostfranzosen - Allobroger (Savoyarden) und vermutlich Helvier (Leuten aus dem Vivarais) - handeln. Ob dieses Massaker allerdings in direktem Zusammenhang mit dem Sieg des "Löwen" steht ist unklar. Nostradamus könnte die beiden Ereignisse auch einfach nur chronologisch zueinander in Beziehung gesetzt haben.
In Zeile vier erfahren wir, dass der französische "Löwe" beim oder im ehemaligen Kloster Saint-Paul-de-Mausole sterben und bestattet werden wird. Über den Grund seines Todes und warum er seine letzte Ruhestätte dort findet, schweigt Nostradamus. Das mit Blick auf 8/46 wahrscheinlichste Szenario ist jedoch, dass der "Löwe" nahe Saint-Paul-de-Mausole im Rahmen eines Feldzuges sein Ende findet. An historischen Vorbildern gäbe es hier natürlich den spartanischen König und Feldherrn Leonidas ("der Löwengleiche") zu erwähnen, der 480 v. Chr. in der Schlacht bei den Thermopylen gegen die Perser fiel. Neben dem Spartaner könnte unser Seher aber auch an Richard Löwenherz gedacht haben, der 1199 bei der Belagerung der Burg Châlus-Chabrol (zentrales Westfrankreich) tödlich verwundet wurde. Weiter zu erwähnen wäre noch der französische König Ludwig VIII., genannt "der Löwe", der 1226 während eines Feldzuges an einer Krankheit in Montpensier (Zentralfrankreich) starb. |
8/46 [1] Pol mensolee1) mourra trois lieuës2) du Rosne,3) [2] Fuis les deux prochains tarasc4) destrois5): [3] Car Mars fera le plus horrible trosne6), [4] De coq8) & d’aigle9) de France freres7) trois. [1] [Bei] Saint-Paul-de-Mausole1): [dort] wird [er] drei Leugen2) von der Rhone entfernt sterben.3) [2] Fliehe die beiden Tarascon4) nahen Flussübergänge5)! [3] Weil Mars den schrecklichsten Thron6) errichten wird, [4] [werden] drei Brüder7) des Hahns8) und des Adlers9) von Frankreich [erscheinen]. 1) Vgl. 8/34/4, Anmerkung 8. 2) Eine Leuge (lat."leuga", "leuca") ist ein ursprünglich vermutlich gallisches bzw. gallorömisches Längenmaß. In Frankreich wurden verschieden lange Leugen verwendet, so die lieue terrestre (etwa 4,45 km) oder die ancienne lieue de Paris (etwa 3,25 km). Bis 1768 gab es daneben u. a. auch noch die Leuge der Gascogne und der Provence, die etwa 5,85 km maß. Drei lieues terrestres (13,35 km) entsprechen nicht ganz der Entfernung von Saint-Paul-de-Mausole zur Rhone in Tarascon (etwa 14,34 km). 3) Rein sprachlich gesehen könnte man die Zeile auch so verstehen, dass nicht jemand in sondern Saint-Paul-de-Mausole als solches sterben wird. 4) Tarascon wird in 4/27/1 und 8/46/2 erwähnt. Das Städtchen mit gleichnamiger Burg liegt an der Rhone, etwa auf gleicher Höhe wie Saint-Rémy-de-Provence und rund 14 km nördlich von Arles. In den Pyrenäen gäbe es zudem noch ein Tarascon-sur-Ariège, etwa 12 km südlich von Foix. Interessant in Zusammenhang mit Tarascon an der Rhone ist die Legende um Martha und der Tarasque. Der Ort soll einst Nerluc ("Schwarzer Ort") geheißen haben und von einem menschenfressenden Drachen (der Tarasque) heimgesucht worden sein. Die heilige Martha von Bethanien (vgl. Lukas 10,38-42 und Johannes 11,27ff.) habe ihn dann aber gebändigt und die Einwohnerschaft ihn gesteinigt. Zur Erinnerung an das Geschehen sei Nerluc in Tarascon umbenannt worden. 5) "Destroit" bedeutet u. a. "Region, Land", v. a. aber "enge Passage, Enge; Gefahr, schwierige Situation". Die Rhone zwischen Tarascon und Beaucaire wird von einer langgestreckten Insel zweigeteilt, so dass dort zwei Übergänge existieren, die hier gemeint sein könnten.
