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Die Hoffnung stirbt am letzten Tag

Diagnose Hirntumor

Kapitel 13: Wenn man nicht mehr verstanden wird
2. Juni
​An diesem Abend hatten wir ein friedliches Gespräch. Er erzählte mir, dass in seinem Kopf so ein Durcheinander sei. Er sprach auch über Heilung und Schicksal. Er konnte sich zwar nicht klar ausdrücken, aber ich verstand, dass er eigentlich mitteilen wollte, dass man seinem Schicksal nicht ausweichen kann und es in Gottes Hand liegt, ob man geheilt wird oder nicht.

Am anderen Tag erwartete ich, dass es so friedlich weiterging. Doch bei dieser Krankheit gibt es gute und schlechte Phasen und die wechseln sich fast stündlich ab. Um 6 Uhr morgens, wenn sein Wecker klingelte, nahm er ein Xarelto, eine Filmtablette, die dafür sorgte, dass der Magen von den Medikamenten etwas geschont wurde. Um halb sieben brache ich ihm dann einen Tee und eine Banane ans Bett. Danach stand er auf, ging ins Wohnzimmer und nahm dort seine Medikamente, die er immer schon am Abend vorher bereitlegte. Vor allem wegen dem Cortison war sein Gesicht schon etwas aufgedunsen.

An diesem Morgen war er nun völlig verwirrt. Er fragte mich:

„Was passiert heute? Wann geht es weiter mit dem Arzt?“

Er wusste die Termine nicht mehr. Ich fühlte eine leichte Verzweiflung. Normalerweise hatte er totale Kontrolle über alle seine Termine. Auch war er wahrscheinlich in einer leichten Panik, weil es so gar nicht vorwärts ging mit der Behandlung. Seit der Diagnose waren nun schon 7 Wochen vergangen ohne dass etwas gegen den Hirntumor unternommen wurde. Das Cortison war das einzige, was zumindest dafür sorgte, dass der Hirndruck nicht zunahm.

Werner war noch zuständig für eine ältere Frau, die in einem Heim lebte. Da sie Deutsche war, musste sie alle paar Jahre ihren Ausländerausweis erneuern. Tanja fuhr also mit Werner zum Heim, um sie abzuholen und mit ihr zusammen auf die Einwohnerkontrolle zu gehen. Dort gab es Probleme, weil sie keine ID dabei hatte. Werner wollte klar machen, dass sie keine ID mehr habe, da die alte Frau ja nicht mehr ins Ausland gehe. Sie hätte ja den Ausländerausweis. Da er jedoch dauernd die Wörter verwechselte, war es für die Beamten dort nicht nachvollziehbar und es wurde abgemacht, dass sie mit der ID wieder kommen würden.

Diese ID wurde jedoch nicht gefunden. Wir waren uns nicht klar, ob sie im Heim oder bei Werner war und ob sie überhaupt noch da war. Im Heim fanden sie sie jedenfalls nicht. Wir hätten eine neue ID beantragen müssen und dies hätte länger gedauert als die Frist, die gegeben war für die Erneuerung des Ausländerausweises.

Etwa 3 Tage später, an dem Tag, an dem die Frist ablief,  sagte Werner morgens ganz bestimmt:

„Ich gehe heute alleine auf die Einwohnerkontrolle.“ 

Natürlich konnte er nicht alleine in die Stadt gehen, aber wir liessen ihn bei der Einwohnerkontrolle aussteigen und alleine hineingehen. Nach einer halben Stunde wollten wir ihn wieder abholen. Wir trafen ihn an bei einer verzweifelten Suche nach seinem Portemonnaie. Er hätte überall geschaut und gefragt und niemand hätte es gesehen. Doch dann kam eine Beamtin und meinte, er hätte das Portemonnaie am Schalter liegen gelassen.

Werner fand die ganze Situation paradox. 

„Da kommen sie plötzlich mit meinem Portemonnaie daher, wo ich doch alles danach abgesucht hatte.“

Ich fand im Portemonnaie dann eine Quittung für die Erneuerung des Ausländerausweises. Er hatte also Recht behalten und brauchte keine ID dazu.

Abends führten wir wieder ein klares Gespräch. Er sprach davon, wie er sich in den letzten Tagen gefühlt hatte, weil wir ihm nicht geglaubt hätten. Es wäre wie damals gewesen vor einigen Jahren. Damals besuchte er jemanden in der Psychiatrie. Beim Verlassen der geschlossenen Abteilung hatte er noch was vergessen und ging wieder rein. Doch wie es so ist in einer geschlossenen Abteilung, da kommt man  nicht mehr von alleine wieder raus. Er hatte alle Mühe, den Pflegern klar zu machen, dass er nur ein Besucher war und kein Insasse. So hätte er sich nun auch gefühlt.

Ich entschuldigte mich bei ihm. Er hätte Recht gehabt und wir hätten ihm glauben sollen. Doch ich sagte auch, dass es für uns nicht einfach sei, da er manchmal auch verwirrt sei oder vergesslich. Er konnte das nicht nachvollziehen. Beim Beispiel mit dem Portemonnaie gab er den Beamten die Schuld. Von der Salatschüssel, die er nicht mehr gefunden habe, wusste er nichts oder wollte es nicht mehr wissen.