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Die Hoffnung stirbt am letzten Tag

Diagnose Hirntumor

Kapitel 5: Schock
8. Mai
​Irgendwann später gab Werner mir den Entlassungsbericht, den er beim Austritt vom Spital bekommen hatte. Die ganze Zeit hiess es im Spital, das Resultat der Biopsie würden wir in ein paar Tagen erhalten. In dem Bericht stand jedoch, dass eine klinische Kontrolle mit Besprechung der Biopsie-Resultate und des weiteren Vorgehens in sechs Wochen stattfinde. Ein schriftliches Aufgebot würde folgen. Ausserdem sollen die Klammern bei gutem Wundverlauf zwei Wochen nach dem Eingriff vom Hausarzt entfernt werden. Bei Bedarf könne sich Werner jederzeit vorher vorstellen.

Ich war irritiert. So lange mussten wir nun warten, um zu wissen, ob der Tumor gut- oder bösartig war!? Das war ja unmenschlich.

Natürlich war der Bericht gespickt von lateinischen fachmedizinischen Ausdrücken. Doch im Zeitalter des Internets ist das ja kein Problem, wenn man mehr wissen möchte. Da stand im Bericht: ‚hochgradiges Gliom‘. Ich gab dies bei Google ein und da kam gleich:

Ohne Behandlung Lebenserwartung 3 Monate.

Ich war schockiert. Natürlich sagte ich Werner nichts davon. Ich war so wütend, dass keiner der Ärzte mit uns gesprochen hatte und sie nur einfach diesen Bericht mitgegeben hatten. Aber vielleicht war der Bericht ja für den Hausarzt bestimmt gewesen.

Werner hatte den Bericht wohl gar nicht gelesen. Ob es ihn nicht interessierte oder ob er unbewusst ahnte, was er beinhaltete? Jedenfalls meinte ich zu ihm: „Du bekommst erst in 6 Wochen Bescheid. Aber eine eventuelle Behandlung müsste doch sofort beginnen.“ Darauf telefonierte er mit dem Kantonsspital und teilte seine Bedenken dort mit. Die wollten sich darum kümmern.

Alle meine Leute inklusiv  Werner waren positiv eingestellt und ich wusste nicht, was ich mit meinem Google-Wissen anfangen sollte. In unserer Gemeinschaft war positives Denken in jeder Situation das Beste, was man tun konnte. Ich fühlte mich jetzt ausgeschlossen, denn meine Zweifel wurden immer grösser. Ich war ja auch andauernd mit Werner zusammen und beobachtete, wie seine zeitliche und räumliche Orientierung langsam an Sicherheit verlor. Irgendwann erzählte ich meiner Schwester von diesem Google-Resultat. Aber auch sie wollte nichts Negatives hören. Ich war am Verzweifeln. Wollte niemand die Realität wahrhaben. War ich diejenige, die negativ denkt und so eventuell der Heilung sogar im Wege stand? Auf der Internetseite der Krebsliga gab es einen Chat. Das erste Mal in meinem Leben meldete ich mich bei so einem Live-Chat und ich redete rsp. schrieb fast eine Stunde mit einer Person. Es half mir, meine Ängste mal auszusprechen und ernst genommen zu werden. Sie riet mir auch, die onkologische Beratung aufzusuchen, was ich aber dann doch nicht tat. Schliesslich war ich ja nicht der Patient sondern nur die Angehörige.

Am Freitag nach der Biopsie hatten wir einen schon zuvor geplanten Termin beim Hausarzt. Während wir noch im Wartezimmer sassen, kam ein Anruf von der Radioonkologie. Wir hätten einen Termin am Montag beim Chirurgen, um die Resultate der Biopsie zu besprechen. Es hatte wohl genützt, dass Werner angerufen hatte.

„Es geht mir hervorragend“, beantwortete Werner die Frage des Hausarztes  nach seinem Wohlbefinden. Dieser schaute dann fragend zu mir. Werner hatte keine Freude, als ich dem Arzt von seinen leichten Verwirrungen erzählte und war etwas verärgert. Dr. Baumer fragte mich gleich, ob: „Sind sie im Besitze einer Patientenverfügung?“ Ich bejahte. Er kontrollierte seine Operationswunde. Sie war sehr schön am verheilen. Werner musste auch auf die Waage, wo er Mühe hatte, sein Gleichgewicht zu halten.  Er hatte ziemlich an Gewicht zugelegt. „Das liegt an den Medikamenten“, meinte Dr. Baumer. Er müsse schon aufpassen.

Leider hatte der Hausarzt  keinen Bericht über die Biopsie vorliegen. Ich zeigte ihm unseren. Da ich vor Werner nichts von meiner Google-Recherche sagen wollte, konnte ich auch den Hausarzt nicht danach fragen. Ich wollte die positive Einstellung von Werner nicht zerstören.