7) "Bruder" kann im Mittelfranzösischen wie im Lateinischen u. a. auch "Bundesgenosse", "Bündnispartner" bedeuten. 8) Mit dem "Hahn" dürfte am ehesten Frankreich, eine französische Macht oder ein französischer Machthaber gemeint sein, vgl. lat. "gallus" ("Hahn" und "Gallier"). Der "Hahn" taucht in 1/31/4, 1/93/2, 2/42/1, 3/52/3, (4/4/3), 5/14/4, 5/68/4, 6/28/4, [6/54/1], 8/4/1 u. 4, 8/5/4, 8/6/4, 8/9/1, 8/46/4 und 8/61/4 auf. Gemäß 8/5/4 wird der "Hahn" im Sarg liegen, was vermutlich eher auf eine Person denn ein Land hindeutet. Das mittelfranzösische "coq" bedeutet zudem noch "Koch", vgl. lat. "coquus". In der griech. Mythologie war Alektryon (griech. "Hahn") ein Diener des Kriegsgottes Ares (Mars). Alektryon bekam von Ares die Aufgabe, vor der Tür des Raumes Wache zu halten, in dem Ares mit Aphrodite (Venus) jeweils Ehebruch beging. Eines Tages schlief Alektryon jedoch auf Wache ein, so dass der Sonnengott Helios am Morgen die beiden erwischte und die Schandtat dem gehörnten Ehemann Hephaistos (Vulcanus) berichtete. Zur Strafe für dieses Wachvergehen verwandelte Ares den Alektryon in einen Hahn, damit jener nie mehr vergäße, den Sonnenaufgang anzukünden. In der römischen Geschichte gab es weiter einige Persönlichkeiten, darunter Politiker, Feldherren und Kaiser, die in ihren Namen den Begriff "Gallus" führten. Mit Constantius Gallus (351-354) gab es sogar einen Caesar (Unterkaiser) für den Ostteil des Römischen Reiches, das gesamthaft von Kaiser Constantius II. (350-361) beherrscht wurde. Gallus residierte in Antiochia (dem heute türkischen Antakya). Er wurde auf Befehl des Kaisers hingerichtet. 9) Von einem gemäß 2/85/2 "keltischen" (französischen) "Adler" ist in 1/23/4, 1/31/4, 1/38/1, 2/44/1, 2/85/2, 3/37/2, 3/52/3, 4/70/2, 5/42/4, 5/81/1, 6/46/4, 8/4/4, 8/8/2, 8/9/1, 8/46/4 und 10/27/4 die Rede. Damit könnte ein französischer Feldherr oder Machthaber gemeint sein, der dem historischen Aëtius ähnelt, vgl. griech. "aetos" und "aietos" (Adler). Flavius Aëtius wurde um 390 in der heute nordbulgarischen Hafenstadt Silistra geboren. Sein Vater skythischer (germanischer?) Herkunft war bereits römischer "General" (magister militum), seine Mutter stammte aus einer reichen italischen Aristokratenfamilie. Flavius Aëtius diente schon früh am weströmischen Hof in Mailand und Ravenna und verbrachte einige Jahre seiner Jugend erst bei den Westgoten, dann bei den Hunnen als Geisel. Die dabei geknüpften freundschaftlichen Beziehungen zu letzteren sollten für Aëtius später sehr wichtig werden. Unter dem weströmischen Usurpator Johannes (423-425) diente Aëtius als Kuropalates ("Palastleiter", ein hohes Amt am Hof). Als solcher erhielt er im Herbst 424 den Auftrag, bei den Hunnen um militärische Hilfe gegen Ostrom zu bitten. Im Mai 425 erschien Aëtius mit einem großen hunnischen Heer in Italien und lieferte sich dort - obwohl Johannes' Usurpation bereits gescheitert und Johannes selber enthauptet worden war - eine unentschiedene Schlacht gegen die Oströmer. Seine starke militärische Präsenz in Italien ermöglichte es Aëtius, an die Spitze des Weströmischen Reiches aufzusteigen. Er verständigte sich mit dem neuen Kaiser Valentinian III. (geboren 419, Kaiser 425-455, ein Vetter des oströmischen Kaisers), bzw. mit dessen Mutter Galla Placidia (388-450), die die Amtsgeschäfte für ihren minderjährigen Sohn führte. Aëtius schickte die Hunnen zurück und wurde selber Comes (die Comites waren die höchsten Amtsträger am Kaiserhof) sowie Oberbefehlshaber der weströmischen Truppen in Gallien. Als solcher kämpfte er siegreich gegen die Westgoten bei Arles (426), gegen die Franken am Rhein (428), erneut gegen die Westgoten bei Arles (430), gegen die Bagauden (Aufständische verschieder Herkunft) in Nordwestgallien und gegen die germanischen Juthungen in Raetien und Noricum (430/431). Mit dem Sieg gegen die Juthungen sicherte er die römische Donaugrenze. Erneut schlug er zu dieser Zeit in Nordfrankreich die Franken, die er aber auf römischem Gebiet siedeln ließ und so zu "Verbündeten" (Foederati) Roms machte (431). Diese Ansiedlung bildete die Keimzelle des späteren Fränkischen Reiches unter Chlodwig I. (481/482-511) - und somit auch Frankreichs (und Deutschlands). Nach der (vermutlich von Aëtius veranlassten) Ermordung seines größten Rivalen Flavius Felix 430 in Ravenna war Aëtius einer der mächtigsten Männer des weströmischen Reiches geworden. 432 wurde er das erste Mal zum Konsul gewählt, hatte also das höchste politische Amt errreicht. Doch um ein machtpolitisches Gegengewicht zu schaffen, rief die Kaisermutter Galla Placidia den Gouverneur und - ebenfalls begabten - Oberkommandierenden der römischen Truppen in der Provinz Africa, Bonifatius (geboren vor 413-432), nach Italien zurück. Dort wurde er zum Patricius ernannt (ein hoher Ehrentitel für die engsten Vertrauten des Kaisers) und sollte Aëtius als Oberkommandierenden der weströmischen Streitkräfte ablösen. Aëtius weigerte sich aber, seine Befehlsgewalt abzugeben. In der Folge kam es noch 432 zur Schlacht von Rimini, in der Bonifatius Aëtius zwar besiegte aber selber so schwer verwundet wurde, dass er einige Monate später an den Folgen der Verletzungen starb. Aëtius floh zu den Hunnen, seinen alten Freunden. Amtsnachfolger des Bonifatius wurde dessen Schwiegersohn Sebastianus. 433 kehrte Aëtius mit einer großen hunnischen Armee nach Italien zurück. Der sich bald in einer aussichtslosen Lage befindliche Sebastianus - Galla Placidia hatte vergeblich versucht, die Westgoten zur Unterstützung zu gewinnen - wurde seines Amtes enthoben und musste nach Konstantinopel fliehen. Aëtius kaufte die Besitzungen des Bonifatius und heiratete Pelagia, dessen gotische Witwe, womit er Zugriff auf deren gewaltiges Erbe und deren Gefolgschaft bekam. Aëtius (ab 435 mit dem Titel Patricius ausgestattet) war nun bis zu seinem Tod 454 der bestimmende Machthaber des Weströmischen Reiches. Sein Hauptaugenmerk galt dabei zunächst Gallien. 436 zerstörte er mit der Hilfe hunnischer Truppen das Burgunderreich bei Worms und besiegte erneut die Bagauden in Nordwestgallien. 438 und 439 kämpfte er gegen die Sueben und Westgoten. Gegen letztere war 439 allerdings eine herbe Niederlage zu verzeichnen. In den 440er-Jahren hatte Aëtius immer wieder mit den Bagauden zu kämpfen. In Spanien (443) aber auch wieder in Nordwestgallien (447 oder 448). Die in Gallien expandierenden und eigentlich verbündeten Franken konnten besiegt und erneut zu Verbündeten (Foederati) gemacht werden (bis 447). Nach dem Tod des fränkischen Königs Chlodio (ca. 450) unterstützte Aëtius dessen jüngeren und sagenumwobenen Sohn Merowech (ca. 411-ca. 458) bei der Nachfolge seines Vaters, er adoptierte ihn sogar. Merowech war der halb legendäre Stammvater der Merowinger, des ersten fränkischen Königsgeschlechts, das bis 751 herrschte. Er war der Großvater Chlodwigs I., vgl. oben. Somit könnte man das Frankenreich - und somit indirekt auch Frankreich (und Deutschland) - wenigstens teilweise als Hinterlassenschaft des Aëtius verstehen. 