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Die Hoffnung stirbt am letzten Tag

Diagnose Hirntumor

Kapitel 9:  Vergesslichkeit und Aggressionen
20. Mai
​Ich beobachtete ihn genau und sah, wie seine Konzentrationsfähigkeiten abnahmen, rsp. seine Verwirrtheit zunahm. Wir arbeiteten zusammen in der Küche und Werners Aufgabe war es, den Salat zu rüsten. Er legte alles zurecht, die Schüssel, das Messer, das Schneidebrett, die Salatschleuder. Dann stand er da und wusste nicht mehr weiter. Es fehlte die Hauptsache, der Salat. Es ging eine Weile, bis er das merkte.

Auch seine motorischen Fähigkeiten auf der rechten Seite verschlechterten sich sichtlich. So konnte er immer schlechter die Treppe rauf und runter gehen. Zuerst musste er sich mit einer Hand am Geländer festhalten und dann ging es nur noch, wenn er sich mit beiden Händen daran festhielt. Da es nur auf einer Seite ein Geländer hatte und die Treppe noch eine Kurve beinhaltete, kamen ihm oft seine Füsse noch in die Quere. Das rechte Bein wollte nicht so gehorchen.

Von allen Seiten kamen gute Ratschläge. Bei Werner prallten sie alle ab. Die Leute meinten es ja nur gut und anfangs teilte ich ihm alles mit. Kurkuma auf das Essen gestreut hätte ja nicht geschadet, aber auch das wollte er nicht. Er war überzeugt, dass er die Heilung aus sich selbst heraus schafft. Dass man nicht an ihn glaubte, machte ihn wütend. Einmal hat er mich vor andern so abschätzig behandelt, dass ich schliesslich in Tränen ausbrach. Ich hatte nur ein Video an ihn weitergeleitet mit Vorschlägen für Geistheilung.  Von da an habe ich allen Leuten gesagt, dass wir keine Ratschläge mehr wollen.

Am 20. Mai war wieder ein Termin beim Hausarzt. Er teilte uns mit, dass das Tumorboard auf den 6. Juni verschoben wurde. Das war auch der Auffahrt wegen. Es wäre aber keine Katastrophe, denn die Wunde müsse auch zuerst gut verheilt sein, bevor sie mit den Bestrahlungen beginnen könnten.

Er entfernte die Klammern. Die Wunde sah gut aus. Dr. Baumer erkundigte sich wie immer nach seinem Befinden und Werner erwiderte wie immer, dass es ihm hervorragend gehe. Und wiederum fragte er auch nach meiner Meinung.  Wahrheitsgetreu beschrieb ich seine Probleme und dass er auch öfters aggressiv sei.

Werner: „Ja, wenn sie nicht das macht, was ich sage.“

Dr. Baumer: „Kann es sein, dass sie nicht versteht, was Sie meinen, weil Sie sich nicht klar ausdrücken können?“

Da wurde Werner schon fast aggressiv zu seinem Hausarzt: „Fallen Sie mir nun auch noch in den Rücken?“

Dr. Baumer versuchte sofort, dies als Spass abzumildern.  Aber er und ich wussten, dass die Kommunikation mit  Werner nicht mehr so klar im Ausdruck und Verstehen war und daraus Missverständnisse entstanden.

Aber der Hirntumor selbst kann auch Aggressionen verursachen.