Erst später wurde mir
klar, dass
er nicht reagieren konnte. Der Befehl des Hirns, dass er bremsen oder
anhalten soll, kam nicht zum rechten Fuss.
Doch so schnell wurde das noch nicht klar. Werner
sprach
nicht über den Vorfall. Für mich war es unverständlich. Einem Kollegen,
mit dem
Werner manchmal unterwegs war, erzählte ich die Geschichte. Er meinte,
Werner
hätte sich beim Autofahren verschlechtert. Klar, er war ja im Januar
schon 80
Jahre geworden. Doch den Test für das Autofahren hatte er erst gerade
glänzend
bestanden.
Immer mittwochs früh fuhren wir zusammen zum CC.
Wir machten
den Einkauf für unsere Gemeinschaft, wo wir auch seit vielen Jahren
zusammen
kochten. Diesmal achtete ich natürlich auf seine Fahrweise. Unser
Kastenwagen
war schon alt und man konnte ihn nicht mehr reparieren. Das nächste
Vorführen
in der Strassenverkehrskontrolle würde er nicht bestehen. Man hatte ihn
provisorisch noch so hergerichtet, dass er bis dann noch benutzt werden
konnte.
Doch der Motor starb in der ersten Minute ab, wenn man nicht dauernd
das
Gaspedal drückte.
Auf einer geraden Strecke hielt er plötzlich an.
Ich fragte,
warum hältst du an? Danach fuhr er wieder weiter. Ich hatte irgendwie
schon das
Gefühl, dass da was nicht stimmt. Aber Werner hatte lauter
Entschuldigungen. Es
lag am Auto, an den Schuhen, der Sitz war verändert worden und nun zu
nah an
den Pedalen.
Eine Woche später wurde es schlimmer. Er
verwechselte das
Gaspedal mit dem Bremspedal. Das war ja weniger gefährlich wie
umgekehrt. Aber
es war doch nicht normal. Ich drängte ihn, dass er seinen Hausarzt
aufsuchen
sollte. Doch er wollte nicht. Vielleicht
hatte er Angst vor der Diagnose.
Ich fragte meine Schwester Tanja, ob sie ihn am
Montag
begleiten würde. Normalerweise fuhr Werner montags alleine zum Einkauf
in die
Migros. Sie sagte zu und meinte danach, die Fahrt sei schon etwas
unruhig
gewesen, aber das Auto wäre ja auch kompliziert zu fahren. Sein Fuss
wäre mal neben
dem Gaspedal gewesen und er hätte gedacht, dass er auf ihm wäre.
Wieder kam der Mittwoch. Es war offensichtlich,
dass es
immer schlimmer wurde. Beim Heimweg fuhr Werner wie ein Fahranfänger.
Der Wagen
sprang immer nach vorne, weil das Gefühl für Kupplung und Gas nicht
mehr
stimmte. Ich schrie nur noch: "Halt Abstand!" Hoffentlich kommen wir
ohne Unfall
nach Hause, so dachte ich.
Zu Hause machte ich ihm klar, dass es so nicht
weitergeht.
Er dürfe nicht mehr Auto fahren. Ich glaube, ihm war es nun auch klar,
dass was
nicht stimmte. Aber zugeben wollte er es nicht. Wieder drängte ich ihn,
dass er
seinen Hausarzt aufsuchen sollte.
Irgendwann in den nächsten Tagen zeigte er mir
eine
Schriftprobe. Werner hatte immer eine sehr schöne Handschrift, doch nun
war die
Schrift ziemlich krakelig. Ausserdem merkte ich an seiner Gangart, dass
er
Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht beim Gehen hatte.
Dies musste auch Werner zu schaffen gemacht haben, so dass er am kommenden Montag doch den Hausarzt anrief. Er tat es jedoch nur, weil er nun plötzlich der Überzeugung war, dass die Probleme vom Rücken kämen, wo er manchmal Schmerzen hatte. Im Gehirn sei alles in Ordnung, beschwichtigte er mich oder besser sich selbst immer wieder. Den Termin bekam er für den darauffolgenden Mittwoch, den 17. April, um 10.00 Uhr. Am Montag davor war noch ein Termin beim Friseur und jemand musste ihn fahren. Aber es war offensichtlich, dass er nervös war. Diese Unsicherheit, was der Grund für diese Koordinationsstörungen sein könnte, machte ihm zu schaffen. Wir mussten auch besprechen, wer nun die Fahrten für den Einkauf übernehmen könnte und ob wir den Einkauf eventuell auch online bestellen könnten. Werner war absolut dagegen und als jemand meinte, er müsse mit der Zeit gehen, wurde er wütend. Es war ihm wichtig, dass er weiter zum Einkauf konnte. Er brauchte nur einen Fahrer.