451 griff der auf Erfolge und Beute angewiesene Attila das Weströmische Reich an. U. a. weil ihn eine Partei am Hof, die in Konflikt mit Aëtius geraten war, um Hilfe gebeten hatte. Aëtius gelang es allerdings, eine Koalition aus den verschienenen in Gallien ansässigen Verbündeten (Foederati) zur Abwehr Attilas zu schmieden. Eine Koalition, zu der auch die salischen Franken gehörten. Sogar die Westgoten konnte er ins Boot holen, nachdem sich Attila und der Vandalenkönig Geiserich (der Todfeind der Westgoten) verbündet hatten. Attila und seine germanischen Verbündeten (v. a. Ostgoten) drangen bis nach Orléans vor, das sie erfolglos belagerten. Die sich von Orléans zurückziehenden Hunnen und die anrückenden römisch-germanischen Verbände trafen schließlich am 20. Juni 451 auf den Katalaunischen Feldern zwischen Troyes und Châlons-en-Champagne (also rund 200 km nordöstlich von Orléans) aufeinander. Unter großen Verlusten gelang es Aëtius, Attila soweit zu schwächen, dass dieser aus Gallien abziehen musste. Der König der mit Aëtius verbündeten Westgoten (Theoderich I.) fiel in der Schlacht. 452 griff Attila Westrom erneut an. Dieses Mal kam er aber über die Alpen nach Italien, wo er u. a. Aquileia verwüstete. Aëtius stand mit den kläglichen Überresten der römischen Armee in Bologna. Es gelang ihm mit diesen aber, Attila von einem Marsch nach Süden abzuhalten. Seuchen unter den hunnischen Truppen und oströmische Angriffe auf die Gebiete der Hunnen sowie ihrer Verbündeten nördlich der Donau ließen Attila schließlich aus Italien abziehen. Aëtius selber fand ein unverdientes Ende, er wurde Opfer einer Palastintrige. Am 21. September 454 wurde er von Kaiser Valentinian III. während einer Audienz mit dem Schwert getötet, weil der Kaiser seine eigene Stellung durch den übermächtigen Heermeister bedroht glaubte. |
Wie
einst Leonidas bei den Thermopylen wird der
französische "Löwe" den Abwehrkampf gegen einen
mächtigen Feind nicht überleben. Er stirbt bei
Saint-Paul-de-Mausole, nachdem die Flussübergänge bei
Tarascon gefallen sind. Es wird sich ein schrecklicher
Krieg entwickeln, der drei Verbündete des
französischen "Hahns" und des ebenfalls französischen
"Adlers" in den Konflikt wird eingreifen lassen. In der ersten Zeile erfahren wir, dass jemand drei Leugen (13,35 km) von der Rhone entfernt bei Saint-Paul-de-Mausole stirbt. Das knüpft an 8/34/4 an, wo wir erfahren, dass der französische "Löwe" nahe des Klosters sterben und dort begraben werden wird. In 8/46/2 fordert Nostradamus jemanden auf, von den beiden Flussübergängen zwischen Tarascon und Beaucaire zu fliehen. Die Warnung scheint an den "Löwen" gerichtet zu sein. Ähnlich wie einst der Spartaner Leonidas 480 v. Chr. bei den Thermopylen dürfte der französische "Löwe" einem (überlegenen) Feind an einer strategisch wichtigen Stelle den Vormarsch verwehren wollen - in diesem Fall wohl den Übergang über die Rhone bei Tarascon. Doch der "Löwe" wird wie Leonidas den vergeblichen Abwehrkampf nicht überleben. Dem Feind wird der Durchbruch gelingen, der "Löwe" wird zurückgedrängt und stirbt schließlich drei Leugen östlich der Rhone. Aber wer entspräche bei Tarascon den "Persern"? Falls diese von Westen nach Osten marschieren, kämen dafür etwa die Truppen des neuen spanischen "Philipp II. von Makedonien" (vgl. 5.16) infrage. In 8/46/3 erfahren wir, dass Kriegsgott Mars seinen "schrecklichsten Thron" - seine schrecklichste Herrschaft - errichten wird. Das dürfte so zu verstehen sein, dass ein großer bzw. blutiger Krieg toben wird. Und dieser furchtbare Krieg ist laut Zeile vier der Grund dafür, weshalb drei Verbündete ("Brüder") des französischen "Hahns" und des ebenfalls französischen "Adlers" auf der Bühne erscheinen werden. Über diese drei Verbündeten erfahren wir hier nichts. Auch nicht, ob sie alle für die gleiche Seite in den Konflikt eingreifen werden. |