Rund 120 Millionen Frauen weltweit sind genital verstümmelt, und jährlich kommen 2 Millionen Mädchen neu unters Messer der Beschneiderinnen. Genitalverstümmelung ist auch eine Frage der Menschenrechte. Die Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation FGM) wird zunehmend; insbesondere in Europa; als internationales Problem anerkannt. Allerdings trifft zu, dass in keiner anderen Weltregion die FGM so weit verbreitet ist wie in Afrika, da hier die Verstümmelung fest im Wertesystem der Traditionen verankert ist. Geografische Verteilung FGM soll zu bestimmten Zeiten in der Geschichte weltweit praktiziert worden sein. Heute wird die Verstümmelung hauptsächlich in Afrika vorgenommen: Exzision (Klitoridektomie): Benin, Burkina Faso, Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Elfenbeinküste, Djibouti, Äthiopien, Gambia, Guinea, Guinea-Bissau, Kenia, Liberia, Mali, Mauretanien, Niger, Nigeria, Senegal, Lierra Leone, Sudan, Tansania, Togo, Uganda, Jemen Sunna (: Die oben erwähnten Länder sowie Australien, Bahrain, Teile Indiens, Indonesien, Malaysia und die Vereinigten Arabischen Emirate) Doch auch in Europa werden von FGM-Fällen in Einwandererkreisen berichtet. Die Art des Eingriffs hängt vom Herkunftsland und vom kulturellen Hintergrund der jeweiligen Einwanderungsfamilie ab. Alle Formen der Verstümmelung sind anzutreffen. Gründe für die Fortführung der FGM - Tief in traditionellen Gesellschaften verwurzelt. Am häufigsten werden religiöse Gründe für die Verstümmelungspraktiken genannt. Weit verbreitet ist die Ansicht, dass die FGM vom Islam vorgeschrieben wird. Das Christentum wird aber ebenso als Rechtfertigungsgrund vorgebracht. Höchste religiöse Führer haben indes festgehalten, dass weder der Koran noch die Bibel von Frauen den Eingriff verlangt. Man vermutet, dass die Ursprünge dieser Praktiken bis auf vorchristliche und vorislamische Zeiten zurück reichen. In einigen Gemeinschaften glaubt man, dass jedes Kind bei der Geburt sowohl eine männliche wie auch eine weibliche Seele in sich trägt, die die Fortpflanzungsorgane beeinflussen. Die weibliche Seele eines Mannes sitzt in seiner Vorhaut, die männliche Seele der Frau in der Klitoris. Für die Integration in die Gesellschaft müssen Vorhaut und Klitoris entfernt werden. Ein junges nicht zirkumzisiertes Mädchen gilt heute immer noch als zweitklassiger, unreiner Mensch. Weder darf es heiraten noch das Essen für seine Familie zubereiten. Die Zirkumzision wird in der Sozialisierungsphase über die Familienmitglieder und weitere Bezugspersonen tief im Bewusstsein der Mädchen verankert. Jungfräulichkeit ist ein von Müttern und Grossmüttern oft genannter Grund für die FGM. Damit soll das junge Mädchen zusätzlich geschützt und seine sexuelle Unversehrtheit bis zur Hochzeitsnacht garantiert werden. Junge Mädchen, die sich dieser Prozedur unterworfen haben, gelten als Frauen mit hohen moralischen Werten und anderen Vorzügen. Davon profitieren letztlich auch die Eltern, die eine höhere Mitgift fordern können. Die am meisten genannten Gründe für FGM sind weder religiöser Natur noch können sie wissenschaftlich untermauert werden. Weder ist die FGM ein Garant für die Jungfräulichkeit noch verringert sie die Promiskuität. Auch trägt sie nicht zu höherer Fruchtbarkeit bei, sondern kann als Folge chronischer Infektionen sogar Sterilität verursachen. Wichtigste Ursache für das Fortbestehen der FGM ist Unwissenheit. Eltern unterziehen ihre Töchter in bester Absicht den Verstümmelungspraktiken, da sie keine andere Möglichkeit als die Heirat und die damit verbundene Sicherheit kennen. Weitere Faktoren sind das geringe wirtschaftliche Auskommen und ungenügende Aufklärung der Frauen, Gewinn und Ansehen der traditionellen Beschneiderinnen sowie fehlende staatliche Massnahmen zur Abschaffung dieser Bräuche. Ursprünge der FGM Über die Ursprünge der FGM gibt es mehrere Vermutungen. Dr. A.H. Taba hält in seiner Schrift über die weibliche Zirkumzision fest, dass im fünften Jahrhundert v. Chr. die weibliche Beschneidung bei den Phöniziern, Hetitern, Äthiopiern wie auch bei den Ägyptern praktiziert wurde. Die Praktiken gelangten anschliesssend mit der Bevölkerungswanderung von Ägypten aus in den Sudan, ins südliche Afrika und in den Sahel-Gürtel. Prof. Dr. Mahmoud Karim stellt in seinem Buch Female genital mutilation die These auf, dass Ägypten als Ursprungsland der Verstümmelung unwahrscheinlich ist und kommt zum Schluss, dass gemäss mehreren Studien die FGM in der Vergangenheit sowohl in Europa als auch in den USA und zahlreichen Regionen des afrikanischen Kontinents vorgenommen wurde. Über das Ausmass dieser Praktiken fehlen allerdings genaue historische Daten. (...) Den ersten historischen Nachweis liefert eine griechische Papyrusrolle aus dem Jahre 163 vor Chr. , also noch vor dem Auftauchen von Islam und Christentum. Ursprünge und Geschichte der FGM liegen somit weitgehend im Dunklen. Arten der FGM Bei der genitalen Verstümmelung von Frauen; gemeinhin auch als weibliche Zirkumzision bezeichnet; werden die Genitalien der Frau teilweise oder vollständig entfernt und oder zugenäht. Die Zirkumzision wird oft unter denkbar unhygienischen Bedingungen von einer älteren Frau mittels Rasierklingen, Glasscherben oder Messer vorgenommen. In den meisten Ländern sind diese Frauen gleichzeitig traditionelle Geburtshelferinnen und Heilerinnen; in einigen Ländern verdienen diese Frauen mit der FGM ihren Lebensunterhalt. Zu den kurzfristigen Folgen zählen Blutungen, akute Infektionen, Blutungen der angrenzenden Organe und heftige Schmerzen. Langfristige Folgen können chronische Komplikationen, wiederkehrende Blutungen, Fisteln, funktionale Manifestationen und HIV/AIDS sein. Das Alter, in dem ein Mädchen dem Eingriff unterworfen wird, variiert von Region zu Region, von sieben Tagen nach der Geburt bis kurz vor der Eheschliessung oder unmittelbar vor der Geburt. Kampf gegen Verstümmelungspraktiken Die UNO-Frauenkonferenz von 1980 in Kopenhagen lenkte die internationale Aufmerksamkeit auf das Problem der weiblichen Zirkumzision. Am gleichzeitig abgehaltenen NGO (Nicht-Regierungs-Organisationen) -Forum diskutierten Frauen aus westlichen Ländern über diese Eingriffe und verurteilten sie als barbarische Bräuche. Die afrikanischen Länder betrachteten diese Einmischung als westlichen Kulturimperialismus und reagierten mit Ablehnung. WHO: 1989 nahm das WHO Regional Office for Africa einstimmig einen Beschluss an, der seinen Mitgliedern empfahl, Massnahmen und Strategien zur Beendung der weiblichen Zirkumzision zu ergreifen. UNICEF förderte Untersuchungen über traditionelle Praktiken in verschiedenen afrikanischen Ländern und leistete Beiträge für weitere Aktivitäten wie Seminare und Workshops in Afrika. Inter-African Committee (IAC) Das Inter-African Committee wurde 1984 als regionales Organ gegründet. In Workshops werden mit Hilfe von visuellen Materialien nach dem Schneeballprinzip Aufklärerinnen ausgebildet. Themen sind die FGM, zu frühe Heirat, Fortpflanzung, Schwangerschaft und Geburt, Stillen, Hygiene und Ernährungstabus. Schlussfolgerungen Traditionelle gesundheitsschädigende Praktiken ebenso wie Gewalt gegen die Frauen existieren im Kontext von fehlender Information und Kenntnisse der Frauen über die Funktion ihres Körpers und ihr Grundrecht auf Gesundheit und Wohlergehen. Frauen in ländlichen Gemeinden haben meist eine wirtschaftlich schwache Position, mit der Heirat als einziger Überlebenschance. Mit Tradition gerechtfertigte Sanktionen gegen die Frauen werden unerbittlich durchgesetzt, um die produktive und reproduktive Rolle der Frau unter Kontrolle zu behalten. FGM und andere ähnliche Praktiken sind Beispiele solcher Kontrollmechanismen. Diese Praktiken erschweren die normale Entwicklung der kleinen Mädchen und gefährden die Gesundheit der Frauen ernsthaft. Für ihre Ausrottung sind Bildung und Ausbildung unabdingbar. Bildung des kleinen Mädchens vergrössert sein Wissen und sein Selbstbewusstsein. Bildung muss auch Meinungsmacher, Frauen und Männer und Entscheidungsträger erreichen, um Haltungen und Einstellungen zu verändern. Es braucht nicht besonders erwähnt zu werden, dass die Situation der Frau in der Gesellschaft geklärt werden muss, damit das Problem wirkungsvoll bekämpft werden kann. Das IAC geht die Problematik der gesundheitsschädigenden Praktiken auf allen Ebenen und unter ihren kulturellen, religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten an. Diese Bemühungen haben bereits positive und ermutigende Resultate gebracht. *) Referat, gehalten an der Tagung über Mädchenbeschneidung (Organisatoren: BFF, PlanEs, DEZA, UNICEF) am 21. Mai 2001 in Bern. Gekürzt. Literatur - Béguin Stöckli Dominique: Genitale Verstümmelung von Frauen: eine Bibliographie. Arbeitsblätter des Instituts für Ethnologie der Universität Bern 8. 1993 - Nyfeler Doris/Béguin Stöckli Dominique: Genitale Verstümmelung. Afrikanische Migrantinnen in der schweiz. Gesundheitsversorgung. Arbeitsblätter des Instituts für Ethnologie der Universität Bern 10. 1994 - Beck-Karrer, Charlotte: Löwinnen sind sie. eFeF Verlag, 1966 - Walker Alice/Pratibha Parmar: Narben oder die Beschneidung der weiblichen Sexualität. Rowohlt, 1996 - Female Genital Mutilation. Report of a WHO Technical Working Group. WHO 1996 - Les mutilations sexuelles féminines. Déclaration commune OMS/UNICEF/FNUAP. WHO 1997 - Female Genital Mutilation. An Overview. WHO 1998 - A Systematic Review of the Health Complications of Female Genital Mutilation. WHO 2000 - Informationsbroschüre Mädchenbeschneidung von Antagem Schweiz. Kontakt: Charlotte Beck-Karrer, Rabbentalstr. 77, 3013 Bern, Tel. 031 332 48 28 Video: „The Road to Change". A Film on Female Genital Mutilation. E und F. Order no. 1650103, WHO, 2000 |
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